25, 26, 27, 28 Prozent: Die Grünen gewinnen die Bundestagswahl? Die Grünen sind Teil der nächsten Regierung? Mal abgesehen davon, dass man nicht sicher sein kann, wieviel Politik die Meinungsforschungsinstitute in das Design ihrer Umfragen einbauen, sind ihre Umfrageergebnisse auch im Durchschnitt und perspektivisch unsicher.
Mit 25 % verlieren die Grünen die Wahl
Noch 137 Tage bis zur Wahl
Du musst Dich entscheiden
Wer soll denn nun Dein Herzblatt sein?
Das sind zwei Argumente:
Zunächst – in Sachen Verschwörung: Sind das denn nicht „Forscher“, Wissenschaftler! Nunja, es sind Unternehmen. Die haben Auftraggeber. Und bei aller Objektivität und methodischer Seriosität: Wes Brot ich ess ... Natürlich wollen die Auftraggeber „auch gewisse Trends in Erfahrung bringen“, aber wer wüsste nicht, dass auch der Trend den Trend macht? Es könnte also sein, dass die Auftraggeber durchaus gewisse Ziele verfolgen ... und wie liesse sich eine „irgendwie geartete Intention“ in die Umfragen überhaupt einbauen? Dazu schauen wir einmal interessiert und lernwillig in den USA: Dort verschaffen sich die Parteien, Demokraten wie Republikaner, Vorteile, indem sie Wahlkreise nach ihrem Interesse zuschneiden, und so die Gewichtung der Stimmanteile verändern. Wenn man also eine Stadt, in der die Demokraten die Mehrheit haben, in weniger, dafür grössere Wahlkreise aufteilt, vermindert man den Einfluss der Demokraten im Wahlmännergremium (mehr Wähler wählen weniger Vertreter) – umgekehrt funktionert das auch in republikanischen Gegenden. Würden wir diese lektion ins Deutsche übersetzen, so könnte es sein, dass Meinungsforscher „dorthin telefonieren“ (oder sonstwie erheben) – sagen wir etwas plakativ: in Villenviertel oder in soziale Brennpunkte –, „wo bestimmte Meinungen erwartbar sind“. Auf die Idee, dass solche Studiendesigns auch in der Realität vorkommen, könnte man kommen, würde man über einen gewissen Zeitraum signifikante Abweichungen zwischen den Umfragen von, sagen wir: INSA (im Auftrag der Bild) oder Kantar (im Auftrag der Bild am Sonntag) einerseits, zu den Ergebnissen von Infratest (im Auftrag der ARD) oder der Forschungsgruppe Wahlen (im Auftrag des ZDF) andererseits beobachten.
Auch das zweite Argument, die grundsätzliche Unsicherheit, könnte etwas mit betrügerischen Absichten zu tun haben, diesmal auf Seiten der Befragten, der Wähler. Was wissen wir schon darüber, ob nicht ein namhafter Teil der Bevölkerung grundsätzlich in Umfragen lügt – oder sozusagen „mit strategischem Kalkül“ – die Umfragen in die falsche Richtung zu beeinflussen versucht, vielleicht um bestimmte politische Kräfte zu täuschen, denen man dann am Wahltag „mal so richt eine resemmelt“. Soo abwegig ist das nicht. Erstens haben wir in der Vergangenheit oft genug eine klaffende Lücke zwischen den jüngsten Umfragen und der dann realen Wahl entdeckt – nur Schelmen philosophieren dann von „einer Blamage für die Insitute“ –, und zweitens habe ich einen guten Freund, der mir offen erklärte, dass er noch nie in einer Umfrage gesagt habe, was er wirklich denke. Gut – es ist drittens und zuletzt auch nicht auszuschliessen, dass die nachgefragten Meinungen sich ändern, manchmal innerhalb von nur einer Woche, eines Tages, einer Stunde. So geschehen bei der Wahl Laschets zum CDU-Vorsitzenden.
In anderen Worten: auf die jeweils aktuelle Vorhersage dieses oder jenes Institutes kann man nicht wirklich bauen – und das ist der Grund dafür, dass manche Beobachter und Analysten gewisse „gewichtete“ Zusammenfassungen vornehmen – also die vorhandenen Umfrageergebnisse nach einem vordefinierten Schlüssel – sei er willkürlich oder auch begründbar – zu einem „Durchschnitt“ umrechnen. Ich selbst mache das auch, allerdings „gewichte“ ich die Einzelergebnisse (des laufenden Monats) „wie sie sind“, also ohne Zu- oder Abschläge, und bilde dann einen arithmetischen Mittelwert. Auch dieses Verfahren ist schlussendlich unsauber, denn zum Beispiel (und es gibt mehrere Punkte) befragen manche Institute nur einmal im Monat, während andere dies öfter tun – und damit einen statistisch höheren Einfluss auf meinen Mittelwert haben. So – wieder beispielhaft – wurden 8 von 20 Umfragen im April vom Springer-Konzern beauftragt.
Im Lichte dieser kritischen Vorbehalte haben die Grünen – die Tabelle anbei zeigt es – in den letzten fünf Monaten gleichwohl von 18,9% auf 25,7% kräftig zugelegt, während die Union fast 12% verloren hat. Und weil diese Entwicklung „Erdrutsch-ähnliche“ Veränderungen bei der kommenden Bundestagswahl möglich erscheinen lässt, erklären uns das seriöse und weniger seriöse Analysen jetzt jeden Tag. Wer regelmässig quer durch die verschiedenen meinungsbildenden Lager liest, wird auch feststellen, dass viele Medien ihr Bestes geben, diesen Erdrutsch kampagnenmässig zu verhindern. Den Vertretern des Weiter so, die warnend den Finger heben und Mass und Mitte anmahnen, geht der Popo auf Grundeis. Springer und FAZ zeigen, was sie können, wenn es darum geht, den Grünen am Zeug zu flicken und den Kandidaten Laschet hochzujazzen. Schwer zu übersehen ist auch die neuerliche mediale Präsenz des Herrn Lindner, die erstaunlicherweise ihren Niederschlag in wachsenden Zustimmungswerten (von 7,0% auf 11,4%) findet, obwohl Herr Lindner auf einer alten und ausgenudelten Leier nur sein immergleiches Liedchen vorträgt. Die SPD erleidet derweil eine Art von mitleidiger Leichenfledderei und die AfD wird, wo möglich, ignoriert und, wo nicht, mit pathetischer Geste hinter die Fichte geführt.
Bleibt die Frage, was wir auf die Umfragen geben können. Noch liegen gut 130 Tage Politik und Corona, soziale und mediale „Berichterstattung“ vor uns. Beis aller Skepsis glaube ich aber doch, dass die erkennbaren Trends und Veränderungen (! – also nicht das jeweilige Ergebnis) eine gewisse Aussagekraft beanspruchen können.
Und deswegen spreche ich darüber: denn diese Aussichten sind nicht gut!
Soweit die Vorrede.
Ich habe in dieser Richtung bereits einmal kommentiert: Das alles muss, sollte uns zutiefst beunruhigen, strategisch wie auch taktisch. Zunächst taktisch:
„Wer Eins-Null führt, der stets verliert“.
Was in den Medien aktuell veranstaltet wird, und warten wir erst einmal ab, bis das Sturmgeschütz der Demokratie seine Archive plündert, ist selbstverständlich Wahlbeeinflussung – auf einer bereits höheren Ebene: denn nur, wenn man die Grünen jetzt in den Himmel schreibt, bleibt noch genügend Zeit, sie auch wieder in den Keller zu kommentieren. Mit taktisch meine ich zweitens aber auch, dass ein in Zehn- oder Zwanzig-Prozenter aufgeteilter Bundestag keine stabile und vor allem keine zukunftsweisende Politik ermöglichen wird. Koalitionäre Rücksichten finden schon jetzt ihren Niederschlag in den auf Anschlussfähigkeit getrimmten Programmteilen, auch in Abgrenzungsvernebelungen und argumentativem Vorbedingungsgerangel. All dieses taktische Klein-Klein ist schlimm genug, die strategischen Perspektiven eines Viele-Parteien-Parlamentes sind nur noch bedrückender.
Mehrheit beginnt bei 50% plus einer Stimme
Was auf der bundesdeutschen und globalen Agenda steht, hat sich bis in die abgelegendsten Vorstellungswelten rumgesprochen: das Klima bedroht die Existenzbedingungen der Menschheit. Es ist Gefahr im Verzug, und gerade deswegen ist das taktischen Herumgerudere so unerträglich. Eben noch fand der Söder die Grünen knorke, jetzt trompeten seine Adlaten zur Attacke. Dabei sind klare, harte Entscheidungen notwendig; und geredet wird darüber viel. Wer in diesem Wahlkampf kein grünes T-Shirt trägt, hat den Schuss nicht gehört. Das Handelsblatt hat herausgefunden, dass sogar Unternehmer sich dieser Überzeugung nicht mehr verschliessen.
Im Angesicht der notwendigen Wende lese ich nun regelmässig Kommentare besorgter Zeitgenossen, die unter diesen und jenen Umständen eine Auswanderung ins Auge fassen und die jetzt, weil die vorliegenden Parteiprogramme sie hier oder da zwicken, abgelegene Wahlentscheidungen ins Gespräch bringen. Schon die bestehende Differenzierung des Wählerwillens gefährdet die Bildung einer handlungsfähigen Regierung; aber bitte, nur keine Hemmungen: bringen wir noch eine Partei ins Parlament. Dabei ist es relativ simpel: eine Politik, die mit den Fussfesseln multipolarer Parteivorstellungen zum Voranschleichen verdonnert ist, wird die erforderlichen Entscheidungen nicht fällen, sondern statt dessen, wie wir das kennen, in wachsweichen Kompromissen vor allem Formulierungen finden, die niemandem weh tun. In anderen Worten: eine Dreier-Koalition ist ungefähr das Schlimmste, was der Republik passieren kann. Deswegen:
Mit 25 % verlieren die Grünen die Wahl
Jetzt ist der Moment, gross zu denken, laut zu reden. Das Wahlziel muss lauten: 40% plus x. Jetzt bestimmen nicht mehr die Argumente, sondern die Parolen die Erfolgsaussichten. Nicht rumzappeln, maximale Energie. Klare Kante, klare Wahlaussage. Nicht: jetzt schaun’mer’mal, dann sehn’mer’schon. Nicht ein bischen RRG, ein bischen Jamaica oder ein bischen Schwarz-Grün.
Schwarz-Grün? OK. Das kann man JETZT verabreden, egal unter wessen Kanzlerschaft!
„CDU und Grüne haben sich entschieden, zusammen eine Regierung anzustreben! Und der Wähler möge entscheiden: unter wessen Führung. Gewinnt Herr Laschet, übernimmt Frau Baerbock Wirtschaft und Umwelt. Gewinnt Frau Baerbock, wird Herr Laschet Aussenminister. Und übrigens ist dies unser Schattenkabinett: …“
Eine solche Aussage: und die Wahl ist gewonnen.
Wenn Herr Laschet zögert, zaudert, herumluschelt, oder aber lieber die FDP an seiner Seite wünscht, OK. Dann formen die Grünen jetzt ein Wahlbündnis mit der SPD. Wir brauchen eine starke Regierung, und wenn es eine Partei nicht allein schaffen kann, dann eben zwei. Aber Wandel muss her! Die Grünen müssen niemanden mehr überzeugen – ausser von ihrer Führungsfähgigkeit.
Das ist der Witz: wer jetzt überzeugend handeln muss, das sind die Wähler.
Wählen sie grün: gut.
Wählen sie schwarz, naja, auch gut.
Alles andere ist von Übel.