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02-04-2020
 

Wieviele Ansteckungen, wieviele Todesfälle. Seit vier Wochen gibt es nichts Wichtigeres. Die Öffentlichkeit soll informiert sein. Die Forderung ist in einer offenen Gesellschaft nicht verhandelbar. Gleichwohl gilt es, ein paar „abers“ zu prüfen. Ich frage mich, welchen Nutzen diese Daten bereitstellen – und für wen.

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Wenn beispielsweise Verhandlungen über einen Gegenstand stattfinden, der viele Interesseninhaber berührt, sagen wir Arbeitsplätze oder ganz allgemein Vorteilsversprechen (BGE, Steuererleichterungen, Rentenerhöhungen …), so ist es bekanntermassen schädlich, viertelstündlich Wasserstandsmeldungen herauszureichen: „Der hat dies gesagt, wir haben jenes geantwortet…“, solange man nicht mit der Reaktion des Zielpublikums auf eben diese Verhandlungen spieltheoretisch einwirken wollte. In einer Verhandlung werden Kräfte gemessen; üblicherweise sind sie ähnlich stark ausgeprägt (sonst würde die stärkere Seite gar nicht erst verhandeln). Weil das so ist, haben sachliche Abwägungen eine Chance, quid pro quo; solange keine Seite sich einen „unfair advantage“ verschafft. Das ist eine Frage der Kultur, der Disziplin, des Charakters. Es ist ein Beispiel, und mir liegen noch eine Reihe von Aspekten auf der Zunge, ich will es aber nicht vertiefen: Wenn beide Seiten Stillschweigen vereinbaren, dient das der Verhandlung und der Tragfähigkeit des Ergebnisses. 

Wenn umgekehrt mächtige Institutionen, seien es Firmen oder Regierungen, Lobbies oder Gewerkschaften, mit unlauteren (oder schlimmeren) Mitteln eigene Ziele verfolgen, so muss die Öffentlichkeit informiert werden, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Dann zielt Information darauf, ungleiche Kräfte auszubalancieren. Auch das nur ein plakatives Beispiel.

Beide Beispiele zeigen eine Binnenperspektive, nämlich die Rück-Wirkung von Information auf die beteiligten Parteien; die Information hat aber auch eine (und zuweilen nur eine) Aussenwirkung: in der Öffentlichkeit. Wenn in einem vollbesetzten Saal jemand eine Information verbreitet indem er „Feuer!“ schreit, sind die Folgen fatal. Auch dieses Beispiel kann man umdrehen, etwa, indem einer Öffentlichkeit ein – sagen wir – Atomunfall verschwiegen wird. Der Umgang mit Informationen ist also eine heikle, vielschichtige Angelegenheit – und nur das soll klar werden, dass pauschale Bewertungen mitunter ihren Gegenstand verfehlen.

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Auch in der aktuellen Lage erscheinen ein paar Überlegungen zum Umgang mit Informationen notwendig.  

Die erste Frage: „Muss die Öffentlichkeit über die Krise informiert werden?“

Was soll die Frage? Selbstverständlich! Nachfrage: „Warum?“ Auch das erzeugt eher Unverständnis. Ist doch klar: das ist eine gefährliche, Jede und Jeden betreffende Sachlage, die Öffentlichkeit muss um die Gefahr wissen. Nochmal: „Warum?“ Phhhh - um sich schützen zu können! Um für sich selbst Sorge zu tragen. Um die Entwicklung zu kennen und die Konsequenzen - und ob und wie Jede und Jeder handeln muss oder soll. Also gut: Ist dieses Ziel erreicht? Zweifellos. Es gibt keine Informationslücken, die Welt weiss Bescheid! Die Welt weiss auch, was sie tun soll. Die Welt tut das auch. Mehr oder weniger, und wo dieses „weniger“ noch der Fall ist, ist „alarmierende“ Information weiterhin geboten. 

Die Frage ist jetzt aber doch, welches Informationsziel – dort, wo die Welt Bescheid weiss und danach handelt – weitere Infektions- und Todesfallzahlen haben? Und ob diese oder jene Statistik, dieser oder jener Wissenschaftler … was oll das? Wem dient das? Hat das einen Nutzen? Verändert es die Einschätzung der Lage? Nein! Der Informationsgehalt der Fallzahlen hat sich nicht geändert: Es IST gefährlich und es dauert. Das ist bekannt – und in diesem Sinne reicht es, wenn Information sich auf die Kerninformation „Wir können Entwarnung geben“ (oder eben: nicht) beschränkt. Es reicht auch, wenn die Öffentlichkeit „einmal täglich“ darüber informiert wird. 

Tatsächlich aber wogt in den Medien ein Aufmerksamkeitswettkampf zwischen konkurrierenden Wissenschaftlern, konkurrierenden Parteien und Politikern, täglich wird dem Wähler der Puls gefühlt, und die Medien zerren jeden vor ein Mikrofon, der drei Sätze am Stück sagen kann. Was hilft das? Welche Lösungen befördert das? Vor allem aber: Cui bono?

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Über die sozio-medizinische Corona-Entwicklung will ich informiert sein, diskutieren will ich darüber nicht. Mich interessiert: Was dann? 

Und nicht: Wann hört das auf, wann dürfen die Menschen wieder shoppen gehen. Mich interessiert, was diese Krise mit der Welt macht - wie organisieren wir das Leben und die Ökonomie hernach? Welche Lehren ziehen wir aus der Krise? Bereits heute erscheinen einige gravierende Änderungen unstrittig: die Produktion von Schutzmaterial, Notfallpläne etc., der ganze „Zivilschutz“-Komplex wird sich grundsätzlich ändern, vermutlich bis in die Pharmaproduktion. Denn eine überstandene Covid-19-Pandemie ist ja keine Garantie dafür, dass im nächsten Jahr, oder wann, keine Covid-20, 21 oder 22-Pandemie entsteht. 

Der Economist schreibt heute: „Holed under the waterline: The coronavirus may sink the cruise-ship business. The industry has few friends and its main customers, the elderly, may shun it for good.“ Abgesehen von dem Dreck, den diese Schiffe vergleichsweise sinnlos in die Welt pusten: jenseits des Mitgefühls für verloren gehende Arbeitsplätze ist mir eine „einzelne“ Branche egal. Auch die ganze Tourismusindustrie? Das ist eine durchaus grundsätzliche Frage! Viele Länder sind davon existentiell abhängig, während der Tourismus zugleich grosses Schadpotential hat: ökologisch sowieso, aber auch in seiner Rückwirkung auf die Gesellschaft (eineinhalb Halbsätze nur zur Begründung: Tourismus erzeugt eine „Is mir doch egal“-Dienstleistung, „die seh ich eh nie wieder“. Wer Hotelzimmer aufräumen muss, kommt leicht zu einer Einstellung „Alle Engländer (Deutsche/Dänen …) sind Schweine“. Und was Tourismus mit dem Land, mit Grund und Boden und der Natur anrichtet, lässt sich in vielen Urlaubsparadiesen besichtigen. ... und im Übrigen, fällt mir soeben in die Finger, lese man Enzensberger, eine Theorie des Tourismus

Darüber, meine ich, lohnt das Gespräch! Und natürlich ist auch das nur ein Beispiel. Die Corona-Krise ist ein Einschnitt in die Weltgeschichte. Sie ist dramatisch und bedrückend. Der Beitrag der Gesellschaft, diese Krise zu beenden, ist klar und eindeutig. Was aber danach geschieht, liesse sich jetzt – noch – beeinflussen. Die Wirtschaftsweisen haben eine „V“-Entwicklung prognostiziert: es geht rasant bergab jedoch, mit etwas Glück, danach rasant wieder bergauf. Hoffe ich auch. Aber müssen es (Braun-)Kohle-Kraftwerke sein, die jenen dann erhofften Aufschwung begleiten; Datteln 4? Und wenn Datteln 4 - sollten dann einige andere, weniger „moderne“ Kraftwerke nicht JETZT, sofort, abgeschaltet werden? Oder wenigstens die öffentlichen Gelder, die jetzt bereitgestellt werden, nicht eben SOLCHE Entwicklungen befördern, als weiter die falschen Technologien zu subventionieren? Es werden viele Arbeitsplätze verloren gehen, soviel steht jetzt schon fest. Doch in welchen Bereichen sollen danach „neue“ entstehen – oder nach welchen Kriterien? Mit welchen Schwerpunkten?

Können „wir" nicht mal über was sinnvolles reden?