Jennifer Lawrence, zwei

Represent Us

oops – she did it again

 

Zum zweiten Mal, dass ich über sie stolpere. Diesmal noch überraschender.
Meine erste Reaktion war Begeisterung.

Wow! Das ist ein wirklich überzeugendes Engagement.

Represent Us! Jennifer Lawrence engagiert sich.

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Als es im Video um die Finanzierung der US-Wahlkampagnen geht, fällt mir sofort Lawrence Lessig ein, den ich dazu sehr profiliert früher schon einmal gehört hatte; später im Video stellt sich heraus, dass Frau Lawrence und Herr Lessig dieselbe Kampagne vorantreiben: auch Frau Lawrence ist im Vorstand der Initiative „Represent Us!“.

Ich halte den finanziellen Teil dieser Kampagne für essentiell! Doch am Rande kommt mir die Frage: Was geht uns das an? 
Es ist Amerika, nicht Europa. Wir haben es anders geregelt, auch wenn nicht immer alle Mittel koscher sind (Kohls "Versprechen" ...als Beispiel). 
Nun, wir haben da einen Hang zur CopyCat und neigen dazu, solche beeindruckenden Engagement einfach zu bejubeln. "Yes, wen can!" 

Meine zweite Reaktion war dann nicht mehr komplett positiv. 
Am Ende des Spots sollen die Menschen zusammenstehen, um ihre Interessen durchzusetzen: Liberale, Moderate, Konservative, zusammen – um das Land zu retten. 

Ich habe da meine Zweifel - aus zwei Gründen. 

Einerseits misstraue ich dem Willen des Volkes. Oft genug richtet er grossen Schaden an: die Nazis wurden gewählt, auch der Brexit, Victor Orban, Donald Trump (trotz aller Kritik am Verfahren, letztlich legal), etc.. Menschen treffen falsche Entscheidungen, die die Weltgeschichte über weite Strecken in die Katastrophe führen. 

Langsam: Ich bleibe ein Demokrat.

Allerdings denke ich schon lange darüber nach, wie man solche „Fehler“ vermeiden kann. (Ich habe noch keine Lösung, aber ein Ergebnis meines Denkens ist eine gewisse Skepsis gegenüber einer unreflektierten "Power to the People".)

Ein zweiter Aspekt bestimmt meine Zurückhaltung gegenüber dieser (möglicherweise für die USA guten) Kampagne. Dieser zweite Aspekt ist die "Große Koalition", das Aussetzen von Meinungsverschiedenheiten "unter einem gemeinsamen Ziel".
Das ist zum Einen schlecht für Meinungsverschiedenheiten: Faule Kompromisse werden zur Regel. Wir Deutschen wissen, wovon da die Rede ist.
Zweitens sind solche Koalitionen nicht nachhaltig: Kaum ist das Ziel erreicht, bricht diese fragile Koalition auseinander – und damit auch die bisherigen Erfolge.

Mit anderen Worten: Ergebnisse, die auf falschen Grundlagen basieren, sind nicht nachhaltig.

OKAY. Was ist mein Fazit? 

Ich finde JLs Engagement beeindruckend und sogar bewundernswert. Besonders gut gefällt mir die Tatsache, dass sie damit nicht "nur" für ihre eigenen oder die Interessen ihrer Peergroup kämpft (Frauen, Schauspieler, Mütter, was auch immer....), sondern für die Gesellschaft. Die Kritik an der Wahlfinanzierung in den USA ist geradezu dramatisch richtig, und ich stimme zu, dass das US-System völlig bankrott ist.

Ich bin, übrigens, auch nicht ganz und gar gegen die Große Koalition: Wenn "jede Partei" – für sich–  zu dem Schluss kommt, dass "A" richtig ist, wie es, Beispiel, nicht selten in Fragen der Verfassung vorkommt: "Wir bleiben in der Opposition, aber in dieser Frage stimmen wir mit der regierenden Partei ...". - dann erscheint mir das Ergebnis auch nachhaltig. Aber bevor es einer "Koalition des guten Willens" bedarf, um ein Ziel zu erreichen, bin ich aus Gründen der Geisteshygiene eher dafür, dass eine Partei den Sieg davon trägt. 

12-04-2019

Emil Nolde gilt als "belasteter Künstler". Angela Merkel möchte nicht mehr, dass seine Malereien in ihrem Büro zu sehen sind. Anders noch als ihr Vorgänger Helmut Schmidt, hat sie ein Problem damit. Auf einmal. Belastet – was bedeutet das überhaupt? Belastend? Für wen? Für die deutsche Seele?

Gesichert ist, dass Emil Nolde ein glühender Hitler-Verehrer war, ein Nationalist, Rassist, Antisemit und NSDAP-Mitglied. Aber so einfach ist es nicht. In seinen beiden betroffenen Werken "Brecher" und "Blumengarten" ist von seiner politischen Einstellung nichts zu sehen. Das, was man sieht, ist ohnehin undeutlich, verschwommen-schwammig, regelrecht entartet. Das fanden übrigens auch die Nazis, weswegen sie ein Berufsverbot gegen ihn verhängten. Dabei war er vorher noch von Goebbels gefördert, von Himmler eingeladen worden. Der Fall wird immer komplizierter, je länger man sich in ihn einliest.

Gebietet es in einem aufgeklärten Staat wie Deutschland nicht die Souveränität, Kunst vom Künstler strikt zu trennen? Einerseits: ja, denn das ist bequemer. Andererseits: nein. Fakt ist nämlich auch: Ohne den Namen des Künstlers ("Nolde") wären Noldes Bilder keinen Pfifferling wert. Also mittlerweile natürlich schon, haben sie doch jahrelang die Arbeitsstube unserer Kanzlerin verziert. Wie oft hat Angela Merkel wohl Nüsschen knackend unter dem "Blumengarten" gesessen und gedacht: "Der Zeichner dieser schönen Blümchen hat die NS-Zeit erlebt und überlebt. So etwas darf nie wieder passieren!"? Nun herrscht hier gähnende Leere, so wie es wohl auch dem Kalifen des Islamischen Staates gefallen würde. Die Leihgaben gehen an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zurück. Wer weiß, wer sie sich dort zu Gemüte ziehen wird.

Mit der Art, wie es mit seinem kulturellen Erbe umgeht, zeigt sich die wahre Stärke eines Landes. Helmut Kohl hat nicht viel von Kunst gehalten, war zu dumm dafür. Gerhard Schröder soll für das Gemälde "Speckmusch" von Armin Mueller-Stahl zwei Millionen D-Mark hingelegt haben. Adolf Hitler hat selbst gezeichnet. Merkel hätte die Noldes behalten sollen. Wo man Bilder abhängt, hängt man am Ende Menschen ab.

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Hinweis:
Hhhm. Es fällt mir schwer, einen Zusammenhang zu meinem Blogpost zu erkennen. Ich werde den Kommentar noch ein paar Tage stehen lassen – falls der Autor Florian das noch erläutern möchte. Andernfalls werde ich ihn löschen. (IvD)

Kunst ist flüchtig. Nicht nur im Fluxus-Sinne, sondern auch in dem Sinne, dass man alles ständig auswechseln soll. "Does it spark joy?" Yes, yes, dreimal yes! Wenn ich Bundeskanzler wäre, würde ich mich selbst absetzen, denn das Diktat der Kunst benötigt und verträgt keine menschlichen Instanzen. Vor allem aber würde ich meine Räume vollhängen mit Hunderten, ja Tausenden von Kunstwerken. Gerne auch mit meinen eigenen, davon habe ich genug, ich habe bereits drei Stück angefertigt, seit ich begonnen habe, diesen Text zu schreiben. Nebenbei! Gesamtkunstwerk Kanzleramt.

Emil Nolde war pädophil – so what? Das war Michael Jackson auch. "Finding Neverland" habe ich mir auf 100 DVDs gebrannt und bereits 450 Mal angeschaut. Klar, der Nolde muss weg, alles runter, weg, weg, weg! In Spanien stehen immer noch mindestens zwei Franco-Statuen rum, wie geil ist das, bitte? Faschismus hat faszinierende Werke hervorgebracht. Man kann auch damit spielen, die Figur Meese ist der Über-Adolf, der Meesegruß beeinflusst heute die Musik, Stichwort Rammstein. Deren letztes Album besitze ich auf Vinyl, exakt 2000 Kopien, unfassbar.

Angela Merkel hat gerade ihre Mutter verloren. Das tut mir sehr leid. Mit wem soll sie jetzt auf Tournee gehen, ihr Œuvre managen, wen als Idol hofieren? Ich schenke Angela Merkel auf der Stelle eine meiner Collagen, wenn sie zurücktritt und dem Führer namens K.U.N.S.T. Platz macht. Ich habe nichts gegen Merkel, sie sollte sich mal einen Jogginganzug anziehen – Karl Lagerfeld hätte das nie gemacht, hat aber auch gezeichnet, es hängt alles zusammen. Udo Lindenberg. Ganz, ganz groß, ich habe neulich 48 Stunden am Stück seine Songtexte gelesen, da gerätst du in einen Rausch, es ist nicht normal!

Noch ein Name: Richard Wagner. Wahnsinnstyp, komplett irre, auch weltanschaulich fragwürdig, aber einfach seiner Zeit voraus, geil, geil, geil. Manchmal schreite ich im Stechschritt durch mein Atelier und dirigiere meine Puppensammlung. Ich posiere gern, bin leider etwas dicker geworden in letzter Zeit, und der Bauch hängt runter wie eine Schürze.

Mein Angebot steht: Die weißen Mauern im Merkel-Kabuff bespritze ich liebend gern, wie Michael Jackson Pollock, und dann reiße ich sie ein. Also die Merkel, nicht die Wände.

Hinweis:
Hhhm. Es fällt mir schwer, einen Zusammenhang zu meinem Blogpost zu erkennen. Ich werde den Kommentar noch ein paar Tage stehen lassen – falls der Autor Jonathan das noch erläutern möchte. Andernfalls werde ich ihn löschen. (IvD)

16-04-2019

Ist das Ihr Ernst, sehr geehrter Herr van Deelen,

Sie beabsichtigen, unsere Kommentare zu löschen?

Sollte es auf Ihrer Seite etwa einen Fall von affektiver Schnappatmung geben, der sich ausschließlich an unsrer Personen (Identität) festmacht, diese "stempelt" (also mit persönlichen Invektiven vom Diskurs ausschließt) und dann alles ignoriert, was von uns sachlich vorgetragen wird?

Unsere Beitäge stehen – unter diesem Post – als Platzhalter und "Prüfstein" (Kant) für den Umgang des Blog-Mainstreams mit abweichenden Meinungen; es sind in diesem Sinne keine Aufforderungen, speziell diese Positionen zu diskutieren.

Wir versuchen den Punkt zu machen, dass sich in unseren Kommentaren auch dann eventuell Argumente finden lassen, die, auch wenn sie dem Juste Mlieu dieses Blogs nicht in den Kram passen, gehört oder bedacht werden sollten, sogar wenn sie in einem vermeintlich „falschen“ Zusammenhang stehen (oder sich vielleicht darein einfach nur leicht stellen lassen).

Uns stört (wie Sie ja auch [vgl.: https://www.timelabs.de/de/autor/blog/das-juste-milieu]), wenn in Diskussionen mit der Bewertung der Person auch das - ? ¡ möglicherweise ! ¿ -berücksichtigenswerte Argument "kontaminiert" wird (bzw. die - ? ¡ möglicherweise ! ¿ -berücksichtigenswerten Argumente "kontaminiert" werden sollen). DAS würden wir dem "Juste Milieu" (whoever that is) vorhalten!

Mit erzherzlichen Grüßen

Florian Illies & Jonathan Meese

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DaDaDa. Oder nur Dada?

Ich liebe die Diskussion, und wenn eine Meinung mir nicht in den Kram passt: never mind!
Meine Meinung passt Euch/Ihnen nicht? OK. Ich kann aber keine abweichende Meinung erkennen, ich kann überhaupt keinen Zusammenhang whatsoever zwischen meinem JL-Post und Ihren/Euren Kommentaren entdecken. Ich kann auch keine noch so um die Ecke gedachte ironische Volte erkennen, aus der sich ein Zusammenhang ableiten liesse.

Was ist denn das tiefer liegende, versteckte Argument? Und gegen was richtet es sich? Ich liesse mir ja eine Erklärung gefallen, wenn da was wäre. Was mir aber nicht in meinen Kram passt ist, irgendwelche Spielchen oder Trollereien auszutragen.

Also die Herren Künstler: redet Ihr mit mir oder über mich oder über Euch oder mit euch selbst?

17-04-2019

Sehr geehrter Herr van Deelen,

Sie mögen das "überraschende Stolpern" (wobei zu fragen wäre, ob ein Stolpern ohne Überraschung noch als "stolpern" bezeichnet werden kann). Ihre erste Reaktion darauf kann "Begeisterung" sein. Sie pflegen ein ästhetisches Verhältnis zur Welt. Das uneigennützige, das auf die Sache konzentrierte Deliberieren findet Ihren Applaus: "Wow! Das ist ein wirklich überzeugendes Engagement." Das "Interessante" und das "Ungewöhnliche" sind Ihnen lieber als das "Moralische" und das (sittlich) "Unanstößige". Aber Sie besitzen auch ein feines Sensorium für die geldwerten Aspekte einer Angelegenheit: Sie halten den finanziellen Teil von (massenmedialen) Vorgehensweisen für essentiell! Gleichwohl, manchmal nur am Rande, aber nie vergeblich stellt sich Ihnen die Frage: Was geht uns das an?

Andererseits: War das Inferno von Paris Brandstiftung? Das ist zumindest glaubhafter als die Existenz eines Gottes, der einen Unfall dieser Größenordnung zulassen könnte.

So ein Gedanke kann Sie tagelang beschäftigen.

Sie misstrauen dem Willen des Volkes, schreiben, oft genug richte dieser großen Schaden an. Und besonders gut gefällt Ihnen die Tatsache, dass jemand nicht "nur" für seine eigenen oder die Interessen seiner Peergroup kämpft, sondern auch für die Gesellschaft.

Damit sehe ich in Ihrer Jennifer Lawrence-Betrachtung alle Ingredienzien gegeben, alle intellektuellen Stimulantien wirken um Ihre Aufmerksamkeit auf unsere Kanzlerin und den Künstler Emil Nolde zu lenken.

Auch hier geht es um die Fragen "Moral oder Ästhetik", "Preis oder Wert", "Volkswille oder Kennerschaft", "Gewöhnlichkeit oder Irritation", "Symbolisches Handeln oder konkretes Begründen", "Abstraktes Raisonnement oder dichte Beschreibung", "Mainstream und Gedankenkomfort oder Inkommensurabilität und geistige Unruhe" usw.

Lassen Sie mich in einem neuen Anlauf noch einmal versuchen, Ihnen die Parallelen begreiflich zu machen:

Sie erhole sich am besten in ihrem Blumengarten in der Uckermark, hat Angela Merkel einmal erklärt. Am zweitbesten erholte sie sich bis zur vorigen Woche unter dem Blumengarten von Emil Nolde, den sie sich für das Kanzleramt gewünscht hatte. Doch nun wurden in diesem mentalen Naherholungsgebiet gefährliche Tretminen entdeckt. Von diesem Freitag an zeigt eine Ausstellung nur wenige Hundert Meter vom Kanzleramt entfernt, im Museum Hamburger Bahnhof, dass Nolde noch weit enger in den Nationalsozialismus verstrickt war als bislang bekannt. Dieses Wissen gilt offenbar als derart toxisch, dass Merkel Noldes Blumenbild abgehängt hat – und das große Wellenbild Brecher von Nolde ebenfalls.

Es ist tatsächlich eine berechtigte Frage, ob ausgerechnet im Zentrum der Macht der deutschen Demokratie Werke eines Mannes hängen müssen, der ein Antisemit, ein Verehrer Hitlers und ein Freund des Nationalsozialismus war. Helmut Schmidt, der Nolde schon in Bonn für das Kanzleramt auswählte, konnte noch sehr genau anhand dieser Gemälde die Abgründe und Untiefen der deutschen Mentalitätsgeschichte erzählen: Nolde also als Künstler beschreiben, dessen Werke von den Nazis als "entartet" aus den Museen entfernt wurden, der dennoch verquererweise mit genau diesem Staat sympathisierte, der ihm kein Mal-, aber ein Ausstellungsverbot erteilte – und der später zum Vorbild für den janusköpfigen Helden in Siegfried Lenz’ Deutschstunde wurde. Wenn man akzeptiert, dass uns große Kunst dazu herausfordert, Widersprüche, auch die schmerzhaftesten, auszuhalten, und wenn man bereit ist, immer, auch wenn es wehtut, einen Unterschied zu machen zwischen einem Bild und seinem Schöpfer, dann könnte gerade der Fall Emil Nolde zu einer "Deutschstunde" werden, die eine nachhaltige Wirkung entfaltet. Als ein solcher Deutschlehrer verstand sich Helmut Schmidt.

Man kann die Bilder auch in vorauseilendem Gehorsam gegenüber möglichen Tugendwächtern ganz schnell abhängen und Emil Nolde zum Schämen in die Ecke stellen. Als eine solche Deutschlehrerin versteht sich offenbar Angela Merkel.

Man wünschte sich, sie hätte stattdessen davon berichtet, wie erschreckend es für sie sei, dass sie die Kunst eines Malers schön findet, dessen Weltanschauung sie nun schaudern lässt. Welche grundsätzlichen Fragen zur Freiheit der Kunst und zur moralischen Abhängigkeit von Geschmack das in ihr angestoßen habe. Doch solche intellektuellen Zumutungen scheinen sie zu überfordern, und es ist den Kuratoren des Hamburger Bahnhofs hoch anzurechnen, dass immerhin sie sich mit ihrer aktuellen Ausstellung diesen Zumutungen stellen. Die hypersensible Öffentlichkeit kennt ja in kulturellen Fragen, egal ob es um die Provenienz von Werken oder von Menschen geht, oft nur noch Schwarz und Weiß – dabei ist auch weiterhin die Grauzone der bevorzugte Aufenthaltsort der Wirklichkeit.

Was folgt daraus, wenn man die Ethik die Ästhetik aushebeln lässt? Dürfen dann in deutschen Amtsstuben überhaupt noch Bilder der klassischen Moderne hängen, Werke wie die von Karl Schmidt-Rottluff, dem anderen Expressionisten, den Merkel sich vorschnell als Ersatzkandidaten ausgesucht hatte, weil er auch so schöne Blumen malte – der aber dummerweise ebenfalls antisemitisch gepestet hat? Zahllosen Künstlern der damaligen Zeit lassen sich nationalistische oder rassistische Äußerungen nachweisen.

Es ist eine bittere Wahrheit, doch die schönsten deutschen Verse des 20. Jahrhunderts stammen von Bertolt Brecht, Gottfried Benn und Rainer Maria Rilke, ein eiskalter Frauenvernichter der eine, ein opportunistischer Emigrantenbespöttler der andere und ein latenter Antisemit der Dritte.

In einer seltsamen Zeit wie der unseren, wo die Kunst unter dem Vorwand der Ideologiefreiheit wieder selbst auf ein ideologisches Accessoire reduziert wird, fehlt vielen die Bereitschaft, sich den widersprüchlichen Konsequenzen der Autonomie der Kunst offen zu stellen. Es gibt keine bedeutenderen Frauenbildnisse im 20. Jahrhundert als die Pablo Picassos – und es gibt wahrscheinlich keinen Künstler des 20. Jahrhunderts, der die Frauen, wenn sie gerade nicht Modell für eines seiner Gemälde saßen, schlechter behandelte. Und dass Günter Grass Mitglied der Waffen-SS war, beeinträchtigt nicht den künstlerischen Rang der Blechtrommel – sondern nur seine Selbststilisierung als moralisches Gewissen der Nation.

Wenn der moralische Anspruch zum Ersatz für eine politische Haltung wird, wird der genehmigungsfähige Kanon der Kulturgeschichte immer kürzer. Wenn man Eugen Gomringers konkrete Poesie von einer Hochschulwand entfernt, weil dort Frauen bewundert werden, und Emil Noldes Bilder über Nacht aus dem Kanzleramt verbannt, dann braucht es neue, keimfreie kulturelle Fundamente.

Die Politiker finden sie gerade im Bauhaus, das zu seinem hundertjährigen Jubiläum als ideales deutsches Narrativ zelebriert wird. So mag man seine Ahnenreihe: quadratisch, praktisch, gut. Das sagt zwar kaum etwas aus über das Bauhaus (denn es war viel vielschichtiger, komplizierter, dunkler, wie auch der Bericht über das neue Bauhaus-Museum zeigt). Aber es sagt sehr viel über die Sehnsucht unserer prüden, verängstigten Zeit nach einer besenreinen Kunstgeschichte, an die die kreative Avantgarde in Deutschland liebend gerne nahtlos anschließen möchte in ihren sterilen Büros voll silberner Apple-Computer auf weißen Eiermann-Schreibtischen.

Deutschland würde gerne so tun, als käme nach 1919 gleich 2019. Aber es ist eben nicht so einfach. Nicht alles so weiß. Dazwischen kam auch 1939. Und das macht alles sehr viel komplizierter. Viele deutsche Widerstandskämpfer trugen lange mit Stolz die Wehrmachtsuniform. Nolde wurde aus deutschen Museen verbannt, weil er als undeutsch, als "entartet" galt.

Es wäre schön, wenn es uns gelänge, die Widersprüchlichkeit der Geschichte und der Kulturgeschichte, die ja eigentlich nur von der Widersprüchlichkeit des Menschen erzählt, zum Teil unserer Deutschstunden zu machen. Und der Wahrheit Raum zu geben, dass leider auch niederträchtige Menschen höchste Kunst schaffen können. Das ist natürlich unbequem. Aber viel mutiger, als wieder damit anzufangen, Bilder abzuhängen.

Klar, Florian,

ich kann mir die Szene bildhaft vorstellen. Beim Staatsbesuch empfängt Angela Merkel zum Beispiel Emmanuel Macron von der anderen großen Kulturnation im Kanzleramt, sieht seinen Blick auf einem schönen Gemälde ruhen und sagt möglichst locker: «Das ist unser berühmter Expressionist Emil Nolde. Er war zwar ein Nationalsozialist und Judenhasser, aber hier in Deutschland unterscheiden wir zwischen großartiger Kunst und Schöpfer. Lasset uns zur Tagesordnung übergehen.»

Das ungefähr ist es, was Du und die deutschen Feuilletons fordern in ihrer Empörung darüber, dass Merkel zwei Bilder aus ihrem Büro entfernen ließ. Das eine Gemälde mit dem Titel «Brecher» (1936) bestückt eine gerade eröffnete Berliner Ausstellung, die jetzt schon eine Zäsur in der öffentlichen Wahrnehmung Noldes darstellt.

Um es vorwegzunehmen: «Bewunderter Künstler, schlechter Mensch» ist keine Kategorie, mit der sich Staat machen lässt. Die Kanzlerin hat das einzig Richtige getan. Staatsgästen muss keine deutsche historische Debatte aufgedrängt werden. Und der Sitz einer Regierungschefin ist nicht geeignet, die Frage zu verhandeln, ob und wie man Kunst und Moral trennen könnte und müsste und wie sich das mit der bundesrepublikanischen Haltung eines «Nie wieder» oder mit der Repräsentation nach außen verträgt.

Du ziehst zum Vergleich die Entfernung eines Gedichts von Eugen Gomringer an einer Berliner Hochschulfassade heran und schreibst, dass die Kanzlerin mit ihrem Akt dem gegenwärtigen «Wunsch nach besenreiner Kunst» entgegenkomme. Vom «Giftschrank» spricht das Magazin «Cicero»: https://www.cicero.de/kultur/emil-nolde-museum-nationalsozialismus-berlin-kunst Falsch!

Denn Gomringers Zeilen standen nicht wegen der mörderischen Ideologie eines Autors unter Verdacht, sondern im Rahmen des heutigen Gender-Gagas, der in einem Poem über Frauen und Blumen Sexismus witterte. Und wenn alle nun selig auf den bekennenden Nolde-Fan Helmut Schmidt hinweisen, der einst dessen Bilder in das auf unauffälligste demokratische Geste getrimmte Bonner Kanzleramt holte, hilft das kaum weiter, weil das Berlin des Jahres 2019 nicht das Bonn der siebziger Jahre ist.

Wo einst Nolde dem laut schweigenden deutschen Gewissen Halt gab als prominentes Opfer «entarteter Kunst», ordnet die neue Ausstellung ihn eben auch als tief in den Nationalsozialismus verstrickten Künstler, als «entarteten Entarteten» ein. Diese Künstlerbiografie erinnert daran, dass die sogenannte Vergangenheitsbewältigung nie ein abgeschlossener Prozess ist, auch wenn manche sich das vielleicht wünschen.

Berlin ist eben weder Bonn noch Frankfurt, wo 2014 eine bereits kritische Nolde-Retrospektive vergleichsweise verhalten zur Kenntnis genommen wurde. Die Frage nach dem demokratischen Verständnis verbindet sich besonders eng mit der Vergangenheitsdiskussion in der neuen alten Hauptstadt, wo der Wiedereinzug der Politik in Nazi-Architektur, die Errichtung eines Holocaust-Mahnmals und die Frage nach der symbolischen Bedeutung des Reichstagsgebäudes heftig diskutiert worden sind.

Merkel hat die Kunst nicht in den Keller verbannt, sprich: Zensur geübt, sie hat die Debatte lediglich delegiert an jene, die dafür zuständig sind: Kuratoren, Kunstwissenschaft und Museen. Niemand hat behauptet, dass Kunst im deutschen Regierungsviertel jetzt nur noch dazu da ist, Wohlbefinden zu erzeugen. Die Kunst muss hier Denkanstöße und Kontroversen über Aufgaben und Ethos der Staatsmacht geben. Die Diskussion über politische Verfehlung der Künstler aber ist Sache der Museen, der kunsthistorischen Seminare und der informierten Zirkel räsonierender Privatleute.

30-04-2019

"Behind it all is surely an idea so simple, so beautiful, that when we grasp it - in a decade, a century, or a millenium - we will all say to each other, how could it have been otherwise?"

John Archibald Wheeler, Annals of the New York Academy of Sciences (1986), 480

01-05-2019

Herr Gauland ist ein böser Mensch, weil er «Vogelschiss» gesagt hat. Die Rockgruppe Rammstein ist okay, obschon sie sich in geschmackloser KZ-Kostümierung nicht weniger kalkuliert-provokativ hervortut. Dagegen wird der Schriftsteller Takis Würger von der deutschen Literaturszene abgestraft, als wäre die bunte Kulissenhaftigkeit seines NS-Romans schon Holocaust-Leugnung. Und Angela Merkels Entscheidung, sich bei der Arbeit nun nicht mehr vor die Bilder des deutschen Expressionisten und überzeugten Nationalsozialisten Emil Nolde zu setzen, jazzt man zur staatlichen Zensur hoch. Zur Strafe, so der Tenor, sollte die Kanzlerin auch gleich den Bayreuther Festspielen fernbleiben, weil dort ja auch manches mit Nationalsozialismus zu tun hat.

Man liest, man hört und man staunt. Muss betont werden, dass ein deutscher Regierungssitz eben mehr darstellt als ein Ort der Selbstbestätigung für beflissene Kulturbürger?

Ist solche Willkür vergangenheitspolitischer Kommentierung nur ein Ausdruck medialer Tagesform? Zeigt sich hier fatal der Erschöpfungsgrad eines schon länger dauernden innenpolitischen Kulturkampfes, in dessen Gefolge plötzlich unumstößliche Werte erodieren? Oder ist die deutsche Vergangenheitsbewältigung knapp drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung in die Phase der Beliebigkeit eingetreten?

Jedenfalls erscheint es kein Zufall – und kommt hier zwischen greller Aufgeregtheit und moralischer Selbstgerechtigkeit nicht unpassend –, wenn derzeit zwei Berliner Ausstellungen ohne moralischen Fingerzeig oder Überwältigungsstrategie versuchen, Positionen von Künstlern während des Nationalsozialismus neu einzuordnen. Die Erkenntnis der Forscher ist im Falle Emil Noldes unmissverständlich: Was wir bisher über den Künstler im Dritten Reich wussten, ist «in ganz erheblicher Weise das Resultat von Noldes Arbeit am eigenen Denkmal».

Zum Beispiel: «Hitler ist tot. Er war mein Feind»: Klingt erst mal gut. Emil Nolde (1867–1956) schrieb den Satz am 6. Mai 1945. Und der Maler log damit noch nicht einmal, hatte doch der Reichskanzler seine Bilder explizit zum «Misthaufen» erklärt. Wer aber den Parcours im Hamburger Bahnhof «Emil Nolde. Eine deutsche Legende – der Künstler im Nationalsozialismus» bis zu diesem Punkt absolviert hat, der liest in dem Zitat nicht mehr unbedingt das Naheliegendste heraus – nämlich die Erleichterung darüber, dass die unvorstellbare Katastrophe endlich ein Ende findet.

An diesem Punkt der Schau weiß man längst, dass die Wahrheit eine andere ist: Der Künstler sah in Hitlers Aufstieg die Möglichkeit, selbst nationale Anerkennung zu erreichen. Emil Nolde war aber auch kein «einfacher Fall von Opportunismus», so das verstörende Fazit der Ausstellungsmacher über Deutschlands liebsten Expressionisten. Sein Antisemitismus, so legen sie im umfassenden Begleitkatalog dar, sei im Gegenteil ein Akt der «Selbstmobilisierung» gewesen; Nolde sah sich (in einem Zug mit Rembrandt) als großes, verkanntes Genie, er wollte seinen Platz in der «deutschen Kunst» festschreiben. In diesem persönlich motivierten Schwung arbeitete er auch schon mal einen «Entjudungsplan» aus oder denunzierte etwa den Malerkollegen (und Konkurrenten) Max Pechstein als Juden. Als dieser eine Richtigstellung der «existenzgefährdenden» Behauptung verlangte, antwortete ihm Nolde, dass ihn seine «Existenzsorgen» nicht interessieren.

Viele Widersprüche in diesem Werk lassen sich nicht auflösen. Zum Beispiel, dass Noldes nationalsozialistische und antisemitische Überzeugung das NSDAP-Mitglied nicht vor Verfemung (in der Entartete-Kunst-Ausstellung von 1937) bewahrte, dass seine Bilder beschlagnahmt wurden, dass er ein Berufsverbot (und nicht ein Malverbot, wie er es darstellte) erhielt. Der Künstler blieb trotzdem bis zum Ende ein glühender Hitler-Verehrer, und er distanzierte sich darüber hinaus auch nie von seinen nationalsozialistischen Überzeugungen – einmal abgesehen von der (vorsichtshalber?) niedergeschriebenen Notiz am 5. Mai 1945, drei Tage vor Kriegsende.

Es gibt unschöne Wahrheiten, aber die Schau verurteilt nirgends. Es gelingt hier, Noldes große Bilder mit den Ereignissen und Beweggründen in diesem Künstlerleben eng zu führen, was so ziemlich alles in einen anderen Rahmen stellt. Hier kommt die zweite Berliner Ausstellung im Brücke-Museum («Flucht in die Bilder. Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus») ins Spiel. Sie wirkt wie ein Echoraum zur Nolde-Schau im Hamburger Bahnhof, weil sie deutlich macht, dass es in der Diktatur zwischen Anerkennung und Verfemung Handlungsspielräume gab. Und oft ist auch einfach nicht erklärbar, weshalb unter der NS-Kulturpolitik manche Künstler glimpflicher davonkamen als andere. Nolde allerdings erweist sich in der Mythisierung von Kunst und Künstler als spezieller Fall.

Wenn Nolde angesichts von Hitlers Tod seine Freude über das Ende des «kulturellen Dilettantismus» ausdrückt, dann spricht daraus nichts weiter als das Selbstmitleid des ewig verkannten Genies. So war auch die Behauptung des Kunsthistorikers Werner Haftmann zu Beginn der sechziger Jahre, dass Nolde sich abgewandt hatte vom NS-Regime, eine schöne Lüge.

Womit wir bei der Legende wären. Nolde selbst war ein Meister der Selbststilisierung. Die Ausstellungsmacher Bernhard Fulda, Aya Soika und der Direktor der Nolde-Stiftung, Christian Ring, machen mit ihrer Exposition Noldes eigene Legendenbildung als Bestandteil seiner künstlerischen Identität nachvollziehbar.

Die Legende um Emil Nolde vermochte nach dem zivilisatorischen Bruch, nach dem Ende des Kriegs die Sehnsucht nach kultureller Heilung zu stillen. Was Siegfried Lenz in seinem Roman «Deutschstunde» (1968) über einen – klar an die Person Nolde angelehnten – Künstler erfand, der in der Diktatur von der Gestapo drangsaliert und in Einsamkeit mit politischem Widerstandsgeist gegen das verhasste Regime anmalte, stimmt so nicht. Aber im Wunsch der Deutschen, dass nicht alles schlecht gewesen sein konnte, wurde ausgeblendet, was die Legende störte. Und nach Siegfried Lenz' literarischer Adelung stand der umarmenden Würdigung durch die Politik nichts mehr im Wege. Unter dem Kanzler Helmut Schmidt wurden Noldes Bilder zur bundesrepublikanischen Vorzeigekunst. Noldes Blumenbilder, seine strikte ästhetische Haltung jenseits jeglicher völkischer Übermalung, erzählten unverfänglich von Standhaftigkeit und Aufrichtigkeit während der deutschen Katastrophe. Angela Merkel hätte sich in diese Tradition von Beschweigen und historischer Umdeutung eingereiht, hätte sie die Nolde-Bilder im repräsentativen Umfeld hängen gelassen.

Die neue Schau bildet tatsächlich eine Zäsur. Zwar war Noldes nationalsozialistische Gesinnung schon länger bekannt (und wurde auch aufgezeigt in der Schau im Frankfurter Städel im Jahr 2014), aber ein umfassendes, differenziertes Bild, das seine Motivation, seine Selbstdarstellung und seine politische Haltung während und nach der Diktatur zusammenführt, ist erst jetzt möglich. Hinter die neuen Erkenntnisse wird hier kaum eine ernsthafte Betrachtung mehr zurückfallen können.

Man muss Kunst und Künstler trennen, das sagt sich so leicht. Eine solche Trennung, «um Noldes Kunst zu schützen», erscheine nicht mehr «zeitgemäß», erklären dagegen die Kunsthistoriker. Es ist ein mutiges Votum. In der bisherigen Nolde-Rezeption wurde der Künstler zum Opfer und die Kunst dank Vakuumverpackung haltbar.

Aber wer der Kunst eine eigene Überzeugungskraft zutraut, der muss die Bilder im Kontext der ganzen Wahrheit präsentieren. Es liegt schließlich im Auge des Betrachters, ob Noldes Bilder weiter bestehen. Sagen wir es mal so: Im Wissen um die ideologische Entgleisung ihres Schöpfers sind die Bilder nicht weniger faszinierend, aber die Farbexplosionen können störende Nebengeräusche produzieren.

In der derzeit diffusen Diskussion um die Frage nach der Haltung gegenüber der deutschen Vergangenheit könnten der Mut und die Kompromisslosigkeit der Ausstellungsmacher ein wichtiger Anhaltspunkt sein, wo sie dafür plädieren, dass zeitgemäße Kulturkritik nicht lediglich «den modernistischen Glauben an die Autonomie des Kunstwerks» vertreten darf. Bequem ist das nicht, aber bequem war echte Kritik noch nie, wo sie Denkverbote hinterfragt.