… wir wollten weiter denken …

taz-lab Kongress 2024

Die Theorie der Praxis

 

100 Gespräche lassen sich kaum zusammenfassen, ohne dass Wesentliches unter den Tisch fällt, und selbst meine Auswahl (10 Podien/Stunden) war breiter und ausführlicher, als es sich sinnvoll berichten lässt. Ich will auch nicht berichten – das macht es schwierig für jene, die nicht dabei waren – ich will bewerten, meine Eindrücke zusammenfassen.

Die Zukunft – zu anstrengend

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Unter dem Motto „Alles Osten. Oder was?” veranstaltete das taz lab am Samstag, dem 28. April,  einen Kongress. Das Programm ist hier einsehbar: Es waren knapp über 100 Panels auf 13 Bühnen, die im taz-Haus, im Frizz-Forum und im Besselpark stattfanden; das Wetter war gnädig, man konnte es draussen gut aushalten. Der taz-lab-ticker dokumentiert den Verlauf des Tages. Wer ein Ticket kauft oder gekauft hat, kann eine Auswahl von rund 50 Veranstaltungen noch für ein Jahr lang in der Mediathek anschauen.

Selbstironisch berichtet die taz: „Ein Kirchentag für Linke”.

Erwartungsmanagement
Seit einiger Zeit beziehe ich „FuturZwei” im Abo, das Quaterly des taz-Lab. In aller Regel finde ich hier wenigstens ein oder zwei Texte je Ausgabe, die den Bezug rechtfertigen; häufig sind Harald Welzer oder Peter Unfried beteiligt oder deren Urheber, und sie sind auch die Köpfe, die den Geist des Magazins prägen. Unfried, so habe ich es gebucht, ist der, der weiss, wie und mit wem man gerade sprechen sollte, Welzer dagegen setzt den Kammerton, wenn es darum geht, worüber man sprechen sollte; naja, garantiert teilen sie die Lorbeeren. Beide, so scheint es mir, ergänzen sich darin, „den Diskurs” des Landes voran – und auch in die richtige Richtung zu treiben. Das in etwa umreisst denn auch meine Erwartungen an den diesjährigen Kongress, wenn gleich … ich durchaus verstanden habe, dass andere, darunter Jan Feddersen als Kurator, mit am Programm gestrickt haben.

Mein hauptsächlicher, oberster Eindruck ist traurig: der Kongress hat mich nicht weitergebracht – oder, um es weniger negativ zu formulieren, er hat mir eine Reihe kleinerer Erkenntnisse vermittelt, die mehr im Kultur-kritischen als im Politischen angesiedelt sind. Das ist deswegen unbefriedigend, weil grosse politische Fragen im Raum stehen – allen voran das Klima, allem hinterher der Krieg –, und das kulturelle Klein-Klein, das Identitätsgedöns und sogar die Ost-West-Debatte im Vergleich dazu lässlich erscheint.

Anregend empfand ich das Gespräch Neubauer/Alexander/Unfried, das unter der Frage „Das grosse Ja?” stand. Das war eine gute Frage: Die taz, die Linke, das versammelte Milieu kennt sich im „Nein!”-sagen aus. Nun kam es mit der Regierungsbeteiligung der Grünen jedoch zu einem radikalen Umschwung: Jetzt soll es der Staat – vormals als Schweinesystem gebrandmarkt – jetzt soll es ausgerechnet dieser Staat richten.

Dieses „richten” – man erwartet eine lange Liste von erledigten, zumindest zu erledigenden Aufgaben – erweist sich als system-strukturelle Modelpackung: es sind ja vor allem Worte. Es gehört zur Geschichte eben dieses Milieus, dass alles Handel im Denken, Reden und Schreiben stattfindet (… der werfe den ersten Stein: das beschreibt auch meine eigene Position) … Es mag sehr wohl einen tätigen Teil dieses Milieus geben, der konkret Hand anlegt und ökologischen Landbau betreibt oder Solaranlagen konzipiert, aber komm, die Durchführung, jaja, muss sein, aber, ehrlich gesagt, wichtiger ist doch die Kommunikation. Robin Alexander formuliert es so:

„Demokratische Führung ist, etwas zu tun – und den Leuten den Eindruck zu geben: das ist das, was sie wollen, obwohl es das ist, was sie sollen. Mehrheit ist nicht Wahrheit.”

Bemerkenswert an diesem Satz ist, dass die 3 Worte „etwas zu tun” von 27 Worten geframed werden, die dieses Tun in die Gesellschaft einbetten sollen. Hier geht es um ein grundsätzliches Schisma allen politischen Handelns: „Schreiben ist nicht Handeln!” sagt Alexander; doch, sagt Neubauer, seine Kontrahentin: „Reden ist Handeln.”

Genau diese Antinomie zog sich durch mehrere (meiner) Panels: Armin Nassehi, auf einer anderen Bühne, sieht seine Aufgabe darin, die Gesellschaft zu beschreiben; er nennt die Zielkonflikte und weist darauf hin, dass „stabil ist, dass man Entscheidungen treffen muss, deren Wirkungen man nicht vorhersehen kann. Stabil sind die Logiken.” Lösungen für die beschriebenen Probleme zu finden, sieht er nicht als seine Aufgabe. Harald Welzer, wieder ein anderes Panel, wünscht sich eine radikale Begriffsarbeit, um all den Müll aus all dem bullshit-Bingo herauszukehren: in „FuturZwei” hatte er (zum gleichen Thema) bereits vorgeglüht:

„… die Substitution von Eingreifen und Handeln durch virtuoses Jonglieren mit halbgaren Begriffen und »das-geht-ja-gar-nicht« bedienen wir natürlich auch gern, ohne uns über die faktische Folgenlosigkeit unserer hübschen Anstrengungen Rechenschaft abzulegen.”

Damit bin ich bei einer meiner mehr kulturellen Einsichten: Nein, nicht dass Politik kommunikatives Handeln ist. Das habe ich schon öfter konstatiert.

Sondern dass dieses kommunikative Handeln ungenügend ist, das ist der Punkt; es ist rituell und fast ausschliesslich Vergangenheits-bezogen. Wenn man schon bei der Einsicht angekommen ist, dass man vermitteln muss, was geschehen soll, so ist doch das, was geschehen soll der eigentliche Dollpunkt! Und an eben jenem Punkt: Wie soll das gehen? Welche Gesellschaft? Welche Ökonomie? Wie organisieren, was Ulrike Herrmann – anderes Panel – fordert? Sie, Frau Herrmann, formuliert die ökonomische Schrumpfung (Ziel minus 50% – das entspräche in etwa dem Lebensstandard von 1978) zum Pflichtprogramm, verweist, wie schon in ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus” auf die britische Kriegswirtschaft, in der etwas ähnliches gelungen sei, und erklärt dann, auf die Nachfrage des Moderators: „Nö, glaub ich auch nicht, dass das passiert.” Das ist das Dilemma.

Eine belastbare ökonomisch-politisch-soziale Erzählung davon, wie die Gesellschaft aussieht, die den ökologischen Anforderungen gerecht wird, gibt es nicht, geschweige denn einen Blick auf den kritischen Pfad, der von hier nach dort führt, ohne dass der dünne Firniss unserer Zivilisation aufplatzt und die hässliche atavistische Fratze alles Menschlichen zum Vorschein kommt. Statt dessen – beinahe noch hoffnungsloser – begnügen wir uns mit Forderungen, an deren Einlösung wir nicht glauben können.

Möglicherweise könnte Robert Habeck dazu einen Beitrag leisten, das intellektuelle Profil dazu hätte er. Doch der promovierte Philosoph hat sich aber für die praktische Politik entschieden und verlegt sich darauf, die Kompromisslinie zu halten, diesseits derer wenigstens etwas ins Werk gesetzt werden kann, wenn auch nicht wirklich das Nötige. Ich verstehe, dass ein Politiker vor allem auf jene Positionen blickt, die nicht dem Streichkonzert zum Opfer fielen. Und ich kann ihn nur bewundern, wenn er – bezogen auf die Ampel – „das Spiel noch nicht verloren” gibt, obwohl er doch sieht und auch einräumt, dass die Rezeption der Regierung in den Medien für diesen Optimismus keinen Anlass gibt. Ich kritisiere ihn aber auch, trotzdem. Habeck weiss: „Die Verwendung der Begriffe prägt unsere Wirklichkeit.” Aber er treibt die Begriffe nicht voran. Das geschieht auf dem ganzen Kongress nicht – nicht soweit ich hingeschaut habe. Die Diskutanten arbeiten sich am Gegebenen ab, die Zukunft, die Arbeit dahin, diesen Eindruck werde ich nicht los, ist ihnen zu kompliziert.

Für diese Zukunft steht in meinen Augen ehestens Luisa Neubauer. Sie ist Aktivistin, nicht Theoretikerin, insofern fordere ich von ihr auch nicht die gesuchte Zukunftserzählung. Wenn ich sie richtig interpretiere, folgt sie dem Beispiel von AOC und ist bereit zu ideologiefreien Allianzen, wenn in und mit ihnen das Richtige erreicht werden kann (leider: könnte, sie beklagt das). An ihr gefällt mir besonders, dass sie klarsichtig die Fehlfarben des politischen Handelns nachzeichnet und in der Kritik kein Blatt vor den Mund nimmt – auch nicht mit Rücksicht auf ihr Gegenüber Robin Alexander, der die Bildzeitung – als „für den Bauch” zuständig – zu verharmlosen versucht; ihre Dialektik ist praktisch. Während Robin Alexander bei der (notwendigen, das sieht er wohl auch) „Veränderung der Gesellschaft” gerne langsamer machen möchte, weil man den Leuten ansonsten zuviel zumute; nämlich mit den sichtbaren Schäden in der politischen Landschaft. Dagegen fragt Frau Neubauer, was denn – ausser mal mehr, oft weniger radikalen Parolen – man ihnen, den Leuten, ökologisch tatsächlich schon zugemutet habe und in welchem Verhältnis das zu den dramatischen Forderungen des Notwendigen stehe?!

Die Zukunft, leider in ihrem dunklen Weltuntergangsoutfit, scheint am ehesten bei Luisa Neubauer durch, ansonsten pflegt der Kongress …Hoffnungen. Alle treten auf der Stelle, besonders eloquent dabei: Armin Nassehi. Ihn muss man dafür bewundern, einen Satz auch nach 22 druckreif-kompilierten Nebensätzen noch mit genau der passenden Pointe abzuschliessen, zu der er am Satzanfang angesetzt hatte. Leider, wenn auch auf höchstem rhetorischen Niveau, drehen seine Sätze im Kreis.

Ukraine
Einig, klar und geradeaus dagegen ergänzten sich die PanelistInnenden Carlo Masala, Rebecca Barth und Anton Hofreiter mit ihrem Moderator Jan Feddersen. Am eindrucksvollsten diesmal Anton Hofreiter, der dem traditionell kleindeutschen Geist insbesondere der Linken vor Augen führen konnte, dass Deutschland, als drittstärkste Volkswirtschaft der Welt, endlich einmal verstehen müsse, dass „unser” hasenfüssiges Leisetreten den realen Verhältnissen unangemessen sei. Es sei doch kaum zu erklären, wie das (ökonomisch) kleine Russland ganz Europa auf der Nase herumtanze und jene, die gerade Putin gegenüber lieber auf das Gespräch und Verhandlungen setzen möchten, doch schlicht nicht zur Kenntnis genommen hätten, was Putin als Russlands Staatsziele vorgegeben hat: „Der hört nicht auf!” Andererseits, sagt Carlo Masala, sei die Unbesiegbarkeit Russlands ein Mythos, auch historisch. Sicherheitshalber lässt er das Atombomben-Argument aussen vor: Masala möchte Putin ernst nehmen, wenn der die räumliche Restitution der Sowjetunion als Ziel formuliert, zieht es aber vor, nicht zu glauben, dass er auch die Atombomben einsetzen würde, obwohl öffentlich daran keinen Zweifel lässt. Entscheidend sei, dass man Putin aus einer Position der Stärke gegenübertreten müsse: die Sprache, nur diese Sprache, verstehe Putin.

Leider, das sage ich: diese Sprache sprechen wir nicht; wir sprechen englisch, gelegentlich französisch, selten spanisch! Die Deutschen, als Nation, haben in über sieben Jahrzehnten das Vokabular der Macht verlernt, haben sich, zurecht und historisch unvermeidlich, unter die Vernunft und die Reue geduckt, haben sich in Demut und Zurückhaltung geübt. Anton Hofreiter konstatiert eine über 50 Jahre andauernde Feminisierung der Deutschen Gesellschaft und Jan Feddersen fragt provokativ ins Publikum, wer denn nicht den Kriegsdienst verweigert habe – und wer diese Entscheidung heute wieder so treffen würde? Er selbst jedenfalls wäre heute anderer Meinung. Sorry, das ist wohlfeil: Männer im fortgeschrittenen „Volkssturmalter” – das Publikum war überwiegend mit Boomern besetzt – sind weit eher bereit, dem eigenen Volk Heldentum zu verordnen, als jene, die damit direkt adressiert wären. Eben das aber wusste Rebecca Barth direkt aus der Ukraine zu berichten!

Doch das eigentliche Drama der Verteidigung wohnt in Europa. Obwohl sie in Summe über die zweitgrösste und finanziell drittstärkste Armee der Welt verfügen würden, leisten sich die  Europäer ihre politische Kakophonie und lassen Macron als einsamen Rufer in der Sorbonne allein mit seinen Studenten. Überhaupt Europa: der Kontinent steht nirgendwo auf der Agenda. Das ist schwer zu ertragen, kaum zu verstehen, denn ohne einen ökonomischen europäischen Föderalismus werden sich die Staaten Europas in einer dramatischen Abwärtsspirale wiederfinden; der Untergang der deutschen Automobilindustrie zeigt die Richtung, die kaum noch schön zu redenden Schwächen im Projektmanagement, der Nachsprung in der Digitalisierung, die wiederholte Aufgabe erworbener Stärken (etwa der Solarindustrie) – all diese Schwächen leisten dabei Schützenhilfe.

***

Dem Einen und der Anderen mag auffallen, dass meine Kommentierung mit dem Veranstaltungstitel „Alles Osten. Oder was?” wenig Berührung hat. Es gab dazu zahlreiche Panels (nochmals der Verweis auf das Programm), gerne von allerlei Identitäts-politischen Aspekten gesäumt – sie haben mich nicht motiviert. Es fällt mir schwer, dazu eine politisch korrekte Position zu formulieren: Wir haben andere Probleme! Natürlich sehe und fürchte ich die politische Entwicklung der nach rechts driftenden Mitte der Gesellschaft; nach meiner Analyse ist diesem Trend aber nicht mit Händchenhalten und Betroffenheitsgesprächen beizukommen. An anderer Stelle habe ich gesagt: Man kann die AfD nicht bekämpfen, in dem man die AfD bekämpft. Sondern in dem man die Probleme adressiert, die die Mitte nach rechts treiben. Dabei steht, meine Analyse, die fehlende Aussicht auf einen Weg aus den mannigfachen Katastrophenerwartungen im Zentrum. Rechts ist Regression – weil links keine Progression erkennbar ist.

Diese Leerstelle hat der Kongress nicht gesehen, geschweige denn thematisiert. Das taz-Lab hat sich für 2024 das Motto gewählt: „Weiterdenken”. Noch ist das Jahr nicht vorbei.