Über die Revolution

Hannah Arendt und Carlo Schmid

ein Radiogespräch von 1965

26-11-2018
 

Gespräche dienen dem Austausch; Du sprichst, ich folge Dir – ich sag was, Du hörst mir zu. Altertümelnde Vorstellung, das.

Hannah Arendt versus Carlo Schmid, SPD. (Bilder Wikimedia Commons)

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Wobei „damals“, also in der Zeit, in der „alles besser war“, war es auch nicht besser. Das magst Du mit Gewinn und Amühsemang beim Hören eines „Gespräches“ bestätigt finden, das der Bayerische Rundfunk ausgegraben und letzthin noch einmal gesendet hat. Carlo Schmid, SPD, leicht mit Carl Schmitt zu verwechselnder Staatsrechtler (deswegen das o im Namen), sprach mit oder gegen Hannah Arendt. Beschämend amüsant, wie der Carlo der Hannah ständig in die Parade brabbelt, ihr die Rede torpediert und es mit grosser Höflichkeit verhindert, das sie ihren Gedanken zu Ende bringen kann. Köstlich deprimierend, wie die Hannah versucht, mit allerlei Zustimmungstricks und „jaja’s“ dem Carlo seine Schrotreden abzuschneiden.

Nein, Verständigung war nie einfach.

Das ist dann auch im Verlauf festzustellen, wenn es nicht mehr um Form und Durchsetzung der eigenen Rede geht (hach: dieses bebende Pathos und distinkt-manierierte Reden, mit dem beide versuchen, bedeutend zu tönen: wer traut sich das denn heute noch?), sondern um den Inhalt: bei Lichte betrachtet spricht Frau Arendt wie vom Mars der Revolutionen, während Herr Schmid, SPD, über den Mond und die Mühlen der Ebene parliert. Nur angelegentlich bemerken beide, dass ihre Gesprächsgegenstände etwas gemeinsam haben: ach ja, es sind Himmelskörper.

„Das Recht auf Revolution“

Frau Arendt hatte „Über die Revolution“ ein Buch geschrieben (laut ZVAB: 1963), von dem, etwas widersprüchlich, der Bayerische Rundfunk angibt, dass es 1965 auf deutsch erscheinen sei; wie auch immer fand auch dieses Radiogespräch vermutlich ungefähr damals statt. Das Buch behandelte die Bedingungen und Folgen von Revolutionen, insbesondere der französischen, die sie mit der amerikanischen verglich. Frau Arendt bemühte sich redlich, einige der Kernthesen des Buches auch in das „Gespräch“ mit Herrn Schmid, SPD, einzubringen: Schwerstarbeit. Frau Arendt wollte darlegen, dass sich in der Revolution der Wille des Volkes manifestiere, keine Herrschaft haben zu wollen, während es dem Herrn Schmid, SPD, eher darum zu tun war, festzuhalten, dass sich das Volk nach Regeln sehnt. Feinsinnig dabei der Unterschied, wenn Frau Arendt den Menschen gleichsam als Exekutor vor oder besser noch hinter die Klammer eines Herrschaftsbegriffs zu platzieren sich bemühte, während Herr Schmid, SPD, festhielt, dass auch Regeln von Institutionen ausgeführt werden, die lediglich dadurch „de-personalisiert" werden, dass sie jetzt „den Staat“ repräsentieren. Aus Gründen der Höflichkeit aber wollte keins von beiden die gegenüberliegende Position allzusehr diskutieren, und so hatten die Zustimmungen zwischendurch ungefähr den Charakter, die „und’s“ oder die „oder’s“ zu loben, oder irgendeinen Namen, Revolutionäre oder Philosophen, durch nachplappern selbst auch als „bekannt“ zu markieren und ähnliche Spielchen.

Das alles zu hören hat vom Charme des Rückblickens, des Kopfschüttelns, des Schmunzelns. 

Immerhin wussten beide von ihren jeweiligen Planeten mit Hinweisen zu berichten, die auch heute noch interessieren mögen, jedenfalls jene, die den „Begriff der Revolution“ noch nicht vollends in der technologischen Geschäftswelt untergegangen vermuten. Was das wohl mal gewesen war, eine Revolution? Eine offenbar historische Frage. 

Auffällig zunächst ist, wie sammetweich die Gesprächspartner den Begriff anfassen: es gehe um eine Umwälzung von unten nach oben, um einen Fortschritt hin zu Menschlichkeit und Vernunft, und das Volk nehme sein Schicksal selbst in die Hand, um radikale Veränderungen (in) der Legitimität von Herrschaft zu manifestieren. Dass bei solchen Volksvergnügungen die Strassen in aller Regel mit Blut gewaschen werden: es kam gesprächsweise nicht vor, halt, am Ende doch noch, aber erst in der Gestalt des Terrors hernach. Die Revolution, von der hier die Rede war, dünkt uns vor allem als ein theoretisches Thema: und, übrigens, keine solche liege vor, wenn nur eine Herrschaft oder herrschende Klasse durch eine andere ersetzt würde. 

Die Frage sei, wenn man die französische mit der amerikanischen Revolution vergleiche, ob sie auf das Recht als ein Institut abziele, etwa in der Erklärung der Menschenrechte, als Ausdruck einer „Volontée générale“, oder auf das Gesetz, das durch den historischen Flow (äh, mein Wort) des Willens jederzeit geändert werden könne. Die Revolution ziele, so Arendt, auf die Freiheit, und zwar auf eine äussere Freiheit des Handelns, im Gegensatz zu der inneren Freiheit in den eigenen vier Wänden, wie sie auch dem Untertan eingeräumt würde: es sei eben nicht, ergänzte Schmid, SPD, mit der Würde des Menschen vereinbar, dass man sich lediglich als „Mündel eines guten Vormundes“ einrichte.

Schmid, SPD, spricht sich für eine Freiheit „zum Staat“ aus, in dem man die Lebensformen, mit denen man sich umgibt, selber verantwortet. Deswegen, sagt Arendt, sieht eine Revolution am Anfang auch eher aus wie eine Restauration. Die meisten Revolutionen hätten zu Beginn lediglich eine „Rückkehr zum Recht“ im Sinn gehabt, eine Abwehr herrschaftlicher Übergriffigkeit (jaa, ertappt). Noch zu Beginn der französischen Revolution seien sie doch alle Royalisten gewesen, selbst Robespierre! Um aber in dieser Abwehr erfolgreich zu sein, musste sich das Volk organisieren, musste kommunizieren und bildete so eine Öffentlichkeit, in der nicht mehr nur die ursprünglich restaurativen Zwecke zur Sprache kamen, sondern mit einem Mal auch das Reich der Möglichkeiten. In diesem, jetzt offenen Gelände aber gab es mehr als nur jene Möglichkeiten zum Guten hin; wenn Du die bestehende Ordnung in Frage stellst, sie delegitimierst, kann auch etwas sehr Unerwünschtes dabei rauskommen, Chaos, Anarchie, keine Ordnung – und eben daher verbanden sich die revolutionären Impulse in allen Zeiten rasch mit dem Wunsch nach einem Regelwerk, einer Verfassung, einer Konstitution – ein Katechismus! verbessert Schmid, SPD. So eine Verfassung aber, sagt Schmid, SPD, kommt „leichter“ zustande, wenn man sie auf dem tabula rasa beginnen könne, und nicht in einem gefügten und verkeilten Raum.

Wesentlicher Unterschied zwischen der französischen und der amerikanischen Revolution sei die „soziale Frage“. Hannah Arendt sieht in der französischen eine Befreiung der Armut, nicht unbedingt „aus der Armut“, aber immerhin wurde die Armut, "les malheureux", "les misérables", zum Gegenstand der Öffentlichkeit: „La république, la monarchie, je ne connais que la question sociale.“ (Robespierre) Jetzt gilt die Befreiung von der Armut als conditio sine qua non der Freiheit  – in der amerikanischen Revolution dagegen habe es diese soziale Frage nicht gegeben. Revolutionäre, so Hannah Arendt, gebe es ja erst seit, oder richtiger, seit nach der französischen Revolution, und dieser „Typus“ orientiere sich ausschliesslich an der französischen. Doch auch der Begriff des Sozialen habe sich geändert, nämlich von einer Bezeichnung der Gesellschaft hin zu einem Begriff der Wohlfahrt, demzufolge jeder ein Recht auf die subsistentiell notwendigen Mittel habe (schon bei Marx stand das BGE zwischen den Zeilen). Wohlfahrt sei so zu einem Kriterium der Richtigkeit des Staates geworden.

Mit der russischen Revolution ändert sich das Bild vollkommen:

„Elektrifizierung und Sowjet-System“

so hatte Lenin das Ziel der Revolution beschrieben, und damit die Freiheit und den Fortschritt einem Rätesystem anheim gegeben, nämlich … der Partei. Alle Revolutionen etablierten sogleich die Republik wie auch die Räte, plural, als die Vertreter des Volkes, zugleich im Sinne der Gewaltenteilung, und die Bürger haben Zugang sowohl zu den Räten wie auch zu einer solchen Position (theoretisch, wie wir heute wissen). Und, einmal dahin gelangt, würde das Volk diese Errungeschaften niemals einer Diktatur preisgeben; damals, sagt Schmid, SPD, habe man noch Grund gehabt, optimistisch zu sein. 

Zuvor mochte die Revolution noch die Reform des Staates im Sinne der Wohlfahrt des Volkes anstreben, doch im Zuge der russischen Revolution erwies sich das Ancien Régime dazu als komplett unfähig. Wohlfahrt jedoch, das war zu allererst Arbeit, bevor die zur Last geworden war.

Wer der Freiheit zum Durchbruch verhelfen wollte, musste, im marxistischen Sinne, die Arbeit, in der immer auch die Selbstverwirklichung als Sinngebung enthalten war, von der Mühsal befreien. Wirklich lösbar würde die(se) soziale Frage daher nur durch die Technik, nicht etwa durch den Klassenkampf. Und dann, dachte Marx, würde auch die Arbeit als solche nicht mehr nötig sein. „Der Sklave der Zukunft“, sagt Schmid, SPD, „ist der Computer.“ [Padauz! 1965!!]  

Wer aber sei das Subjekt des Politischen und damit der Revolution: nicht die Mehrheit, sondern eine politische Klasse, die sich immerhin aus allen Schichten der Gesellschaft rekrutiere: La Classe Politique, die die Leidenschaft habe, ihr eigenes Dasein mit dem des Staates zu identifizieren. Diese Klasse allerdings nähme ab, stürbe aus, an ihre Stelle träten die Manager, die Technokraten (ohne die es nicht geht, deren Messgrösse aber die Funktion ist, und nicht die Freiheit). Das, sagt Arendt, wäre das Ende der Revolution, das Ende auch des Politischen; ihr Bestreben sei es, das Wort Revolution zu rehabilitieren. Allerdings gehe die Revolution immer am Terror zugrunde. Sie fresse ihre Kinder, weiss Schmid, SPD, zu berichten. Das müsse sie aber nicht!, sagt Arendt, genau das sei das falsche Erbe der französischen Revolution.

Am Gesprächsende liegt die unterschiedliche Disposition der beiden auf dem Tisch. Eben noch will Frau Arendt die Revolution als Möglichkeit zu handeln retten, da endet Schmid, SPD, mit einem Schluss-Sermon, in dem Revolutionen heute, hier in Europa, allenfalls zerstörerisch wirken könnten; dass man sich aber nie damit zufrieden geben dürfe, das ist, was ist. „Die Utopie ist eine Voraussetzung dafür, dass die Menschheit nicht verfault.“ 

Das, erstaunlicherweise gelingt es Arendt ihrerseits noch einen Schlusssatz dahinter zu quetschen, sei zwar gegen die Revolution gesprochen, aber immerhin für den revolutionären Geist.

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Jaa, eine längliche Zusammenfassung, da könntest Du Dir natürlich auch gleich das Original anhören; mir erging es, als würde ich von einem blutrot funkelnden, alten Wein berichten, von einem in (guter?) Erinnerung gebliebenen Sterne-Menue: es hat so einen Spass gemacht, die Worte und Gedanken noch einmal nachzuschmecken, so eine traditionelle Küche ist ja heute nirgends zu finden. Gleichzeitig, und deshalb hat der Wein diesen schalen Abgang und das Sterne-Menue ist kalt geworden, sprachen und sprechen die Philosophen zu allen Zeiten zu ihrer Zeit. Diese Wiederbelebungsversuche, wo sie nicht nur ökonomischem Kalkül folgen (was wir dem BR natürlich nicht vorhalten könnten!), haben immer auch einen nostalgischen Pferdefuss. Die Bedingungen haben sich geändert, da kann man Frau Arendt wert schätzen, wie man möchte: Oft genug hat diese Art Retrosophie etwas Salonrevolutionäres, in Fehlfarben falsch plakatiert, eine Ablenkung.  

Allein der Gedanke, dass eine Revolution „etwas positives“ sei, ist doch kaum noch zu denken; dann geht es aber sogleich auch um die Motive. Wofür könnte wer sich heute in die Waagschale werfen? Da gibt es ein klammheimliches Junktim: so wenig, wie es für eine Revolution eine auch nur in Ansätzen hinreichende Überzeugung gibt, so wenig gibt es sie für einen Krieg. Sterben wofür? Man könnte sogar sagen: für eine existentielle Überzeugung reicht es nicht mehr. Zu viel, zu satt, zu bunt, es ist alles da. Und Gott ist tot. 

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Und eben kommt mir noch ein Gedanke: der Terror. Die Revolution, die ein Umsturz ist, kann nicht zimperlich sein. Ist sie aber vollzogen, sucht sie Bestand, will sich sichern. Nach der Revolution braucht es Gefolgschaft! Dann aber sind jene, die es schon einmal gewagt haben, Risiken! Die Revolution frisst ihre Kinder, weil die wissen wie's geht! Sieht man es aus der Perspektive der Revolution ist, der Terror eine notwendige Überlebensbedingung.