Isaac van Deelen schreibt eine Rezension über Daniel Suarez' Buch "Control"
Control
Daniel Suarez hat gute Ideen
Daniel Suarez CONTROL, rororo, TB € 12,99, eBook € 10,99
Seine jüngste SF-Story, „Control", beginnt mit einer wichtigen, weitreichenden Fragestellung (was sind die Voraussetzungen von Innovationen) und einem noch aufregenderen Thema: Könnte es sein, dass disruptive Innovationen einer (der, unserer) Gesellschaft eine so gravierende, rasche Veränderung aufzwingen, dass der soziale, politische, ökonomische und/oder kulturelle Schaden, der aus einem allzu raschen Umsturz von gefügten Verhältnissen resultiert, womöglich grösser ist, als der Nutzen, den die zugrunde liegende Innovation verspricht.
Beginnen wir bei den Voraussetzungen und hier kommt der Autor zu einer erstaunlichen, eigentlich selbstverständlichen Feststellung - die sich nur noch nicht herumgesprochen hat:
Disruptionen entstehen vor allem in den Köpfen jener, die sich nicht um die Regeln kümmern, ja, die ihnen widersprechen, sie bestreiten, übertreten, verletzen, brechen, you name it. Diese Aussage stellt vieles auf den Kopf, was sich in den gängigen Vorstellungen von Management und Business verfestigt hat. Etwa, dass es einen Innovationsprozess gibt. Blödsinn! Den ungeregelten Flow assoziativer Sprungadressen in ein prozessuales, und sei es ein noch so gut gemeintes, Regelgerüst einzubetten, in einer "innovativen Unternehmenslandschaft" auszutragen, auch nur "irgendwie" an den Kompatibilitätsanforderungen von Quartal und GuV auszurichten, mit einem "garantierten" oder zumindest intendierten RoI nach drei oder x Jahren, das in Summe repräsentiert ein Denkmodell, das im günstigsten Fall inkrementelle Veränderungen evoziert, ja: überhaupt nur zulässt. Denn Disruptionen sind anarchisch!
Gewiss, die Disruption ist nur eine mögliche Folge der Innovation und aus den oben genannten Gründen historisch eher unwahrscheinlich. Paradoxerweise erscheint sie, wenigstens seit Clayton Christenson, als das ultimative Credo aller Unternehmensstrategie. Einsichten wie, dass "besser wir selbst uns kannibalisieren, als dass es andere tun", dass wir im Zeitalter der Beschleunigung leben, dass Produktlebenszyklen kaum noch über einen Geschäftsberichtszyklus hinausreichen, dass die Welt verteilt ist, all die damit nur grob angedeuten Vorstellungen haben die Welt geteilt in jene, deren Alltag von Kosteneffizienz und Preiskriegen gelangweilt und verunstaltet wird, und andere, die neues, unverteiltes Gelände erschaffen, oder die wohlsituierte Geschäftsmodelle killen und sich einen kühlen Scheissendreck darüm kümmern, welche Flurschäden sie hinterlassen. Conquistadoren, Piraten, der Dekonstruktivismus hat sich aus der Kunst heraus in die vorderste Front des Notwendigen manövriert.
Und wer zu spät kommt, wie etwa zahlreiche Verlags- und, kommt noch, Medienunternehmen, ...
Genau hier hätte Suarez ausserordentliches leisten können. Unter dem Kommando „Digitalisierung!“ organisiert sich eine, wenn nicht die Disruption unseres Zeitalters. Die Folgen sind, je länger uns das Thema beschäftigt, desto unabsehbarer. Oder eben nicht – soo viel Phantasie gehört doch gar nicht dazu! Die Digitalisierung stellt das gesamte ökonomische Modell in Frage: das nämlich Arbeit der legitimierende Faktor des Lebens ist. Dieses Modell und seine die gesamte Gesellschaft umfassenden, in alle Lebensbereiche kaskadierenden Folgen ist nicht mehr haltbar. Die Zeichen stehen an der Wand: "Every product is a service waiting to be delivered", so eine der markantesten Parolen der "Smart Service Welt", die ihrerseits bereits die Industrie 4.0 abgelöst hat. Und sie wissen nicht was sie tun! Während die grossen Technologieschmieden der Welt dabei sind, der Produktion jeden Restbestand von Arbeit auszutreiben, sind zahlreiche Dienstleister dabei, die (leider, dennoch, immer noch) verbliebene Menschenarbeit nach off shore auszulagern.
Kurz gefasst: OB tatsächlich jede neue oder gar disruptive Technologie in genau dem Tempo in die Welt entlassen werden sollte, in dem sie in den anarchischen Hirnen irgendwelcher Nerds entsteht, ist eine bedeutsame und folgenreiche Frage. Ein Buch, dass sich dieser Frage annimmt, könnte ausserordentliche Verdienste für sich reklamieren.
Leider verleppert Suarez dieses Thema, schlimmer noch, er behauptet es und belässt es dabei. Vielmehr beschäftigt er uns ausschliesslich mit Action, Horror und militaristischen Technologien.
Das Buch "Control" erzählt die ruhmlose Geschichte des 1960, oder so, vom FBI oder der CIA (oder welcher drei-Buchstaben-Organisation auch immer) gegründeten Bureau of Technology Control, dessen Mission darin besteht, die Gesellschaft vor den ungewollten Folgen disruptiver technischer (für die kriminellen oder politischen bleiben die üblichen Verdächtigen zuständig) Entwicklungen zu schützen. Bis zum Handlungsjahr 2016 konnte diese Institution zahlreiche Entwicklungen identifizieren, darunter den Fusionsreaktor, die genetische Optimierung und Lebensverlängerung, eine erfolgreiche Krebstherapie und viele weitere grosse Durchbrüche. Damit nix schiefgeht, hat das BTC sein Verfahren dahingehend optimiert, dass die jeweiligen Genies ihrer Zeit in spektakulären Anschlägen von Steinzeitterroristen allesamt umgebracht werden, scheinbar, für die Öffentlichkeit, tatsächlich aber schlicht gekidnappt und von jeder Öffentlichkeit isoliert werden. Würden sie hernach kooperieren, könnten sie dann, interdisziplinär, mit den anderen Genies ihrer Zeit an der weiteren Entwicklung weiterer Disruption arbeiten. Nicht wenige tun das, und auf diesem Weg erarbeitet sich das BTC ein Technologieportfolio, dass dem der realen Menschheit um 50 oder 70 Jahre voraus ist, inklusive künstlicher Intelligenzen, Antigravitations-Fortbewegung, intelligenten Nanostäuben usw.
Ironischerweise folgt das BTC einem penibel geregelten Behördenkodex, und natürlich ist das ein Regelwerk recht eigener Provenienz, das keinen Einfluss von irgendeiner (demokratisch legitimierten) Instanz mehr zulässt. Genau genommen scheitert das Buch aber bereits bei den Entführungen, denn spätestens mit dieser Entscheidung gerät der Direktor des BTC auf eine schiefe Ebene und steuert seine Organisation unvermeidbar und exponential wider die ursprüngliche Zwecksetzung.
Traditionell wäre nun hier der Ort, einmal den schmalen Weg der Handlung zu skizzieren; allein, der ist belanglos. Da gibt es eine sie und einen ihn und am Ende haben sie Kinder und dazwischen allerlei Abenteuer, „um mal eben die Welt zu retten“. Die Eskalation des Geschehens in einen nationalen Konflikt des BTC mit (s)einer Regierung, die sich diesen Staat im Staat definitionsbedingt nicht bieten lassen kann, ist folgerichtig und, nicht nur im Austragungsmodus, bescheuert. Zum Ende hin erkennt der Direktor, und auch das ist jetzt nicht mehr verwunderlich, dass nur er selbst über die eigentlichen Zwecke und Ziele der Menschheit bestimmen sollte. Folgt, wie bei Suarez bereits verbindlich zu erwarten, ein martialisch militaristischer Showdown, der, ohne unsere Helden, verbindlich zu Lasten der Menschheit ausgegangen wäre.
Das alles ist spannend und anspruchslos geschrieben, perfekt für den Urlaub, ärgerlich für das vertane Thema. Schade.