In der Bestseller-Falle

Über Marc Elsbergs "Helix"

Rezension 

 

Es ist eine Weile her, dass ich "BlackOut" von #MarcElsberg gelesen habe; nach der Lektüre von "Helix" habe ich Zweifel, ob das in meinem Hinterkopf gespeicherte Urteil möglicherweise einer von Betroffenheit getrübten Fehlsichtigkeit geschuldet war.

Nach dem Bestseller ist vor dem Flop

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Ich war damals ... regelrecht konsterniert, denn, so meine Erinnerung, der Autor hatte in BlackOut mit deprimierender Folgerichtigkeit, spannend, gruselig und überzeugend den zivilisatorischen Firnis der westlichen Gesellschaften – wahrscheinlich jeder anderen auch – abgefackelt. Helix, sein soeben erschienener jüngster Bestseller, wird von der Kritik und vom Publikum bejubelt. Mich lässt das Buch kopfschüttelnd zurück. 

 

Bevor ich hernach das Buch komplett in die Tonne trete, will ich zwei oder drei Gedankengänge herausheben, die mir nicht vollkommen missglückt erscheinen. 

Eins: Das Thema.

Ellsberg schreibt eine Geschichte, historisch angelegt zwischen heute und morgen, über gentechnisch optimierte Wundermenschen, genauer Wunderkinder, denn der wissenschaftliche Durchbruch und damit die Zeugung in vitro liegt (im Buch) gerade mal 10 Jahre zurück. Seinerzeit hatte eine Reihe von Wissenschaftlern einen Weg gefunden, Geist- und Körpermerkmale künftiger Menschen genetisch zu prä-konfigurieren, also Samen mehr oder weniger massgefertigt mit Attributen auszustatten, dass die daraus entstehenden Menschenkinder unfassbar überragende Fertigkeiten entwickeln; Nietzsches Übermensch wäre nix – dagegen! Die Handlung kristallisiert also an zwei 10-jährigen Kindern, Jill und Eugene, einer inzwischen grösseren Anzahl nachfolgender „Entwicklungen“, vielleicht sind es schon 1000, von denen Helen und Greg, ein Durchschnittspaar, auch eine sozusagen abkriegen wollen.

Seit der (im Übrigen Nobelpreis-verdächtigen) Erfindung von Crispr/Cas9*, einer überaus einfachen, sagen wir: relativ einfachen - mit Schere und Tesafilm geht's nicht - und kostengünstigen Methode zur Manipulation von DNA-Sequenzen, ist die Relevanz und auch Dringlichkeit, das Thema in einem breiten Diskurs anzugehen, förmlich explodiert. Nur nebenbei sei bemerkt, dass Kazuaki Takano in "Extinction" eine - allerdings auf Mutation basierende - sehr ähnliche Ausgangslage gewählt, und ein wirklich spannendes Buch daraus gemacht hat.

Zwei: Das Plädoyer.

In einer Szene lässt Elsberg eines seiner beiden Wunderkinder, Eugene, einen 10-jährigen Jungen, ein zumindest streckenweise überzeugendes Plädoyer darüber halten, warum genetische Optimierung bereits seit Jahrtausenden am Werk – und daher weder neu noch falsch sei, besonders aber, warum die herbeigenötigten moralischen und kulturellen Betgesänge über "natürliche Entwicklung" oder "gesellschaftliche oder moralische Vorbehalte" bigott und verlogen seien, und dass diese vorgeschobene Diskussion in Wahrheit nur dem Schutz von Konzerninteressen (gegen deren Gentechnik keine Einwände erhoben würden) oder der Sicherung der eigenen priviligierten Stellung dienten.

Es fällt auf, dass Elsberg in dieser Szene klare, auch überzeugende und vor allem nicht wenige Argumente für genoptimierte Menschen aufzählen kann, alle Kontrapositionen, die hier (lächerliche Konstruktion) von der Präsidentin der USA vorgetragen werden, dagegen dürftig, ängstlich oder eitel sind; der Vollständigkeit halber: auch für seine anderen Protagonisten (Helen und Greg, und andere) fällt ihm kaum mehr als dumpfe Befürchtelei ein. 

Und, meine Interpretation, WEIL das so ist, installiert er in den "Geschwistern" Jill und Eugene künstlich und ziemlich armselig einen Jekyll vs. Hide-Antagonismus, und lässt überdies ein paar weitere namenlose, schweigende (nicht vergessen: übermenschenintelligente Wunder-)Kinder als Terrorkomparsen auftreten. Damit uns man ja der ganze "abgründige Schrecken" einer solchen Entwicklung an den Haaren herbeigezogen wird: Es ist ja alles so zum Fürchten schrecklich und gefährlich und so ..! Gott sei Dank kommt der „verantwortungsbewusste“ Krimiautor und zeigt uns, dass wir Recht haben, wenn wir fürchten, dass eben „alles“ schiefgehen kann. Michael Crighton (Prey) lässt grüssen. Wenig überzeugend, und, soweit ich sehen kann, nur dazu angetan, Technophobien ins gesellschaftliche MindSet auszurollen. Und so machen wir uns jetzt kollektiv dumpf ans Verhindern von „all dem Übel“.

Die Nachricht, dass Technologien zwei Gesichter haben, ist so alt wie Schwerter und Pflugscharen. Derlei Weisheit hat noch keine Entwicklung je verhindert. Kasuaki Takano hat das Thema um mehrere Bedeutungsebenen besser dramatisiert. Denn was wirklich spannend ist – und aber auch höherer intellektueller Anstrengungen bedürfte - ist die Frage, ob die Menschheit das Auftreten einer signifikant höheren Intelligenz überleben könnte, und wenn ja, wie.

Drei: Die Gottesfrage

Als ich von zwei oder drei lohnenden Gedankengängen sprach, resultierte das 'oder' aus der Tatsache, dass Elsberg diese Diskussion allenfalls auslöst, nicht aber eigenständig ausführt oder befüttert. Allenfalls der Untertitel weist in diese Richtung, das Thema wird jedoch auf der Ebene "Sie werden uns in Reservate sperren und wie Affen halten" abgefertigt.

Tatsächlich wird auch die „Gottesfrage“ zunehmend dringlicher, denn in der Summe aller Entwicklungen nähert sich die Menschheit einem Punkt, an dem sie aus eigener Kompetenz in der Lage sein wird, Welten zu schaffen, komplett mit Genesis oder Urknall, Sündenfall und Armaggeddon. Und sich deswegen alsbald ein kleines Regelwerk für angehende Götter und -innen wird einfallen lassen müssen – plural, denn wie einst im Olymp, wird es eine ganze Reihe von ihnen geben! Gewiss, das ist jetzt ein Breitwand-Argument, da braucht es ein wenig Atem, um das standfest zu machen. Ich komme an anderer Stelle darauf zurück. An dieser Stelle will ich lediglich koinzidieren, dass Elsbergs Buch geeignet ist, auf die Idee zu kommen, dass die spirituelle Gottesfrage auf hinterhältige Art und Weise säkularisiert:
„Hier sitz' ich, forme Menschen nach meinem Bilde, ein Geschlecht, das mir gleich sei, zu leiden, weinen, genießen und zu freuen sich, und dein nicht zu achten, wie ich!“

 

Mehr Gutes will mir nicht einfallen. 

Die Geschichte auch nur zu skizzieren, Höhepunkte oder Spannungsbögen zu diskutieren, es lohnt der Mühe nicht! Handlung, Dialoge und schliesslich der Plot, das alles ist so flach und vorhersehbar, dass regelrecht Langeweile aufkommt – und schon gar nichts von dem spannend-anregenden Grusel entsteht, der, wie gesagt: nach meiner Erinnerung, BlackOut ausgezeichnet hat. Alles was ich dort als scharf und überzeugend erinnere, ist hier bejammernswert dünn und unglaubwürdig, voran das Personal. Allein, wie der Autor die Präsidentin anlegt, Himmel hilf! Aus welchen 1950er Jahren hat er denn diese stellvertretende Gymnasialkonrektorin importiert? Regelrecht beknackt empfand ich, dass zu keinem Zeitpunkt irgendein Protagonist sich von der "Aber es sind doch noch Kinder"-Haltung lösen und also die „Kinder“ intellektuell ernst nehmen konnte, obwohl sie argumentativ (und zumindest Jill auch phänomenal) mehr als nur auf Augenhöhe angelegt sind. Und wenn ich sage dünn und unglaubwürdig, so meine ich Handlung/Erzählung, nicht den fachlichen Hintergrund. Damit nervt der Autor eher Vorlesungs-mässig, auf dass wir man bloss auch ja und wirklich glauben, dass das alles "überhaupt" und "auch heute schon“ möglich ist.

Ich kann mich des Eindruck nicht erwehren, dass Elsberg das Buch mal eben so runterdiktiert hat. Als wenn ihn der Verlag genötigt hätte: hopp-hopp, schnell-schnell, Deine Leser "erwarten" jährlich einen neuen Elsberg (und das hat auch bestimmt nichts mit der Kohle zu tun, die so ein Bestseller in die Kassen spült); oder, als Alternative zum Verleger-Bashing, als wenn der Autor so vom Erfolg gefönt ist, dass ihn das Lektorat nicht mehr erreicht.

(siehe dazu z.B.: https://www.neb.com/tools-and-resources/feature-articles/crispr-cas9-an…)