Ich war versucht, unter der Überschrift „Ein Abgrund an Landesverrat" einen weiteren „Nachtrag“ zu meiner Ken Follett-Empfehlung zu schreiben. Die öffentlichen Aussagen des Inspekteurs des Heeres, Alfons Mais, nach denen die Bundeswehr „mehr oder weniger blank da“ steht, hatten mir neuerlich die Sprache verschlagen; neuerlich, denn die losen Reden von Politikern, Entscheidungsträgern, Lobbyisten oder Journalisten, die seit über einem Jahr über den Zustand der Bundeswehr verbreitet werden, halte ich vor allem dann für unverantwortlich, aber auch für politisch-strategische Dummheiten, wenn sie denn zuträfen.
Unprecedented – Olaf Scholz' Rede
DefCon 2
Nachtrag zu Ken Follett, 27-II
Ein Abgrund an Landesverrat
Aufgrund dieses Vorhabens, habe ich mich mit in Ansätzen zur Kommentarlage und Finanzierung der Bundeswehr beschäftigt. Dabei ist deutlich geworden, dass strukturelle Probleme und politisch-ökonomische „Interessenkonflikte“ im Hintergrund dieser Debatte toben. Beispielsweise gibt diese Quelle Auskunft darüber, dass die Bundeswehr über rund 130.000 Offiziere und Unteroffiziere verfügt und über 46.000 Mannschaften. Man muss kein Militärexperte sein, um bei diesen Zahlen die Stirn in Falten zu werfen. Auch die Organisation des Beschaffungswesens erscheint, folgt man der Berichterstattung des NDR-PodCast „Streitkräfte und Strategie“, leicht untersortiert. Bei der Ausschreibung des „fehlenden“ schweren Transporthubschraubers lagen alle Angebote soweit über dem Etatansatz, dass die Ausschreibung wiederholt werden musste (offenbar waren die Marktpreise nicht bekannt). In der politischen Diskussion (man könnte mit einigem recht auch von einem Frontverlauf reden) geht es um die Anschaffung eines Nachfolgeflugzeuges für den Tornado. Hier favorisieren die Franzosen ihr integriertes F-KAS-Projekt, während „ganz Europa“ mit der amerikanischen F35 fliegt (die Bundeswehr aber den Ankauf des veralteten F18 geplant hatte). Dass das Ministerien der Verteidigung sich auf Standorte in Bonn und Berlin verteilt, lässt sich auch nur damit erklären, dass niemand eine effektive Militärverwaltung für notwendig erachtete (von Effizienz nicht zu reden).
Die laufenden Ereignisse haben meine Überlegungen überholt.
Auch jetzt überschlagen sich die Kommentare, und es steht zu befürchten, dass diese Zeilen ebenfalls vom Zahn der Zeit verfrühstückt werden, bevor ich sie ordentlich ausformuliert habe.
Die Planungen der Ampelkoalition der zurückliegenden Wochen und die Entscheidungen der letzten 48 Stunden, die mit der Regierungserklärung des Kanzlers am Sonntag offiziell geworden sind, haben die öffentliche Kakophonie beendet, zumindest haben sie ihr den Sauerstoff entzogen. Vier fundamentale Entscheidungen verändern zumindest die innenpolitische Landschaft: Die Swift-Sanktionen, die Waffenlieferungen an die Ukraine, das Sondervermögen und die resultierenden Investitionsentscheidungen (u.a. für die F35) sowie die Aufstockung des Bundewehretats „dauerhaft über 2%“. Mit diesem Massnahmenpaket hat die Regierung eingelöst, was sie seit Beginn der Krise formuliert hat: „Alles liegt auf dem Tisch.“ Mit den Entscheidungen und dieser ungeheuerlichen Rede hat der Kanzler auch den sabbernden und quengelnden Journalisten Bescheid getan, die eins ums andere Mal mit ihren „Fragen“ und „Forderungen“ selbst Politik machen wollten.
„Oft kam die Regierung in der Russlandkrise einen Schritt zu spät. Jetzt hält Olaf Scholz eine revolutionäre Rede und führt das Land außenpolitisch auf die Höhe der Zeit.“ Ferdinand Otto
Am 20. Februar habe ich kommentiert: „In anderen Worten: ökonomische Sanktionen haben längst eine militärische Natur.“ Die unmittelbare Antwort Putins auf die Rede des Kanzlers (die selbstverständlich auch im Verbund der anderen NATO-Reaktionen zu lesen ist, nicht zuletzt gegen die russischen Auslandsvermögen), stützt meine Diagnose: „Russlands Präsident aktiviert die Bereitschaft von "Abschreckungskräften", dazu gehören Atomwaffen. Grund seien das "aggressive Verhalten" der Nato und die Sanktionen.“
Eskalation ist das Wesen der Eskalation.
Ich, und ich glaube „man“, ich kann nicht anders, als dem Kanzler zuzustimmen. Ich gestehe, dass mir bei den Waffenlieferungen in die Ukraine mulmig ist, aber nicht aus moralischen oder pazifistischen Gründen, sondern weil ich keine Chance sehe, dass die Ukraine dem entfesselten Willen Wladimir Putins widerstehen kann. Ich halte es für ausgemacht, dass die erste Atombombe, so sie denn eingesetzt wird, Kiew treffen wird – und würde das geschehen, wäre es auch das Ergebnis der Verteidigungsfähigkeiten der ukrainischen Armee. Aber auch unterhalb der Schwelle des Atomkrieges sind konventionelle Kämpfe nur ein anderer Begriff für einen anwachsenden Blutzoll, für Tod und Leid.
Wenn ich also dem Kanzler zustimme, so muss ich mir darüber im Klaren sein, dass ich damit auch der Logik der Eskalation zustimme. Mein ganzes Leben lang habe ich, wie andere Leute die Bibel, immer wieder Michel de Montaigne zur Hand genommen; bei ihm heisst es: „Philosophieren heisst, sterben lernen.“
Nur Mut!
Es hätt noch immer jot jegange.