Man kann dieser Tagen viel über Diplomatie lernen.
Keep Calm, Stop Brexit + Create N'Europe
Gipfelstürmer
beim Abstieg
Keep Calm
I. Wir sind den Polit-Sprech müde. In Relation zu den behandelten Problemen ist das, was wir in Talkshow-Formaten täglich, wöchentlich an Null-Inhalt vorgeführt bekommen, deprimierend und ermüdend. Da werden Fragen gestellt, Antworten werden ... vermieden, verleppert, zerbröselt, vernebelt. Allerdings finden sich die Befragten auch stets in einem zehrenden und zerrenden Parallelogramm von Kräften, die, jede für sich, auf das je eigene Interesse hinwirken. Wollen. Hinzu kommt, dass jede tatsächlich gegebene, ernsthafte Antwort eine hernach zu verteidigende Position einnimmt, und ganz besonders die Fragesteller wenden alle ihre professionelle Hinterhältigkeit auf, gegebene Antworten zu unterminieren. So richtig das ist, es ändert nichts an unserem Ennui.
II. Erst wenn man Donald Trump zuhört, versteht man, dass die kommunikativen Wattebäuschchen möglicherweise Sinn machen, weil sie ungeregelte Verhältnisse unentschieden lassen, also künftige Abstimmungen, Kompromisse, Regelungen zulassen, bei denen niemand sein Gesicht verliert.
Das ist eine berücksichtigenswerte Lektion.
III. Bevor der übliche diplomatische Ton eine Rückung erfährt hin zu der Dur-Tonart expliziter Bewertungen, bedarf es schon ausserordentlicher Vorkommnisse: Donald Trump ist eine politische Disruption, ein kommunikativer GAU. Die am G7-Gipfel beteiligten Regierungen bringen ihre Empörung über das Vorgehen Donald Trumps in mal mehr, mal weniger moderaten Verlautbarungen zum Ausdruck: die systematische Auflösung höherer Formen diplomatischer Zivilisation, der Bruch zwischenstaatlicher Prozesse, Vereinbarungen und Sprechordnungen durch eine Person – selten war deutlicher, dass eine Regierung NICHT für ihr Land steht – erschüttert die Welt.
IV. „Wann der Krieg ausbrach, das kann man sagen,“ heisst es ungefähr bei Christa Wolf in Kassandra, „aber wie begann der Vorkrieg?“ Es war für mich trotz der mannigfachen Lektüre, mit der ich mich dem Phänomen genähert hatte, nie wirklich verständlich, wie es zu der Kriegsbegeisterung am Beginn des Ersten Weltkrieges gekommen war; deswegen hatte ich diese Begeisterung unter „früheres Stadium der Zivilisation" verbucht. In diesen Tagen wächst mir neuerlich der Zweifel, dass Zivilisation nur Firnis ist: In mir brodelt eine Tonlage, die ich nur mit Mühe bei mir halten kann.
V. Michel Onfray hat in seinem jüngsten Buch „Niedergang“ – Parallelen zu Oswald Spengler sind nicht zu übersehen – u.a. darüber gesprochen, dass Europa und die westliche Welt untergeht, untergehen müsse, weil sie nicht mehr bereit sei, für die eigenen Werte zu sterben. Ich (er-)kenne den Gedanken. In ihrer politischen Findung aufrecht verwirrte Jugendliche kommen eher auf die Idee, an der Seite des IS gegen den elterlich "dekadenten Westen zu kämpfen“, als dass sie mit einem Sprengstoffgürtel nach Mekka pilgerten. Nun zitiere ich weder Onfray zustimmend, noch befürworte ich eine (Pest oder Cholera) jugendliche „Propaganda der Tat“, analytisch argumentiert jedoch ist Schwäche ( – auch die dem Zweifel geschuldete –) keine höhere Form der Zivilisation.
VI. Wenn man also Donald Trump lange genug zugehört hat, und mit Langmut, Höflichkeit und Kompromissbereitschaft auf ihn zugegangen ist – nur um sich eine Brüskierung nach der anderen einzufangen –, dann kommt der Moment, an dem man einsehen muss, dass dieses oft, zumeist hilfreiche Verhalten gegenüber einer Personen wie Trump keinen Sinn macht. Wie dann? Was dann?
VII. Der kritische Punkt, der alles bestimmt, was jetzt sinnvollerweise zu argumentieren wäre, ist der: Du solltest nicht fordern, was Du nicht durchsetzen kannst. Dem Delinquenten die Instrumente zu zeigen, macht nur dann Sinn, wenn man bereit ist, die Instrumente auch einzusetzen. Dass diese Bereitschaft auf Seiten Donald Trumps ausgeprägt ist, steht ausser Frage, und mit Blick auf Nord-Korea möchte man nicht wissen müssen, wie ausgeprägt sie schlussendlich tatsächlich ist. In vielen Kommentaren lesen wir jetzt, dass Trump Europa zusammenschweisst: das ist gut. Die politische Materialisierung dieses einigenden Bewusstseins steht jedoch noch aus!
VIII. An die Stelle des Nationalstaates ist eine Weltinnenpolitik getreten, für die sich (noch) kein Souverän gefunden hat – und insofern ist Carls Schmitts Diktum, nach dem Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet, nicht anwendbar. Tant pis!, denn das ist die politische Situation: der Ausnahmezustand ist eingetreten. Wären die USA jemals dieser Souverän gewesen (sagen wir nach 1989, de facto, und sei es annähernd, andeutungsweise oder vorübergehend), so haben sie schon mit Obama und vollends unter Trump diese Position geräumt. Weder China noch Russland erheben Anspruch, könnten es auch nicht. In ordnungspolitischer Hinsicht könnte Europa diese Rolle einnehmen und sogar ausfüllen. Könnte – wenn es denn täte. Schnell, entschieden und angemessen, das ist gefordert, das zeichnet das Handeln im Ausnahmezustand aus.