Wirklich ein sperriges Thema! Wer verdient wieviel – und hat sie das auch verdient? Natürlich, Patricia Schlesinger, so kam ich drauf. Und die Geier fanden es einen guten Anlass, mal wieder über der ARD zu kreisen. „“
Das hamma uns verdient
Nach Golde drängt. Am Golde hängt Doch alles.
Ist das Zugemessene auch das Angemessene?
Ein recht brauchbarer Vorwand, die öffentlich-rechtlichen anzuschiessen.
Ihr Gehalt war von ~250 Tsd. auf ~300 Tsd. gestiegen, und sie hatte es selbst beschlossen, also sie und ihre Leute. Ist das angemessen? Puhhh, woran soll man das messen? Es sind Gebührengelder, das macht die Sache noch … schlimmer? … schwieriger? Weil: es ist ja kein Unternehmen, das eine gefragte Leistung, ein beliebtes Produkt herstellt und daran verdient. Und dafür seine Führung entlohnt. Und selbst wenn: kann ein Mensch, Vorstand, CEO, diese Liga, tatsächlich „leisten“, was er oder sie verdient?
I.
Es ging noch eine Weile gut, nachdem Steve Jobs 1985 von John Sculley gefeuert wurde, aber 12 Jahre später stand Apple (90 Tage, so kann man lesen) vor der Zahlungsunfähigkeit, die Aktie: ein Penny-Stock. Dann kam Steve Jobs zurück. Es war ein ziemliches Gezerre, bis er vom Interimsposten um 2000 herum wieder zum CEO bestellt wurde. Bis 2002 hatte sich der Aktienkurs vervierfacht, heute ist das Unternehmen fast drei Billionen $ wert. Jeder, der 1985, sagen wir: statt eines ersten Macintosh Computer (für ~2.500 $), Aktien gekauft hätte, wäre heute dreifacher Millionär. Es gibt wenige Unternehmensgeschichten, deren Entwicklung so unmittelbar und unzweifelhaft von einer Figur geprägt wurde. Wie heisst es bei Brecht: „Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“ Na klar, auch die Rolle von Jony Ivy kann man kaum überschätzen! Gleichwohl, Jobs war, bis zu seinem Tod 2011, der MasterMind – wieviel sollte er verdient haben?
Laut Google belief sich sein Vermögen zum Zeitpunkt seines Todes auf knapp 10 Mrd. $. Das ist, nun ja, auch nicht nur eine Portokasse. Aber ist es „angemessen“? Zu viel? Zu wenig?
Ein anderes Beispiel ist Herr Winterkorn. Auch seine Leistung als Führungskraft war überaus erfolgreich. Dafür kassierte Winterkorn beachtliche 15 oder 17 Millionen jährlich. Dann war VW unter seiner Führung – durch Betrug – in eine existentielle Krise geraten. Der Diesel-Skandal hat das Unternehmen 28 Mrd € gekostet. 30.000 Stellen gingen verloren. Der „verantwortliche“, mitwissende Martin Winterkorn wurde mit einem Golden Handshake von knapp 10 Mio (Quelle – 2017) nebst einer Betriebsrente von 3.100 €.
Pro Tag.
Bis zu seinem Tod.
Ist das gerecht?
Angemessen? Jedenfalls ist es rechtens. Pacta sunt servanda!
Tatsächlich in einer anderen Liga spielte Patricia Schlesinger! Der rbb beschäftigt rund 3.500 Mitarbeiter, von denen Frau S. Chefin war (Apple: 154.000; VW 670.000). Sie wurde als Intendantin 2016 (gegen Theo Koll) gewählt und 2020 wiedergewählt! Sie übernahm überdies 2022 den ARD-Vorsitz. Ich stelle mal ungeprüft die Frage in den Raum, wieviel dieser Karriere auf dem Frauenticket stattfand; jedenfalls insinuiert Silke Burmester einen solchen Zusammenhang zustimmend, indirekt.
Es hilft bei der Einordnung, wenn man die Gehälter der ARD-Intendanten in Beziehung setzt:
Zumindest wird deutlich, dass Frau S. mit Blick auf das Gehalt in der Mitte ihrer Peers angesiedelt war, und es durchaus eine „gewisse Vergleichslücke“ gegeben haben mag, als sie noch mit 250k nach Hause ging.
Es werden ihr andere Sachverhalte vorgeworfen: Ihr Büro für 650.000 Euro renoviert zu haben, Nepotismus, ein zu teures Auto, ein zu protziger Neubau. … Das interessierte Kräfte, die FAZ vorneweg, neuerlich einen Vorwand gefunden hatten, die öffentliche-rechtlichen anzu...zählen, wollen wir hier nicht diskutieren! Der Sozialneid – und wie erst in Berlin/Brandenburg – fokussiert ja zu allererst auf das Gehalt. Und nur darum soll es hier gehen:
Vergleichsweise also stünde Frau S. nicht wirklich im Abseits – die Frage ist vielmehr, ob das Gehalt angemessen ist, ob es gerechtfertigt ist und schliesslich, ob eine Gebühren-finanzierte Organisation solche Gehälter zahlen darf.
II.
Die Antworten auf zumindest zwei Fragen bleiben uneindeutig. Vermutlich müsste man die Angemessenheit an vergleichbaren Positionen bemessen, also vielleicht Geschäftsführern oder Chefredakteuren grosser Medienhäuser, oder noch eine Ebene abstrakter, vergleichbar grosser Organisationen und Unternehmen. Das ist ein weites Feld! So weit meine Kenntnisse reichen, sind 300.000 für eine solche Position „normal“. Ich kenne Geschäftsführer, die mit 50 oder 100 Mitarbeitern mehr verdienen und auch solche, die mit weit mehr Mitarbeitern weniger verdienen. Das könnte am Umsatz liegen, oder an der Marge, oder an der Branche, oder am Standort, oder am Alter liegen, eine nicht wirklich präzise Analyse.
Ob die Gehälter dagegen gerechtfertigt sind – da wird es noch schwieriger. Welche „mehrwertige“ Leistung erbringt eine Chefin? Auch ihr Tag hat nur 24 Stunden, sie kocht mit Wasser … und was da alles an Volksweisheiten angeführt wird. Steve Jobs und Martin Winterkorn könnten für die zwei gegensätzlichen Pendelausschläge stehen. Aber dann: waren nicht auch „glückliche“ oder „unglückliche“ Umstände im Spiel? Das iPhone – denken wir an Blackberry oder Nokia – lag damals quasi in der Luft, Apple hat nur ein paar kleine Stellschrauben in die richtige Richtung bewegt (dieses Argument gilt auch für Amazon, Ebay, Facebook oder BMW). Die Autobranche dagegen steuerte unübersehbar auf ihren Zenit zu, die Ökologie, der Wettbewerb, die Shareholder, jeminee, der Druck … usw. Und ob „die anderen“ nicht ebenso im Glashaus sitzen? Egal: kriminell bleibt kriminell, aber sind wir nicht alle ein bisschen … kriminell? „Zu den möglicherweise beteiligten Instituten zählten am 12. Juli 2012 die Bank of America, Barclays, Mitsubishi-UFJ, Citi, Credit Suisse, die Deutsche Bank, HSBC, JP Morgan, Lloyds, Royal Bank of Scotland und UBS.“ Heisst es auf Wikipedia über den Libor-Skandal, bei dem Geldinstitute mit Bereicherungsabsicht den Leitzins manipuliert haben. Der Cum-Ex-Skandal? Ja ja ja, anderes Thema, ich sollte die Gier und den „schmalen Grad“ nicht mit der Legitimität von Gehältern vermischen.
Das ist nicht ganz leicht! Denn die Gier grabscht herüber, also ins Thema.
Andererseits, sprechen wir von Produktivität. Ich kenne einen Geschäftsführer, der ein Drittel dessen, was er dem Unternehmen an Umsatz einbringt, als Vergütung erhält: Dienstleistung, kein Wareneinsatz, geringe Gehäusekosten, fast wie im digitalen Umfeld: Umsatz = Gewinn, naja … fast. In dem Unternehmen gilt das Ein-Drittel-Prinzip für alle, die Umsatz machen, und so kann es sogar vorkommen, dass jemand mehr verdient als der CEO. In anderen Branchen, Fertigungsindustrie vielleicht, ist die Produktivität weit niedriger, oft ausgedrückt als Umsatz/Mitarbeiter. Oder anders gesagt: ein Bäcker muss schon SEHR viele Brötchen backen, damit da 300k herausspringen. Es hat sogeschen, gerecht oder nicht ist eine andere Frage, eine gewisse Logik, wenn man dort, in der Dienstleistung, mehr verdient als hier. Qualifikation spielt herein, Talent, Überzeugungskraft. Eine Führungskraft in der Produktion sorgt dafür, dass „der Laden läuft“, soziale, prozessuale oder mentale Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Das ist nötig, ändert aber nicht allzuviel an der (ohnehin ausgeplanten) Produktivität. Ganz anders könnte man argumentieren, wenn jemand eine Neuerung, eine Erfindung ersinnt und/oder einführt, die die Produktivität erhöht, womöglich signifikant erhöht. Das erzeugt langfristige Gewinnaussichten, die über die Regeln zum Vorschlagswesen nur selten angemessen weitergegeben werden („Wir bezahlen Dich für alle Arbeit, die Du hier leistest.“). Dort aber, wo die Intelligenz mit Schlauheit zusammenfällt, keine zwangsläufige Kombi, lässt sich ein grosses, und manchmal ein ganz grosses Rad drehen. Und dann, bitte sehr, das Glück ist mit den Tüchtigen.
III.
„Von oben“, also aus Sicht der Führungskräfte, heisst es nicht selten, das Gehalt sei auch Schmerzensgeld, und ich erinnere Sachverhalte und Anekdoten, die dafür Beispiel geben. Aber m it den Schmerzen, ich weiss nicht, es ist so eine Sache: Soeben wurde der Witwe von Kobe Bryant ein Schmerzensgeld von 16 Mio US$ zugesprochen (das LA-County muss zahlen), „wegen Fotos der Unglücksstelle, die Polizisten und Rettungskräfte gemacht hatten“ (ARD Tagesschau). Pervers, finde ich! Fast möchte man von einem Geschäftsmodell sprechen, wenn es nicht so zynisch wäre. Bei einem CEO ist der Schmerz anders gelagert; mitunter zeigt er sich erst im Herzinfarkt; und man könnte ein gewisses Verständnis entwickeln. Demütigungen, Rückgratverkrümmungen, toxischer Schleim, die Spielarten des harassment, der Weg nach oben kommt von unten! Dann müsste allerdings auch die Staublunge einen anderen Stellenwert erhalten … und vergleichbare andere Beeinträchtigungen. Sagen wir es so: eine „Déformation professionelle“ ist eine relativ verbreitete Erscheinung, und es erscheint mir nicht völlig aus der Luft gegriffen, wenn sie in die Gehaltsfrage einfliesst, sozusagen: das Leben kost das Leben, deswegen.
Die noch offene Frage, ob eine Gebühren-finanzierte Organisation solche Gehälter zahlen darf, ist, in meinen Augen, unsäglich. Gerade an die öffentlich-rechtlichen Medien wird sie überwiegend von den „Kolleg:innen“ aus der Printwelt gerichtet, jenen, die ihre Qualitätsarbeit mit Werbung finanzieren (wollen) und dann ihre Unabhängigkeit betonen.
Dieser Teil ist in mehrfacher Hinsicht widerwärtig.
Zum ersten ist die Arbeit weder leichter noch schwerer, wenn sie von Gebühren bezahlt wird. Zum anderen möchte ich keine öffentlich-rechtlichen Medien erdulden, die von jenen geleitet werden, die es auf die „lukrativeren Posten in der Wirtschaft“ nur nicht geschafft haben. Zum Dritten – zugegeben, das ist meine Meinung, und deswegen als Argument nur halb verwertbar – leisten die öffentlich-rechtlichen seit langem die eigentliche Qualitätsarbeit, nämlich seit die durch die Digitalisierung ausgelöste Krise der Printwelt zu Personalabbau, zu Zielgruppennachrichten und Marktmeinungen sowie zu Click-Bite-Koriphäen geführt hat. Ich habe schon öfter dafür plädiert, die Medienwelt komplett öffentlich-rechtlich zu organisieren; …ob jetzt die Politik Einfluss nimmt, oder die Wirtschaft, ist vergleichsweise gleich unattraktiv, aber die Öffentlich-rechtlichen haben das, meine Meinung, besser im Griff, als jene Medien, die ihre Opportunitäten am Markt feilbieten.
Kommen wir zu einem letzten Diskussionsstrang: dem Spread! Ist es akzeptable, dass in einem Unternehmen eine Gehaltsbandbreite von 35k bis 15Mio existiert; Faktor 430? Die Frage finde ich sehr berechtigt, zumal in einem Unternehmen ALLE zum Erfolg beitragen. Kann denn ein Chef 430mal mehr erreichen, als seine „kleinste Angestellte“? Ich habe ein kleineres Problem mit den 15 Mio und ein grösseres mit der Verteilungsgerechtigkeit. Das kleinere Problem habe ich nicht mit der Summe selbst; sie rechtfertigt sich (unterstellt) aus den Gewinnen des Unternehmens (obwohl ich auch bei der Summe eine Obszönitätsgrenze ziehen würde, z.B. hier: im Film Social Media sagt Sean Parker zu Marc Zuckerhut „Eine Million ist nicht cool, eine Milliarde, das ist Cool.“). Sie ist aber nur ein Bruchteil dessen, was an Gewinnen an die Shareholder ausgeschüttet wird, deren Anteil am Erfolg sich weitgehend auf die Gier beschränkt. Ich bin gar nicht mal prinzipiell dagegen, dass das Kapital sich verzinst, solange es eine mindestens angemessene Ausschüttung auch an die Belegschaft gibt.
Allerdings spielt hier noch ein anderer Parameter eine Rolle, der im Kern, leider, sich nicht allzusehr von der Argumentation bei den öffentlich-rechtlichen unterscheidet: Will ich, dass in Deutschland nur diejenigen Führungskräfte „hängenbleiben“, die dort, wo man „richtiges Geld verdient“, nämlich auf den internationalen Märkten, nur abgeblitzt sind? Natürlich, auch wenn ich es bedauere, leben die Peers des Chefs eines DAX-Konzerns überall auf der Welt, und so vergleicht er oder sie seine Vergütung mit dem, was international „Usus“ ist. Das ist im Fussball wie in der Wirtschaft.
IV.
Ein sperriges Gelände; ich kann die Fragen der Gerechtigkeit nicht auflösen. Auch schwanke ich, wenn es darum ginge, irgendwelche Obergrenzen festzulegen. Meine Grundhaltung ist eher: Hat sie es verdient, dann hat sie es verdient. Mein Kernproblem sind die falschen Parameter: die Orientierung am Gewinn, am (internationalen) Vergleich, am Branchenmittel. Wenn die Chefin eines Solarunternehmens, das mit technologischen Spitzenleistungen x% oder gar xx% CO2-Eintrag vermeidet, 10 oder 15 Mio verdient: meinen Segen hätte sie, …wenn sie denn ihre Mitarbeiter angemessen beteiligt.
Wenn ein Banker dagegen mit Warentermingeschäften auf Weizen 300.000 € verdient (was’n Looser), oder, wie es während der Subprime-Krise passiert ist, auf den Crash spekuliert und damit xMilliarden $ macht (was’n Master-of-the-Univers), so kann er sich meiner herzlichen Verachtung sicher sein, und ich würd was drum geben, wenn es strafrechtlich sanktionierbar wäre.
NACHTRAG
Der RBB hat, Nachricht heute, sein System der Bonuszahlungen eingestellt; von bestehenden Vertragspartnern wird erwartet, freiwillig einer neuen Regelung zuzustimmen, neue Verträge werden nicht mehr mit Boni ausgestattet.
Ich bin indirekt bereits darauf eingegangen, indem ich befürwortet habe, Belegschaften an Unternehmenserfolgen „angemessen“ zu beteiligen. EIne solche Gewinnbeteiligung ist allerdings von einem verabredeten Bonus verschieden: Letzterer ist ein individuelles Motivationsinstrument – zumindest wird es so gesehen – und wird an torverabredete Ziele gebunden.
Boni werden unterschiedlich konzipiert: es gibt solche, die aus einem „Erfolgsmuster“ komponiert werden: 33% Unternehmenserfolg, 33% Umsatz- oder Gewinnziele, 33% soft targets (3600-Feedback, Mitarbeiterakquisition, Weiterbildung …). Andere bilden nur eine Kennzahl oder andere „harte“ Fakten ab: Umsatz, Neukunden, … Wachstum.
Ist ein Unternehmen genügend gross, ich vermute einen tipping point zwischen 500 und 1000 Mitarbeitern, so ist der Unternehmenserfolg eine individuell unbeeinflussbare Grösse. Oft genug entscheiden Bilanzdesign oder andere Managemententscheidungen darüber, was Erfolg ist, wie er bemessen wird. Ich selbst habe diese Stellgrösse (als Motivator) immer als ungenügend empfunden, es gibt jedoch einen Grund, der mindestens bedacht werden muss: Mitunter erreichen einzelne Mitarbeiter all ihre persönlichen Ziele, während es dem Unternehmen insgesamt, sagen wir: schlecht geht. Dann tragen Bonuszahlungen sowohl zu einer generellen Unzufriedenheit bei, während sie zugleich das Unternehmensergebnis weiter verschlechtern.
Ich selbst habe regelmässig von Bonus-Zahlungen profitiert – müsste aber auf Nachfrage einräumen, dass meine „Erfolge“ ebenso regelmässig andere waren, als es die vereinbarten Ziele vorgesehen hatten. Beispielsweise – und das sind jetzt ausgedachte, wenn auch der Realität nachempfundene Beispiele – stand in meinen Zielen, dass ich einen soundso grossen Umsatz (Auftragseingang) generieren solle, habe aber stattdessen eine Firma für das Unternehmen akquiriert. Oder ich hätte 10 neue Mitarbeiter gewinnen sollen (natürlich: plus entsprechend auslasten), habe aber statt dessen wirksame Marketinginstrumente erarbeitet (etwa Studien, Vorträge, Events). Dass ich „nie“ meine vereinbarten Ziele erreichte, hatte sicher mit meiner besonderen Arbeitsauffassung zu tun: mir waren die Ziele wurscht, mein Ehrgeiz war es vielmehr, „das Richtige“ tun. Und dieses Richtige hatte sich, in Abhängigkeit von Konjunkturen und anderen Einflussgrössen, mit schöner Regelmäßigkeit im Jahresverlauf so nachhaltig verändert, dass die (meist lange vorlaufend) verabredeten Ziele schlicht überholt oder unerreichbar geworden waren.
Die letzte Einflussgrösse, „soft targets“, habe ich immer als lässlich angesehen: entweder konnten sie auf Umwegen oder trickreich erreicht werden, oder sie waren einer urteilenden Willkür ausgeliefert, beispielsweise einer mehr oder weniger wohlwollenden Chefin.
Wenn ich, nach dieser „Analyse“ (vermutlich würden andere anders diskutieren), also wenig von einem Bonus als einem persönlichen Anreizen halte, so ist das nur folgerichtig, und, wie ich tatsächlich auch glaube, über meine individuelle Einstellung hinausgehend gültig; nicht im Allgemeinen, aber doch in einem gewissen „Streukorridor“.
Umgekehrt habe ich – natürlich – die resultierenden Zahlungen gerne akzeptiert, ein no brainer. Für mich selbst, inwieweit kann man das verallgemeinern?, galt stets: ich brauche keine Anreize. Ich bin intrinsisch gesteuert – insofern also durchaus „korrumpierbar“, aber doch unbestechlich. :-)
Aus dieser, vermutlich nicht besonders typischen, Haltung ließen sich auch grundsätzliche Zweifel an den Anreizsystemen ableiten: Wer eigentlich, hat einen Bonus verdient, für den er oder sie erst „zusätzlich“ motiviert werden muss? Und noch eine andere Frage: Warum eigentlich zahlen Unternehmen Boni? Jeder „Personaler“ weiss doch ziemlich genau, dass meine erste Frage in die richtige Richtung weist.
Meine Antwort: Die Boni kommen – im Zusammenspiel mit der Feinjustierung der Bewertung – die shareholder des Unternehmens günstiger als eine Gewinnbeteiligung, während sie zugleich, mit dem sozusagen „korrumpierenden Instrument“ der individualisierten Vorteilsnahme, eine Diskussion darüber im Keim ersticken.
***
Noch eine Ebene höher jedoch müsste man über Anreize als solche sprechen.
„Jetzt noch rasch tanken, bevor morgen die Preise hochgehen.“ „Ich stell mir die Wärmepumpe vors Haus, bevor im nächsten Jahr die Förderung ausläuft.“ „Wenn wir vor 12 dort ankommen, gibt’s noch ein Eis.“ „Rasch noch ein freundliches Hallo! zum Säbelzahntiger, aber dann einmal die Füsse in die Hand genommen …“ „Ich bring meinem Mann ein paar Blumen mit — und er macht uns einen schönen Abend. Dafür.“ usw. usf.
Einige Anreize funktionieren durchaus. Vermutlich müssen wir das Thema spieltheoretisch, jedenfalls aber dialektisch behandeln. So stellen abstrakte, depersonalisierte Anreize weder moralische noch psychologische Hürden: An der Zapfsäule gibt es ein „günstiges“/„günstigeres“ Angebot, das nehme ich wahr. Keine Zeugen, kein Beziehungsgefälle, keine Moral. Wo es dagegen um Opportunismus geht, dem eine fremde, äussere Wahrnehmung gegenübersteht, und also Moral oder Ehre oder Scham … ins Spiel kommt – wie bei einer Rennliste o.ä. –, da kommt es zu einer internen Abwägung: geb ich mir die Blösse? Mach ich mich berechenbar, erpressbar gar? Ich vermute also eine Entscheidungslinie, vor und nach der Anreize wahrgenommen werden: ist es ein Instrument „für mich“ oder „gegen mich“?
In der Netflix-Serie „Die Schergen des Midas“ wird eine besonders perverse Form von Anreizsystem vorgeführt. Der Protagonist erbt einen Konzern und tritt damit – für alle überraschend – in den Kreis der Machtelite ein. Womöglich wird er Entscheidungen fällen, die der Elite nicht gefallen. So wird er im Verlauf der Serie eingenordet: Entweder, er zahlt eine gewaltige Summe Geld (50 Mio, gerne in Raten) oder ein x-beliebiger, zufällig ausgewählter Mensch wird ermordet, einer, zwei, drei, vier, … es werden jedesmal Fristen gesetzt. Die Morde werden so inszeniert, dass sie von der Polizei nicht oder falsch interpretiert werden; durch die zufällige Auswahl ist den Tätern auch nicht beizukommen. Die anwachsende, sinnlose Schuld erdrückt den Protagonisten: denn zahlen will er nicht, kann er nicht, sollte er auch nicht (auch das zweifellos ein Argument!). Andererseits gibt es aus diesem „Anreizsystem“ kein Entkommen – oder? Soziopathen verfügen über meist weniger gewalttätige, aber ähnlich pervertierte Formen, Gefügigkeiten herzustellen.
Jedoch: am Ende wohnt der Anreiz in der Logik. Das macht es so schwer, ohne ihn zu wirtschaften. Mein eigenes Heldentum, meine oben geschilderte „Unbestechlichkeit“, folgte ja, schürft man tief genug, nur einem umverabredeten, gewissermassen Risiko-behafteten Anreizsystem: „Überraschen Sie mich!“ – ich qualifizierte mich anders als andere.
Abschliessende Frage: Braucht es Anreize? Das Leben ginge ohne auch. Die Logik aber legt uns nahe: klug, oder wenigstens weniger plump eingesetzt haben sie Steuerungswirkung. Und so entscheiden die Zwecke über ihre Legitimation.