Politik, heisst es, sei ein dreckiges Geschäft. Alle nicken.
Aber was, genau, ist das Problem? … Beispiel Steuerparadiese.
lukratives Geschäftsmodell ...
Ich sass am Frühstückstisch und las
Und ich so: was denken Economist!
Aufmacher: ©-Economist; BIP-Entwicklung in Irland – Grafik: ©-statista
Im Kontext dieser Aussage geht es um Versprechungen, die nicht gehalten werden; Betrug einerseits, aber auch Verrat. Oder es geht um Korruption, Selbstbewirtschaftung, Vorteilsnahme und Bestechung. In aller Regel geht es um Fehlverhalten, also persönliche Eigenschaften. Ich räume all das ein, nur ist es nichts spezifisch Politisches. Kriminalität und Versagen gibt es in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das Politische an der Politik dagegen ist das Interesse – dasjenige Interesse, das über das unmittelbare und partikulare Interesse des Einzelnen hinausgeht; ein gruppendynamischer Sachverhalt, der erst mit der Gesellschaft selbst entsteht.
Ein Aufmacher des Economist (siehe Abb.1 rechts) bringt es auf den Punkt – freilich ohne exakt auf diesen zu zielen.
Zumindest einige Regierungen der Welt, G7, G20, die Grossen jedenfalls, haben langsam aber sicher die Schnauze voll davon, dass sich einige Unternehmen der Welt, die Grossen jedenfalls, divide et impera, die Tatsache zu nutze machen, dass sich die Regierungen der Welt nicht darauf einigen können, eben diese Unternehmen einheitlich so zu besteuern, wie Hildegard, Francois, Carla, Joe, Freya, Pavel oder Ryūichi auch besteuert werden.
Dafür, dass sich in der Besteuerung von Privatpersonen und (einigen) Unternehmen eine Gran Canyon-grosse Lücke auftut, gibt es Gründe; einer ist, dass die Unternehmen davon über Gebühr profitieren (und deswegen Himmel und Hölle in Bewegung setzen, dass ihnen die Pfründe nicht abhanden kommen). Ein anderer ist, dass wenigstens einige Länder davon ebenfalls über Gebühr profitieren, nämlich diejenigen „Steuer-Paradiese“, die ihre jeweilige Ökonomie so eingerichtet haben, dass sie mit dem Wenigen, dass sie Unternehmungen abverlangen, gut zurecht kommen, was sag ich: exzellent zurecht kommen.
Der Economist nennt das: ein Geschäftsmodell; als wären all die Irlands, Monacos und die Cayman Islands StartUps, die mit Innovationen in eine Marktlücke vorgestossen sind.
Nehmen wir Irland, nur als Beispiel. Die Insel hat über Jahrhunderte ihre Bevölkerung mehr schlecht als recht am Leben gehalten; viele Auswanderungswellen legen von Not und Elend beredtes Zeugnis ab. Damit das nicht auf immer so weiter geht, haben ein paar Finanzstrategen in den 1980er Jahren einen Trick gefunden, der als „Double Irish arrangement“ anfing und später zum „Double Irish With a Dutch Sandwich“ ausgebaut wurde (hier und hier wird das erklärt) – und, kurz gefasst, darauf hinaus läuft, dass Unternehmen, die es hinreichend trickreich anstellen, jeden oder fast jeden steuerlichen Tribut vermeiden.
Das Ergebnis – ich verkürze eine längere Geschichte – spiegelt sich im BIP des Landes (siehe Abb.2 rechts).
Wer heute in Dublin spazieren geht, kann die Stadt nicht mehr von einer beliebigen europäischen Metropole unterscheiden; allenfalls ist die Pub-Dichte hier eine Spur dichter als anderswo.
Das alles ist für den ökonomischen Gourmet überaus spannend, nur … will ich auf die Politik zu sprechen kommen.
Stellen wir uns dazu auf den Standpunkt der Steuerparadiese, so sind die Ansinnen der Weltgemeinschaft bösartig und unberechtigt. Ein souveräner Staat kann die bei ihm beheimateten Unternehmen grad so besteuern, wie er es für richtig hält, und auch im europäischen Verbund machen alle Nationalstaaten von dieser Souveränität souveränen Gebrauch.
Stellen wir uns hingegen auf den Standpunkt der Unternehmen, so wird denen niemand vorhalten können, dass sie sich nicht an Recht und Gesetz halten. Wenn Irland deren Steuern nicht will – in dem bekannten Fall wollte die EU das widerspenstige Irland dazu verdonnern, 13 Mrd. $ unlautere Steuervergünstigungen von Apple zu akzeptieren (wogegen die sich Apple dann aber erfolgreich gewehrt hat) – so kann man das schwerlich Apple zum Vorwurf machen. Im Übrigen handeln sie „nur im Auftrag unserer shareholder“, wenn sie unsere Profite optimieren.
Stellen wir uns schliesslich auf den Standpunkt der „Weltgemeinschaft“, so beklagen wir zurecht, dass die Steuerpolitik einiger Staaten es einigen, vor allem sehr grossen Unternehmen ermöglicht, ihre Gewinne quasi ungeschoren einzustreichen. Sie leben mit und von den Infrastrukturen ihrer Wirtsländer, von den Strassen bis zur Bildung, jedoch verweigern sie ihren Beitrag zum Erhalt und Ausbau dieser – auch ihrer – Voraussetzungen.
Das „dreckige“ an der Politik ist, dass es in dem damit offenbaren Interessenkonflikt keine unschuldige Lösung gibt. Nicht einmal die Konfliktstellung selbst ist ohne Lasten, denn die Kleinen, die natürlich genau wissen, was für eine ökonomische Schweinerei sie da veranstalten, können (oft genug) mit Fug und Recht darauf hinweisen, dass sie über Jahre und vielleicht Jahrhunderte als Spielball grösserer Interessen herhalten mussten – oder, umgekehrt, von jedweder zivilisatorischen Teilhabe ausgeschlossen waren. Die wirtschaftlichen Grossmächte dagegen, die selbstverständlich ganz genau wissen, dass sie den Kleinen mit ihren (geplanten) einheitlichen Steuerregelungen den Gar ausmachen (zumindest schweren Schaden zufügen), können ihrerseits legitimerweise darauf bestehen, dass die Unternehmen, die sich in ihren Hoheitsgebieten goldene Nasen verdienen, ebenso besteuert werden, wie „alle anderen auch“.
Die Politik, die es (natürlich) als homogenen Block gar nicht gibt, weil sie aus zahllosen verzahnten UND unabhängigen UND auch antagonistischen Einzelvorfällen besteht, muss nun aber diese Interessen moderieren. Was besonders schwer ist, wenn die „Kontrahenten“ jeweils solides Argumentationsmaterial zum Vortrag bringen können. Seit Salomon ist der Interessenausgleich ein schwieriges Geschäft, der – oft genug – nur durch einen beherzten Schlag durch den Knoten zu bewerkstelligen wäre. Vor dem aber, weil er für eine etwaige Revision nicht mehr verfügbar wäre, alle Beteiligten und auch die Moderatoren in aller Regel zurückschrecken. Das Ergebnis, der zumeist faule Kompromiss, führt seine Schwäche im Namen.
Naja, wir wissen das. Ausser ein paar hergesuchten Formulierungen steht hier nichts Neues. Warum also war mir danach, es trotzdem noch einmal in Erinnerung zu rufen?
Weil wir in unserem politischen Alltag in aller Regel es dabei bewenden lassen, nur das eine Interesse gelten zu lassen. Je nach Charakter schlagen wir uns auf diese oder jene Seite und machen es uns einfach. … Seit es anthrazit gibt und quarzitgrau, suzukagrau, terragrau, graphitgrau, selentigrau usw., hat das Grau einiges an Eleganz hinzugewonnen, doch seine schmuddeligen Entstehungsbedingungen kann es nicht verleugnen.