Greta Thunberg spricht vor der UN-Vollversammlung

3 Lehren

 

Wenn Aufmerksamkeit die Währung unserer Zeit ist, dann verfügen nicht viele Menschen über ein grösseres Kapital, als Greta Thunberg. Sie hat es klug eingesetzt und dabei ist ihr eine stete Steigerung ihrer Aufmerksamkeitserträge gelungen.

Greta Thunberg ist ein Blitzableiter (Wikimedia)

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Diese Entwicklung ist, glaube ich, mit ihrem Auftritt vor der UN-Vollversammlung zu einem natürlichen Ende gekommen: Mehr geht nicht; was jetzt kommt ist bestenfalls Wiederholung. 

Greta Thunberg hat viel erreicht.

Sie hat nicht nur ihre Botschaft vermittelt sondern manifestiert damit auch den Claim kommender Generationen. Sie hat einen Legitimationsdruck erzeugt, dem sich die politische Klasse seit ... sehr langer Zeit nicht mehr ausgesetzt sah. Die Stärke und die Schwäche ihrer Position – es ist eine Medaille – ist in dem Halbsatz verborgen: „... you would be evil and that I refuse to believe.“ In diesem Satz findet sich Thunbergs ganze appellative Kraft, nämlich der Zugriff auf das Gegenüber, die Aussicht auf ein Erreichen können, aber auch die Wurzel ihres Scheiterns (als das jedenfalls wird sie es erleben). 

Denn einerseits existiert dieses personifizierbare Übel. Es tritt auf in den Kostümen des Interesses, meines Interesses, Deines Interesses usw., in Deutschlands Interessen oder in den Interessen der Öl-, der Auto-, der Flugindustrie usw.. Was darf denn ein Ölmanager anderes Denken, als dass der Klimawandel ein Märchen ist? Irgendwie muss er sich eine Lebenslüge basteln, oder er kann seinen Job nicht ausüben. Und professionelle Blindstellen sind kein Privileg der Ölindustrie! Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Das gilt im Grossen wie im Kleinen: mein kleiner Eintrag, also bitte, davon geht die Welt nicht unter. 

Andererseits aber strebt das Übel aus dem Subjektiven heraus ins Objektive. Natürlich will ICH das Gute, und so wollen es auch die applaudierenden Funktionäre der UN-Vollversammlung. Niemand steht bei Darth Vader auf der Payroll, kein Einzelner, keine Einzelne liesse für sich gelten, Vertreter des Böses zu sein (hier müssten vielleicht doch ein paar Ausnahmen erwähnt werden, denen es zumindest egal ist – for the sake of the argument: bleiben wir in der Übersicht). Alle Einzelnen jedoch stehen in Befehls- oder Hirarchieketten, sind eingewoben in Kräfteparallelogramme, in denen ihr Schicksal mit ihrem Funktionieren verknüpft ist. Eine Greta Thunberg kann leicht die Heldin sein, nach Hause fahren und sich an einen gedeckten Tisch setzen; bei aller Ernsthaftig- und Glaubwürdigkeit hat ihr Engagement wenigstens auch einen Hauch Abenteuer. Eine single source of income dagegen MUSS auch an die eigene Familie denken. Kann ich mich der Verantwortung entziehen? Nein. Kann ich ihr gerecht werden? Auch nicht. Das Ich sitzt in der Falle: IM System.

Die Klimawandel-wEnde wird nicht von unten gelingen.

Die Eigenverantwortung bleibt eine relevante Grösse, und alle Anstrengungen der Einzelnen leisten einen Beitrag. Zugleich ist hier ein Paradoxon, ein Dilemma bei der Arbeit: die Anstrengungen der Einzelnen sind immer gelegentlich, können gar nicht das system-relevante Niveau erreichen. Auch nicht als fridays for future. Vor allem aber sind alle Einzelnen in einem Ausmass unvollständig (im Vergleich zu „Allen“), dass sie sich der Sinnfrage nur schwer erwehren können. Vielleicht werden Einzelne zu Vielen, und das ist nicht zu vernachlässigen –, doch mit Blick auf die Dimensionen des Problems erscheint das Engagement stets am Rande einer Quichotterie. Die Beiträge der Einzelnen bleiben in Summe marginal (infenitisimal marginal, so habe ich es jüngst aus dem Munde Adornos gehört). 

Bestehen und Vergehen eines objektiven Übels entscheidet sich an der Machtfrage, und, in diesem Fall, letztlich an der Systemfrage: eine wachsende wollende Wirtschaft wird sich mit guten Worten nicht bekehren lassen. Bewunderswert, dass sich Greta Thunberg bislang von der ungeheuren Aufmerksamkeit (und Anerkennung) noch nicht hat korrumpieren lassen; es ist nicht übergriffig, sich um sie zu sorgen, denn in ein, zwei, wer weiss, fünf Jahren, wenn die Weltöffentlichkeit nicht mehr auf sie schaut (siehe Snowdon, Assange, Manning, …), wird sie sich mit der Frage herumschlagen, was „eigentlich“ – sie erreicht hat? Wie eigentlich – sie weiter machen soll? 

Die UN-Vollversammlung applaudiert! Herzhaft, lebhaft, entlastend. Doch dann kommt die Klimakanzlerin und sagt, dass nur das Mögliche möglich ist (Herr Nassehi hat da womöglich ein Doppelmandat). Ich halte diese Bigotterie kaum aus, wie soll es einer 16-jährigen jungen Frau dabei ergehen?! „… and all you can talk about is money and the fairy tales of eternal economic growth.“ Allerdings steckt dahinter noch ein grösseres Dilemma: solange die Weltbevölkerung wächst, wächst die Wirtschaft – und wachsen die Emissionen mit. Das ist keine Frage ideologischer Präferenzen. 

Ich meine, hier warten drei Lehren darauf, das Verständnis zu erreichen:

  1. Die Unschuld, Emotionalität und Präsenz Greta Thunbergs ENTlastet die politische Klasse:
    in dem sie applaudiert, dokumentiert sie den „guten Willen aller Beteiligten“, reiht sich ein in das „man sollte“-Lager – und wendet sich dem Mittagessen gleich hernach wieder der Geschäftsordnung zu.
    Greta Thunberg ist ein Blitzableiter (wider Willen).
  2. Die Klimakrise offenbart die eigentliche Machtfrage:
    diese herrschende politische Klasse verfügt nicht (mehr?) über die Macht, das Nötige zu tun. Es wäre absurd, dem Klimakabinett „bösen Willen“ zu unterstellen; mehr haben sie einfach nicht hingekriegt.
    Das Klimapäckchen zeigt die Grenzen nationaler Regulierung.
  3. Die Weltöffentlichkeit setzt die falschen Prioritäten:
    Der Pariser Vertrag ist unzureichend, aber das Bevölkerungswachstum unterläuft sogar diese Ziele – macht sie zu Makulatur. Die westliche Welt trägt historische Verantwortung für die Klimakrise, doch in der Gegenwart zeigen die Schwellenländer die bedrohlichsten CO2-Entwicklungen. Das Argument ist mehrschichtig: der Westen steht nicht allein historisch in der Schuld, sondern hat auch real, fortdauernd grossen Anteil an den globalen Emissionen – aber ökonomische Dynamik im Zusammenspiel mit der Bevölkerungsentwicklung setzen China, Indien, Indonesien, Afrika … an die Spitze der Entwicklungstreiber.
    Ohne Bevölkerungswende gibt es kein Wachstumsende.