Die KI-Verschwörung

Jeder Coup sucht seinen Täter

Michael Seemann will das Valley entmachten

 

Ich habe mich schon öfter mit den Arbeiten von Michael Seemann auseinandergesetzt – meist mit Gewinn, oft mit Kritik. Seemann ist dialektisch beschlagen, weitsichtig und klug und gehört, in meinen Augen, zu einer überschaubar kleinen Gruppe von (deutschen) Intellektuellen, mit denen die Diskussion lohnt. In einigen Bereichen neigt er zu Dogmatismus, Grautöne liegen ihm nicht; das erschwert die Diskussion. But anyway: nur wo Interesse ist, ist auch Reibung.

A World Under The Influence

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Soeben hat er den Essay „KI ist ein Coup” veröffentlicht; der ist frei zugänglich, knapp über kurz, kommt aber mit einer Reihe von bedenkenswerten Beobachtungen daher, ist sprachlich consumerabel und auch nicht langatmig. Ich empfehle ihn zur Lektüre!

» Dass sich Silicon Valley gerade immer mehr zu „Game of Thrones“ verwandelt, hat einen tieferen Grund: Das, was bei OpenAI im Kleinen passierte, ist nur eine Vorahnung dessen, was der gesamten Welt bevorsteht: … «

Vektoriell – soll heissen: was die Richtung betrifft – bin ich mit Seemann häufig bis meistens einverstanden, in einigen Aspekten, die besonders das grosse Ganze und seine Grauflächen betreffen, halte ich Widerspruch für geboten. Einer dieser Aspekte ist seine Sicht auf die „Eliten des Silicon Valley” in dem genannten Essay; Seemann vermeidet es zunächst, von einer Verschwörung zu reden, was er aber doch konstatiert ist eine politische Kohärenz, die sich davon nur noch nominell unterscheidet:

»Elon Musks öffentliche Kernschmelzen und seine zunehmend unverhohlene Sympathie mit rechtsradikalen Verrschwörungstheorien sind dabei nur das sichtbarste Beispiel einer außer Kontrolle geratenen Elite. Silicon Valley CEOs und „Venture Capitalists“ wie Reid Hoffman (LinkedIn), Peter Thiel (Palantir), Sam Altman (OpenAI) und viele andere hängen abstrusen Theorien und ethischen Frameworks an, wie „Effective Altruism“, „Longtermism“ oder „Effective Accelerationism“.«

Ich selbst habe eine Reihe von CEO’s kennengelernt, keine repräsentative Menge, aber doch genug für wiederkehrende Beobachtungen. Zu den markantesten Merkmalen, die mir untergekommen sind, gehört eine (nur noch vom eigenen Interesse beeinflussbare) Beratungsresistenz: CEO’s sind geworden, was sie sind, weil sie nach einem eigenen Kompass handeln, der sich in politischer und ökonomischer Hinsicht als erfolgreich erwiesen hat – und mit dem, durch den sie an die Spitze der Nahrungskette gelangt sind. Sie sind bereits Autokraten! Sie vertrauen ihrem eigenen Urteil und sonst niemandem (auch dann nicht, wenn sie sich fremder Urteile bedienen). Sie sind, will ich damit sagen, nur insoweit intellektuell erreichbar und satisfaktionsfähig, wie es ihren Interessen dient. Als Verschwörer (oder Partner) macht sie das zu unsicheren Kandidaten: im Zweifel (und die eigenen Analysten kennen nichts anderes) ist „der Andere” stets Wettbewerber, der seinen Vorteil über meinen stellt und mich in die Pfanne haut, wenn er nur kann. Hanno Sauer hat – wenn auch in einem eher allgemeinen Zusammenhang – dieses MindSet beschrieben: „Wir sind gar nicht unterschiedlicher Meinung, wir hassen einander nur.” (Sauer, „Moral”, München 2023, S.333) Insofern sind auch die ideologischen Frameworks unbelastbare Meinungsfahnen für die Öffentlichkeit, keine handlungsleitenden Überzeugungen.

Das heisst nicht, dass sie nicht „zusammenarbeiten” oder ihre Interessen abgleichen; es heisst aber, dass sie sich nie und nimmer auf ein gemeinsames Ziel verständigen, das über das laufende Quartal oder fiscal year hinausweist – und schon gar nicht auf irgendein Gemeinwohl. Wenn die Ergebnisse von Entwicklungen so riechen und so aussehen, als seien sie verabredet, hat das mehr mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen zu tun, die eine spezifische Ausrichtung der Ergebnisse zulassen. Als Beleg für diese Interpretation erscheint mir das Sylt-Video bezeichnend, das mehr über das Sagbare in der Gesellschaft zeigt, als alle Höcke-Zitate.

Ich bin – im Übrigen – für die Beobachtung und Feststellung von „politischer Kohärenz” durchaus empfänglich, sehe sie aber weniger bei den vor Breitbeinigkeit kaum zum Geradeauslaufen fähigen Tech-Eliten, sondern viel eher in den politischen slime&conspiracy-Landschaften. Beispiel: Eine genauere Analyse der sogenannten „Unterwerfung der Republikanischen Partei” durch Donald Trump führt zum Project 2025 der Heritage Foundation und einer langen Liste von Partnerorganisation. Wer nach einer Verschwörung sucht, wird hier mehr Glück haben.   

Die Analyse und Unterscheidung von unternehmerischen und politischen Strategien erscheint mir notwendig, wenn es um die Bewertung gesellschaftlicher Entwicklungen geht – und den Folgerungen, die daraus ableitbar sind. Seemann benennt die „abstrusen” Elemente der Tech-Ideologien:

»In diesen Theorien wird eine unabwendbare Zukunft imaginiert, in der wir als Menschheit unsere Intelligenz und unser Bewusstsein billionenfach ins ganze Universum tragen. Diese Zukunft wird dabei als unvermeidlich und gleichzeitig als dringend anzustreben vorausgesetzt und dient als normative Folie, um alle Handlungen im Hier und Jetzt danach zu beurteilen, ob sie dieser Zukunft zu- (gut) oder abträglich (böse) sind. Das Motto ist „Grow or die“.
Mit der kaltschnäuzigen Selbstsicherheit von Sektengurus glauben die Tech-Milliardäre, die Menschheit in eine Zukunft kommandieren zu dürfen, die sie als Kind in Science-Fiction-Romanen gelesen haben und von der ihnen entgangen ist, dass sie als Warnung formuliert waren.«   

Ich kann natürlich nachvollziehen, dass Seemann dem Fatalismus einer „[imaginierten] unabwendbaren Zukunft” etwas entgegen setzen will, wenigstens will er davor warnen. „Die Tech-Milliardäre [glauben], die Menschheit in eine Zukunft kommandieren zu dürfen, …” Zunächst: eine solche Anmassung ist keineswegs neu. Der Soziologe Georg Simmel sprach – Anfang des 20. Jahrhunderts – von »„Sachordnungen”, die der Mensch sich mit seinen Erfindungen schafft und die ihm, zumal künftigen Generationen dann als „äussere” Kräfte gegentreten.« Der Mensch würde mit »fortschreitender Welteroberung zunehmend Opfer seiner Macht« (so Roberto Simanowski über Simmel, in „Todesalgorithmus”, Wien 2020, S.50). Es sind also die Erfindungen, die die Zukunft initiieren. Das deckt sich mit der Sicht Jean-Pierre Dupuys, der die Zukunft als „abgeschlossen“ betrachtet, weil sie von der Vergangenheit determiniert wird. Man könnte soweit gehen und die „Tech-Eliten” lediglich zu den ausführenden Organen herabstufen – und das gilt auch, wenn die Erfinder in diese Eliten „aufsteigen”.

Im Umfeld der KI ist es auch keine Frage von Imaginieren, Glauben oder Dürfen! Es geschieht. Punkt. Seemann will vor einer kommenden Entwicklung warnen, die dabei längst ins Werk gesetzt wird. Diese Entwicklung nennt er – unglücklich, wie ich finde – „Graphnahme”. Der Begriff ist sperrig und bildleer: „Ein Graph ist … eine abstrakte Struktur, die eine Menge von Objekten zusammen mit den zwischen diesen Objekten bestehenden Verbindungen repräsentiert.” [Wikipedia] Die (drohende) „Graphnahme”, so Seemann, ist wie eine „Landnahme”, nur eben werden Sachzusammenhänge übernommen, nämlich die KI-Technologie, das Internet, die Sprache und die Demokratie. Man könnte vielleicht paraphrasieren: ein unfriendly take over des gesellschaftlichen Überbaus.

Natürlich weiss auch Seemann, dass diese Entwicklung gegenwärtig ist. Ihm geht es um die Ungleichzeitigkeit zwischen den entfesselten Kräften der Technologie – die neue Sachordnungen herstellen – und dem unzureichenden öffentlichen Bewusstsein von der Dimension dieses Gewaltaktes:

»Würden sie begreifen, was gerade in atemberaubendem Tempo passiert und wie sich das auf ihre Stellung in der Gesellschaft auswirken wird, würden sie in Massen auf die Strassen strömen.«

Mit Verlaub: I doubt it! Immerhin: Seemann auch. Er laviert zwischen der Hoffnung auf das Notwendige und der Resignation gegenüber dem Realen. „Wir müssen jetzt handeln.” … „Ich gebe zu, dass ich auch hier pessimistisch bin.” Das geht mir nicht anders. Allerdings speist sich mein Pessimismus nicht aus den gleichen Quellen. Blicken wir noch einmal auf die im Vollzug befindliche – vierteilige – „Graphnahme”, wie sie Seemann beschreibt:

  • Die Übernahme der KI: Wie in der Historie seit Alters her werden die Gewinne privatisiert. Und wie immer werden, in diesem Fall: wurden, die Verluste von der Gesellschaft erbracht: es war der über Jahrzehnte andauernde Strom von öffentlichen Forschungsgeldern, mit denen das bereits tot geglaubte Pferd KI am Leben und am Laufen gehalten wurde, als niemand mehr daran glaubte. Einerseits. Dann aber, nach dem proof-of-concept, traten aus den Reihen der Verdächtigen ein paar übliche hervor, schmissen jede Menge Geld auf die analoge Intelligenz – und privatisierten auf diesem Weg das eigentlich öffentliche know how. So vollzog sich
  • Die Übernahme des Internet: Der eigentliche Knalleffekt – und nochmal: von Verschwörungstheorien ist abzuraten – ist dann aber, dass mit der Übernahme der öffentlichen Datenbestände in riesige private Rechnerfarmen gleichsam eine Enteignung des Weltwissens stattfand. Diese von der ganzen Welt ins Netz eingepflegten Datengebirge, »urheberrechtlich geschützte Werke inklusive«, schreibt Seemann, haben sich eine Handvoll Unternehmen ohne Nachfrage oder Mandat unter den Nagel gerissen. Der Wahrheit die Ehre, man müsste den Satz umdrehen: es waren auch ein paar urheberrechtlich freigestellte Datenbestände darunter. Unterweges erfolgte sodann
  • Die Übernahme der Sprache und der Bilder: Die sogenannten Trainingsdaten – man könnte auch sagen: die globale Kultur – werden, sagt Seemann, »statistisch operationalisierbar und damit in Annäherung reproduzierbar. … ein[en] tausenddimensionale[r]n statistische[r]n Vektorraum für alle Beziehungen und Metabeziehungen von Begriffen bzw. Formen …« Mit dessen Hilfe können die Betreiber nun »politische Framings, argumentative Figuren und Narrative im großen Maßstab in die generierten Texte und so in den Sprachgebrauch injizieren«.
    Also ja, aber dann nein. Da sitzt dann eine Redaktion unter der Leitung von Thiel, Musk und Altman, die den öffentlichen Sprachgebrauch mit subtilen semantischen Konstruktionen streamlinen und mit den Hebeln ihrer Netzwerke der Welt unterjubeln? C’mon! Schliesslich erfolge
  • Die Übernahme der Demokratie: Die KI entkernt die Gesellschaft. Ihr, der KI, zum Opfer fallen schon jetzt »Übersetzer[n], Grafiker[n], Programmierer[n] und Texter[n], und mit zunehmender Mächtigkeit der Modelle werden immer mehr Kompetenzen und Berufsfelder ihre Verhandlungsmacht einbüßen.« Durch diesen Vorgang, so Seemann, werde die Abhängigkeit von Arbeitgebern von Vielen auf Wenige konzentriert; das sichere Macht und Management. »Es ist wie eine Verschwörung der KI-Unternehmen mit den Kapitalisten weltweit, um den Menschen aus allen Abhängigkeitsgleichungen zu streichen …« (jetzt also doch). Mit dem Nebeneffekt, dass die lästigen Grassroots des Internet, jene längst marginalisierten Orte, in denen noch Meinungsbildung stattfindet, in die Bedeutungslosigkeit entlassen werden. »Adieu freies Internet. Adieu lebendige, dezentrale Semantik. Adieu komplexe, arbeitsteilige Gesellschaft. Adieu Demokratie.«

In allen vier Schritten bin ich geneigt, Seemann zu folgen, bis … ich aus der Kurve fliege. Ich kaufe jeweils den Teil, der von den Geschäftsinteressen der Player getrieben ist und steige aus, wenn er daraus eine politische Strategie oder gar Organisation ableitet. Was mich betrifft, so sehe ich politisch eher den Weltgeist bei der Arbeit!

Man kann ja nicht übersehen, dass die Rechtsdrift eine weltweite Erscheinung ist, und wer mir jetzt mit Davos oder Bilderberg kommt (Seemann sagt das nicht!, ist aber auch nicht soweit weg davon), nimmt nicht zur Kenntnis, dass es diese Rechtsdrift auszeichnet, in demokratischen Wahlen stattzufinden (von gewaltsamen Diktaturen und Fake-Demokratien rede ich dabei nicht). Das „Adieu” wohnt hier, in dieser Rechtsdrift, und die wird getrieben von einer multiplen, globalen Bedrohungslage, von untergründig vagabundierenden existentiellen Katastrophen-, Abstiegs- und Verlustängsten.

Bei der Suche nach den Treibern der Entwicklung ist eine intellektuelle Prädisposition wenig hilfreich. Dass die Techies eine politische Welle reiten, ist etwas grundsätzlich anderes als die Behauptung, sie würden die Welle veranstalten. Sie leisten fraglos ihren Beitrag, doch das Bild ist komplexer. Ich wünsche mir, dass insbesondere so kluge Menschen wie Michael Seemann zur Kenntnis nehmen, dass „wir ein Problem mit der Demokratie” haben.

Jedenfalls mit der real existierenden.