Global weiter anwachsende Emissionen

Der Enerdata Energie Report

Die deutsche Diskussion verfehlt den Punkt 

16-06-2023
 

Enerdata

ist ein international tätiges, französisches Beratungsunternehmen mit Sitz in Grenoble und Singapore, das die globale Entwicklung des Energiemarktes beobachtet und in periodischen Reports veröffentlicht. Ein besonderer Fokus dabei liegt auf dem kontinuierlichen Abgleich der Entwicklung mit Verabredungen des Pariser Vertrages und den Forderungen des IPCC. Das Unternehmen arbeitet für Regierungen, Organisationen und Energie-Unternehmen weltweit.

Keine Trendwende in Sicht

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I. Enerdata

Im Juni 2020 hatte ich erstmals von der jährlichen Enerdata-Präsentation berichtet, soeben wurden die aktuellen Daten vorgestellt. Sie „ernüchternd” zu nennen wäre einem Optimismus geschuldet, für den die Daten keinen Anlass geben. Wir sind nunmehr im achten Jahr nach Abschluss des Pariser Vertrages und trotz der allgegenwärtigen Kommentierung und Berichterstattung zum Klimawandel ist eine Trendumkehr nicht in Sicht. Im Gegenteil: Nach dem ökonomischen Jojo in der Folge der Corona-Pandemie zeigen die globalen Daten den „Return to Historic G20 Economic Growth” und, damit verbunden, einen weiteren Anstieg der Emissionen.

Alles wie Zuvor

Statistisch fallen die Daten für 2020 und 2021 natürlich aus der Reihe, und sie sind für den Vergleich eher untauglich. Nun könnte man auf die Idee kommen, den Rückgang des Anstiegs von 6,3% auf 1,9% „ermutigend” zu finden, erstens absolut und zweitens „weil doch das Wachstum signifikant höher war”, und damit die „Energie Intensität”, also das Verhältnis Energieverbrauch/GDP zurückgegangen ist (2000-2022 = Ø -1,5%). Leider, das Arument zieht nicht, denn man muss in Betracht ziehen, dass ein Ø-Wert von etwa -3,8% (jährlich!) gefordert ist, um unter der 20-Grenze zu bleiben.

Kohle, Kohle, Kohle

Die Enerdata-Analyse liefert zudem Einblicke in eine Reihe relevanter Einzeldaten. Besonders erschreckend ist der Anstieg beim Einsatz von Kohle. Mit einem Weltmarktanteil von 61% befeuert China die Klimakatastrophe mit grossen Schaufeln und hat in 2022 neuerlich über 4% zugelegt. Indien bringt es auf einen Weltmarktanteil von 12%, und hat in 2022 fast 10% zuglegt, übrigens auch bei Öl und Elektrizität (nicht beim Gas – wegen des Preisanstiegs). Auf niedrigem Niveau (2% Weltmarktanteil) steigert Indonesien die Kohleverbrennung um satte 15%.

In Summe kommen die fossilen Energieträger (inkl. Atomenergie) auf einen Anteil von knapp zwei Drittel, und das, besonders deprimierend: weiter steigend!

weiter: zwei Drittel sind fossil

China und die emerging economies

An diesem Punkt der Diskussion rückt ein weiterer Sachverhalt in den Vordergrund: Zwar verfeuert China Kohle so rücksichtslos, dass die Schlote glühen, doch ebenso „rücksichtslos”, und dann besser: „entschieden”, ist das Land dabei, ökologische Alternativen zu befördern: Bei Wind und Solar liegt China um fast 100% über den installierten Kapazitäten der OECD-Länder.

Stürmischer Zubau

Heisses Wachstum

In der Zusammenfassung:

Wir hören gerne gute Nachrichten. Solar- und Windenergie entwickeln sich stürmisch in die richtige Richtung – das reicht nicht.

Möglicherweise tragen diese Anstrengungen „irgendwann” dazu bei, dass sich die Klimakatastrophe verzögert. Verzögert, das bedeutet nichts anderes, als dass wir – jetzt: die Menschheit, in wechselnden Konstellationen – auf nichts verzichten wollen und darauf hoffen, dass Technik es schon irgendwie richten wird. Bei dem Gedanken, eine etwaige Verzögerung gut zu finden, ist mir mulmig! Nicht nur, dass während der Verzögerung eine Reihe anderer ökologischer Problembereiche anwachsen: Pole, Meere, Tiere, Müll usw., die Verzögerung dehnt auch die Zeitspanne, in der klimatische Einzelereignisse Not und Elend produzieren und verlängern.

Den Schuss nicht gehört

setzen: ungenügend!

Die Anstrengungen der grossen drei sind unzulänglich! Die Trendlinie „Enerblue” zeigt das Szenario basierend auf der Annahme, dass die Staaten jene Ziele erreichen, auf die sie sich in Paris geeinigt haben; bereits das ist eine optimistische Annahme. Die Trendlinie „Energreen” zeigt das Szenario basierend auf den Notwendigkeiten, um unter einem Temperaturanstieg von 2 Grad zu bleiben.

Wenig Licht, viel Tunnel

Die Analysen von Enerdata liefern gute Argumente und zeigen auf, an welchen Stellschrauben sinnvollerweise gedreht werden sollte. Mehr als die Aussage, dass die bestehenden Trends in die falsche Richtung gehen und selbst dort, wo sie „das Richtige” dokumentieren (Wind, Solar) nicht ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen, mehr kann man von einem Beratungsunternehmen nicht erwarten.

Die Schlussfolgerungen obliegen der Politik und – weil die es offensichtlich nicht hinkriegt – der Öffentlichkeit.
 

II. Die globale Perspektive

Wenn Du auf dem Land lebst, ist Deine Bubble weniger hermetisch. Ich muss nur zum Rewe oder an die Tanke gehen, da hilft mir jeder (meistens! Männer) mit seiner Meinung auf die Sprünge. Neulich fuhr ich meine Siedlungsabfälle auf den Wertstoffhof, also ich war auf der Müllkippe. Eigentlich hätte ich den ganzen Schutt wieder mitnehmen müssen, der Sortier-Meister drückte verschiedene Augen zu, nur die Fenster hat er mir nicht abgenommen: meine Haustür, das wäre OK, auch lackiert, nicht aber die Fenster. Das soll mal einer verstehen, so kamen wir ins Gespräch. Bis wir bei seiner Meinung angekommen waren, brauchte es knappe 45 Sekunden: Deutschland verantworte „doch nur” 2% - und dann dieses Heizungsgesetz! Der Mann war freundlich, auch sei das Klima ein Problem, usw., wie solche „Diskussionen“ halt hinüber und herüber wogen … Der entscheidende Punkt: Es hat sich in der Breite des Volkes herumgesprochen, dass wir das Klima nicht in Deutschland retten werden.

Dieses 2%-Argument hat inzwischen den Gebetsmühlen-Status erreicht. Das ist ein Problem, denn die Aussage trifft zu. Das Problem besteht nun aber nicht wirklich in der „Richtigkeit” des Argumentes. Der kritische Punkt der Diskussion besteht vielmehr darin, dass der isolierte Fokus (auf Deutschland oder, grosszügiger: die EU, die OECD) davon ablenkt, dass die Klimakatastrophe inzwischen vor allem von den emergenten Ökonomien befeuert wird. Solange diese (jedoch) mit Recht darauf verweisen, dass sie den Schlamassel nicht angerichtet haben, wird es schwer sein, sie daran zu hindern, nunmehr endlich auch so zu leben, wie es in den entwickelten Ökonomien scheinbar zum Grundrecht geworden ist.

Die Diskussion muss, müsste, längst die globale Entwicklung ins Visier nehmen – das wird aber nur dann legitim, wenn die entwickelten Länder selbst ihre Hausaufgaben erledigt haben, hätten! Und tatsächlich reicht auch das nicht hin: Insofern die entwickelten Länder weitgehend allein für die ökologischen Grundlasten verantwortlich sind, sind sie auch für einen signifikanten – nämlich über die jeweils eigene, aktuelle, nationale Verantwortung hinausgehenden – Beitrag bei der globalen Emissionsvermeidung in Anspruch zu nehmen.

Dagegen wehren sie sich (= wir uns) mit Händen und Füssen.

In der jüngsten „futurzwei“ hat Harald Welzer mit Recht darauf hingewiesen: „It’s the Economy, Ökos!“ Ja, nicht aber, sondern: und – sie ist global! Natürlich bin ich der Meinung, dass „Deutschland seine Hausaufgaben machen muss“ und das ist eigentlich ein „Nachsitzen“. Was aber die Letzte Generation angeht, so hatte Greenpeace da schon mal eine bessere Analyse. Und, das ist jetzt social media-untauglich, die Strassenkleberei hilft nicht wirklich. Es ist doch längst keine Frage der Aufmerksamkeit, des WakeUp-Geschreis: Alle wissen Bescheid! Das Problem, wirklich Problem!, ist, dass die globale Gesellschaft, die es braucht, um den Planeten weiter bewohnen zu können, noch nicht erfunden ist. Solange „uns“ nicht einfällt, wie wir die emergenten Ökonomien auf das Überleben verpflichten können, solange können wir uns das Klein-Klein zuhause auch schenken. Das ist bitter.

p.s.: Heute nachmittag hatte ich diesen Text online gestellt, heute Abend kommt ein McKinsey-Newsletter, der die Planungen aus dem sogenannten "Inflation Reduction Act" der USA kommentiert. Darin findet sich diese Grafik – die, immerhin, eine Nuance weniger düster daherkommt. 

McKinsey-Grafik

... wenn es einmal ein ermutigendes Zeichen gibt, muss ich ja nicht vorsätzlich die Augen geschlossen halten, nur weil mich grad wieder die Apokalypse geritten hat ...