Wirtschafts-Nobelpreisträger, schrieb mir die Woche: den Newsletter kann man kostenlos abonnieren. In der NYTimes hat Krugman eine Kolumne, die hinter der Paywall steht … VERMUTLICH ist die Kolumne dem Newsletter inhaltlich zumindest sehr ähnlich; aber da beide Kanäle nicht frei zugänglich sind, muss ich, um über Krugman zu reden, zuerst sagen, was er gesagt hat.
Paul Krugman – Recovery?
Die Zweite Welle
braucht einen Plan
Ein industriepolitisches Triage-Konzept ist nötig
Recovery
In seinem jüngsten Newsletter vom Mittwoch spricht er über die Chancen einer ökonomischen Wiederbelebung. Dies könne man relativ gut diskutieren, weil es, wie in der Epidemiologie auch, solide historische Erkenntnisse gebe. Sein wichtigstes Argument dabei ist, dass die Erkenntnisse über die Verläufe von solchen Erholungsphasen verschiedene Muster aufzeigen, je nach dem, welche Art Krise ihnen voran ging. Es sei ein erheblicher Unterschied, ob eine Krise durch ein „äusseres Ereignis“ ausgelöst würde, oder durch sozusagen „interne“ Fehlentwicklungen, wie etwa eine Immobilien- oder Technologieblase.
Was für ein Unterschied ist das? Krugman sagt, dass sich über die letzten Jahrzehnte zwei Formen der Wiederbelebung entwickelt hätten: bei äusseren Einflüssen sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass der Aufschwung nach dem Motto „morning in America“ verlaufe, nämlich nach der Krise auch der Arbeitsmarkt wieder in Schwung käme. Nach „internen“ Krisen dagegen sei es wahrscheinlicher, dass es zu einer „jobless growth“ käme, also ein Aufschwung ohne Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt erfolge.
Wenigstens historisch sei das belegbar.
Die Logik dieser Krugman-Argumentation ist ganz gut nachvollziehbar: Wenn „keiner was falsch gemacht hat“, kann man nach der Krise „so weiter machen, wie zuvor“. Bei krassen Fehlentwicklungen (Blasen …) müssen Fehler beseitigt werden; und diese „Fehler“ korrelieren in aller Regel mit Arbeitsplätzen.
Das Problem sei nun, jetzt wieder Krugman, dass diese Krise uneindeutig sei. Einerseits sei der Auslöser extern, andererseits
„A fast recovery, however, depends on having the pandemic recede. And that’s why the push from the Trump administration and its allies for a quick reopening of the economy is probably self-destructive.
…
So if we were patient and self-disciplined, we probably could eventually see rapid recovery. But “self-discipline” isn’t a term many people would apply to Donald Trump.“
In anderen Worten: der externe Auslöser könnte durch interne Fehler verschärft werden – was wiederum auf die Art der schwerlich prognostizierbaren Erholung durchschlage.
Damit endet Krugman.
So, so, könnte man jetzt sagen. Aha. Ach so. Na dann.
***
Ich dagegen glaube, dass damit das Argument noch nicht zu Ende ist. Im Gegenteil: es ist unentschieden – was soll der Leser jetzt tun oder denken? Es ist einfallslos – was, bitte, schlägt der Nobelpreisträger vor? Und das implizite „Warten wir’s ab“ führt in die falsche Richtung – denn NACHher wird der ökonomische Tsunami nicht mehr zu beeinflussen sein.
Ich verstehe den Autor – jedenfalls zum Teil: jede katastrophische Argumentation ist AUCH Mosaikstein einer selffulfilling prophecy. Dessen will Krugman nicht schuldig werden. Raunen aber ist dann auch eher kontraindiziert.
Der kritische Punkt, meine ich, ist eine ungleichzeitige weltweite UND lokale Entwicklung. Auch strenge und nachhaltige Selbstdisziplin (immer vorausgesetzt: kein Medikament und keine Impfung) wird kaum eine Nation vor den globalen Rebound-Effekten schützen können. Die Vorstellung, Personenkreise tracen zu können, mag in China funktionieren – und auch da vermutlich eher nicht. Gerade hören wir von Jilin, einer zweiten Millionenmetropole, die vollständig abgeriegelt wurde, wegen zwei Dutzend Infektionen. Und das trotz radikaler digitaler Kontrolle und 600 Millionen Kameras im Land.
Wenn es in einer in nichts eingeschränkten digitalen Diktatur nicht gelingt, mit radikalen Massnahmen das Virus still zu stellen, wie soll das in westlichen Gesellschaften gelingen, in denen Rechte und Freiheiten mit wenigen rationalen und zahllosen irrationalen Argumenten durch ein mediales Horrorkarussell getrieben werden?
Nichts dagegen, wenn ich mich irre, aber ich glaube, dass die Welt schier nichts vor einer zweiten Welle schützen wird, und am wenigsten das gross-gesellschaftliche Verhalten, wie wir es in den USA oder in Deutschland beobachten. Es sind zu viele Player im Spiel: der Kontrollverlust ist materiell, vor allem aber kommunikativ. Natürlich wäre es absurd, ein solches „sowieso“ im Sinne der Lockerungsapologeten auszulegen: Quatsch! Weniger Schaden ist besser als mehr Schaden, deswegen ist Disziplin unabdingbar. Sie wird nur nicht hinreichen. Und an der Stelle setzt nun das eigentliche Argument ein.
Deutschland, Europa, … die Welt MUSS mit einer zweiten Welle rechnen, die – neben dem Blutzoll – einen massiven ökonomischen Schaden induziert, der die Rezession der ersten Welle gleichsam ins Quadrat setzt. Die Sehnsucht nach einer raschen Rückkehr zum Status Quo ante ist verständlich, aber diese Rückkehr ist unwahrscheinlich. Die politisch-strategische Planung muss davon ausgehen und darauf aufbauen. DAS ist Politik. (Und wenn es nicht so kommt: umso besser! Dann wandern die Pläne nur in die Schublade; so what: ein Planspiel.)
Wenn ich König von Deutschland wär …
Diese Politik unterstellt also, eine zweite Welle – vielleicht im August, vielleicht im Oktober – führte zu massiven (globalen) volkswirtschaftlichen Zusammenbrüchen im vierten Quartal. Schätzen wir einmal (etwas gewagt, Zahlen liegen noch keine vor), bis zum Ende des Dritten Quartals wären 500 Milliarden ausgeschüttet, und die hätten – bis dahin – eine beeindruckende Liste von Insolvenzen verhindert. Dabei waren bis dahin kaum/keine Prioritäten erkennbar, so jedenfalls der Stand Mitte Mai: eine Diskussion darüber, wen diese Hilfen erreichen, hat bislang keine Steuerungsimpulse gesetzt. Wer die Hand hob, bekam Kohle; es scheint noch nicht entschieden, aber vermutlich auch die Automobilindustrie – und wahrscheinlich werden Dividenden und Boni auch nicht unterbunden (weil in 2019 erwirtschaftet und daher mit Ansprüchen besichert). Wie auch immer – dann, im Oktober, November, Dezember würde es richtig ernst – und die dann noch einsetzbaren Mittel wären endlich.
Das ist eine heikle Diskussion, aber vieles, von dem, was dann zusammenbräche, wäre die „maximalen Anstrengungen“ zur gut gemeinten Wiederbelebung nicht wert sein, weil es jene Wirtschaftsbereiche besonders hart trifft, die ohnehin historisch angeschlagen sind: die Kohlenstoffindustrie vorneweg, die Mobilität hinterdrein und jene Zombi-Unternehmen, die nur noch durch die zinsgünstien Kredite am Leben gehalten werden. Als Konsequenz der damit skizzierten Bedingungen ist also absehbar:
Was jetzt, hier, heute in der Planung ansteht, ist eine Guideline für die drohende industriepolitsche Triage – eine Notstandsplanung.
Da kommt natürlich sofort die Regel vom Teich und seinen Fröschen. Jeder Betroffene wird den Zynismus der Alternative verdammen, aber wenn nicht alle überleben können, sollten die knappen Mittel nicht an jene gehen, die ihren industriellen Lebenszyklus hinter sich haben! Es wäre nun auch nicht so, als wenn der Staat im Zuge dessen seine Unschuld verlöre: Die Treuhand hat exakt nichts anderes gemacht – und vielleicht würde man es diesmal sogar besser hinkriegen. Das macht aber auch die Dimension klar. Wenn, und bitte sehr: Szenario, wenn es denn soweit käme, welche Branchen sollen gerettet werden?
Derart harte Entscheidungen lassen sich nur dann rechtfertigen, wenn sie unmittelbar einhergehen mit einer echten Anstrengung – und zwar in einem regelrechten Manhattan-Projekt, um genau diejenigen Branchen zu fördern und zu treiben, die tatsächlich Zukunft versprechen – und tatsächlich Menschenarbeit erfordern.