Reiner Mühlhoff hat das Reclam-Bändchen „KI und der Neue Faschismus“ veröffentlicht – und in einer Diskussionsrunde in der Urania Berlin vorgestellt. Im letzten Post habe ich die Abwesenheit der Realität im „Berliner Diskurs“ beklagt – immerhin: hier konnte man ihr begegnen!
KI und der Neue Faschismus
Reiner Mühlhoff schrieb
Die Nazis kommen nicht wieder
Im Untergeschoss
Inzwischen habe ich das Büchlein gelesen: es ist informativ und hilfreich, versammelt viele Einblicke in die Quellen und intellektuellen und politischen Usancen der neuen Rechten Strömungen (Alt-Right), vor allem in den USA; was man wiederum beklagen könnte, … würde nicht all der Mist, der in den USA aufpoppt, irgendwann auch nach Europa schwappen. Insbesondere aber ist der Blick hilfreich, um eben dieses Überschwappen dort zu identifizieren, wo es auftaucht. Auch wenn mir im Folgenden die eine oder andere kritische Bemerkung unterkommt, ändert das nichts daran, dass ich den Text vorbehaltlos empfehle.
Reiner Mühlhoff ist Philosoph und Mathematiker, Professor für Ethik und kritische Theorien der KI in Osnabrück; das ist deswegen erstaunlich, weil seine Sprache und Argumentation überaus lucide ist und gut nachzuvollziehbar. Mit der gebotenen wissenschaftlichen Sorgfalt verhandelt sein Text in sechs Kapiteln folgende Themen:
– Was ist KI? - technisch und historisch gesehen
– Die Gesellschaft der Präemption (Vorwegnahme)
– Der KI-Hype im öffentlichen Diskurs
– Die Ideologien hinter dem KI-Hype
– Libertarismus, Dunkle Aufklärung und Alt-Right
– Der Neue Faschismus
Der Autor will sich nicht dafür in Anspruch nehmen lassen, eine (end-)gültige Defintion davon vorzulegen, was genau einen „Neuen“ Faschismus ausmacht. Er beschreibt aber bereits in der Einleitung drei Indikatoren, an denen der sich dingfest machen lässt: anti-demokratisches Wirken, Gewaltbereitschaft und der Einsatz von Technologie als Machtinstrument (S. 13-15). Diese Indikatoren werden später wieder aufgegriffen und weiter ausgeführt; er zeichne sich aus:
- „durch eine grundlegende Ablehnung von Streitkultur, Kritik und demokratischen Prinzipien inklusive der Ideale der Aufklärung wie etwa Gleichheit, Freiheit und geteilter Wohlstand;
- durch eine persönliche Disposition zur Ausübung menschenverachtender Gewalt und Herabwürdigung anderer Menschen, die einem auf Dauer gestellten Gefühl entspringt, es herrsche immer und unausweichlich ein sozialer Kampf der Konkurrenz und Selbstbehauptung; sowie
- durch positive Verklärung und instrumentelle Aneignung Technologie als Machtinstrument, in der sich das Bedürfnis widerspiegelt, sich selbst und andere zu entmenschlichen.“ (S. 118/119)
Damit lässt sich schon mal arbeiten, auch wenn – sozusagen horizontal – weitere distinkte Aspekte („Neubestimmung” der Realität, soziale „Säuberungen”, Militarisierung, …), hinzukommen mögen. Im allgemeinen medialen und auch wissenschaftlichen Diskurs wird der Faschismus heute überwiegend in seinen historischen Erscheinungen und Konnotationen verhandelt – anhand dieser Kriterien lässt sich jedoch analysieren, wie und wo sich der Faschismusbegriff im 21. Jahrhundert verändert.
Insbesondere in der technischen Dimension unterscheidet sich der Neue von jedem gewesenen Faschismus: er muss sich nicht ausweisen, es genügen ein paar Parolen; er wächst unter der Oberfläche, die operative Unterwanderung der Gesellschaft wird zum entscheidenden Faktor: „Ein politisches Regime, dem es auf gezielte Verfolgung und Diskriminierung bestimmter Gruppen ankommt, muss heute keine Volksbefragung mehr durchführen, braucht gar keinen detaillierten Zensus als Grundlage für seine Entscheidungen mehr [wie zu Zeiten der Nazis; meine Anmerkung], wenn dieses Regime die moderne IT-Industrie auf seiner Seite weiss.“ (S. 136)
Und „eigentlich“ genügen bereits die Daten: Nach dem sogenannten „Gülen-Putsch“(-Versuch) in der Türkei brauchte das Regime keine 4 Tage, um 45.000 Militärs, Polizisten, Richter, Gouverneure und Beamte zu verhaften oder zu suspendieren; das ist bereits logistisch keine Kleinigkeit – umso grösser wäre die Herausforderung, wenn man zuvor noch bestimmen und komunizieren müsste, wer gemeint ist. Das Verhalten des Staates im Ausnahmezustand (siehe Carl Schmitt: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt“) ist denn auch der Lackmustest jedes faschistische oder protofaschistische Regime.
„In der Geschichte des Faschismus ist es nicht unbekannt, dass der Beginn solcher Regime die zentrale Koordination und Übernahme der Verwaltungsinfrastruktur umfasst, und zwar durch die Zentralisierung von Daten …“ (S. 17 – z.B. hatte sich IBM als Dienstleister den Nazis angedient und mithilfe von Lochkarten einen Zensus durchgeführt) Weiss man das, kann es auch nicht mehr verwundern, dass Elon Musk direkt nach dem Amtsantritt von Donald Trump mit seinem „DOGE“ die US-Verwaltung heimsuchte:
„Diese als digitaler Staatsstreich beschriebene Übernahme begann in der Woche der Amtseinführung mit dem Office of Personnel Management (OPM), der zentralen Personalstelle der Bundesbehörden. Musk verschaffte sich Zugang zum Computersystem und zahlreichen sensiblen Daten - darunter den gesamten Personaldaten der Bundesangestellten -, schloss Teile des Personals aus diesem System aus und platzierte Vertraute (häufig Mitarbeitende aus seinen eigenen Unternehmen) in strategischen Positionen.“ (S. 7) … „Besonders brisant: Musk sicherte sich außerdem Zugang zum zentralen Zahlungssystem des US Treasury Departments, das jährlich Billionen Dollar unter anderem für Sozialleistungen, Gehälter, Dienstleistungen und Subventionen abwickelt. Der Zugriff erfolgte an einem Wochenende und nach anfänglicher Weigerung des zuständigen Abteilungsleiters, der daraufhin in den Ruhestand versetzt wurde. Musk selbst prahlte auf X über den Coup: »Very few in the bureaucracy actually work the Weekend, so it’s like the opposing team just leaves the field for 2 days!“ - eine Schlachtfeldrhetorik, die keineswegs an geordnete rechtsstaatliche Prozesse denken lässt.«“ (S. 8)
Schon diese wenigen Zeilen legen die ganze Gefahr offen: Solange NICHTS passiert, beruhigt sich (insbesondere) die mediale Öffentlichkeit mit Behauptungen, nach denen „in unserem System“ alle möglichen Sicherungen und Regeln (checks and balances) dafür sorgen (werden), dass so etwas hier nicht passiert. Ein Trugschluss – wie wir jetzt sehen! Doch das braucht noch einen zweiten, nur vermeintlich relativierenden Gedanken: Trumps erste Amtszeit hat gezeigt, dass es solche Sicherungen gibt; und vermutlich würde das auch für Deutschland gelten! Aber: Zeit vergeht, und das politische (US-)Personal hat gelernt. DESwegen hat das „Projekt 2025“ Trumps zweite Amtszeit mit beachtlichem Aufwand vorbereitet (wichtig: nicht für Trump, sondern für jeden konservativen Kandidaten!); von den „Erfolgen“ lesen wir in den Schlagzeilen täglich. Und damit haben sich die USA als case study auch für andere Länder ausgewiesen.
Die erste und wichtigste Schlussfolgerung daraus heisst demnach, dass die Aufmerksamkeit genau darauf ausgerichtet sein muss, wo und wie die „Neue Rechte“ sich auf eine Regierungsübernahme vorbereitet. Käme es dazu, würde es schneller gehen, als die Gesellschaft reagieren kann.
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Verdienste erwirbt sich Mühlhoff auch bei der Analyse des Wandels der Wahrheit. „Die heute erfolgreiche subsymbolische KI arbeitet, wie erwähnt, mit probabilstischen Schätzungen.“ (S. 37)
Während die sogenannte „symbolische“ KI mit „expliziten Regeln, Logik und der symbolischen Repräsentation von Wissen“ arbeitet – und ihre Schlüsse daher für den Menschen nachvollziehbar sind – hat die subsymbolische KI keine Regeln, sondern arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten und statistischer Mustererkennung. „Ihre Schlussweise ist also induktiv (aus einer riesigen Masse von Einzelfällen wird auf etwas Allgemeineres geschlossen) und probalistisch (es geht nicht um exakte Bestimmung der Wirklichkeit, sondern um eine Annäherung durch Wahrscheinlichkeit),“ … So verändert sich die Wahrheit: sie entzieht sich der Logik und Kausalität und wird als Wahrscheinlichkeit zu blossen Korrelation. Das ist nicht per se schlecht und hilft immer dann, wenn nur unvollständige Informationen vorliegen! Dann aber wird „Information über den Einzelfall“ zu einer „Relation zu vielen anderen Fällen“.
Das Unwahrscheinliche (sagen wir „ich“) fällt bei diesen Verfahren in ein algorithmisches Loch, aus dem es, in Abwesenheit menschlicher Kontrolle, kein Entrinnen gibt. Wenn nun etwa eine „zugestellte Lieferung“ gar nicht beim Adressaten angekommen ist, ist der Schaden meist überschaubar, er wird jedoch rasch existentiell, wo es sich um behördliche, juristische oder politische Sanktionen handelt.
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Mindestens ebenso nützlich gerät Mühlhoffs Analyse der vielfältigen politisch- und technisch-ideologischen Theoreme (das Wort verspricht mehr als die kruden Positionen hergeben) des Silicon Valley und der Alt-Right-Bewegung. Der Autor beschreibt die Vorstellungen und Ziele, die sich mit dem „Transhumanismus“ oder dem „Cyberlibertarismus“ verbinden lassen, mit dem „longtermism“ oder der „dunklen Aufklärung“, den „Maskulinisten“ und der „Manosphere“, der „CEO-Monarchie“ oder dem „Pronatalismus“. Obwohl es sich bei diesen Strömungen überwiegend (wenn nicht ausschliesslich) um US-Phänomene handelt, erschliesst sich der Nutzen dieser Darstellung aus eben den Ursachen und Zielen: denn es steht zu erwarten, dass sie, höchstwahrscheinlich in anderen Begriffen und/oder mit modifizierten Begründungen und in nicht direkt vergleichbaren gesellschaftlichen Konstellationen, auch nach Europa und Deutschland übergreifen werden. „Diese Bewegungen eint, dass sie gegen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Egalitarismus in liberalen Gesellschaften agitieren und wichtige Beiträge der politischen Philosophie seit der Aufklärung revisionistisch umdeuten.“ (S. 95) Und eben darauf sollte die Aufmerksamkeit liegen, will man erkennen, unter welcher Fahne „andere“ Strömungen antreten.
Mit Blick auf sein Thema (KI und der Neue Faschismus) untersucht Mühlhoff drei Strömungen (Cyberlibertarismus, Manosphere und Dark Enlightment) als exemplarisch für eine sich seit Jahren abzeichnende Allianz zwischen Tech-Eliten und Alt-Right-Milieus. Wenngleich im ideologischen Rückraum (zum Teil erhebliche) Unterschiede auftreten, sieht Mühlhoff in der Summe der Entwicklungen und den Überschneidungen der Motive und Begründungszusammenhänge einen starken, insgesamt der Faschisierung der Gesellschaft Vorschub leistenden Trend.
Vorsicht an der Bahnsteigkante
„Den Kern der Ideologie des Cyberlibertarismus bildet die Überzeugung, dass gesellschaftliche Prozesse am besten durch freie, unregulierte Märkte und unbeschränkte Vertragsfreiheit gesteuert werden, wohingegen staatliche Eingriffe innovationsfeindlich wirken und vermieden werden sollten.“ (S. 96)
Bereits dieser Satz gibt Anlass, einen Moment über die Pros und Cons dieser – und vieler anderer – Analysen der aktuellen Entwicklungen nachzudenken: Die „Überzeugung”, was für „gesellschaftliche Prozesse am besten“ sei, ist ja nicht vom Himmel gefallen. Sie geht von einem wirtschaftlichen denkenden Subjekt aus (oder einer Gruppe), das in der Verwirklichung einer Idee eine win/win-Situation für sich UND die Gesellschaft anstrebt. Tatsächlich wirkt „Regulierung“ dem unbegrenzten (unterstellt: schlechten, schädlichen) Überschuss dieses Strebens entgegen, realisiert aber zugleich – oft – eine überschiessende Beschränkung. Wer die „technische Entwicklung“ global beobachtet, mag zu der Überzeugung kommen, dass der „Fortschritt“ ganz besonders gedeiht, wo sich der Staat nicht oder kaum in den Gestaltungswillen der ökonomischen Subjekte einmischt. Das ist … gängige Marktwirtschaftsprosa, nur ganz richtig ist das nicht: in China und in vielen Teilen Asiens kommt der Fortschritt in Siebenmeilenstiefeln, und der Staat führt ihn mit der Hand am Arm.
In anderen Worten: zu oft stützt sich die (sozusagen: wohlmeinende, linke) Analyse auf rituelle Figuren des Diskurses. Das Dilemma der politischen Entwicklungen entsteht aber genau dort: wo die Differenzierung im Geflecht der Prädispositionen hängen bleibt. Man sollte also, um der Falle zu entkommen, zunächst einmal einräumen, dass die Regulierung den Fortschritt sehr wohl behindert! – Um gleich im zweiten Schritt darauf zu bestehen, dass eine komplett ausbleibende Regulierung die Entwicklung ihrem Januscharakter überlässt: Natürlich hat nichts keine DownSide! Einerseits, andererseits; das führt (immer) stets über einen Hindernisparcour.
Dialektik ist eine vielköpfige Schlange!
„Sieht man diese Bewegungen in Zusammenhang mit Cyberkriminalität, Hassrede, Internetgewalt und antidemokratischer Polarisation politischer Diskurse, wird schnell deutlich, dass ein völlig unregulierter digitaler Raum nicht nur eine utopische Gegenwelt darstellt, sondern mit gefährlichen Auswirkungen auf die materielle Realität verbunden ist.“ (S. 100)
Das stimmt, denke ich; jedoch bleibt auch eine Regulierung unliebsamer Entwicklungen nicht ohne materielle Folgen, etwa wenn „Wettbewerbsnachteile im globalen Markt“ zu Arbeitsplatzverlusten und sozialen Folgelasten führen – oder, wie insbesondere in der digitalen Entwicklung, zur Dominanz einer Handvoll von US-Firmen und zur Abhängigkeit ganzer Volkswirtschaften (: was beim russischen Öl common sense wurde, bleibt in Sachen Digitalisierung der Elefant im Raum). Mein Argument: Wirkungsketten sind komplex und eine moralisch abgeleitete Diskussion „schlägt sich lediglich auf eine Seite“.
An anderer Stelle kritisiert Mühlhoff, wie Gruppenzugehörigkeit aus Fähigkeiten abgeleitet wird: coding skills zum Beispiel. „Indem sich die Frage von (legitimer) Zugehörigkeit daran ausrichtet, ob man Tech-Kompetenzen mitbringt, sind diese Bewegungen anfällig für die zynische Vorstellung von einem Recht des Stärkeren: Bleibt jemand auf der Strecke, weil er die Technik nicht beherrscht, wird das als mehr oder weniger legitime natürliche Auslese betrachtet.“ (S. 99) Naja; nicht anders der Autor: auch die Lektüre seines Textes erfordert ein gewisses Skillset, von einem entwickelten Abstraktionsvermögen und profunden Kenntnissen der englischen Sprache abgesehen nämlich auch einen einigermassen geschulten Umgang mit dem akademischen Vokabular. (ICH kritisiere das nicht!) Insofern es sich aber um eine weit verbreitete Gruppenmechanik zu handeln scheint, (vergleichbare) Argumente ideologisch zu bewerten (Israel/Gaza; Russland/Ukraine), fällt es mir schwer, allein darin schon einen Indikator präfaschistischer Tendenzen zu erkennen. Und ja, offene oder versteckte Formen des Sozialdarwinismus sind auch in meinen Augen kein Ausweis höherer Zivilisation, gerade aber ihren subtilen Erscheinungen gang und gäbe. Wo er, der Sozialdarwinismus, tatsächlich in materielle Gewalt umschlägt, sehe auch ich Zeichen einer aufkommenden Faschisierung der Gesellschaft, natürlich!
Einen auch in Deutschland aufkommenden Trend – in den USA bereits schwunghaft entwickelt – fasst Mühlhoff unter dem Summenbegriff Manosphere. Darunter sortiert er Diskussionsforen, Communities und auch realweltliche Gruppierungen, die ihre misogynen Anschauungen, ihre Ablehnung des Feminismus und ihren Frust über „progressive Geschlechterrollen“ austauschen. In der Liste der „heiklen“ Themen steht das Geschlechterverhältnis sicher weit oben, wenn nicht an der Spitze – und es polarisiert sozusagen von Natur aus. Um im Zusammenhang hier nicht in eine what-about-Diskussion abzugleiten, verkürze ich die zahllosen Konfliktlinien: Trotz einer über 100 Jahre zurückreichenden Frauenbewegung herrschen in weiten Kreisen der Gesellschaft patriarchale Verhältnisse, sind fast nur Frauen Opfer sexueller Übergriffe und Gewalt, leiden fast nur Frauen an ökonomischer Schlechterstellung, um nur ein paar Kernpunkte zu benennen. An der Legitimation auch eines aggressiven Feminismus herrscht demnach kein Mangel.
Zugleich (und nicht zuletzt im Wechselspiel) sehen sich viele Männer – und dabei insbesondere jene mit einem Alters-bedingten Testosteronüberschuss – ihrerseits als Opfer, beklagen ihren Statusverlust, sehen sich überfordernden Anspruchshaltungen gegenüber, sind intellektuell und emotional von offenbar neu zu verhandelnden Geschlechterrollen vollkommen überfordert. In Reaktion auf vermeintlich feministische Verhaltensmuster – wenn etwa der Feminismus im Gewand eines Feminismo auftritt – und nicht zuletzt aus Hilflosigkeit fallen sie ihrerseits in Verhaltensformen des Machismo zurück – was die Polarisierung weiter anheizt. Im Ergebnis sind sie auf sich selbst und youporn zurückgeworfen. Der entscheidende Punkt – so glaube ich – liegt nun aber da, wo im links-woken Diskurs genau diese Ursachen (jung-)männlichen (Fehl-)Verhaltens strukturell ausgeblendet oder zumindest unterbelichtet bleiben. Fraglos: man muss die besagten Gruppen und Zeitgeiste „analytisch“ benennen: die sind „so-und-so“ – und ja, im Fahrwasser dieser Entwicklung wächst und gedeiht rechtsradikales Verhalten. Will man dem aber „irgendwie“ produktiv begegnen, wird man ohne ein Verständnis subjektiver Ursachen nicht weit kommen.
Ein ganz andere Leerstelle der linksliberalen Analyse betrifft das demokratische Verständnis selbst: lauthals werden die antidemokratischen Anstrengungen der Neuen Rechten beklagt, stikum jedoch werden die demokratischen Erfolge ausgeblendet, wo nicht ignoriert!
Demokratischer Faschismus
Auch (!) der „Neue Faschismus“, so er denn käme, wird auf einem breiten „demokratischen“ Mandat aufsetzen. Dass dieses Mandat einen anti-demokratischen Auftrag in sich trägt, hat sich „die Demokratie“ weitgehend selbst zu verdanken. Von allen Dächern pfeifen die Spatzen das Lied vom Niedergang des Westens; eine Generation von Erben und Anspruchsinhabern empfindet die Forderung nach einer persönlichen und mehr noch nach einer gesellschaftlichen Anstrengung als Zumutung und allenfalls dann gerechtfertigt, „wenn etwas dabei herausspringt“. Während die „verantwortliche“ Generation genüsslich den Niedergang kommentiert, wo nicht herbeischreibt. Zugleich drohen Krieg und Klimakatastrophe, Digitalisierung , Robotik und KI. Die Wirtschaft implodiert und explodiert, die Drohkulisse überfordert den Einzelnen – während sich eine (Regierungs-)Koalition nach der anderen zerlegt. „Letzte Chance“ – so beschreibt Robin Alexander die Lage.
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Ich habe eingangs betont, dass Mühlhoff ein hilfreiches Buch geschrieben hat; dabei bleibe ich. In der gängigen Diskussion dominiert die Vorstellung eines nationalsozialistischen Faschismus: die stärksten Abwehrkräfte mobilisiert die Gesellschaft gegen einen wieder aufkeimenden Antisemintismus und rückwärtsgewandte Naziparolen. Das genügt nicht; und es besteht sogar die Gefahr (und sie wächst), dass diese Perspektive die tatsächlichen Gefahren abtut, kleinredet, ignoriert, übersieht. Ich meine, dass die überwiegend identitären Scharmützel lediglich zu einem Energieverschleiss beitragen und die Aufmerksamkeit von den tatsächlichen, sozusagen gesamtgesellschaftlichen, insbesondere technologischen Gefahren abziehen. Dafür schärft Mühlhoff den Blick.
Seine Leer- und Blindstellen dagegen sind sozialisiert: es sind die des linken, liberalen und akademischen Lagers. Sie liegen besonders dort störend im Weg, wo es darum ginge, Konsequenzen abzuleiten.