Ein grosser Wurf von Juli Zeh

 

Isaac van Deelen schreibt eine Rezension über Juli Zehs Buch "Unterleuten"

Julie Zeh UNTERLEUTEN, Luchterhand, 2016, TB € 24,99, eBook € 19,99

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Selten gelingt einem Roman die Abbildung der Gegenwart. Vielleicht wollte man Krimis von dem Diktum ausnehmen, nur müsste man dann eben konzidieren, dass sich der Krimi auf den Sonderfall des Verbrechens kapriziert und die Realität dabei zur blossen Girlande missbraucht. Das "eigentliche" Leben ist unspektakulär, deswegen langweilt uns seine Abbildung oder sie findet gar nicht erst statt.

Auch bei Juli Zeh finden ein paar Verbrechen statt, nur umgekehrt: sie sind das schlüssige Ergebnis des eigentlichen Lebens. Das Buch rekonstruiert die Geschehnisse in einer 200-Seelen-Gemeinde im brandenburgischen Umland von Berlin, in deren Gemarkung im Jahr 2010 zehn (weitere!) Windräder errichtet werden sollen. An diesem regierungsamtlich geförderten Sachverhalt kristallisieren die (persönlichen und politischen) Konflikte der zurückliegenden 50 (vor allem DDR-)Jahre.

Das dabei in Streit geratende Personal reicht vom Bürgermeister über den ehemaligen LPG-Vorsitzenden und seinen alt-kommunistischen Wiedersacher – inklusive deren jeweilige Peergroups –, bis zu den mehr oder weniger alternativen Berlin-Emigranten, die abseits der grossen Stadt nach dem ruhigen Leben auf dem Lande suchen. Die einzig blass bleibende, aber auch nicht wirklich entscheidende Figur ist ein Investor aus Ingolstadt. Alle anderen sind klar gezeichnete, überaus präsente Charaktere, deren Verhalten und Motive gestochen scharf und überzeugend vorgestellt werden.

Die Geschichte ist klug konstruiert, besser vielleicht: konzipiert, und reich an tragfähigen Beobachtungen und bereichernden Erkenntnissen, spannend erzählt und traurig und richtig in allen dargelegten Konsequenzen.

Wollte man irgendwas bemeckern, so wäre es die Sprache. Sie ist einfach und schnörkellos, bis in die letzen Adjektive bodenständig und sandig wie die Krume, über die sie erzählt, dem literarischen Gourmet wahrscheinlich ein wenig unteraromatisiert. Eine solche Kritik jedoch wäre nicht frei von Neid oder, je nach dem, Blasiertheit, denn dem in diesem Sinne anspruchsvollen literarischen Zuckerwerk fehlt, in aller Regel (mir fällt als Ausnahme nur Christa Wolfs Cassandra ein), jede Relevanz.

Juli Zeh ist ein grosser Wurf gelungen. [Mar 2016]