Maulen, Moral und Mimimi

Diskussion um Öffentlichkeit und Bezahlschranke

zu Christoph Kappes

04-06-2018
 

Der hat sich auf facebook bei Frau Merkel (u.a.) beschwert, dass sie „Öffentlichkeits-relevante“ Positionen (eine argumentative Wende in Richtung Macron) in einem Exklusiv-Interview „hinter der Bezahlschranke“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung „versteckt/verbirgt/unzugänglich macht“.

In den USA kosten Qualitätsmedien im Jahr, was die FAZ im Monat verlangt

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Und einige Missversteher wollten daraus falschen Honig saugen, in dem sie Kappes unterstellten, er würde sich gegen Bezahlmodelle der Zeitungen aussprechen, wo er lediglich über den Raum der „raisonierenden Öffentlichkeit“ reden wollte. Es ging dann um Journalismus und die abschüssige Entwicklung der Printmedien. Ich möchte dem Thema noch einen anderen Spin geben.

Ich meine, Präambel, das Thema Öffentlichkeit und das Thema Bezahlmedien sind (nicht mehr oder gar strukturell) inkompatibel; und nach meiner Überzeugung muss die Diskussion entlang dieser Frage diskutiert werden. 

Dann weise ich zunächst darauf hin, dass Zeitungen, die im Wirtschaftsteil dem „Markt“ und seiner reinigenden Kraft huldigen (vielleicht mit Ausnahme der taz [Auflage 50.000] und des Neuen Deutschlands [Auflage 25.000]), sich im ersten Buch oder im Feuilleton daran erinnern sollten. In der Zeitungslandschaft findet eine „Marktentwicklung“ statt. Und der ist mit Maulen, Moral und Mimimi nicht beizukommen. 

Ich meine zweitens, dass sich ein Bezahlmedium auch qualitativ messen lassen muss; immerhin melken die Zeitungen des Landes ihre träge Kundschaft mit saftigen Abo-Kosten: zwischen 35 Euro (HNA), 42 Euro (MüMerkur), 58 Euro (Tagesspiegel) und 72 Euro (FAZ, inkl. Sonntagszeitung) im Monat. Wollen wir die preise mal im internationalen Vergleich bewerten?
Die Preise seien aber gerechtfertigt und auch legitim, denn man produziere ja „Qualitätsjournalismus“. Naja, tbd. Bei gleichzeitiger, man muss schon sagen: hemmungsloser Gebührenschraube haben die Zeitungen in den letzten zwei Jahrzehnten einen Qualitätseinbruch erlitten, dass es selbst für reading natives unattraktiv geworden ist, an ihren „alten Gewohnheiten“ festzuhalten. 

Jetzt wäre traditionell drittens der Ort, die Meinungsvielfalt ins Feld zu führen. Jaaaa, hab ich schon mal gehört von. Kann mich aber kaum noch erinnern, was damit gemeint war. Im Gegenteil: über die Dörfer seh ich nur stets die gleiche Sau getrieben, und das Copy-Paste des Mainstreams ermüdet und frutstriert mich. Übrigens bin ich nicht der Meinung, dass Meinungsvielfalt durch Meinungsmasse entsteht. Es gibt in D 120 Zeitungen (publizistische Einheiten), sagt Statista, aber gibt es zum Thema Weltmeisterschaft in Russland auch 120 Meinungen? Natürlich nicht: vielleicht gibt es drei, fünf oder elf wirklich distinkte Positionen, aber danach gilt: getretener Quark wird breit, nicht stark.

Viertens bin ja Intensivnutzer und Fan des ÖffRechtlichen. Das dort angebotene, und längst bundesweit verfügbare Meinungs- und Themenspektrum ist, in meinen Augen, vorbildlich – der Deutschlandfunk allein wäre die 17,50 Euro im Monat wert; viele wirklich wichtige Informationsangebote UND Debatten werden nur noch dort geführt, während sich die Bezahlmedien Differenz- oder Positionierungsmeinungen ergehen. 

Und damit bin ich fünftens, wo ich hinwollte: bevor wir jetzt noch 10 oder 15 Jahre zuschauen, wie die Verlage Akquisition um Akquisition, Fusion um Fusion weiter oligopolisieren – es bleibt ihnen und auch dem Kartellamt ja gar nichts anderes übrig! –  favorisiere ich die Überführung der Zeitungslandschaft in ein zweites, sagen wir einmal: „presserechtlich ergänztes“ ÖR-Modell. DANN hätten wir eine echte Chance auf Öffentlichkeit: wenn nämlich die Meinungs- und Informationsarbeit freigestellt wäre von dem Anzeigenschleim, dem Coporate Publishing und IVW-Geschummel, wenn aus den lokalen und sonstwie opportunen Rücksichten kritische Realitätsbegleitung würde und auch das intellektuell unwürdige Lobbygetöse gegen die bestehende ÖR-Landschaft aufhören müsste.