APO-Phoenix
Christian Lindner hat es verstanden, seine Partei aus der Versenkung der Ausserparlamentarischen Opposition zurück in den Bundestag zu führen. Das ist eine beachtliche Leistung.
Racing, Jäger, StarWars
APO-Phoenix
Christian Lindner hat es verstanden, seine Partei aus der Versenkung der Ausserparlamentarischen Opposition zurück in den Bundestag zu führen. Das ist eine beachtliche Leistung.
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Zu den Mitteln und Methoden, die ihm dabei geholfen haben zählen eine programmatische Neupositionierung seiner Partei und eine Marketingkampagne, um diesen Neuanfang zu kommunizieren. Zentraler Protagonist des Programms wie der Kampagne ist Christian Lindner selbst (CL). Im Publikum ist im Verlauf der Eindruck entstanden: „…was da an Intelligenz, an Drive, an Ideen zusammenkommt, das war spannend …“ So ähnlich hat es Jochen Wegner, ChRed. ZEITOnline, formuliert, der, zusammen mit Christoph Amend, ChRed ZEITMagazin, einen fast dreieinhalbstündigen PodCast mit CL aufgenommen hat. Im Verlauf von 3,5 Stunden kommen viele Themen auf den Tisch, eines der zentralen jedoch ist (und bleibt) das WARUM! Wegner, der sich als Wechselwähler bekennt, spricht von seiner abgrundtiefen Enttäuschung, als Lindner am 20-XI-2017 den Abbruch weiterer Gespräche verkündet; diesen Abbruch habe er, Wegner, ihm, Lindner, bis heute nicht verziehen. „Kann ich nichts dran machen, war mir klar, dass das so kommt, musste ich in Kauf nehmen.“ entgegnet CL darauf kurz und gültig. Wegner ist „sprachlos“.
Vorbei, vorbei
Das war ein magischer Augenblick in der deutschen Geschichte. Die grosse Koalition zuvor hatte abgewirtschaftet und war abgestraft worden. Mit den Grünen und vor allem mit Lindner roch es nach einem möglichen Relaunch der deutschen Politik, mehr noch, mit Emmanuel Macron, nach dessen Sorbonne-Rede, wartete ein Partner ungeduldig in den Startlöchern auf die deutsche Politik, um auch im europäischen Rahmen eine neue Zeit zu beginnen.
Doch sogar historische Augenblicke können an Pferdefuss leiden, Altlasten und Konstellationen, die überaus heftig und entschieden im Weg stehen. Die Schwierigkeiten werden im Gespräch deutlich und glaubhaft: da ist ein der Panik nahe agierender Horst Seehofer, der fast mehr mit seiner Parteifreundin zu kämpfen hat, als mit den Koalitionspartner, doch halt – wenigstens mit den Grünen schon doch, auch. Mit auf dem Balkon stehen also die Grünen, die sich mit der Kanzlerin zu Bette begeben wollen, so aufdringlich und opportunistisch, dass sie nicht links und nicht rechts schauen, und mit Hofreiter, Göring-Eckardt und Özdemir von einem Führungstrio vertreten werden, deren Köpfe mit Ideologien verstopft sind. Ganz gleich, aus welcher parteilichen Perspektive wir auf das Geschehen blicken würden: Wir können uns die Schwierigkeiten solcher Verhandlungen sehr gut vorstellen: „Je länger es dauerte,“ sagt CL ungefähr, „desto geringer wurden die Gemeinsamkeiten.“ Ich glaub das sofort.
Allerdings steht dieser Satz Widerspruch zu anderen Sätzen in der unmittelbaren Nachbarschaft, in denen CL erläutert, dass „90% der Punkte ja bereits abgeräumt waren“, und zwar u.a. mit Hilfe der ministeriellen Kompetenzen, die die FDP aus den Ländern in die Gespräche hatten einbringen können (und die ... kleiner Seitenhieb, haha, ... den Grünen erkennbar gefehlt hätten). „In ganz vielen Fragen,“ sagt CL, „sind die Ziele zwischen den Parteien gleich. Aber die Wege unterscheiden sich.“ Und er entwickelt dann einen imaginären Verhandlungsgang, in dem es (beispielhaft) um das von den Grünen geforderte "sofortige" Abschalten von 9 Gigawatt Braunkohlestrom gegangen wäre, was in der Sache, so Lindner, „physikalisch“ unmöglich gewesen sei. CL hätte, sagt er, sich mit den Grünen auf die KlimaZIELE verständigen können, etwa, in dem man CO2-Emissionen konsequent einen Preis gegeben hätte, und, so das nicht hinreichen würde, mit Investitionen zum Beispiel in die Regenwaldaufforstung „wesentlich mehr hätte erreichen“ können, als wenn man, und das wäre ja die unvermeidliche Konsequenz einer Abschaltung gewesen, französischen Atom- und polnischen Braunkohlestrom hätte importieren müssen.
Nebelwerfer
Das Argument, wenn man einmal eine Weile darauf rumkaut, ist aber doch befremdlich. Man hätte ja die Braunkohle abschalten, nur französischen Strom importieren (der wäre immerhin weniger dreckig als der polnische – auch andere Regionen Europas würden Deutschland gern ihren Strom verkaufen; tatsächlich aber ist Deutschland Netto-Exporteur), und dann alle Kraft daran setzen können, diese Importe durch kluge Politik zu substituieren: Das wäre dann ein mindestens doppelter Effekt: Die Braunkohle wäre aus der Luft, CO2 bekäme einen Preis und die Mittel daraus würden in Erneuerbare Energien investiert.
Das Beispiel verdeutlicht CLs Geschick, seine politischen Überzeugungen oder Ziele zu maskieren: statt an die (nordrhein-westfälische) Braunkohle (die FDP regiert mit der CDU in NRW) die Axt anzulegen, greift er lieber allen CO2-Emmittenten in die Tasche (übergibt damit die Klimafrage „der Innovationsmaschine Markt“), und statt die heimische Energiewende zu subventionieren – wir erinnern uns: die FDP hasst Subventionen –, finanziert er lieber brasilianische Regenwaldprogramme. Wohlverstanden: inhaltlich könnte man auch darüber diskutieren – der Punkt ist, dass CL seine eigene Agenda vernebelt, um darauf hin anderen Ideologie vorzuwerfen.
Der eigentliche Jamaica-Knackpunkt aber, so sei es CL erst viel später klar geworden, habe sich bereits in einer Anekdote aus dem Jahre 2009 gezeigt: Denn in allen Konstellationen und über allen Themen wache eine risikoaverse und bewegungsunwillige Angela Merkel. So seien er und andere nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages in NRW im Bundestag zusammengestanden, als Merkel an der Runde vorbeikam. Auf Lindners Zuruf über die jetzt eingetretenen grossen Chancen, dass man nämlich nun an die echten Reformen im Land herangehen könne, habe Frau Merkel gesagt: „Ich werden schon aufpassen, dass ihr mir das Land nicht in Brand steckt.“ Frau Merkel, sagt Lindner, zieht "eine Wirbelschleppe von 13 Jahren" Politik hinter sich her, die es ihr (also: sie sich) nicht erlaube, etwas Grundlegendes anders zu machen.
Das erscheint – mir – plausibel. Gemessen an den Humor- und Intelligenzzeugnissen, die ihr von allen ausgestellt werden, die einmal mit ihr zu tun hatten, erscheint ihre Politik statisch, wo nicht versteinert, uninspiriert und ambitionslos. Aber wie grundlegend anders eigentlich wäre eine Politik mit CL? Der PodCast zeigt eine Reihe von Facetten in Lindners Persönlichkeit, die – in mir – Zweifel an seiner (in Ermangelung eines besseren Begriffes) "Modernität" aufkommen lassen; ja, es geht so weit, dass mir seine Relaunch-Kampagne wenigstens in relevanten Teilen wie ein Etiketten-Schwindel vorkommt.
In Lindners Welt ist der/die/das Einzelne frei, und wo nicht, soll ihm und ihr dazu verholfen werden. Das ist eine eigentümliche Sicht für jemanden, der über rhetorische Brillianz und analytische Schärfe, und, wie wir hören können, über eine gewisse intellektuelle, wenn nicht sogar philosophische Fundierung verfügt. Nun wäre eine ausführliche Diskussion darüber nötig, was Freiheit in einer globalisierten Welt eigentlich ist und insbesondere, wie etwa sich die Freiheiten von 8 Milliarden Menschen materialisieren könnten. Es wäre zu sprechen von existentiellen Sachzwängen und ökonomischen Kausalitäten und auch davon, dass gruppendynamische Prozesse und ordnungspolitische Notwendigkeiten von der Freiheit, bei Lichte besehen, kaum einen Pups übrig lassen. Nur: eine solche Diskussion erreicht einen CL nicht, der nämlich seinen Porsche fahren will, den er „mit selbst verdientem und versteuertem Geld“ bezahlt hat.
In diesem Argument ist der Porsche natürlich ein (polemisierendes) Reizwort; das steht aber auch für ein Freiheitsverständnis, dass sich nicht, und vom Staat schon gar nicht, regulieren lassen will. Und erst mit dem Porsche wird klar, dass die "Modernität" eines CL, die neonfarbigen Marketing-Sprüche einmal abgelackt, aus dem letzten Jahrtausend stammt und sich sein überkommenes Verständnis von "Liberalität" dort seamlessly mit seiner Rennlizenz, seinem Jadgschein und seiner „Starwars“-Vorliebe vereint. Die Digitalisierung, die CL predigt, wird der Markt schon richten: „Wir sind nicht mehr die Pro-Business-, sondern die Pro-Market-Partei!“
Abschliessend
Man hätte, und viele haben es getan, CLs Haltung beim Abbruch der Jamaica-Verhandlungen für Standhaftigkeit und eine gewisse Prinzipientreue halten können. Am Ende des dreieinhalbstündigen PodCastes kann ich nicht abstreiten, dass bereits in der personellen Zusammensetzung dieser Verhandlung eine schier unüberwindliche Hürde gelegen hat, und auch, dass die Amok-Agilität eines Horst Seehofer und das buddhistisch-stoische Ruhebedürfnis der Kanzlerin entscheidende Beiträge geleistet haben. Ein abschliessendes Urteil ist schwierig, weil diese Aspekte in CLs Entscheidung hereingespielt haben (müssen).
Mein Fazit ist aber ein anderes: es waren alte liberal-ideologische Baumstämme (-> 90% waren abgeräumt) ausschlaggebend und, was in meinen Augen der eigentliche Mangel ist, auch eine fehlende machiavellistische Kaltblütigkeit, die einer Einigung im Weg standen. Vorher ist man dümmer, aber könnte man die Entwicklung seither auf eine Jamaica-Koalition transponieren, so wären, bei gleichem Personal, am ([Konjunktiv1: Jamaica; Konjunktiv2: dessen Ende] vermutlichen2) Ende dieser Koalition nicht die Grünen als Sieger aus der Asche gestiegen, sondern die FDP. CL hätte über den Weitblick verfügen müssen – und wenn nicht er, so hätte es Kubicki sehen sollen –, nämich zu erkennen, dass im Zweifel nicht die FDP die Jamaica-Koalition ins Abseits geführt hätte, sondern Seehofer und Hofreiter: das ist das eigentliche historische Versagen der FDP.
p.s.: die Zitate aus dem PodCast vielleicht nicht ganz wörtlich – ein Transkript gibt es nicht –, aber, hoffe ich, dem Sinn nach richtig.