Irgendwie mühsam war das Jahr seinem Ende zu geschlichen.
Schon richtig, so ein „Jahr“, das tut gar nichts. Es war diese Stimmung überall, durchaus ruhig, aber eben auch unwillig, genervt.
Mit Leo Trotzki in die Opposition
Frühjahrsvormüdigkeit
Es ist dunkel, trübe, nass und kalt. Dazu langweilig.
Überlegungen zur politischen Fastenzeit
0. Das schwarze Loch
Die Wahl, das war schon ein Aufreger, und wenigstens der hatte Dich ordentlich beschäftigt. Das war nun Vergangenheit. Die müssen jetzt erst mal regieren. Leider: Corona, Corona, Corona, und dann das Geraune, was die Ampel alles nicht hinkriegen würde oder falsch macht. Auf der Seitenbühne Putin, Nato, Krieg – und dann wieder Corona, quer und laut. Du warst müde von all dem.
Wir haben natürlich gebührenden Respekt vor dem Virus, aber, weisst Du, wenn eine Krise in die Jahre kommt, da nimmt die Aufregung irgendwie ab; da nimmt die Gleichgültigkeit irgendwie zu. Du hattest das mit dem Heinz Rühmann und der Marika Röck und dem ganzen albernen Kriegsgedudel nie recht verstanden: jetzt aber verstehst Du es.
„LASS mich in Ruh mit dem Scheiss!“
Es ist das schwarze Loch. Ob Du gewonnen hast oder verloren, wenn es vorbei ist, ist da dieses schwarze Loch. Was jetzt!, gähnt es, wohin? Warum? Bist Du Publikum, ist es noch schlimmer: tun kannst Du nix. Was für eine gemütliche Zeit war das unter Merkel. Als Opposition warst Du staatstragend für Merkel – und gegen ihre Politik. Wie cool das war: Du konntest ihre Rolle auf der internationalen Bühne preisen, klug oder wohlwollend Pros und Cons listen, und für Zuhause konntest Du echt prima den Knüppel aus dem Sack lassen: 16 verlorene Jahre, mimimi. Klima, Digi, mimimi. Es war so einfach, lustvoll sogar.
Und jetzt bist Du Regierung. Jetzt hat es Deine Koalition ins Amt gespült, die zu tun verspricht, was sie in der Opposition gefordert hat. Die Minister geben ihre Erklärungen ab: „Das und das wollen wir tun, beschliessen, bezahlen, verbieten“. Was willst Du jetzt sagen? Na gut: Du bist „nur“ Publikum, aber eben Regierungspublikum.
I. Opposition ist Mist
Erstens: Gib sie ihnen, die 100 Tage. Das ist eine politisch zivilisierte, gute Praxis. Besser jedenfalls als die der FAZ, die über Karl Lauterbach bereits herzog, als er grad mal nominiert war. Noch an dem Montag unkte die Zeitung, dass der Karl, Lob seiner Expertise, der Aufgabe nicht gewachsen sei, leider, schneuz. Keine Schonfrist war schneller vorbei, als die 100 Tage dieser Regierung. Und Du brauchst sie auch, die 100 Tage. Das muss sich doch erst mal klären, in Deinem Kopf, wo Du Dich jetzt hinstellst. Da droht ja auch ein Dilemma.
Wir können das in den USA beobachten. Man kann kaum erleichterter sein, dass der Herr Trump jetzt in Florida sitzt, und man kann kaum ernüchterter sein, wie der Herr Biden jetzt agiert, wie er die Frau Harris nicht positioniert. Ein alter Mann, leider, er hat auch mal gute Tage, aber …; und die liberale Presse quält sich, tut sich schwer. Mit dem Ermuntern beginnen die einschlägigen Texten bereits in der Headline: Biden schafft Arbeitsplätze! (Naja, allzu erstaunlich ist das nicht …) Infrastrukturpaket beschlossen! (Naja, es sind Schulden …) Aber trotz mancher Kritik, bei all dem republikanischen Schwachsinn will man mit der Opposition nicht im selben Boot sitzen.
Und eben das schlägt auch Dir auf die Stimmung.
Du wünscht Dir, dem Land, der Welt, den Erfolg dieser Regierung, aber Du lernst auch (schnell), dass sie, jetzt die Ampel, nur mit Wasser kocht (wenigstens, wenn man Robert Habeck zuhört, nicht mit Fachinger). Es wird zu Klagen Anlass geben, na klar! Dann aber, wenn die Ampel schwächelt, nur Geduld: schwächeln würde, dann neuerlich in Opposition zu gehen, das würde eine beklemmende Übung im Kreise unerwünschter Mitstreiter; der AfD, Gott bewahre!
II. Die Opposition ist auch Mist
Aber schon mit der Union tust Du herumhadern: sie steckt in ihrem ollen Politikmodell fest. Alles, was ihr unter Merkel recht und richtig war, wird jetzt, in der Opposition, als „falsch“ gestempelt. Rituale! Phrasen! Einfallslose Stanzen.
Und dass sie, die Union, ihre Kritik etwa mit den richtigen Forderungen stützte, auch das ist kaum zu erwarten.
Anderer Teile werden von rechts und rechts aussen vorgetragen, und es steht zu befürchten, dass eine zugespitzte, möglicherweise sogar „richtigere“, Kritik von dort mit fundamental falschen Forderungen, vermutlich sogar gruseligen, einher gehen wird.
Dein Dilemma ist absehbar, und alles, was für die Corona-Politik galt, gilt natürlich auch für die Vorhaben der Ampel: die Diskussion kostet Wirkung. Das wäre nun mit Leichtigkeit misszuverstehen: Etwa keine Diskussion? Am besten gleich: Zensur? Natürlich nicht.
Ein Beispiel verdeutlichen:
Wenn wir zum Hauptbahnhof wollen, müssen wir da vorne links abbiegen; geradeaus wäre kürzer, aber da ist doch diese Baustelle, und die hat meist Stau. –
Bist Du sicher?
Tja. Du bist nie „sicher“. Du würdest aber gemäss Deiner Analyse abbiegen, würdest Du nicht in dem Impuls, eben das zu tun, durch die Nachfrage verunsichert. Dann stehst Du an der Kreuzung und weisst nicht, was Du machen sollst. So im Zweifel, wirst Du Dich vermutlich gegen Deine eigene Analyse entscheiden. Doch die grösste Gemeinheit wartet noch: wenn dann kein Stau wäre, wäre Dein analytisches Denken kompromittiert und wenn aber doch Stau ist, hattest Du zwar recht, aber wir verpassen beide den Zug.
Eine loose-loose-Konstellation.
In der politischen Diskussion braucht nur irgendwer „Alles Falsch!“ zu krakeelen, und Du stehst an derselben Kreuzung. Dieses Dilemma ist allgegenwärtig. Wir haben uns (deswegen) daran gewöhnt, einen Kompromiss für die Lösung zu halten: rechts abbiegen.
Wissend, dass das falsch ist.
Dass es das Problem nicht löst, nur verschiebt oder vertagt.
Wir wissen das!
Wenn irgendein bedauernswürdiger politischer Held einmal auf die Idee käme, wie Robert Habeck etwa,, „das Richtige“ als „die“ Lösung zu empfehlen, dann gnade ihm Gott. Von der „Bist-Du-Sicher?“-Fraktion bis zu den Kampfeinheiten der „Freiheits“-, der „Der-Markt“- oder der „Dann-ist-aber-Polen-offen“-Krieger, werden alle über ihn herfallen; und noch nachtreten, wenn er denn erfolgreich zu Boden gebracht wurde.
III. Verkehrte Welt
Und noch ein anderer Aspekt, am Rande erwähnt: Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass politische Zielsetzungen nur „von der Gegenseite“ durchgesetzt werden können, nämlich nur in einer Konstellation, in der die Opposition nicht dagegen sein kann. Deswegen verabschiedet Rot-Grün die Hartz-Agenda, schickt die Bundeswehr in den Kosovo, erhöht das Rentenalter usw. und die Merkelregierung schafft die AKWs ab und die allgemeine Wehrpflicht, lässt eine Million Migranten ins Land und verabschiedet die Ehe für alle.
Erstaunlich genug, dass wir Staatsvolk bei jeder Wahl wieder darauf reinfallen.
Die Rollenverteilung ist ein Ergebnis der gerade beschriebenen diskursiven Hysterie. Und das verheisst uns für das Wirken der Ampel nichts Gutes! (Ganz oben auf der Liste stehen aktuell neue Atomkraftwerke – und ich will gar nicht darüber nachdenken, was ich darüber denke. Da gab es mal diesen Film auf Arte über Thoriumkraftwerke, der hatte mich nachhaltig irritiert …).
IV. Hoch dem Trotzki
Nun hätte ich diesen Beitrag aber nicht begonnen, wäre ich bereits in Resignation versunken. Tatsächlich ist es nicht das erste Mal in der Weltgeschichte, dass eine Revolution, und sei es nur eine „Reform“-Regierung, von der Realität belästigt wird. Es ist nicht das erste Mal, dass das „gute Wollen“ von den zersetzenden Kräften des Geredes und Gebrabbels bedroht wird; vom Interesse nicht zu sprechen.
Wir, Staatsvolk, können auch nicht mit dem Denken aufhören, nur weil die falschen Verbündeten damit drohen, uns zu umarmen. Du solltest, eine Empfehlung, deswegen in Richtung einer Erneuerung des Trotzkismus nachdenken. Darunter verstehen wir bekanntlich den Versuch, „die Revolution von links zu kritisieren“ und sie auf ihre Ursprünge zu verpflichten. Ja, Vorsicht – Trotzki hat das nicht überlebt!
Schon recht. Ungebrochen, besser: ohne eine Neuinterpretation, würde das auch nichts werden können, aber der Gedanke, die Regierung mit ihren eigenen Zielsetzungen zu zwacken, hat allemal mehr Potential als das Wirtschaftsgenörgel und Fehler-und-Versager-gemecker von rechts. In dem geforderten Relaunch würde es dann also heissen: „Wo bleibt …“ statt: „Alles falsch, alles Käse … die Verfassung … der Steuerzahler", usw. usf..
Fehler werden gemacht, das ist immer so. Den Teil gilt es, so gut es geht, so lange es vertretbar ist, zu ignorieren.
Die eigene Regierung zu stützen, heisst also jetzt: sie zu ihren Zielen zu treiben.
Koalitionsvertrag? Scheiss drauf: Do the right thing!
Was ist mit Tempo 130?!
Und diese Kohlekraftwerke: wie lange noch?
Jetzt braucht jeder so ein Elektroauto … Wo also bleibt das 5 Millionen-Solarziegel-Dächer-Programm?
Windkraft? Wenn es denn sein muss, aber – power to the people – nicht als weitere Konzernsubvention!
Wo bleibt das Forschungsprogramm „Speichertechnologien“?
Wo bleibt das Waldaufforstungsprogramm?
Wo bleibt das Anti-Plastik-Programm?
Nach den Jahrzehnten in der Opposition: Wo sind Eure Programme?
Hey, Regierung: Was tut ihr?
Wenn jemand ein Beispiel braucht: Luisa Neubauer macht es vor.
Aber gut; bis zum 18. März gilt die Schonfrist: Von den 100 haben sie (und wir) noch 61 Tage.