Das Technozän

Die PostModerne war ein Papiertiger

Die Moderne ist vergangen

 

Da stehen wir – mit leeren Begriffen. Die Moderne haben wir entsorgt, die Postmoderne erwies sich als Posse, unernsthaft und diffus, und so stehen wir kommentarlos vor Wellen von Disruptionen und Beschleunigung. 

Anything goes (©-Wikimedia)

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Es kann so nicht weiter gehen!

Die Unfähigkeit, unsere Zeit kategorisch zu sortieren, lässt uns in einer Badewanne der Beliebigkeiten planschen, alles ist gleich gültig, nichts ist real oder wahr. Fake-dies, gender-das und das herrschende System ist gut, schlecht, mittel, uninteressant oder verdammt. Ja, wie? 

Ob ein „neuer“ oder jedenfalls ein einvernehmlich frisch besetzter Begriff weiterhülfe? Aber ja. Der simple Teil der Begründung liegt in der Einordbarkeit des Beobachteten. Es ist dann nicht mehr irgendwie so oder doch anders, sondern sortiert sich in ein Bezugsfeld. Der gleiche Sachverhalt wir nicht länger zugleich in, sagen wir, Metern und Kilogramm und Cent gemessen, oder, sagen wir es anders, in Fortschrittlichkeit, Effizienz, Gerechtigkeit oder Bequemlichkeit. Der komplexere Teil der Begründung zielt auf eine systematische Beschreibung des Bestehenden. Es hilft bereits, das Bestehende in der Geschichte zu bestimmen, abzugrenzen, zu qualifizieren: Was ist JETZT anders? Aber es ermöglicht darüber hinaus auch, diesem Kategorienbereich eine Zweck- und Zielsetzung beizugeben, es auszurichten auf eine „landing platform“. Wo wollen „wir“ hin? Was soll dort sein, inwieweit ist es anders und in welchen Aspekten ist es besser. Ein kategorialer Sammelbegriff hilft, wie ein Leuchtturm, er unterscheidet die Vergangenheit von der Zukunft.

Die Postmoderne überwand die Moderne, der sie einen Dogmatismus des Prinzips vorhielt. Vieles sei möglich, „erklärte die Postmoderne“, zugleich, nebeneinander. Nicht Gott „allein“ bestimme das Weltprinzip, nicht „das Subjekt“ oder „die Ökonomie“, Erzählungen überlagern sich, vermengen sich, die Zuständigkeiten flottieren. Bei Baudrillard hatten die Dinge „ihre eigene Meinung“, die sie dem forschenden Menschen offenbarten – oder eben nicht. Heute sehen wir, wo wir damit hingekommen sind.

Während am Ende der Moderne das Tabu gleichsam der Heilige Gral war, ist es seit dem Ende der Postmoderne egal: Alles ist und ist nicht, stimmt, lügt, gilt und wird bestritten. Das intelligente Design zeigt die „alternativen Fakten“, die Nachrichten und Meinungen ducken sich unter den Opportunismus. Wie las ich gestern in der Times: „Trump Arrived in Davos as a Party Wrecker. He Leaves Praised as a Pragmatist.“ 

Heute so, morgen so.

Es gilt das gesprochene Wort, für den Augenblick, but who cares, anyway.

Allein schon diese „Narrative“: Märchenstunde. Gewiss, der Begriff offenbarte eine tiefere Wahrheit. Deine Behauptung ist nicht besser als meine. Es zeigt sich jedoch, dass wir auf dem Weg in Teufels Küche geraten. Plötzlich gehört „der Islam zu Deutschland“, und der Historiker reibt sich verwundert die Augen. Plötzlich ist der Tschador ein Akt des Widerstands, und der Linke bekommt einen Hustenanfall. Aber abseits der globalen kulturellen, zivilsatorischen Ungleichzeitigkeiten wackeln die Fundamente: Arbeitsplätze schlagen ökologische Prognosen. Wettbewerb negiert soziale Errungenschaften. Der Selbstzweck dominiert, Logik, Vernunft, Verbindlichkeit, Zukunft haben das Nachsehen.

Ja, ja, ja, Mahlers Welten-Klaaaagelieder. Der nächste Schritt, bitte. Aber das ist gar nicht so einfach. Die Moderne war, als Begriff, ein ziemliches Schlachtschiff. Wikipedia will es bereits im 5. Jahrhundert gesichtet haben, doch die „eigentliche“ Neuzeit datiert in das 18. und dauerte bis ins späte 20. Jahrhundert; eine ziemliche Weile! Dagegen hat es die Postmoderne grad mal auf ein Jahrzehnt gebracht, was zweierlei belegt: Tatsächlich durcheilen wir ein Zeitalter der Beschleunigung, das aber ist zugleich der Grund dafür, dass die Postmoderne sich gegenüber der Moderne als blosses Federgewicht erweist.

Woher nun aber einen Begriff nehmen oder setzen, der das aushält, was uns geschieht? Die „Disruptive“, die „Innovative“, die „Digitale“, derlei Konstruktionen reflektieren vielleicht die Hybris und ästhetischen Qualitäten des Rap, wackeln aber schon beim Aussprechen; sie bleiben Tisch- oder Tagesgespräch. Hilfsweise hatte sich nowadays das „Anthropozän“ in den Diskurs geschmuggelt; wenigstens ein Begriff von hinreichender Mächtigkeit. Aber. Aber 1.) geht genau das ja gerade zu Ende und zweitens, was bei Lichte besehen nur ein 1.b) ist, ist der kategoriale Faktor der Zukunft eben nicht mehr der Mensch, sondern die Technik, sogar die Maschine selbst. 

Das Technozän

Es wäre logisch und vermutlich kategorial auch tragfähig, das „Technozän“ als die ankommende Epoche auszurufen; mir ist das eben mal so eingefallen, aber vermutlich zitiere ich nur aus dem Unbewussten oder Vegessenen (Hannes Fernow hatte 2014 mit dem Rufen angefangen, 2016 hat Peter Sloterdijk versucht, den Begriff in seinem barocken Jargon der Transluminiszenz zu verquirlen). Immerhin wäre der Begriff gross genug, die derzeit angeschobene und wie eine Lawine unaufhaltbare Umgestaltung der Welt zu umfassen. Als kleinere Schwierigkeit bei der Durchsetzung des Begriffes mag sich die Tatsache erweisen, dass Du und ich in dieser Epoche nicht mehr stattfinden, oder jedenfalls sich am unter am gehen wiederfinden. Andererseits: C’mon, Mut zur Lücke; das würde doch auch ökologisch Sinn machen.