Nach den politischen Placebos

Neal Stephenson schreibt "Termination Shock"

Was hilft gegen den Klimawandel?

18-05-2016
 

Es wäre ja noch schöner, liessen sich 1008 gedruckte Seiten in drei Sätzen zusammenfassen: es geht um Geo-Engineering.

From SEA to ARN

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Und um die Queen of Netherworld. Die – möglicherweise – zur Anführerin einer Allianz von Städten und Ländern wird, die in Folge des Klimawandels und den dadurch ausgelösten Anstieg des Meeresspiegels wortwörtlich vom Absaufen bedroht sind, und daher die ersten sind in einer Reihe von Interessenten, die darüber nachdenken, wie denn wohl – rein praktisch – das scheinbar unvermeidliche noch abgewendet werden könnte. Im Buch versucht ein rücksichtslos-praktischer Milliardär vom Schlage Elon M. eine Allianz dieser Interessen zusammenzuführen, auf dass sie sein Projekt – zumindest ideell, wenn möglich propagandistisch, und im besten Fall durch tatkräftiges, und sei es finanzielles, Mittun – unterstützen. Sein Projekt, auch das wird erzählt, hat das Planungsstadium trickreich hinter sich gelassen und ist dabei, Geschichte zu schreiben. Nur blöd, und auch der Sachverhalt wird detailliert nachgezeichnet, dass nicht alle Regionen und Nationen der Welt gleichermassen von den Erfolgen des Projektes profitieren: für einige wird es sogar schlechter, zumindest ist das zu befürchten. Wer weiss es schon, sozusagen bulletproof?

Das Projekt wird aus 3,4,5 Perspektiven erzählt, darunter natürlich die des Initiators. Hinzu kommen „Akteure“ aus den Lagern Pro (Niederlande, Venedig, London, … möglicherweise auch China) und Contra (vor allem Indien, möglicherweise auch China), sowie unterstützendes Personal. Auf der Langstrecke können die einzelnen streams gut ausgeleuchtet werden, es finden historische, politische, technische wie geostrategische Entwicklungen und Überlegungen Platz; der Autor hat überdies Gelegenheit, seinem Hobby nachzugehen (ursprünglich war das der Schwertkampf, inzwischen sind andere Kampfmodi hinzugekommen, darunter Gatka, eine Varianten-reiche Form des Stockkampfes). Damit ist auch gesagt, dass die Geschichte in Farbe erzählt wird, soll sagen: spannungsreich, zuweilen aufregend, nicht ohne emotionale Angebote und sogar eine Prise Sex; nu, ein bisschen, königlich zwar, aber in aller Vorsicht.

Mindestens so spannend wie die Story ist das Geschehen auf der Metaebene. Natürlich geht es dabei um das Geo-Engineering, dass hauptsächlich die Segmente SRM (Solar Radiation Management) und CDR (Carbon Dioxide Removal) unterscheidet. Für die Diskussion auf der Metaebene kommt es weniger darauf an, welche Massnahme/n die Geschichte konkret verhandelt (es ist die Sonneneinstrahlung), sondern welche Chancen und Risiken damit verbunden sind. Im Geo-Engineering geht es um Eingriffe auf planetarer Ebene, schier unüberblickbare Skalen, die massive Manipulationen des globalen Wetter- und Klimageschehen repräsentieren. Es wird Dir rasch eingeleuchten, dass sich der Klimawandel von einem Solardach oder zwei oder einer Wiese Windräder kaum wird beeindrucken lassen; da muss schon mehr geschehen, und viel hilft viel. Am wahrscheinlichsten ist, das kommt hinzu, dass halbherzige Massnahmen mehr schaden als nutzen. Wobei: schaden können auch beherzte Eingriffe mit unerwarteten Folgewirkungen. Vermutlich geschieht sowieso beides, und genau das lässt die Diskussion eskalieren. So ein bivalentes Szenario träte ein, wenn, nur zur Illustration: Venedig überlebt, weil das Wasser nicht mehr steigt, aber der Panjab, die Kornkammer Indiens, vor die Hunde geht, weil der Monsunregen ausbleibt.

Wer weiss das schon: Immerhin handelt es sich um beispiellose Massnahmen. Vermutlich dürften wir davon ausgehen, dass alle Berechnungen und Szenarien im Vorfeld so gewaltiger praktischer Eingriffe mit denkbarster Sorgfalt durchdekliniert wären: niemand wird das globale Klima fahrlässig oder gar strafwürdig beeinflussen wollen. Zugleich finden alle noch so detailliert ausgeplanten Szenarien in nebligem Gelände statt: welcher Zauberlehrling könnte mit Sicherheit sagen, was er da anrichtet; schlimmer noch: der Meister, der einen Schaden im Notfall einhegen könnte, tourt grad im Universum und ist insoweit nicht vor Ort. Trial and Error, und der Wettgegenstand ist das Schicksal der Menschheit. Da ist es dann kein Wunder, dass sich das Lager der Gegner jedweden gross-skaligen Eingriffs im Besitz unabweisbarer Argumente sieht.

Umgekehrt käme es jedoch ebenso oder noch teurer, durchgerechnete und deswegen Erfolg versprechende Eingriffe zu unterlassen. Denn wenn das Wasser steigt, werden weltweit riesige Regionen geflutet, möglicherweise sturmgeflutet, mit der Folge, dass unquantifizierbare Menschenleben und unbezifferbare Vermögenswerte in den Fluten versinken und die kaskadierenden ökonomischen Schäden die globale Wirtschaft in den Abgrund reissen. Nicht zu reden von Dürren, Feuern, Starkregen und den eingehenden Problemen einer massiven Migration. Nicht zu reden von gewaltsamen Konflikten, Kriegen oder Bürgerkriegen.

Pest, Cholera, Skylla und Charybdis, Neal Stephenson führt uns in die Mitte einer Landschaft gruseliger Dilemmata – sein Buch ist keine grüne Propagandaschrift, im Gegenteil, er lässt keinen Zweifel an dem dialektischen Spannungsfeld, in dem die Geschichte des Überlebens der Menschheit verhandelt wird. Dass er es überhaupt wagt, die in jeder Hinsicht bedrohlichen Szenarien auszuleuchten, ist die eigentliche Nachricht, und führt zu den Motiven des Autors: Nicht ob der Klimawandel eintritt ist die Frage, sondern was dagegen (überhaupt noch) unternommen werden kann. Und dass er den Umgang mit dem Klimawandel an dem Geheimprojekt eines „durchgeknallten Milliardärs“ durchspielt, sagt auch: politisch ist der Case ohnehin längst verloren! Stephenson geht einen Schritt weiter und führt in der Rahmenerzählung überwiegend solches Personal zusammen, das keiner politischen Logik oder Regierungsdisziplin verpflichtet ist.

Heisst nicht, dass er governementale Aspekte ignoriert. Im Gegenteil: Ein Premierminister, zum Beispiel, spielt seine Rolle, sichert seine Position (versucht es zumindest). Das immanente Machtkalkül entscheidet, nicht etwa eine Abwägung, was richtig wäre oder falsch. Ok, das buchen wir unter „erwartbar”; Stephenson führt uns dann aber auch in die Nähe jenes Augenblicks, in dem es jedem Grünen und engagiert Klimabewegten kalt um den Popo wird: wenn es zum „Snap around” kommt. In diesem sich weitgehend unter dem Radar anbahnenden Moment nämlich werden alle populistischen, autokratischen, rechten und sonstwie gruseligen politischen Splitter einen U-Turn hinlegen – es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig – und sich von ihrem Geschwätz von gestern distanzieren: Nachdem nunmehr endgültig bewiesen sei, (könnte dann der Presse erklärt werden), dass die herrschenden politischen Kräfte die dramatischen Folgen des Klimawandels nicht in den Griff bekämen, würden sich weitere Schäden vom Volk, der Nation und der Welt nur noch mit massiven geostrategischen Massnahmen bekämpfen lassen. Der Alptraum allen grünen Denkens.

Der Detailreichtum, über den der Autor in einem global ausladenden Spektrum von regionalen, politischen, sozialen und historischen Entwicklungen verfügt, ist Ursache für eine vorübergehend ermüdende Lektüre, deretwegen die Hörbuchfassung manchen Lesern womöglich entgegen kommt: die 26 Stunden sind, vergleichen mit den 1000 Seiten, relativ rasch weggehört; aus eigener Erfahrung jedoch weise ich darauf hin, dass in den Details auch jede Menge überraschende, teils sogar beglückende Beobachtungen und/oder Erkenntnisse lauern, über die sich das Hörbuch möglicherweise sanft rauschend hinwegbewegt.

Das Buch gibt Anlass zu einer zusammenfassenden Bemerkung:
Neal Stephenson führt vor, wie und worüber geredet werden sollte. Ihm gelingt das so spannend und unterhaltsam wie intelligent, so dialektisch wie unideologisch: Gegner wie Befürworter des Geo-Engineering profitieren von dieser Art Diskurs!

Das Niveau, auf dem die Fragen des Klimawandels bei uns diskutiert werden, erscheint im Vergleich geradezu fahrlässig und auf Realschullevel. „Es fällt uns Menschen offenbar schwer, in grösseren Zeiträumen zu denken.” Heisst es in einer 3Sat-Sendung (Nano vom 16.2.2024 – „NANO sucht nach neusten Erkenntnissen der Forschung und liefert tagesaktuell wissenschaftliche Hintergründe.”)

„… Nehmen wir einmal an, wir schaffen es, mit einer riesigen gemeinsamen Anstrengung die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Selbst dann wird der Meeresspiegel weiter steigen, allerdings wäre der Anstieg niedriger als etwa bei einer globalen Erderwärmung um 2 oder gar 4 Grad.”

Abgesehen von der tiefenscharfen Erkenntnisqualität der Aussage: Man fragt sich, wo diese Redaktion recherchiert und für welche Art grenzdebile Vollpfosten sie ihre Sendungen konzipiert. Selbst die Tagesschau weiss (am 8.2.2024), dass die 1,5 Grad bereits erreicht sind (für den kompletten Verlauf des Jahres 2023; … Klima behandelt l-a-n-g-fristige Entwicklungen, klar – aber welche Entwicklungen liessen uns annehmen, dass das Wetter hinter diese 1,5 Grad zurückfallen könnte?). Und, jajaja, eine Sendung ist natürlich nicht repräsentativ (in meiner Medienbeobachtung allerdings schon).

Und noch eine Beobachtung:
Immer öfter stelle ich fest, dass fiktionale Autoren (wie Stephenson, Suarez, Westerboer, Hillenbrand, Schätzing …) die notwendige gesellschaftliche Debatte über aufkommende Entwicklungen auf einem höheren und jedenfalls gewinnbringenderen Niveau bedienen, als der gesamte „Qualitätszirkus” der Medien. Mit nur seltenen Ausnahmen.

***

Ich hatte gesagt, dass die Lektüre meine Meinungsbildung beeinflusst hat. Ich will das nur andeuten, denn ich bin damit nicht fertig: dem Geo-Engineering stand ich vor der Lektüre mit gefestigten Vorurteilen gegenüber, deren gewichtigstes Argument in der kollateralen Unberechenbarkeit der Massnahmen begründet war. Das Buch hat dieses Vorurteil mit einem weiteren Argument gestützt: Was geschieht oder könnte geschehen, wenn ein einmal in Gang gebrachtes Geo-Engineering wieder eingestellt würde (was – btw. – in den Titel-gebenden „Termination Shock” führen könnte)? Jenseits der berechtigten Bedenken aber führt mich das Buch an eine andere Kante, an der ich schon länger herumstehe und in den Abgrund schaue: Glaubst Du ernsthaft, dass die Politik es richten wird?