Naomi Klein macht mich wahnsinnig.

Kapitalismus vs. Klima

 

In ihrem Buch „Die Entscheidung – Kapitalismus vs. Klima“ unternimmt Naomi Klein einen wahren Kraftakt. Es ist nicht ganz einfach zu sagen, welchen eigentlich. Gewiss, es geht um die drohende Klimakatastrophe, aber gleich danach geht es drunter und drüber.

Ich war schon überzeugt.

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Wenngleich die Autorin auf über 700 Seiten, nahezu alle Aspekte des Themas behandelt, und unterwegs nicht allzu viele Redundanzen auftreten, ist es doch schwer, die unzähligen Argumente, sagen wir, sauber zu verdichten. Ursächlich dafür ist ein wahrer Beispiels-Wahn von ungezählt tausenden von Sachverhalten, die allerdings bunt durcheinander gewürfelt durch das ganze Buch verteilt sind. Die Erzählweise erinnert mich an Yuval Noah Harari: drei Beispiele zum Problem, zwei Hinweise auf Lösungen, drei Beispiele zu misslungenen Lösungen, ein Beispiel zu Finanzierungsmöglichkeiten, nochmal zwei Beispiele zu Problemen, ein Beispiel zu Korruption, eines zu „geistiger“ Korruption, nochmal zurück zu den Beispielen der Lösungen usw. usf. Plus: die Beispiele oder Herleitungen surfen mit einer Zeitmaschine vor und zurück durch die Geschichte, mal sind wir bei Francis Bacon um 1613, mal in den 1920er oder in den 1960er Jahren, dann wieder in der ersten industriellen Revolution. Die unendlichen Breitseiten von Sachverhalten, die zwischen „Ah!“ und „Oh“ und „Interessant“ und „Da schau her“ und ähnlichen changieren (allesamt in 881 Quellenangaben nachgewiesen), machen es mir (europäisch sozialisierten) Leser sehr schwer, der Autorin zu folgen. Ich hätte es gern strukturierter und nicht in einer Art Text-Bergwerk, in dem ich die Nuggets in mühsamem drei-Schicht-Mining aus dem Massiv freischlagen muss.

Hinzu kommt, dass ich bereits überzeugt bin, dass das Problem DA ist – mir würde es genügen, wenn sie, der Sorgfalt geschuldet, die ersten 500 Seiten das Problem schildert (die ich dann locker quer und Sprun-lesen könnte), wenn sie danach zur Lösung käme; denn mich dürstet nach den Lösungen. Leider, die sind überall eingestreut; wer das Buch nicht von Anfang bis Ende liest, wird die Lösungsvorschläge übersehen. 

Und mit den Lösungen hat es eine ganz eigene Bewandnis: bis etwa Seite 350 hat Frau Klein minimum 18 Billionen $ ausgegeben, um das globale Problem zu fixen; hat dabei ca. 20 Mio neue Jobs kreiert, darunter zwei Millionen in der Regenwasseraufbereitung,  und hat die gewaltigen Kosten mit global erhobenen Abgaben von Verursachern, Reichen und Militärbudgets refinanziert. Ganz einfach. So geht das.

Das ist natürlich polemisch, ich fürchte jedoch, durchaus aus der Mitte des Problems polemisiert.

Was kann man bei Frau Klein lernen?

  1. Die Zeit ist knapp – wenn die Welt nicht in wenigen Jahren radikal umsteuert, ist die Katastrophe unvermeidlich.
  2. Viele Versuche sind gescheitert. Viele (vor allem etablierte) Umweltorganisationen sind zutiefst korrupt (das Beispiel des Attawari Präriehuhns in Kapitel 6 schlägt dem Fass den Boden aus: in den 1980er und 90er-Jahren macht die "Nature Conservancy", die grösste und reichste Umweltorganisation der Welt ExxonMobile die Hölle heiss, weil das Tier von deren Öl- und Gasbohrungen an der Küste von Texas und Louisiana bedroht wird. Nach heissen Fights in Presse und Öffentlichkeit schenkt Exxon eine 10 qKM grosse Fläche mit den letzten Hühnern der Organisation. Die in den Folgejahren selbst dort nach Öl und Gas bohren lässt. Heute ist das Tier ausgestorben.). Seiten über Seiten lernen wir, wie hinterhältig und korrumpierend die Fossil-Industrie die Agenden der Unweltorganisationen unterlaufen hat, bis hin zu den Nachweisen, dass viele dieser Organisationen namhafte Teile ihres Stiftungsvermögens IN der Fossilindustrie investiert haben. Plus: Die grünen Milliardäre reden viel und gern; wirklich bewegt haben sie nichts (eine Abreibung der besonderen Art bekommt Richard Branson, der versprochen hatte 3 Milliarden $ in einen CO2-freien Treibstoff zu investieren).
  3. Die Anstrengungen im Bereich „Geo-Engineering“ stimmen die Autorin aufs Höchste besorgt: denn die wissen nicht, was sie tun. 
  4. Frau Klein ist davon überzeugt, dass NUR Massenbewegungen in der Lage sind, den Druck auf die politische Klasse dahin zu lenken, dass sich tatsächlich etwas tut. In diesen und nahezu allen Lösungsbereichen regiert das „Wir müssen …“.
  5. Alle Anstrengungen um den Klimawandel MÜSSEN in einer tragischen Mischung aus Verzagtheit (ob der fehlenden Ansätze und Erfolge) und Grössenwahn (ob der nicht unter „global“ zu habenden Aufgabe) versinken. Frau Klein beschreibt minutiös und immer wieder das Scheitern der verschiedensten Initiativen und plustert dennoch und zugleich jeden Dorfwiderstand zum Anfang der Revolution auf. 

Es ist dieser undisziplinierte Stil, ja nichts auszulassen, was sie so mühsam recherchiert hat, ellenlange Beweisführungen für längst vergebene Punkte, ein nie enden wollendes Ballet aus Problem, Organisation, Widerstand, Misserfolg und Appell. Sie redet sich die Welt schön und hässlich, ein andauerndes Wechselbad.

Es gibt Menschen, die ein Buch von vorn, und dann aber zunächst von hinten lesen. Bei Naomi Klein hilft das. Wer sich durch die Mitte liest, könnte an ihr verzweifeln. Erst auf den letzten Centimetern kommen ihr die Einsichten, aus denen heraus sie das ganze Buch hätte schreiben sollen. So aber quälen wir uns durch 700 Seiten Beispiel auf Beispiel für Herangehensweisen und Probleme, die uns keinen Schritt voran bringen, – um erst am Ende zu erfahren, dass nur die Systemfrage die Antwort auf „alles“ bereithält.

Gut. Das war mein Ausgangspunkt. Von  der Eerkenntns aus hatte ich angefangen, das Buch zu lesen.