primus inter pares

Wie kommt die Idee in die Welt?

auf Umwegen 

01-01-2017
 

Wenn ich tief in mich hinein horche, so dringen von dort immer wieder die Echos eines Grundwiderspruches nach oben: Ich bin von Ideen überzeugt (im Sinne: es braucht ein Konzept, um etwas zu erreichen, es braucht Pläne, Strategien, Ideen, um die Welt zu gestalten), zugleich aber „glaube ich nur an Personen“.

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In der Sache müsste das kein Widerspruch sein, eigentlich, in der Praxis aber ist der schier unüberwindlich. 

  1. Die Idee ist rein, unschuldig, klar. Das mag sogar noch dann gelten, wenn ein Mensch sich der Idee annimmt, und sie vertritt, verteidigt, missioniert etc. Kritisch wird die Sache, sobald ein weiterer Mensch ins Bild kommt. Der findet (idealiter) die nämliche Idee sogar gut, aus xyz-Gründen jedoch wünscht er sich eine kleine Modifikation hier oder da. Das ist nur natürlich: der Eine ist besonders schnell, der Andere ist besonders gross (oder was auch immer), es gibt einen Unterschied, und der beeinflusst das Interesse. Nehmen wir an, die zwei können sich einigen, und die Idee nimmt keinen grösseren Schaden, es ging ja auch nur um Kleinigkeiten. Ok, kommt der Dritte, kommt der Vierte … wenn also eine Idee in eine Gruppe gerät, dann beginnt ihre Leidensgeschichte. Sehr fraglich, ob und wenn ja was am Ende von ihr übrig bleibt. Und so kommt es, dass eine noch so fein gesponnene, sauber differenzierte Idee auf ihrem Weg zum (Partei-, Vereins- oder Theater-)Programm auf ein paar Wachs-weiche Restbestände reduziert wird, Verallgemeinerungen grösstmöglicher Assoziationsbreite (Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit …).
  2. Die Gruppe ist kontaminiert, opportunistisch, schuldig. Die Gruppe macht überhaupt nur dann Sinn, wenn es eine andere Gruppe gibt, und – dem folgend – einen Interessenskonflikt. Die Gruppe als solche bewährt sich, in dem sie (nur) ihren Mitgliedern Vorteile verspricht und verschafft (und seien es relative). Um Vorteile zu erreichen, muss die Gruppe ihre Vorstellungen vereinheitlichen, sozusagen skalieren einerseits und andererseits fokussieren, sie muss ihre „Forderungen“ punktualisieren, slicen, erfüllbar machen. Die Mitgliedschaft in Gruppen ist an die Vereinheitlichung von Vorstellungen gebunden, für die - zum Beweis - Initiationsrituale durchlaufen werden (müssen). Niemand wird jemals in eine Gruppe aufgenommen, ohne den Gruppenpreis zu zahlen; dafür gibt es zahlreiche Abrechnungsmodelle (vom Mord in der Mafia bis zum Jahresbeitrag im Golfclub etc.). Mit dem Einzahlen des Preises geht auch das Recht auf Widerspruch verloren, jedenfalls mindestens in „zentralen Sachverhalten“, und in der Praxis in einem ganzen Regelkatalog. 
  3. Was nun die labile Balance zwischen der Gruppe und der Idee (für die sie steht) betrifft, so kommt es an dieser Stelle zu einem kommunikativen Phänomen, nämlich dass, der Skalierung geschuldet, in aller Regel alle nickend durcheinander brabbeln. Kakophonie, laut und unverständlich. Wenn aber eine Gruppe etwas erreichen will, so muss sie diesen ihren dezidierten Willen hörbar, lesbar, verständlich machen (können). Kultur-evolutionär überzeugte dann die Erkenntnis, dass es eine braucht oder einen, der/die das für die Gruppe tut, einen primus inter pares. In aller Unschuld. Anfangs.
  4. Eine weitere Erkenntnis folgt auf dem Fuss: dass der Primus sich als solcher bewähren muss. Schon in der Gruppe gibt es Neider oder Oppositionelle, aber auch nach aussen hin soll das zu Sagende auch die gewünschte Wirkung entfalten, sich durchsetzen, nein, genauer, durchgesetzt werden. Will der Primus also mit „einer Stimme“ für seine Gruppe sprechen, so bleibt ihm nichts übrig, als seine Gefolgschaft (!, plötzlich besteht die Gruppe aus Geführten und einem Führer) hinter dem vermeintlichen Gruppenwillen tatsächlich auch zu versammeln. Abweichler zermürben die Erfolgswahrscheinlichkeit. Und genau da wird es spannend.
  5. Denn ein Führer, und sei sie weiblich, die es allen Recht zu machen versucht, wird es keinem Recht machen. Das lernt er oder sie bald. Und reagiert. Zwei Möglichkeiten: Entweder er oder sie lügt die reine Idee und verspricht, was niemandes Widerspruch findet. Etwa: Glück und Reichtum, Gesundheit und Steuerfreiheit - für alle. Was möglicherweise undurchsetzbar erscheint, andererseits ein Angebot darstellt, das niemand ablehnen wollte. Diese Variante nennt man ein „zeitlich befristetes Mandat“ (;-). Eine zweite Möglichkeit besteht (nur) darin, seine eigene Gruppe hinter eine Idee zu zwingen, die weder der Mehrheit noch der Minderheit nach dem Maul redet. Die gelegentlich erfolgsverwöhnte Variante nennt man "Agenda", ein eigenes Programm, in dem die ursprüngliche Idee vielleicht noch als Vorwand herhält. Während also wabernde Fraktionen „nach links“ oder „nach rechts“ streben und sich nicht einigen können, entscheidet der Anführer: geradeaus! Nur so hat er eine Chance auf das notwendige, Macht-erhaltende „divide et impera“. Die meisten Anführer erarbeiten sich eine solche Position durch Unberechenbarkeit. Übrigens gibt es auch eine schwache Variante, die in aller Regel scheitert: man nennt sie "Kompromiss". 

Womit wir zurück wären bei meiner Eingangsposition: Ideen sind schön, doch Menschen müssen sie umsetzen. Und da Gruppen das nur mit und durch ihre Anführer hinkriegen, die dann aber ihren eigenen Weg finden müssen, „glaube“ ich nicht an Ideen, sondern nur an Personen.