... ich habe diesen Satz aus dem Munde vieler (wie ich glaube) aufgeklärter Ärzte gehört, erstmals jedoch erst in der zweiten Hälfte meines Lebens; anders gesagt: so eine Nachricht, bis sie sich durchgesetzt hat, das dauert! Und noch anders gesagt: Es macht mich misstrauisch, wenn die Welt einer Meinung ist.
He Jiankui nutzt Crispr/Cas9
Moral und Ethik in der Reproduktionsmedizin
Wer heilt, hat Recht
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Erschwerend kommt hinzu: nicht Genaues weiss man nicht; die Faktenlage im „Fall He Jiankui“ basiert auf Behauptungen. Ist es Marketing? Als PR-Auftritt jedenfalls wäre es einigermassen misslungen.
Nachein paar Tagen Nachdenken (gut, zwischendurch hab ich auch mal was gegessen :-) komme ich zu folgenden Schlüssen:
- An den bislang kolportierten Motiven des He Jiankui habe ich keine Zweifel: er wollte "helfen" und sah darin eine Chance auf persönliche Positionierung. Ein Video auf youtube legt nahe, dass er den Gegenwind ahnte, deswegen halte ich finanzielle Interessen für eher unwahrscheinlich. Dass sich das Hilfeversprechen mit dem Profilierungsversuch verschränkt hat, halte ich für die eigentliche Crux des Vorgangs.
- Wir können wohl davon ausgehen, dass He Jiankui getan hat, was er behauptet. Indem er sich dieser Entscheidung annäherte, hat er einen nur mässig ausgeleuchteten Gang betreten: vermutlich hat er die Konsequenzen seines Tund im Vorfeld in gewissem Umfang abgewogen, nach der Entscheidung zur Tat aber gerieten ihm von Schritt zu Schritt die legitimierenden gegenüber den ggf. kritischen Erwägungen in den Vordergrund; gruppendynamische Effekte in seinem Team, gesichtswahrende Affekte gegenüber seinen Patienten nicht ausgeschlossen. Am Ende war der Tunnelblick perfekt: davon zeugt sein Gang in die öffentlichkeit.
- Der Tabubruch war allerdings unvermeidlich, erwartbar, allenfalls eine Frage der Zeit; dieser Tanz um den Vulkan dauert ja schon eine Weile an! Auch die Wahl des Begriffes Tabubruch und die übrige Kritelei (zu früh, zu risikoreich) besagen letztlich eher, dass He Jiankui keine groben Fehler gemacht hat; denn sonst würden ihm in der Öffentlichkeit nicht überwiegend ethisch-moralsiche Vorhaltungen gemacht, sondern strafrechtliche Konsequenzen gefordert. Auch liegt im Begriff Tabu der erwartbare Bruch gleichsam in der Luft, denn Tabus sind Sachverhalte, die "eigentlich" oder "besser" offen verhandelt gehören.
- Das Ethik-Gerede halte ich für vorgeschoben. Es ist Neid, narzisstische Kränkung: jene, die „es“ hätten tun können, haben es (ich meine: nicht aus ethischen sondern aus opportunistischen Rücksichten auf die eigene Karriere) nicht gewagt, sich gegen den Mainstream zu stellen. WEIL das Vorgehen mit Crispr/Cas9, wie es heisst, so einfach sei, geht es in diesem Fall auch eher weniger um einen wissenschaftlichen Durchbruch (der in der „Erfindung“ des Crispr-Verfahrens lag), sondern um die Tat selbst. Der Aufschrei der Wissenschafts-Community reflektiert die Empörung, dass ein Jungspunt es gewagt hat, den für eben dieses Experiment „qualifizierte(re!!!)n“ Koryphäen einen (vermeintlichen) Nobelpreis aus der Hand zu schlagen, es ist der Ärger der Pharisäer.
- Es liegt in der Natur des „Fortschritts“, dass er mit Tabus bricht. Und es ist „nur“ eine Frage des Narrativs, der Einbettung, ob ein Tabubruch ruhmreich oder verwerflich ist. Und es ist letztlich gleich=gültig, er geschieht, weil er möglich ist. Was denkbar ist, wird geschehen, immer, irgendwo.
- In der ZEIT wird Guido de Wert zitiert, ein Professor für Ethik in der Reproduktionsmedizin, der "bessere Fälle“ für diesen ersten Versuch hätte nennen können. Eine doppelbödig-verräterische Aussage!
Hilfe, Verantwortung
Ich bin nicht sicher, wem He Jiankui geholfen hat: den Eltern? den Kindern? der Menschheit? sich selbst? Das ist eine schwierige Abwägung: der Vater sei HIV-positiv und, wenn ich es recht verstehe, hätte sein Immundefizit vererbt; es heisst, dafür hätte es probatere Mittel gegeben. Ich kann das nicht beurteilen; ich spekuliere, ich verstehe davon schier nichts: dass er diesen Case möglicherweise deswegen gewählt hat, weil er sich hier die geringsten Nebenwirkungen erwartet hat. ??
Nach meiner Meinung richtet sich die erste Verantwortlichkeit an den Vater (respektive die Eltern): soll er, kann er, darf er mit dieser Disposition Kinder zeugen? Ist nicht sein Ansinnen die erste Ursache für den folgenden "Tabubruch"? Ich würde das bejahen, WENN der Vorgang auf seine Initiative in Gang gesetzt wurde; das bezweifle ich. Er habe, wird berichtet, mehreren Eltern "geholfen"; das macht es sehr viel wahrscheinlicher, dass diese Eltern "akquiriert" wurden, als dass sie in eigener Initiative den Doktor um Hilfe gebeten haben. Dass die Eltern für ihre Kinder "nur das Beste" wollen, entbindet sie nicht von einer prizipiellen, anteiligen Verantwortung für die Wahl der Mittel, wenngleich ich auch Zweifel habe, ob sie die hätten beurteilen können. Ich mutmasse, dass am Beginn dieses Vorganges die Aussage stand: „Da kann ich Ihnen helfen.“ Ohne es letztlich wissen zu können, halte ich den Forscher für "primär-verantwortlich": es liegt in der Logik seines Forschens, dass sie nach der Anwendung strebt.
Unterstellt, Herr Jiankui hat in der Tat diese Keimbahn-Manipulationen bewerkstelligt, so entscheidet sich die Frage, ob sein Tun geholfen hat, am Erfolg.
An seiner Verantwortlichkeit ändern Erfolg oder Misserfolg gar nichts: sein Tun wird weder besser noch verwerflicher, denn er hat seine Entscheidung getroffen, ohne den Ausgang des Experimentes wissen zu können. Wenn die so behandelten Kinder also nicht an HIV erkranken (können), so hat er vermutlich – ruhmsüchtig, demütig – der Menschheit einen Dienst erwiesen: wer heilt, hat Recht.
Verantworten – was?
In den mir bekannten Kommentaren wird die Unverantwortlichkeit des Tuns mit zwei oder drei Argumenten begründet: Es sei zu früh! Die Nebenwirkungen, erstens, des Tuns seien unbekannt; es werden z.B. nachlaufende Krebsrisiken ins Feld geführt. Möglicherweise ist dieses erste Argument inhaltsgleich mit einem zweiten ist, wonach Änderungen in einem Teil des Genoms Dominofolgen in einem anderen Teil des Genoms nach sich ziehen könnten.
Nun fällt es mir grundsätzlich schwer, mir den grundsätzlichen Ausschluss von Nebenwirkungen vorstellen zu können. In der etablierten Praxis werden zur Abschätzung solcher Risiken umfangreiche Tierversuche durchgeführt; ich halte das auch für überwiegend richtig (überwiegend: es gibt Produkte, denen man bereits die Notwendig- oder Sinnhaftigkeit absprechen könnte, etwa bestimmte Kosmetikprodukte, und die insofern auch keine Tierversuche rechtfertigten; eine unscharfe Trennlinie). Es wird berichtet, dass He Jiankui über Jahre solche Tierversuche an verschiedenen Tiergattungen vorgenommen habe. Ich komme allerdings in erhebliche Verdrückung, wenn ich an dieser Trennlinie ethische Erwägungen ins Feld führen will! Was an vielen Tierversuchen ethisch sauberer ist als an einem Menschenversuch, könnte ich allenfalls darwinistisch verargumentieren. Drittens sei der Eingriff in die Keimbahn vererbbar und damit ein Eingriff in die Evolution. Das, mit Verlaub, ist ein lächerliches Argument.
„Macht Euch die Erde Untertan“
– das ist die Maxime der Menschheit. Ich. Du. Er. Sie. Es. Wir tun es. Wir schrecken vor nichts zurück. Milliarden von Menschen verfolgen die olympischen und ungezählte andere Dopingspiele. Millionen von Menschen helfen Ihren Kids mit Ritalin auf die Sprünge. Wir implantieren Herzschrittmacher, Retina-Displays, Cochlea-Implantate; die Grenzlinien sind ideologischer, nicht sachlicher Natur. Wo immer möglich, werden wir alle Tabus brechen, um die menschliche Leistungs- oder Lebensfähigkeit zu verbessern: weil wir uns davon Wettbewerbsvorteile (und später dann: weniger Nachteile) versprechen. Jeder medizinische Eingriff, der Behinderten hilft, gilt als legitim; und man muss sich schon im Keller vor eine schwarze Wand stellen, um die logische Fortsetzung (an Nicht-Behinderten) solcher Eingriffe nicht erkennen zu wollen. Ich lasse also, erstens, das Argument nicht gelten: wegen der ihm innewohnenden Bigotterie. Zweitens aber halte ich es auch für falsch und zukunftsuntauglich.
Solange ich nicht bestreite(n will), dass die Existenz des Menschen eine Qualität sui generis ist, muss ich wollen, dass der Mensch sich „auf der Höhe der ihn umgebenden Umstände“ hält. Er muss sich anpassen, sei es an die Umwelt, an die ökonomischen Bedingungen, an das Nahrungsangebot, an das technische Wissen. Wenn es gelingen kann, die pathologische Anfälligkeit des Menschen genetisch zu minimieren, ist das nicht nur eine Verbesserung von Lebensqualität, sondern sogar, auf dem Weg über die Reduzierung der Versorgungsleistungen, eine ökologische Entlastung; ein Blick in die Gesundheitsindustrie verheisst: keine kleine! Das gilt auch, wenn es gelänge, jetzt denk ich mir was aus, den Kalorienbedarf des Menschen genetisch zu reduzieren, Adipositas zu vermeiden, diese Richtung. Und - das ist jetzt ein nochmal anderes Spielfeld - die Anpassungs-Anforderung gilt auch für die menschliche Intelligenz.
Wie immer, wenn man einen Sachverhalt von mehreren Seiten betrachtet, ist es am Ende unklar, was man gesehen haben will. Ich sehe bei He Jiankui „jugendliche“ Hybris, Mut zur Lücke, Ruhmsucht und ein kalkuliertes Risiko. Unterstellt, dass er sich technisch und handwerklich an den Anforderungen seines Faches orientiert hat – also insofern keine grob fahrlässigen Risiken eingegangen ist – stimme ich seinem Vorgehen letztlich zu.
In der Bewertung gehe ich darüber noch hinaus: unsere Moralen sind unseren Möglichkeiten UND Notwendigkeiten nicht mehr angemessen.
Also willst Du Designer-Babies?
Hinterhältig und polemisch an dieser Frage ist der Bedeutungsraum des Wortes „Design“. Wenn ich die Frage umformuliere und frage, ob ich erbkrankheits-befreite Babies befürworte, so muss ich nicht lange rumdrucksen. Ich halte es also für geboten, über eine Positiv-Liste dessen zu diskutieren, was gentechnisch wünschenswert ist, als dass ich mich mit dem windelweichen, verschwurbelt-bigotten, spät-kirchlichen Ethikgetue herumschlagen muss.
Andererseits weiss ich auch, dass die Büchse der Pandora offen steht. Glaube ich daran, dass es keine „Monster“ geben wird, Monster im Sinne: „übermenschlich“, stark, immun, massgeschneidert, super-intelligent, Kampfmaschinen womöglich und was nicht alles? Keine Sekunde! Übrigens werden die allerersten dieser Monster im Katastrophen-Schutz eingesetzt, da wird niemand widersprechen! Und dann: Was denkbar ist, wird möglich; was möglich ist, wird gewünscht, dann gekonnt, gesollt und schliesslich gemusst. Die Firma Boston Dynamics baut bereits solche Kampfmaschinen, allerdings aus Blech und Batterie-betrieben. Das Mindset ihrer Erbauer kann man leicht dechiffrieren, wenn sie in Werbevideos ihre Maschinen mit Fusstritten maltraitieren, um deren Stabilität und Widerstandsfähigkeit zu zeigen. Eher früher als später werden solche Unternehmen solche Maschinen mit einer KI verbinden. Und, um im spät-kirchlichen Bilde zu bleiben: Gnade uns Gott, wenn kein „Mensch“ mehr in der Lage ist, mit denen fertig zu werden, respektive selbst auf der Höhe künstlicher Intelligenzen zu agieren.
Längst müssen wir die Frage umdrehen: Können wir den Wandel steuern? Wir leben in einer Welt, die von Wissenschaftlern und Ingenieuren im Qurtalsrythmus umgestaltet wird: ohne irgendein Mandat! Dabei verkämpft sich die Öffentlichkeit mit grosser Treffsicherheit – und mitunter mit Vorsatz – an den falschen Fronten: statt zu fördern, was gut und richtig ist – und das Gegenteil schlicht zu verbieten und zu verhindern, lamentieren wir über Ethik oder Freiheit (hier: der Wissenschaften), wie wir sie aus dem letzten zwei Jahrtausenden mitschleppen; und bis wir damit und mit ein paar Gesetzen und Verfassungsgerichtsüberprüfungen irgendwann endlich fertig sind, herrscht bereits ein neues Zeitalter.