Was soll ich bloss wählen – die bange Frage ist sogar bei Lanz+Precht angekommen! Eine unmögliche Entscheidung soll getroffen werden, genau genommen sind es drei: Gehe ich wählen und wenn ja, was und wen? Dabei ist das Feld ebenso von Vergangenem vermint wie von transatlantischen Verwürfnissen bedroht. Aber komm: Es wird eine neue Regierung geben, und sich nicht zu entscheiden ist auch nicht besser, als schlecht zu regieren. Also übernimm Deinen Teil Veranwortung für das Kreuz der Realität.
Eine geopolitische Wahl
Ich habe keine Freunde, ich habe Interessen
Ökologie IST globale Ökonomie
Führt die falsche Entscheidung zur richtigen Politik?
I. Das politische Handeln
Es ist eigentlich ganz einfach. Der Wähler fragt (sich), was nötig ist, wer das machen kann (will/soll) und was (dann) zu erwarten ist.
Leider ist es in der Praxis komplizierter.
Da ist erstens die tief verwurzelte Anspruchshaltung des „Bürgers draussen im Lande” – der nämlich (nur) das wählen will, was seinen Interessen dient. Das macht ihn und sie schon mal zur leichten Beute, folgt er doch deswegen den Versprechungen des parteilichen Personals. Die politische Verwahrlosung wohnt allerdings auf beiden Seiten: weder hat der Wähler verstanden, dass es in der Politik, zumindest in der Bundespolitik, um das Grosse Ganze geht – die berühmten Rahmenbedingungen: Infrastruktur, Regularien, Gesellschaftsmodell und Aussenpolitik –, und die operativen Massnahmen (Rente oder Bildung, Bundeshaushalt, Wohnungsbau oder Müttergeld …) lediglich eine Folge der Ausrichtung des Grossen und des Ganzen sind, als solche gesehen (und auch in Kauf genommen) werden sollten –, noch machen sich die Mandatsschleppenden die Mühe, ihre Wähler darüber aufzuklären, was ihre, der Politiker, eigentliche Aufgabe ist. Von denen nämlich fordern die einen und bedienen die anderen dieses kleinteilige Mosaik von Einzelinteressen … die Rente bleibt sicher, … wir bauen Wohnungen, … Sicherheit geht vor, … Wärmepumpen-Subventionen, … (Placebo-Pillen mehrheitlich) und stützen und schüren so – statt einer strategischen Ausrichtung der Gesellschaft am Gemeinwohl – das Bild vom Staat als Sozialdienstleister.
Um ihrer sozial-medialen Profilierung Willen unterschlagen die Gewählten zudem das „eigentlich zuständige” Subsidiaritätsprinzip, also die Regel, dass etwas dort geregelt werden soll, wo es geregelt werden muss: Der Bund soll sich nicht um die Grüne Welle in Frankfurt bekümmern oder die Zahl der Kita-Plätze in Magdeburg regulieren.
Zweitens jedoch bekommt der Bürger auch unter diesem – nennen wir es: opportunistisch-verirrten – Politikverständnis nicht, beinahe nie, was er oder sie gewählt hat. Sie wählt die SPD und bekommt die Agenda 2010 und die Rente mit 67. Er wählt die CDU und bekommt die Abschaltung der AKW, die Schwulenehe, die Aussetzung der Wehrpflicht. Sie wählt die FDP und bekommt eine regierende Oppositionspartei. Er wählt die Grünen und bekommt LNG-Terminals und eine Kriegsministerin. Ich beklage das durchaus, denunziere es aber nicht: oft genug (nicht immer) ist es das Nötige (Stichworte Nordstream, Ukraineberfall …), und wem würden die Bürger die Legitimität des Nötigen eher abkaufen, als jenen, die zuvor anderer Meinung waren. Einerseits; es ist andererseits aber auch dann zu beklagen, wenn es nötig ist, denn jetzt ist der Wähler gezwungen, contra-intuitive und oftmals sogar absurde Überlegungen darüber anzustellen, wen oder was er wählen sollte, um schliesslich das Gegenteil von dem zu befördern, was die so Ausgewählten versprochen haben. Soll ich, um das zuzuspitzen, jetzt AfD wählen, um die Demokratie zu retten?
Es würde zu weit führen, jetzt einen Exkurs darüber zu beginnen, dass die Demokratie daran leidet, dass die Gesellschaft (unsere, aber die real existierenden „demokratischen” Gesellschaften ganz im Allgemeinen,) für die Demokratie zu gross ist (sind): In der „repräsentativen Demokratie” vertritt ein Mandatsträger ungefähr 250.000 WählendeInnen. Das kann nicht funktionieren! Stöhn!: um jetzt aber überhaupt weiter argumentieren zu können, müssen wir diesen Kontruktionsfehler in Paranthese setzen und verdrängen; es bleibt auch so schwer genug.
Als ein Ergebnis all dieser Verwerfungen hat der Bürger Mühe, sein Interesse am Geschehen aufrecht zu halten. Hinzu kommt: die Entwicklungen in der Welt und die Aussichten auf die Zukunft machen es quadrat-doppelt schwer, sich als pflichtbewusster Demokrat „irgendwie zu der ganzen Scheisse zu verhalten”.
Was tun (Что делать)? Die Frage zieht sich durch die Geschichte.
II. Der Wundbrand
Dass die Ampel als politische Administration versagt hat, gilt als beschlossen. Jede Differenzierung ist im asozial- und „System-”medialen Geraune (und Geschrei) verschütt gegangen. Weder werden die tatsächlichen Leistungen – Verdienste darunter! – und Veränderungen in Rechnung gestellt, noch die ausserordentlichen Umstände (die hier neuerlich aufzuwärmen auch keine neuen Einsichten verspricht). Nur wenige erinnern (soviel aber doch), dass die Ampel eine Aera des Durchwurschtelns geerbt hatte, eine Baustellenlandschaft, in der keines der tatsächlich anstehenden Probleme angegangen worden war und – im Gegenteil – das Land auf Verschleiss gefahren wurde. Corona, der Überfall auf die Ukraine, und on top war die Bindung an die russische Gaslieferungen nicht nur ein schwerer strategischer Fehler: der wurde mit Nordstream II auch noch verdoppelt!
(Sollte sich irgendjemand daran erinnern, dass ich mich zu speziell diesem Thema schon mal „irgendwie anders” geäussert hatte: damals habe ich mich nicht FÜR die Pipeline ausgeprochen (im Gegenteil!), sondern ganz entschieden gegen das anmassende und übergriffige Verhalten unserer „Freunde und Partner”, deren einziges Interesse darin bestand, uns ihr LNG aufzunötigen – das teurer, ineffizienter und umweltschädlicher ist, als es das russische Gas war – … mit Erfolg, wie sich inzwischen zeigt). …
Ein Problem der Politik heute ist, dass am Falschen immer auch etwas – und sei es nur wenig, vielleicht aber „hinreichend genug” – richtig war/ist.
Und schliesslich ist in der herrschenden Verurteilung keine Rede davon, dass die Ampel zwar auch, aber eher nicht an der Gegenwart, sondern vor allem an der Zukunft versagte – und zwar in den beiden existentiellen Themenfeldern Geostrategie und Ökologie.
Nur in Stichworten, was damit gesagt sein soll.
- Die proklamierte Werteorientierung der Aussenpolitik offenbahrt eine intellektuelle Schwäche, nämlich sowohl die Unfähigkeit zu erkennen, dass die eigene ideologische Disposition im internationalen Kontext anmassende, paternalistisch-übergriffige und neo-koloniale Züge trägt, als auch die grandiose Fehlinterpretation der Aufgabe. Die Aufgabe von Aussenpolitik ist (und kann nur sein), die Interessen des eigenen Landes im Umgang mit anderen möglichst konfliktarm zu managen, ggf. durchzusetzen oder auszugleichen. Operativ und stilistisch kann man das in zahlreichen Formen und Formaten angehen. So mögen bei der Bewertung der Mittel und Wege, dies zu erreichen, durchaus moralische, ethische oder ideologische Aspekte zum Tragen kommen (oder nicht) – zum Beispiel, wenn es darum geht, einen double bind zu entscheiden (etwa in einem Konflikt „Geiseln gegen Zugeständnisse”). Doch in jedem Fall sind das dem Interesse nachgeordnete Kriterien, und keinesfalls sollten sie das kommunikative Handeln dominieren (und damit das diplomatische Handeln vorbelasten).
- Leider war (und ist) das nicht die einzige Schwäche der (zurückliegenden) Aussenpolitik. Der nächstdramatische Mangel hier war das ungenügende europäische Engagement und darin besonders nochmals das Versagen bei Ausbau und Pflege des deutsch-französischen Verhältnisses (für das man vermutlich ein gewisses Sonnenkönigs-Gebahren Emmanuel Macrons in die Mitverantwortung ziehen muss). Und das ist nur eines von vielen Problemen: Anstatt alle diplomatischen Kanäle dafür zu öffnen und zu aktivieren, die offenkundigen Probleme der bestehenden EU zu adressieren – darin das Konsensprinzip als grösste Hürde einer ernstzunehmenden gesamteuropäischen Politik – stürzen sich sowohl die deutsche wie auch die von-der-Leyen-Administration in das Ukraine-Abenteuer. Das liesse sich leicht falsch verstehen: Es ist das EU- und NATO-Beitrittsgeraune, das ich kritisiere, nicht die Unterstützung gegen den russischen Überfall. In anderen Worten: bevor die EU weitere Kandidaten aufnimmt – und damit die Konsensrisiken weiter erhöht –, sollten erstmal die Grundlagen der EU mit einem Wechsel zum Mehrheitsprinzip konsolidiert werden, … um nur die wichtigste Forderung zu nennen.
- Zu den offenen Baustellen gehören darüber hinaus die bilateralen Strategien Deutschlands zu den Grossmächten (USA, China und Russland), zu Israel, sowie auch, mittelbar, das Verhältnis der EU zu europäischen Autokratien. Die Absurditäten einer „Werte-gestützten” Aussenpolitik werden hier besonders deutlich, denn ginge es nach den „Werten”, so müssten die diplomatischen Kanäle wenigstens zu der Hälfte aller Staaten grundlegend neu bestimmt, wenn nicht geschlossen werden. Tatsächlich versuchte sich Frau Baerbock gelegentlich an ein paar diplomatische Bemerkungen; erreicht hat sie damit nur, dass die Position Deuschlands schwächt/geschwächt hat. Um unsere „Freunde und Partner” zu beruhigen, kauft Deutschland in einer Art vorauseilendem Gehorsam US-Flugzeuge, Hubschrauber, LNG-Gas – was war nochmal der Deal? Was haben wir dafür bekommen?
Do et des? – das jedenfalls war nicht das Leitmotiv der deutschen Aussenpolitik.
- Anders ähnlich verhält es sich in Fragen der Ökologie. Der Zuwachs bei der Solarenergie ist durchaus beeindruckend – und (was die onshore-Windenergie betrifft, die hinter den Zielen zurückblieb,) mit über 2.000 nunmehr auch genehmigten (!) Windrädern vermutlich fortdauernd. Der Zubau an (funktionierenden) Ladestationen (und der Zuwachs an Reichweite bei den Fahrzeugen selbst) hat den Besitz eines e-Autos einigermassen erträglich werden lassen, wenn man nicht unbedingt nach Portugal, Griechenland oder Italien reisen möchte und zudem davon absieht, dass der elektrische Fahrer an allen HPC-Tankstellen plus/minus das Doppelte von dem bezahlt, das ihn der private Strom kostet (der wiederum ohne Eigenheim kaum zu organisieren ist).
Auch das Deutschlandticket, bei allem Finanzierungs-Hickhack – ist eine Errungenschaft. Eine halbherzige, das ja, und die Deutsche Bahn tut das Ihre dagegen.
∑: fast könnte man meinen, am politisch Möglichen gemessen, ist das Ergebnis gar nicht so schlecht.
Dagegen sprechen zwei Punkte: - Das praktische Versagen liegt in der sogenannten Heizungs- und in der Verkehrswende. Will man verhindern, dass die FDP wieder in den Bundestag kommt, sollte man von ihr schlicht schweigen; und Porschefahrer zu kritisieren, erscheint ohnehin sinnlos. Bleiben als Adressat die Grünen: Ich werfe dem Minister nicht das durchgestochene, unfertige Gesetz vor, das war eine intrigante Meisterleistung (unter massgeblicher Beteiligung des Springer-Verlages) und eben kein politisches Versagen.
Nur: Warum hat der Minister, hat die Partei nicht die Zeit genutzt, so etwas wie einen Masterplan für den Umbau der Republik in den entscheidenden Themen Heizen und Mobilität zu erarbeiten? Es wird rumgemuckelt, hier ein wenig, da ein wenig – wie gesagt: nichts gegen die realen „Erfolge”. Aber reicht das denn? Es ist doch klar, dass Öl, Gas und der Verbrenner besser heute als morgen aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Wie soll, wie kann das gehen? Und welche Weichen wurden in welche Richtung gestellt?
Müssen wieder erst 30 Jahre ins Land gehen, in denen über Wasserstoff nur geredet wird, bevor der in der Realität ankommt? - Doch dann: So beklagenswert diese Aspekte (in meinen Augen) auch sind, die Kritik geht aber doch am eigentlichen Dollpunkt vorbei. Das ökologische juste milieu hört das nicht gern, und doch ist es wahr: Deutschland trägt nur 2% zur anwachsenden Katastrophe bei. Jaja, ich weiss und habe es oft gesagt und geschrieben: historische Verantwortung usw., unbestritten; und: vor der eigenen Haustür, usw., alles richtig. HILFT nur nicht. An den Kipppunkten kippt es anderwärts in der Welt! China, USA, Indien, Russland, bald auch Indonesien und Afrika – hier wächst die Katastrophe heran – sie wird von Trump und seinen Imitatoren sogar noch beschleunigt. Es ist also nicht falsch, die deutsche Verantwortung zunächst an den eigenen Verhältnissen auszurichten – es ist aber in dramatischer Dimension zu wenig. Was wirklich gefordert ist, wäre eine globale Initiative; zunächst kommunikativ, dann aber durchaus auch operativ. Vermutlich wäre Deutschland überfordert (und auch unwillig), wenn es darum geht, die Welt zu retten. Und bei einigermassen realistischer Betrachtung sind die Verhältnisse in den USA, in China oder Indien auch kaum beeinflussbar. Das jedoch gilt nicht für Afrika, nicht für Südamerkia, nicht für Indonesien. Und einer Exportnation stünde es gut zu Gesicht, neue Ideen in neue Märkte zu tragen – und wenn das Deutschland allein überfordert, so aber doch Europa nicht.
Womit wir wieder bei der Aussenpolitik wären.
Das alles sind, ich räume das ein, relativ oberflächliche Bemerkungen und Behauptungen, die im Zweifel diskutiert und nachgewiesen werden müssten. Daran liegt mir nicht: wir alle waren dabei. Und ja, der individuelle Informationsstand, meiner, Deiner, unserer, ist eher verktoriell als tiefenscharf und sowieso zufällig. Was wissen wir denn! Plus: die Meinungen gehen auseinander.
Insofern handelt es sich um Prüfpunkte: Was ist – in diesen Fragen – von wem zu erwarten? Und besteht die Möglichkeit, als Wähler darauf Einfluss zu nehmen?
III. Wähl doch!
Die AfD ist zur zweitstärksten Kraft geworden. Wer ihren Einfluss zu be-, gar zu verhindern sucht, nennt sie rechts-extrem. Das ist, auf den ersten Blick, nicht falsch – und nach dem jüngsten Wahlparteitag – unbestreitbar; es trifft aber nicht den politischen Kern: die AfD instrumentalisiert alt-rechte Nazi- und populistisch-rechtsextreme Idiome. Da gibt es eine wichtige Erkenntnis abzuholen:
Das Wahlvolk der AfD hat Angst vor der Zukunft, und das ist ein komplizierter Sachverhalt!
Es, das Volk, hat soviel verstanden, dass, wenn es so w-e-i-t-e-r geht, es „irgendwie böse enden wird”; und das kann das dümmste Volk nicht wollen. Andererseits muss es so weiter gehen, damit alles so bleibt wie es ist: mein Haus, mein Auto, mein Urlaub. Und das meint auch ein nur mittelbescheuertes Volk wollen zu müssen. Die AfD, das ist meine These, nutzt das rechts-extreme Vokabular taktisch. Früher war „linksradikal” das rote Tuch, das quer durch alle Medien ausreichte, um den Staatsnotstand auszurufen; heute gilt das für das „rechtsradikale” Idiom. Dabei ist die „Radikalität” ein Reflex auf die eben genannte Bedrohungslage, der man, davon ist inzwischen sogar „das Volk” überzeugt, mit moderatem Politgewurschtel nicht beikommt.
Es ist ein klassischer double bind:
ich, das Volk, bedrohe, zerstöre gar, meine und die Zukunft meiner Kinder, ODER, ich, das Volk, riskiere, vernichte gar, meine Gegenwart und auch die meiner Kinder; objektiv unlösbar. Kein Wille ist richtig, das Volk sieht sich in die Enge gedrängt: Früher war alles besser. In der Multikrise kommen Krieg und KI als bedrohliche Zukünfte on top.
Für die AfD ist das Vokabular symbolisch, um sich in den Augen jener zu qualifizieren, die nach den vermeintlichen Sicherheiten der Vergangenheit streben – (und damit irgendwie auch die sogenannten „Anfangserfolge” der Nazis verbinden)!
Wer, das ist die eigentliche Conclusio dieser Anamnese, den Rezepten der AfD die Zukunft nicht anvertrauen will, der muss solche eigenen Rezepte dagegen setzen, die überzeugende Zukunft versprechen, ermöglichen. Da – liegt der Hase im Pfeffer!
Bei der Gelegenheit gibt es weitere Erkenntnisse und Einsichten abzuholen: die SPD perpetuiert mit ihrem Sozialstaatsgerede ebenfalls nur Vergangenheit. Der Fortschritt wird schulterzuckend in Kauf genommen – so (oder wenigstens so ähnlich auch) bei VW: die bauen Elektroautos, nicht weil das vielleicht den Weg in die Zukunft ermöglicht, sondern damit sich nichts ändert. Die SPD war einmal eine revolutionäre Partei; heute ist es die Partei der Besitzstandsbewahrer.
Bei Lichte besehen sind AfD Wähler in ihrem Besitzstand bedrohte SPDler, CDUler, FDPler; es sind keine genuinen Nazis (oder eben doch, dann aber in dem Sinne, wie es einst Dany Cohn-Bendit sagte: „In jedem von uns steckt ein Nazi, auch in mir.”).
Der halb ironisch-sarkastische, halb verdruckste Nazismus der AfD ist ein Idiom, mit dem die Partei Radikaliät behauptet, radikale „Entschlossenheit” vortäuscht. (Dass diese „Leihgabe” sich verselbständigen kann, werde ich in ein paar Zeilen weiter unten anmerken.)
Eine Weile versuchte auch Die Linke sich in diesem rückwärtsfliessendem Fahrwasser: eine „geläuterte” SED als „die bessere SPD”. Der Punkt ist, dass es keinen Arbeiter mehr gibt. Es gibt Angestellte, die arbeiten, mit Reihenhaus und Neuwagen vor der Tür. Und für die war, solange es die Multikrise nicht gab, die SPD zuständig.
Es wäre natürlich irgendwie passend, bei der Gelegenheit auch die Sahra abzuhandeln; die aus der gleichen Vergangenheit kommt und mit ihren Parolen nichts anderes beweist, als dass es ihr (nur) um das Wählerpotential der Existenzbeängstigten geht – und die deswegen eine auf halb-links gehäkelte AfD probiert. Real jedoch ist es für eine wahltaktische Bewertung zu früh: das BSW durchläuft einen ruppigen Selbstfindungsprozess; letztlich ist Sahra Wagenknecht – und mit ihr die Partei – mit dem Denken nicht rechtzeitig fertig geworden.
Fassen wir es allgemeiner: die ganze rechts-links-Dichotomie ist ein Etikettenschwindel. Es geht um idealisierte Vergangenheit und Zukunftspanik. Und wenn sich die AfD politisch rechts verortet, folgt sie (wie das BSW auch, wie auch VOLT, dazu unten) letztlich „nur” einem „Wählermarkt-getriebenen Opportunismus”. Das ist natürlich eine steile These: Ich kann und will damit nicht ausschliessen –, dass sich das proto-faschistische Gerede verselbständigt, wenn es an die Macht kommt: Trump liefert das Drehbuch. Es ist gefährlich, KEINE Frage. Die Dynamik verbuche ich unter „Geister, die ich rief”, oder „die Rache einer instrumentalisierten, gar ausgebeuteten Ideologie”.
Worauf ich hinweisen will: Die eigentliche Achse des Politischen verläuft entlang von – mit Aussichtslosigkeit gedopten – multiplen Ängsten vor der Zukunft. Und in diesem Grundlinien-Duell hat die Zukunft derzeit keine guten Karten.
Folgen wir diesem Erklärmuster, klärt sich auch die rechts-blinkende Positionierung der anderen Parteien. Steht die SPD für die „sozial-wohltemperierte” Vergangenheit, in der „alles noch funktioniert hat”: die Familie, der Verein, der Betrieb, die Amerikaner als Freunde und Partner, so stehen CDU/CSU für die ökonomisch-prosperierende Vergangenheit. Im Kampf um das rechte Gefühl wollen sie als die „seriösere” Vergangenheit erscheinen, nämlich die, in der „alles noch funktioniert hat”: die Wirtschaft, das Land, die Regierung, die Welt als Markt und Reiseziel. Die FDP steht dann für eine wirtschaftstheoretische Vergangenheit, in der „alles noch funktioniert hat”: der Unternehmer hat was unternommen, der Arbeitgeber gab Arbeit und der Arbeitnehmer nahm sie, Unternehmenssteuern und Sozialleistungen wurden tiefergelegt, und der Porschfahrer gab Gas.
Falls das alles so stimmt – also in der Richtung, dass es keine „Analyse” ist: klar … also, wenn es richtig ist, dass es um den Kampf um Zukunft geht, Zukunft als Bild, nicht als das, was sowieso morgen ist, dann bleiben nur … die Grünen?
Ich hoffe, hinreichend deutlich erklärt zu haben, dass die bislang nur Weniges richtig gemacht haben; und das leider vor allem beim Staatstragen, als es darum ging, den Verlust der Gaspipelines zu kompensieren. Dass sie glaubhaft und überzeugend für die Zukunft aufgestellt sind, das haben sie bislang nicht gezeigt; dass sie sich für Europa in die Bresche werfen; dass sie Politik können – Zweifel sind geboten. Wenigstens was die Ökologie betrifft, stehen die Grünen für den richtigen Gedanken – doch haben sie kein ökonomisches, europäisches und auch kein gesellschaftliches Bild von der Zukunft, zumindest keines, das sie dem Volk bereits gezeigt hätten. Die jüngsten Parolen, den Wehretat zu verdoppeln, Erträge aus (versteuertem) Kapital mit Sozialabgaben zu belasten und was an „Veggieday”-Vorschlägen noch kommen mag, ist – vielleicht, teilweise, unter Umständen – politisch opportun, hat aber mit der Zukunft nur mittelbar zu tun, und kommunikativ (der kleine Sparer) ist es desaströs.
„Hoch die internationale Solidarität!” Das war einmal eine sozialistische, halbwegs revolutionäre Parole. Mit dem Sozialismus ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Dazu haben sich die digitalisierten, monopolisierten, globalisierten Produktionsbedingungen allzu dramatisch verändert – und es braucht eine grundlegend neue Wirtschaftstheorie, um fürderhin zwischen konservativ und progressiv zu unterscheiden; rechts/links jedenfalls hat ausgedient.
„International” – und zwar global, nicht bloss westlich-liberal – das dagegen ist ein bleibendes, nein: neuerlich herausforderndes Attribut des politischen Handelns. Die Grünen müssen endlich die globalen Dimensionen der Ökologie in den Vordergrund rücken – und auf ein europäisches (und dann, tatsächlich: erst dann, auch nationales) Programm herunterbrechen.
Ich weiss nichts Besseres, als die Grünen zu wählen, aber ich werde nicht aufhören, sie für ihren taktischen Kleinmut und ihre strategischen Lücken zu beschimpfen. Die Grünen, sage ich damit, sind inzwischen bei dem angekommen, was man früher „das kleinere Übel” nannte (und auf die SPD bezog).
IV. Hattu Strom?
Das braucht einen letzten Satz, denn nach allem, was ich beschreibe, müsste meine Empfehlung „eigentlich” in Richtung VOLT gehen. Und der Gedanke ist nicht abwegig.
Dagegen sprechen, für diese Wahl zumindest, zwei Aspekte: zunächst hat VOLT kein Momentum, kein Personal, keine charismatische Führungsfigur. Keine soziale Bewegung läuft auf eine „Einbindung in die(se) Partei” zu. VOLT ist, ähnlich wie das BSW einer „Marktanalyse” geschuldet: mit welchen Stimmen können wir ein Geschäftsmodell unterfüttern. VOLT ist „nicht echt”, nicht authentisch. Das ist der eine Aspekt. Der zweite ist, dass deren politische Analyse unscharf ist (da könnte man von Henne und Ei sprechen). VOLT vertritt ein plakatives Sammelsurium von links-liberalen Forderungen, denen kein explizites (und allemal kein zukunfts-taugliches) Gesellschaftsbild zugrund liegt. Sie fordern eine föderale EU (meine Rede!), aber es gibt keinen Hinweis, wie die disparaten wirtschaftlichen Interessen und kulturellen Rückräume zusammengeführt (oder wenigstens kompatibel gemacht und notfalls nebeneinander gestellt) werden könnten, von all den anti-europäischen, rechten und populistischen Wanderungsbewegungen zu schweigen. VOLT ist undialektisch, ein politisches Managementmodell ohne Produkt und ohne sozio-kulturelle Historie.
Das könnte … sich – und deswegen ist der Gedanke nicht abwegig – das könnte … man ändern, wenn es … eine intellektuelle Einwanderung in den Parteikörper gäbe, der sich diese strategischen Leerstellen zur Bearbeitung vornimmt; nur fehlt mir die Phantasie, wer – namentlich! – für einen solchen friendly take over ansprechbar wäre.