Die FAZ-facebook Transition

Meine Filterbubble wird immer besser

25-05-2017
 

Ich bin gelernter Zeitungsleser, was eine relativ einsame Angelegenheit ist. Schon bei der morgendlichen Erstlektüre der „Bücher“ stellt das Medium jedes Sozialverhalten auf eine harte Probe. Und – es wird nach diesem Geständnis niemanden verwundern, dass mir der Zugang zu den „sozialen Medien“ schwere Prüfungen auferlegte.

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Wenn mich meine timeline nicht leimt, reichen meine ersten Versuche zurück in das Jahr 2010 und damit habe ich es nur knapp noch unter die ersten 500 Mio Nutzer geschafft. Über Jahre habe ich jedweden Nutzen bestritten, nicht zuletzt auch, weil ich mich dem BeNutzen schlicht verweigerte; desgleichen, Henne oder Ei, habe ich die „Gesetze“ nicht verstanden, weil ich mich schlicht um sie nicht geschert habe. Ich vermute, dass ich mit diesem Verhaltensprofil nicht allein war; in meinem Bezugsraum gab es zwei dominierende Verhalten: einerseits waren da die Netzwerker, die sich mit jedem „befreundeten“, der nicht bis drei zählen konnte … und dann gab es wohl auch meinesgleichen, eine Fraktion, die den Umgang mit facebook eigentlich eher „unter ihrer Würde“ befand; klaro: das war der interessantere Teil der ZeitgenossenInnen. 

Bis heute hat sich das gründlich geändert, halb zog es mich, halb sank ich nieder. 

Das fängt damit an, dass mein Leib- und Magenblatt, die FAZ, und nicht erst seit dem Tod von Frank Schirrmacher, einen qualitativen Niedergang erleidet, na klar: nicht zuletzt durch den Abfluss der Leser in andere Bereiche, durch die damit einhergehenden finanziellen Einschnitte und schliesslich durch die Trägheit der Entscheider (und zwar weniger das Management als die FAZ-Stiftung als Eigentümer), dem Rechnung zu tragen. Insbesondere durch den Verlust Schirrmachers, der menschlich möglicherweise Ähnlichkeiten mit Steve Jobs aufwies, als Zeitungsmacher und Denker jedoch geniale Züge hatte, ist der FAZ neben der Qualität (klein, klein, Schritt für Schritt) aber auch die Bedeutung verloren gegangen: sie war, so habe ich das erlebt, in ihrem MultiSpagat zwischen den zentralen Ressorts Politik-Wirtschaft-Feuilleton tatsächlich eine Zeitung für Deutschland, war selbstbewusst bis verstockt, missionarisch bis interventionistisch, kampagnen-fähig und Impulsgeber für zahlreiche, breit getreute Interessengebiete. In ihren Hochzeiten in den 1990er Jahren war sie zu Recht Leitmedium. 

Um die Funktion der Printmedien in ihrer Hochzeit korrekt zu umreissen, gehört zu dieser Beschreibung ein verbreitetes, stellenweise geschmäcklerisches Medienhopping: mal nahm man den Stern vom Kiosk mit nach Hause, mal das manager magazin, vielleicht warst Du Spiegel-Leser oder Du hast auch mal die Zeit gelesen, beigemischt wurden gelegentlich zeitgeistige oder populärwissenschaftliche Formate, vielleicht mal Tempo, mal den Falter aus Wien, vielleicht mal die Bild der Wissenschaft, psychologie heute, immer wieder mal die taz etc. Dieser Medienmix sprenkelte den Jahresverlauf mit verschiedenfarbigen Coloraturen und Stilen, Interessen und auch Pflichtübungen – wie etwa das Kursbuch oder gar das Konkursbuch.

Viele, die meisten Magazine, so sie noch leben, und sogar die Zeitungen sind auf facebook „irgendwie“ vertreten. Das Wie ist wichtig, denn es hat darüber entschieden, dass ich nicht hinschaue! 

Die Zeitungen besonders, aber auch viele der namhafteren Zeitschriften, haben einen Teil ihrer Existenzberechtigung aus „der Mischung“ gezogen, aus der Zusammenstellung der Themen, mit denen sie zugleich Erwartungen bedient, wie auch für Überraschungen gesorgt haben. „Die Entdeckung“, oder genauer: die „Art“ der möglichen Entdeckung, zugleich als Kunst wie auch als Art und Weise, war Profilierungswerkzeug, zuweilen sogar Alleinstellungsmerkmal. 

Es ist, meine ich, ein wesentliches Merkmal des Medienwandels, dass facebook genau diese Funktion übernommen hat. Das ist zunächst ein quantitatives Phänomen. Die Anzahl der relevanten, verführerischen, skandalösen oder erschütternden Links zu den verschiedensten medialen Formaten, die meine Peergroup täglich auf facebook bekannt macht, übersteigt nicht selten, eigentlich fast immer, mein Zeitbudget. Ich beobachte seit vielleicht einem oder zwei Jahren, dass dabei die Qualität der verlinkten Inhalte langsam aber kontinuierlich ansteigt; wobei: das ist auch eine Funktion des überbordenden Angebots und der dabei notwendig sich „verschärfenden“ Auswahl. Egal, – was bei mir ankommt, ist immer öfter VIEL besser, als das Zeitungserlebnis, das ich, wenn auch in abnehmender Frequenz, immer noch „aufsuche“.

Im doppelten Sinn befördert die Qualität der Empfehlungen das facebook-Erlebnis: Anders als bei der mir weitgehend unbekannten Redaktion einer Zeitung oder Zeitschrift, steht die Richtung und auch das Gewicht einer Empfehlung im direkten Zusammenhang mit dem verlinkenden Peer: den kenne ich (und sei es: „immer besser“), ich ahne, wohin es geht, wenn er/sie etwas empfiehlt, und durch unsere Bekanntheit oder unser Bekannt-werden akkumulieren sich die Empfehlungen Stück für Stück zu einer Qualität. Insofern „verbindet sich“ meine Peergroup immer häufiger und nolens volens zu einer „Redaktion“, die mir ein breites Spektrum von „vorgeprüften“ Hinweisen auf (gemessen am sonstigen Medienbrei:) ausserordentliche Qualitäten erschliesst, nämlich auf Formate, die meine Peers bereits überzeugt haben. DAS ist die Krise der Zeitungen, zumindest: Stand heute.

Und verschärft wird diese Krise durch „die Diskussion“. 

Es stimmt, vielleicht, wahrscheinlich, dass Hate-Speech und allerlei hässliche Auswüchse das facebook-Erlebnis kontaminieren (können): für MICH nicht. Ich erlebe das nicht, im Gegenteil. Immer öfter erlebe ich anhaltende, tief gestaffelte Diskussionen zu einzelnen Links, tatsächlich verstärkt sich bei mir der Eindruck, dass Diskussionen häufiger und auch qualitativ besser werden. Einschränkung: als „gesellschaftlicher Trend“ ist das bislang kaum relevant, in einem übergeordneten Sinn beklage ich eher den Mangel an Diskussionen, aber in meiner kleinen Timeline, das will ich sagen, ändert sich was. Und na klar, wo das nicht der Fall ist, schau ich auch nicht hin! 

Wichtig erscheint mir: dieses Diskussionsbedürfnis, diese Sehnsucht nach Auseinandersetzung und „relevantem“ Austausch ist deutlich zu spüren. Und es macht DEN entscheidenden Unterschied, ob der Leserbrief irgendeines Prof. Dr. Stanislaus Meckenbart aus Wenigerstadt seinen Weg in eine Leserbriefspalte findet („Wir behalten uns vor …“), oder ob ich und Du an dem Gespräch teilnehmen, dass sich gerade um diesen spannenden Issue entspannt. 

Allerdings entsteht hier auch ein besonderer Twist: die ganze link-Kultur hat (natürlich) wesentlich damit zu tun, dass „ich“ den Link (mit Ausnahme von ein paar wenigen Paywalls) kostenlos zur Kenntnis bekomme. Dieses Modell kann auf Dauer nicht gut gehen, denn früher oder später werden die Printmodelle notwendig kollabieren (sicher werden die Brands online überleben, eine Weile, wer weiss. Die Diskussion um AdBlocker macht dabei bereits die zweite „Front“ auf: Konsumer verweigern ihre Lebenszeit der Werbewirtschaft).

Möglicherweise wartet hier ein neues Geschäftsmodell – und bestimmt werden die traditionellen Platzhirsche es wieder versemmeln.