0. Weg mit …!
Es hat lange gedauert, bis in der meinungsbildenden Qualitätslandschaft die FDP als der eigentliche Querulant in der Ampel erkannt wurde, sagen wir: bis er benannt wurde – und übrigens versuchen einige schon wieder (die Springerpresse, die FAZ sowieso, aber auch die Süddeutsche), die FDP mit wohlwollend-differenzierter Überschriftenpolitik in den nächsten Bundestag zu schubsen. Möge es ihnen misslingen: die sind über!
Bis zu Lindners „abschliessendem Sprengsatz” hatten stets die Grünen den Schwarzen Peter; und diese unausgesprochene Verabredung galt für den gesamten Berliner Medienzirkus, bis zum Talk-TV, bis zum Deutschlandfunk, bis zur Zeit. Doch mit seinen jüngsten Pirouetten hatte Christian Lindner den Bogen offenbar überspannt – und sein Versuch, im Nachhinein die SPD für den Bruch verantwortlich zu erklären ist … Gaga. Gaga waren aber auch die Volten des Kanzlers, der in mehreren „unprecedented” Erklärungen die Natur der Beziehung in der Koalition offen gelegt und damit seine von Lindner zerschlissenen Nerven zur Schau gestellt hat; nun weiss die Öffentlichkeit, was sie bereits ahnte. Der Kanzler provozierte damit die Frage, warum er sich das so lange hat gefallen lassen.
Die Hermeneutik versucht, die tiefer eingebetteten, sozusagen versteckten Informationen einer Botschaft zu entschlüsseln. Eine der Methoden besteht darin, dass man das Gesagte umdreht, ins Gegenteil verkehrt. Wer etwa sagt: „Ich will Ihnen nicht zu nahe treten …” – will und tut genau das. So besehen war bereits Olaf Scholz' Aussage: „Wer bei mir Führung bestellt ..:” ein Indiz für eine tiefer liegende Führungsschwäche, eine Art Abwehrbehauptung.
Das spricht nicht nur gegen ihn: So, wie ich ihn „gelesen” habe, steht sein Handeln für den Versuch, die Ratio vor das blosse Machtspiel zu stellen und etwaige emotionale Verdrückungen, die damit verbunden sind, so gut es geht zu ignorieren. Das jedenfalls würde den Ausbruch erklären, in dem diese Suppressionen dann publik geworden sind. Im Prinzip befürworte ich einen solchen Führungsstil, allerdings unter der Voraussetzung, dass der Souverän „den Ausnahmezustand beherrscht”, oder, in anderen Worten, auch Machtspiel kann und eine vorsätzliche Grenzüberschreitung in die Schranken zu verweisen versteht.
Das war nicht der Fall.
Diese Regierungskrise – und die Diagnose gilt plus/minus für den gesamten Westen – ist eine Medienkrise, nämlich eine Krise der öffentlichen Meinungsbildung.
Man kann (natürlich) darüber streiten:
In meinen Augen war das mediale Grünen-Bashing und das unablässige, sogar Kampagnen-artige „Runterschreiben” der Regierungsarbeit für mindestens die Hälfte des Misserfolgs ursächlich; aber das Ganze besteht aus zwei Hälften, und wo es eine Hälfte gibt, gibt es auch eine zweite: dort findet sich die Kommunikationsverweigerung des Kanzlers, die nahezu ausnahmslos obstruktive Arbeit Christian Lindners, die irrlichternde „Werte-basierte” Aussenpolitik und wohl auch das unfertig-durchgestochene Heizungsgesetz, um ein paar Cornerstones zu benennen.
Man könnte dem folgend nach dem Argument suchen, ob nicht diese „andere Hälfte” letztlich ihrerseits Ursache der medialen Kanonaden wäre und also die Regierungskritik im besten öffentlichen Interesse sei; diese Suche bliebe allerdings erfolglos.
Erstens – denken wir nur an Andi Scheuer oder die jährlichen Berichte des Bundesrechnungshofes – sind Regierungen, egal wie sie zusammengewürfelt wurden, wahrlich, fast möchte man sagen: grundsätzlich, keine Exzellenz-Cluster.
Zweitens: Eine solche Aussage jedoch bulletproof zu belegen erforderte grossen Aufwand, und es würde so lange dauern, dass der Beleg nur noch Historiker interessiert; ich kürz das ab. Nein, den Medien ist das beste öffentliche Interesse piepegal.
Das ist, in meinen Augen, der andauernde Skandal: die politische Meinungsbildung der (meist un-)interessierten Öffentlichkeit ist den ideologischen Marotten, der vergleichenden Gruppendynamik, den Netzwerk-Blasen und den Differenzierungsnöten der medialen Ökonomie ausgesetzt – die allesamt mit einem jeweilig zu diskutierenden Gegenstand in einem nur schwer identifizierbaren und jedenfalls unerklärlichen Zusammenhang stehen. Plus – oft genug betont – den asozialen Medien. Und es gehört zu den dramatischen Verständnislücken dieser Diagnose, dass der inhaltliche wie auch der ökonomische Niedergang der Medien ein Resultat (der Digitalisierung und) des Aufkommens der asozialen Medien ist.
Insofern die multiplen politischen Krisen (Ökologie, Geopolitik, Regierungsbruch …) im Wirkungsraum dieses Niedergangs stattfinden, davon getriggert, moderiert und/oder verschärft werden, ist es unabdingbar, den Zusammenhang gleichsam als Präambel stets mitzuführen. Und doch: meine (wiederkehrende) Medienkritik könnte auch davon ablenken, dass politische Krisen stattfinden und sich ausbreiten. Deutlicher gesagt: wenn ich mich immer wieder (wenn auch mit Recht) mit den medialen Ursachen der politischen Krisen auseinandersetze, bleiben diese unbearbeitet oder treten in den Hintergrund.
Das ist falsch.
Daher I.: die geopolitische Krise
For Europe, this is a defining moment
Dazu fünf unausgegorene Bemerkungen:
1. Die Ukraine ist verloren.
Europa ist nicht darauf vorbereitet, den Verlust der amerikanischen Unterstützung zu kompensieren; es ist – finanziell (im Sinne der Ressourcen), materiell (im Sinne der Beschaffung) und politisch (im Sinne der Einheit) – auch nicht dazu in der Lage.
Soeben begonnen haben knappe drei Monate Zeit, unhaltbare Positionen zu räumen. Der Kanzler hat in seiner jüngsten Regierungserklärung, als er deutschen Investitionen den Vorrang zuwies, bereits damit begonnen – nur eben ohne Einsicht in den strategischen Shift: Das Hauptaugenmerk sollte jetzt auf einer gesamteuropäischen Resilienz liegen. Die westliche Ukraine-Strategie ist am US-amerikanischen Wähler gescheitert – das überstrahlt alle anderen tatsächlichen und vermeintlichen Ursachen. Jetzt steht Europa vor dem Dilemma, all dem schlechten Geld auch noch gutes hinterher werfen zu sollen. Wäre der Kontinent militärisch oder gar föderal geeint, gäbe es vielleicht noch Optionen, so aber ist die Gemeinschaft gefordert, die eigenen Interessen und Nöte zu priorisieren und zu organisieren.
Dabei stehen zwei Aufgaben im Vordergrund:
- eben die eigene Verteidigungsbefähigung „unterhalb” der NATO – und das meint „die NATO minus USA (und Kanada) – zu gewährleisten sowie
- sich auf die anstehende Flüchtlingswelle vorzubereiten.
Diese beiden Aufgaben nötigen die Union, die obstruktiven Einflüsse aus Ungarn und den Vizegard-Staaten organisatorisch und strukturell zu unterbinden und Mehrheitsentscheidungen zu ermöglichen. In dieser Hinsicht könnte man sagen: Europa muss die Lektion Lindner lernen, und zwar mit Blick auf die timeline (je früher, je besser) sowie auf die Kommunikation (handeln, never complain, never explain).
Es ist nicht im Interesse Europas, die NATO in Frage zu stellen, wohl aber unterhalb dieser Schwelle eigenständig zu agieren (i.e.: handlungsfähig zu sein). Dabei gilt es zunächst, das Verhältnis zu den USA neu zu bestimmen, die sich unter Trump vom „Freund und Partner” zu einem „fremden Interesse” entwickeln. Insofern sich die Interessen der USA, wie lang und breit diskutiert, in den pazifischen Raum verlagern, ist die Entwicklung jedoch nicht auf die kommenden (hoffentlich nur) vier Jahre Trump-Administration beschränkt. Im Ergebnis entsteht für Europa eine ähnliche Äquidistanz zu den USA wie zu Russland und China.
Von den Ukraine-Unterstützern wird stets ins Feld geführt, dass in der Ukraine Europa verteidigt wird – und Russland seine imperialen Gelüste nicht auf die Ukraine beschränken wird. Ich stimme dem zu, eigentlich, doch, wie gesagt, soweit ich sehe, ist Europa dazu nicht in der Lage. DESwegen plädiere ich dafür, mit allen (noch) verfügbaren Kräften diese Verteidigungsfähigkeit herzustellen, anstatt die ohnehin beschränkten Mittel (Geld UND Zeit) an verlorenen Fronten zu verläppern.
Ich muss hier eine Zwischenbemerkung loswerden:
Soeben ist die zweite Staffel der Netflix-Serie The Diplomat erschienen (dt.: Diplomatische Beziehungen). In der letzten Folge dieser Staffel zeigt die US-Vizepräsidentin auf den ganzen Nordatlantik und sagt zur US-Botschafterin in Grossbritannien: „Das hier ist mein Spielbrett, mit all seinen Zusammenhängen. Das da (sie zeigt auf die „kleine Insel”) ist Ihres. Kümmern Sie sich um Ihren Scheiss.” (Bild: siehe unten; ©-netflix) Es ist eine programmatische Unterweisung und bringt die (freche) Botschafterin zum schweigen: Während sie glaubte, in strategischen Zusammenhängen zu denken, muss sie nun einsehen, dass sie kannte und wusste, was ihr beschränkter Informationsraum hergab. Das eigentliche, das grosse Bild jedoch lag oberhalb ihrer Gehaltsklasse und Freigaben.
Mir geht es natürlich genauso, nur schlimmer. Was weiss ich schon!
Dabei gibt es jedoch einen Fallstrick: Das grosse Bild zeichnet sich immer und zwangsläufig auf eine Leinwand von Voraussetzungen und Zielen, denen ich (oder die Botschafterin) weder implizit noch explizit zugestimmt habe. Das eigentliche Bild ist also immer nur für jene eigentlich, die dessen Prämissen akzeptiert haben. In der besagten Serie ist eine der Prämissen, dass es vertretbarer ist, 42 britische Seeleute zu opfern (und sei es: unglücklich), als Millionen von Atomtoten nach einem russischen Angriff in Kauf zu nehmen. Das ist (philosophisch UND praktisch) eine sehr alte, und auch deswegen keineswegs entschiedene Fragestellung. Eine andere Prämisse ist, dass die Handlungen der Vizepräsidentin dazu beigetragen haben, hätten, den millonenfachen Atomtod zu verhindern. Das wiederum ist reine Spekulation; der insinuierte Angriff hat nicht stattgefunden. Auch unterschlägt die Vizepräsidentin in ihrer Darstellung, dass die USA ihrerseits mit 77 U-Booten, davon 18 in der (grössten Atom-getriebenen) Ohio-Klasse, in allen Weltmeeren Russland umschiffen und auch damit in den letzten 70 Jahren die Sowjet-Union/Russland davon abgehalten haben, das Angriffsszenario der Vizepräsidentin umzusetzen.
Es kommt aber noch ein, wie ich meine, entscheidendes Argument hinzu: die realpolitische Diskussion behandelt politische – und erst recht geopolitische – Strategie als hoheitliche Aufgabe von Regierungen. In operativer, performativer Hinsicht lässt sich das kaum bestreiten, in teleologischer, normativer Perspektive aber durchaus. Genau besehen gibt es für keine bestehende geopolitische Strategie ein demokratisches Mandat – weder in Deutschland noch sonstwo! Die Bundesregierung, zum Beispiel, hat ihre Ukraine-Strategie ohne Nachfrage beim Volk beschlossen (und insbesondere im Osten Deutschlands – und Vergleichbares gilt für die USA – wird diese Strategie, wie wir aus den jüngsten Wahlen wissen, in nennenswertem Umfang für falsch befunden).
Ich fasss diese Zwischenbemerkung mal zusammen:
Wenn und wo ich mich „oberhalb meiner Freigaben” zu geopolitischen (oder anderen) Fragen äussere, so geschieht das stets im Hinblick auf eine demokratische Willensbildung und Zielsetzung, für die es – letztlich – nachgeordnet ist, was die jeweils herrschende Lage an spieltheoretischen Optionen bereithält. Die Frage ist vielmehr: Will ich (wollen wir), was da passiert – oder welche Argumente sollten auf dieses Geschehen Einfluss nehmen?
Das bringt mich auf das nationale Spielfeld zurück:
2. Die deutsche Aussenpolitik soll sich (endlich) auf Europa konzentieren.
Jaaa, dieser Gedanke wurde über Nacht obsolet, vorerst. Damals (es ist eine Woche her) dachte ich, Frau Baerbock möge ihre Reisepläne auf die Europäische Union und Grossbritannien konzentrieren. Naja. In ihrer verbleibenden Amtszeit wird sie wohl, wenn überhaupt, wie gewohnt, eher nach Jerusalem (bislang 9x) und Kyjiw (bislang 10x) reisen und dort, wie gewohnt, nichts erreichen. (Sind wir gerecht: sie war auch 15x in Frankreich, aber am Niedergang der deutsch-französischen Beziehungen hat das nichts geändert; was vor seinerseits aber zu Lasten des Kanzlers geht.)
Die Realität ändert allerdings nichts an den realen Notwendigkeiten: Deutschland und Frankreich, idealiter auch Grossbritannien, müssen die strategische Führung übernehmen und Europa zu einer Verteidigungsgemeinschaft zusammenschmieden. Dafür gibt es bereits (hier, hier und hier) drei vertraglich-strategische Grundlagen, denen es jedoch an Entschiedenheit und Dynamik fehlt! Ich komme darauf zurück.
3. Die Schuldenbremse muss fallen, und sei es mit Hilfe der Union.
Und das nur der erste Halbsatz der Aussage, dass die anstehenden politischen Entscheidungen unbedingt rationalen Abwägungen folgen, diese aber grundsätzlich mit mehr Mut ausstatten sollten. Das Schweigen, Lavieren, Aussitzen und die notorisch falschen Kompromisse sind den tatsächlich ja eskalierenden Problemen nicht angemessen – die zudem, als wären es Sandkastenprobleme, unter der Kuratel (machiavellistischer) Macht-Kalküle abgehandelt werden.
Ich bin nur mässig kompetent, wenn es um die Bewertung von finanzpolitischen Entscheidungen geht; ich empfehle vielmehr, in diesen Fragen den Überlegungen von Dirk Specht zu folgen (bitte sehr: auch kritisch; jedenfalls versteht er mehr davon). Ob sich aus einer (immer noch moderaten) Steigerung der deutschen Verschuldung Gefahren für die finanzpolitische Stabilität ergeben, kann ich also nicht beurteilen. Wenn aber in Deutschland Brücken umfallen, der Bundeswehr die Mittel fehlen, ihrer Bestimmung gerecht zu werden, die deutsche Industrie in die Knie geht und die USA deutsches Kapital abziehen wollen, dann erscheinen mir ein paar dirigistische, tayloristische Massnahmen grundsätzlich erwägenswert. Und in dem Zusammenhang: Europe first!
- Was mir, ich sag es mal milde: nicht einleuchtet ist, dass beispielsweise die Mittel für die Zeitenwende in die USA abfliessen (für Flugzeuge, Helikopter … und was nicht noch). Geht’s noch?
- Was mir auch nicht einleuchtet ist, wenn für Rüstungsprojekte wie FCAS ein Entwicklungszeitraum von 20 Jahren veranschlagt wird – und dann ist noch kein Flugzeug gefertigt. Das ist eine organisatorische Gemütlichkeit, die noch immer – wie zu Zeiten der Friedensdividende – 9-2-5 agiert.
- Was mir ganz und gar nicht einleuchtet ist, wenn der Verteidigungsminister nicht weiss, wo er seine Waffen hernehmen soll, aber VW zugleich Standorte schliessen will. Ich habe im Geschichtsunterricht gelernt, wie die deutsche Industrie im WWII auf Kriegswirtschaft umgestellt wurde. Soweit muss es ja nicht gleich gehen, aber dass, vermutlich unter Beteiligung von Rheinmetall und anderen bereits etablierten (gerne: europäischen) Herstellern, mehr möglich wäre, als Jammern und Greinen – davon bin ich überzeugt.
- …
- Geht nicht? Na, denn …
4. Deutschland muss die EU auf eine Migrationswelle aus der Ukraine vorbereiten.
Von Unterkünften über Eingliederungs-Fortbildung bis zu gezielt fordernden und geförderten industriellen (deutsch-)ukrainischen Startups, in denen Mangelgüter (z.B. Militärgerät, Wohnungen, …) produziert oder Dienstleistungen bereitgestellt werden – fehlt es an Initiativen, die die absehbare Entwicklung antizipieren. Hier braucht es die Dynamik und Entschiedenheit wie bei einer bevorstehenden Olympiade!
5. Deutschland muss seine Staatsraison neu ausrichten.
Die deutsche Verantwortung kann und darf nicht dazu missbraucht werden, eine rechtsradikale israelische Regierung darin zu unterstützen, Völkerrecht zu brechen und Kriege anzuzetteln, die die legitime Verteidigung zum Vorwand nehmen, die ganze Region in Brand zu setzen. Und dies – wie lang und schlapp bekannt ist – letztlich „nur”, weil Netanjahu einer juristischen Verfolgung entgehen will. Israel hat zu Recht auf das Verbrechen der Hamas mit einem Kampf gegen die Hamas reagiert (und so schrecklich ich das in der Umsetzung finde, so gerechtfertigt erscheinen mir die Attentate auf die verantwortlichen Hamas-Führer und -Kämpfer). Dass aber bei diesem Kampf inzwischen über 40.000 palästinensische Zivilisten getötet wurden, ist in einem unfassbar verbrecherischen Ausmass unangemessen und findet zudem ohne Rücksicht auf die eigenen Geiseln statt. Dass die Regierung nun auch noch einen Krieg gegen den Iran vom Zaun brechen will, legt eine atomare Zündschnur an den (ohnehin wackelnden) „Weltfrieden”. Deutschland – und Europa – kann das nicht unterstützen. Deutschlands historische Verantwortung besteht darin, an der Seite Israels zu stehen – aber der Regierung Netanjahu die Unterstützung zu kündigen.
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Dann aber II.: … platzte die Ampel
Mit Ausnahme der Schuldenbremse wird nichts von dem geschehen, was ich hier fordere. Weil es falsch ist? Oder nur unrealistisch? Ich würd' es nicht schreiben, wenn ich nicht davon überzeugt wäre: Weil die politisch-strategische Verfasstheit Deutschlands (und auch Europas) sich nicht auf der Höhe der Zeit befindet.
Vermutlich wird Friedrich Merz die nächste Regierung führen: Wir haben es nicht anders verdient. Er hat nicht das intelektuelle Format, der deutschen Politik eine neue Richtung zu geben und ist – mit seinem BlackRock-Netzwerk – kritiklos auf das bestehende NATO-Konstrukt und die deutsch-amerikanischen Abhängigkeiten verpflichtet. Bestimmt hat er schon ein- oder zweimal irgendwas zu Europa gesagt: ich habe es nicht gehört. Eine Initiative im oben genannten Sinn von Deutschland-Grossbritannien-Frankreich ist von ihm nicht zu erwarten (und bevor mich jemand darüber belehren wollte: man sollte auch einmal die Liste der US-Stützpunkte in GB zur Kenntnis nehmen – Stichwort: Netflix). Wenn Merz für Initiative stünde (glaub ich nicht, aber der Mensch wächst bekanntlich mit seinen Aufgaben …), so würde er den Fokus auf Wachstum legen, und dabei eine ökologische Notwendigkeit nach der anderen kassieren. Und ja, ein klein wenig hängt das Ausmass seines anstehenden historischen Versagens auch davon ab: mit wem er denn koaliert?
Ich glaube ihm, dass er sich nicht auf die AfD einlässt (nicht dieses Mal); leider wird diese „Standhaftigkeit” in keine irgendwie vorwärtsweisende andere Koalition führen. Wenn es mit der SPD reicht, bekommen wir eine alte Suppe aufgewärmt.
Nur würden uns auch die Grünen nicht glücklich machen: Bliebe Habeck Vizekanzler (und schon das wäre ein politisches Wunder), würde es noch schlimmer, denn dass cdu/CSU ein grünes (sagen wir) Rumpf-Programm zulassen wird, sollte niemand ernsthaft glauben!
Was die FDP betrifft, so werden wir in herzlicher Betroffenheit zu ihrem Untergang kondolieren.
Als Alternative für Deutschland bliebe nach diesen Überlegungen nur Sahra Wagenknecht. Weil ich sie für intelligent halte, kann ich sie nicht ausrechnen: Ist ihre „Putin”-Position nur einer „Marktanalyse” geschuldet (im Sinne von: „welche Wähler sind nicht repräsentiert?”), dann könnte sie ihre Russlandhaltung der politischen Opportunität einer Regierungsbeteiligung opfern – oder sind es doch ideologische Altlasten? Ich weiss es nicht. Immerhin es ist auch müssig, mir darüber den Kopf zu zerbrechen: ihr Laden wird nicht stark genug, um für eine Koalition in Frage zu kommen.
Nur am Rande bemerkt: Ein Kanzler Habeck könnte seine Sache weit besser kommunizieren als Olaf Scholz, aber sollte es tatsächlich dazu kommen (und die Wahrscheinlichkeit tendiert gegen Null), so wäre es mit einer Art Godesberger Programm der grünen Ausrichtung erkauft. Was wäre damit erreicht?
Worüber ich mir also den Kopf zerbreche: Wen soll ich bloss wählen!