In der Henrich Böll-Stiftung, Berlin, diskutierten Elizabeth Zerowsky (contributing Writer – NYTimes Magazine) und Holger Stark (Stv.ChRed. die ZEIT), geführt von dem, sagen wir, meinungsstarken Moderator Joshua Yaffa (Writer in residence, Bart College Berlin, contributing writer New Yorker), über „Reporting the Far Right/Berichterstattung über die extreme Rechte”, also über die journalistische Aufgabe, Strategie und Taktik.
Lieber Holger Stark
Ein Abend in der Heinrich Böll Stiftung
Ein "task shift" für die Medien
Man tut sich schwer: Wie soll man über Rechte schreiben?
Das Gespräch wurde gestreamt (es beginnt etwa ab Minute 13), simultan ins Deutsche übersetzt, und ca. 100 Menschen verfolgten es im Saal.
Insofern das Thema nicht an diesem Abend „abgefrühstückt” werden konnte, empfehle ich die Veranstaltung auch im Nachgang.
Der Austausch der Argument erfolgte auf einem respektablen Niveau, dennoch hatte ich im Verlauf des Abends ständig mit querschiessenden Fragen zu kämpfen:
- preaching to the converted! Muss denn wirklich noch jemand aufgeklärt werden und, wenn ja, ist jemand auch erreichbar? Diejenigen, so meine Leute im Hinterkopf, die „es” wissen, müssen nicht überzeugt werden und diejenigen, die es wirklich anginge, lassen sich nicht einmal ansprechen. Mehr noch: es zeigt sich doch, dass die die Promotoren der Rechten offenbaren Unsinn ohne Skrupel verbreiten und damit/dafür sogar dankbar weiterverbreitet werden; die Argumente der Rationalität sind gleichsam der Pflicht entbunden, freigestellt ins Abseits.
- was aber dann, wenn es nicht mehr um Aufklärung gehen kann (weil sie „offenbar” als Instrument/Format/Methode nicht mehr funktioniert), was aber wäre dann die Aufgabe des Journalismus?
Nach der Veranstaltung habe ich Holger Stark (Die ZEIT) angesprochen. Naja, wie das so ist nach einer Veranstaltung: Weder mein Hinweis noch die Rezeption waren sonderlich tiefenscharf. Deswegen der Nachbrenner (der … eigentlich … auch jede andere (Qualitäts-)Zeitung im Lande angehen sollte):
Lieber Holger Stark,
Ich habe sie gestern Abend in Berlin mit ein paar – der spontanen Begegnung geschuldet – verkürzten und kruden Thesen zu einem notwendigen „task shift“ der Medien überfallen, die Sie nicht in Bausch und Bogen abgetan haben.
Meine Grundgedanken habe ich noch mal eine Spur weiter ausgeführt:
***
Mit dem Spiegel, einst das (letzte) Sturmgeschützt der Demokratie, haben wir gelernt, dass „man die richtigen Fragen stellen muss“. Scharf, analytisch, rücksichtslos, solange es um die Frage geht. Ein, zwei Generationen sind mit dieser Parole journalistisch sozialisiert worden – und haben exzellente Arbeit geleistet. Das „war eine Zeit“, in der eine gute Frage noch eine Meinung ändern konnte – und, wenn wir an die gesellschaftliche Trendumkehr vor und nach den 68ern denken, auch geändert haben.
Aufklärung war eine Mission und sie gelang: die richtigen Fragen haben die Probleme benannt, „gestellt“ würde man heute vielleicht sagen:
- Und was wird mit dem Atommüll?
- Wie sollen unsere Enkel in einer Welt überleben, die immer wärmer wird?
- Wo bleibt die Arbeit, wenn die Maschinen sie übernehmen?
- Wer hat denen erlaubt, mit meinen Daten stiften zu gehen?
- Haben die reichsten Promille verdient, was sie verdienen?
Im Ergebnis, wenn man das mal so pauschal und derb zusammenfassen darf, weiss die „westliche“ Gesellschaft, wo die Kacke am dampfen ist. Aufklärung! Exzellente Arbeit! Und nicht zuletzt rühmen sich deswegen einige Medien ihrer Qualität. Jede*r weiss Bescheid. Niemand kann es sich in irgendeiner „Das-habe-ich-nicht-gewusst“-Nische gemütlich machen.
Zugleich – nicht zuletzt nach 50 Jahren Grüne – hat die aufgeklärte Gesellschaft auch lernen müssen, dass die Politik bei der Bewältigung eben dieser wirklich grossen Probleme versagt; nicht nur, es ist schlimmer!
Wer die SPD gewählt hatte, wurde mit der Agenda 2010 konfrontiert und die Rente mit 67. Wer sich, nach dieser Ent-Täuschung, dann der CDU zuwandte, bekam den Atomausstieg, die Abschaffung der Bundeswehr, die Schwulenehe … und wer sich dann trotzig „diesmal eben für die Grünen“ entscheiden hatte, bekam man LNG-Terminals und ein Heizungsgesetz (… die Springer-Presse tat das Ihre dazu).
In anderen Worten: Die Wähler „können wollen, was auch immer“, sie bekommen ziemlich genau das Gegenteil; und dann wählen sie die SPD ab, padauz, da regiert sie schon wieder.
Nichts ändert sich indessen an dem Aufklärungstsunami, der, vom Ahrtal und den Feuer- und Wasserkatastrophen aus aller Welt hochgeschaukelt, die Angst in jedes Wohnzimmer sendet. Keine Lösungen, kein Ausweg, kein Vorschlag: nicht von der Politik. Im Gegenteil – und, nur mal „by-the-way“ – die (ehemaligen, nunmehr aber click bait’enden) Qualitätsmedien tun alles, um die Hilflosigkeitsgefühle zu nähren und jede Koalition mit Überschriften runterzuschreiben, noch bevor die überhaupt im Amt ist.
„Zur Entlastung“ verlegt sich die ZEIT (und die hier stellvertretend nur, weil das nunmal Ihr Beritt ist … ) auf Kochseiten und seichtes Geplauder und Frau Grabitz nötigt jeden ihrer Gesprächsgäste dazu, sich ein paar Hoffnungen und gequält-optimistische Schlussworte aus den Rippen zu leiern, als wenn das auch nur IRGENDwas ändern würde, als wenn das auch nur IRGENDwer glauben würde, als wenn das wahr wäre. Immerhin, mit diesen handwarmen Lässlichkeiten konnte (in der allgemeinen Zeitungskrise!!) die Auflage wachsen:
Die ZEIT als das „Goldene Blatt“ der Politik.
Von der Blattkritik zurück zur Politik: In der Diskussion in Berlin wurde deutlich, dass die subtile, differenzierte Aufklärungsarbeit niemanden mehr interessiert. Argumente werden schulterzuckend ignoriert, nein, schlimmer: die Realität und die Fiktion werden als gleich=gültig vom Publikum akzeptiert: Leck mich! Wäre das das Ende der Analyse, es griffe zu kurz!
Die Indolenz und die Ignoranz sind nämlich nur die Oberfläche einer kollektiven Verfassung, in deren freud‘schen Tiefen Panik grummelt, Zukunftsängste brodeln, Zuversicht schwindet: „Mir“ geht es gut, aber dem Land geht es schlecht. Wer diesen Satz nicht zu lesen versteht, hält die Rechten für das Problem. Die aber sind die Wirkung: der Eskapismus, die Regression, früher war alles besser, da muss mal ein starker Mann her (bittesehr: zur Not auch eine Frau).
Die liberale Aufklärung hat ein Publikum geschaffen, einerseits, das sich kein X für ein U vormachen lässt. WEIL dieses Publikum der Politik nunmehr nicht von 12 bis Mittag über den Weg traut – und ÜBRIGENS auch, weil, der Ausgewogenheit wegen, diese Koriphäe dies behauptet (Atomkraftwerke sind sicher) und jene Koriphäe jenes, und manch ein „Experte“ oder Politiker (Frau Reiche baut „Gaskraftwerke für das Land“) ganz offensichtlich auf einem bezahlten Ticket fährt – feiert es, das Publikum, – wie einst Dada – andererseits den Unsinn, die Verschwörung, die Lüge: Wenn schon, denn schon.
Lassen wir einmal die „Bildungsfrage“ aussen vor, sozusagen die linke Hälfte der Gauss’schen Verteilung. Die eigentliche politische Katastrophe beherrscht die Mitte, wo genügend Grips zwar all das hohle Gerede entlarvt, aber zu wenig Grips (und auch zu wenig Lebenszeit, sich ernsthaft damit zu befassen) bis an ein dialektisches Denken heran reicht. Schnell, schnell, schnell, gib Parole.
Und selbst, wenn und wo die Auswirkungen der Parolen hochgradig real werden: Man darf doch nicht glauben, dass „die“ glauben, was sie sagen; vielmehr sagen „die“ heut dies und morgen das und alles mit der Inbrunst der Überzeugung, als wenn es wahr wäre. Denn dass dahinter die Angst wohnt, Irritation, Desorientierung, ist keine Nachricht, mit der man sich öffentlich erwischen lassen möchte.
Lieber Herr Stark,
die Rechten wachsen (und natürlich weiss ich auch, dass ein ganzes Bündel Motive dabei zusammenwirken …) an der stillen, verängstigten Verzweiflung, an dem Gedanken, dass es
„unsere Kinder einmal schlechter haben“.
Vieles an diesen „Ängsten“ ist undurchdacht und „nicht wirklich belastbar“, wirken tun sie trotzdem. Und der entscheidende Punkt ist, dass es in der liberalen westlichen Erzählung keinen, aber auch gar keinen Strang gibt, der darauf hindeutet: Wir schaffen das. Und trotz seiner zuweilen intellektuellen Unterzuckerung: das Publikum (der Mitte) weiss, dass exakt das Gegenteil der Fall ist.
Und eben da sehe ich den notwendigen „task shift“, Ihren Rollenwechsel. Nicht das krampfige (lächerliche) Optimismusgeplauder, sondern eine kampagnenartige Lösungsarbeit. Wollen Sie (Ihre Zeitung) weiter sorgfältig dokumentieren, wie die Gesellschaft in den autoritativen Abgrund abgleitet? Dabei ginge es natürlich nicht darum, mal hier und mal da ein Stück zu platzieren, das die „positiven Entwicklungen“ feiert: das Credo, das mission statement der Zeitung, das Grundverständnis der Redaktion … muss sich ändern.
- Wie überlebt die Gesellschaft die Klimakatastrophe – und was ist dafür nötig, und wo wird es bereits erarbeitet? Strukturell! Systemisch! Nicht: Solar und Wind und Müllvermeidung (alles richtig, aber doch Placebos, nicht auf der Höhe der Probleme). Die Spatzen pfeifen: es braucht einen Systemwechsel. Nur weiss niemand, wie das geht. Oder doch: naja, eigentlich schon, aber ist das Volk auch bereit, die Konsequenzen zu tragen?
- Wie überlebt die Erwerbsarbeit gegen KI und Robotik? Was sollen die 13.000 von Bosch Entlassenen tun? Wohin sich schulen, fortbilden, wenn doch „die KI” im Prinzip und spätestens in 5 Jahren „alles” kann, wozu Menschen gebraucht wurden? Was ist dann noch und wo entsteht Arbeit?
- Und was muss geschehen, dass Arbeit und Klima nicht in den double bind führen?
Übrigens: das ist der damit von Ihnen geforderte (gewünschte, klaro!) Richtungswechsel gar nicht sooo schwer! Mit dem Dossier haben Sie einen etablierten Ort, an dem – wie das Feuilleton unter Schirrmacher – diese „Kampagnenarbeit“ ihren Platz finden könnte. Lassen Sie Bernd Ulrich dafür die Verantwortung übernehmen: um seinem „Lebenswerk“ den richtigen Vektor mitzugeben. WENN die „ganze Redaktion“ das mission statement internalisiert (um die eigene Arbeit an einem Kanon zu vermessen, der auf das „Überleben der liberalen, westlichen Gesellschaft“ ausgerichtet ist), könnten die übrigen Ressorts +/–wie bisher bestehen bleiben und „das Gesamtprofil“ des Blattes sicherstellen.
Das, ungefähr, wollte ich Ihnen nahebringen. Ich vermute sogar, dass Sie in Jochen Wegner einen Fürsprecher fänden.