Ich bin ich, Subjekt.
Morgen ist Freitag und ich besuche abends diese Veranstaltung. Ich werde einen nagelneuen dunkelroten Brioni-Massanzug mit einem weissen Pferdeleder-Gürtel tragen, hellblaue Cashmere-Socken von Gallo in weissen John Lobb Schuhen, ein orangenes Hemd mit gelbem Monogramm und ein türkis-farbenes Hermès Einstecktuch.
Ich bin ich, Objekt.
Ich mache mich identifizierbar, sichtbar, sortierbar, erinnerbar: ich sende Signale, in denen mein Objektcharakter Aussagen über meinen Subjektcharakter transportiert. (Die Zeiten sind vorbei, aber um des Argumentes Willen:) Wer mich für einen attraktiven Mann hielte, sähe ein Mann-Objekt, einen kategorisierbaren Sachverhalt in der Welt. Und genau das – immer unterstellt, ich weiss was ich tue und womit ich welche Signale sende (es gibt bedauernswert viele Fälle, wo das nicht der Fall ist –> fashionpolice) – genau das WILL ich senden. Und natürlich sende ich Objektsignale AUCH dann, wenn ich statt eines Kolibri-Outfits einen Versicherungs-mausgrauen Peronenschützer-BOSS-Anzug wähle.
Solange ich mit keins ins Gespräch komme, bleibe ich Objekt - vorsätzlich! Damit schaffe ich mir eine Auswahl: Ich wähle genau solche Objektsignale, von denen ich annehme, dass sie von meiner Zielgruppe in der von mir intendierten Weise gelesen werden. Wer nicht versteht, was ich mit diesen Signalen „eigentlich“ aussende, gehört nicht in meine Zielgruppe und wird sich in der falschen, dummen, kann sein: unangemessenen Reaktion auf meine Signale entlarven.
Entscheidend ist aber: Zum Subjekt werde ich erst „im" Akt der Kommunikation.
Die Frage, die nun seit mehreren Jahrzehnten durch die politisch korrekte Öffentlichkeit geistert, ist die: Ist der so beschriebene Sachverhalt bei einer Frau grundsätzlich anders? Schon diese Frage gleicht einem Sprengsatz, weil damit die kurzen Röcke und das ganze Thema „Übergriffigkeit“ bis hin zur Gewalt einhergehen.
Und das ist jetzt der Moment, in dem Jennifer Lawrence drei entscheidende Punkte setzt:
- „The …dress was fabulous, …I would have stood in the snow for that dress
- … that was my choice.
- … It’s creating silly distractions from real issues …“
Ein wunderbares Stück Kleidung, MEINE Wahl und – [die Kritik an meinem Kleid ist] Ablenkung von den wahren Problen. Sehr verschiedene Aussagen.
Eher simpel ist das Argument der Ablenkung. Ich wüsste nicht, was wer darüber diskutieren könnte: so ist es. Auch das Argument „Meine Wahl“ können und sollen wir nur in einer Richtung lesen: Niemand hat ihr vorgeschrieben, was sie zu tun habe. Aber natürlich hat die Meute ein feines Gespür dafür, dass in den Bildern ein besonderer Twist liegt: Die Herren hatten offenbar kühl und zogen es vor, mehrere Lagen Stoff dagegen vorzuhalten. Also WARUM zeigt sich Frau Lawrence vergleichsweise offenherzig? Aus der derzeit vor Anstrengungen ächzenden MeToo-Richtung schiesst es sofort eine Sexismus-Breitseite: Ha, typisch: geile Typen wollten Futter für die Spinttür, zwingen die arme Frau Lawrence .... Das aber ändert die Diskussion: "That was my Choice!"
Um an den Kern dieses Sachverhaltes zu kommen, müssen wir ein paar grenzwertige Fragen ansprechen, etwa die: Erfüllt Frau Lawrence in vorauseilendem Gehorsam männlich-sexistische Erwartungen? Ist sie am Ende die Prostiuierte ihrer Erscheinung? Oder pflegt sie "nur" ihren Marktwert als Objekt männlicher Suxualfantasien? Denn – was dieses Kleid auszeichnet ist schwer zu übersehen: es stilisiert ihren Körper zum Sexualobjekt: Der Ausschnitt lässt nur wenige Fragen unbeantwortet und auf jedem der Fotos rückt Frau Lawrence ein Bein genau soweit vor, dass der dramatische Schlitz seine genau halbvolle Entfaltung entwickelt.
Im letzten Absatz des FAZ-Artikelchens heisst es dazu: „Die amerikanische Schauspielerin gilt als eine der profiliertesten Kämpferinnen für die Gleichberechtigung von Frauen in Hollywood.“ Wir dürfen, legt uns die FAZ nahe, annehmen, dass Frau Lawrence tatsächlich weiss, was sie tut. Was also tut sie? Sie macht sich zum Objekt: der Betrachtung, der Begierde; eine andere Interpretation ist, nach Lage der Nachrichten, nicht möglich. Auch Madonna hat explizit so gehandelt, auch ich schon oft, und ich bin ganz sicher, dass eine Reihe weiterer Beispiele ohne falsche Zuweisung zitierfähig sind. Erwachsene Menschen, die erwachsen handeln (siehe Robert Pfaller: „Erwachsenensprache“); vielleicht mit einer wohlberechneten exhibitionistischen Geste. Die sich auch eines Risikos bewusst sind, dass die Signale missbraucht werden könnten.
Natürlich ist der Kern dieser (feministischen) Diskussion vordergründig die Anmassung, nach der die Signale „Rechte“ erzeugen; in dem Sinne: wenn das Objekt Sexualbereitschaft signalisiert, sei damit „mein“ Recht verbunden, im Sinne der Anbahnung oder gar Umsetzung TÄTIG zu werden. Oder, wie Reich Ranicki sagte: Wer zum Kegeln geht, muss damit rechnen, dass die Pins gezählt werden. Nun ist es aber komplizierter: denn mit den Signalen sind durchaus „Wünsche“ und vielleicht sogar Angebote verbunden, deren Austragung oder Erfüllung aber NUR durch einem kommunikativen Akt der Zustimmung realisiert werden kann. Aber ja: ein Mensch will (bei gegebener Gelegenheit) „genommen werden“, NICHT gegen den eigenen Willen (oder nur gegen genau soviel eigenen Willen, dass das Nehmen auch ein Genommenwerden ist und kein sich Hingeben). Die Signale bereiten das Feld der Auswahl, und es bedarf der Kommunikation, um eins aus der Auswahl heraustreten zu lassen, um es dann zum Subjekt der Interaktion werden zu lassen.
Die Sexismusdebatte setzt sich über dieses Kleingedruckte hinweg und verharrt in plakativen Überschriften. Sie ignoriert den (gelegentlichen) Wunsch des Menschen, zu objektivieren. Sie leugnet das feine Spiel der Signale und ihrer Subtexte. Sie legitimiert diese Leugnung mit den „Unfällen“ der Kommunikation, vor allem aber mit den Verbrechen. Verbrechen anzuprangern war notwendig, bleibt richtig. Nur: wie die Diskussion geführt wird, das Beispiel Jennifer Lawrence macht das deutlich, kostet die Lebendigkeit, das Reizvolle, das Spiel. In der Konsequenz führt diese Debatte zur … „verabredeten Ehe“, WEIL das Spielfeld der Auswahl zerstört wird und nur noch „finale“ Kommunkationsakte zugelassen werden.
Am letzten Ende aber zeigt die in der Debatte verborgene, codierte Bigotterie, worum es eigentlich geht (und was übrigens auch Robert Pfaller übersieht):
es geht um Macht.