Die FAZ rückt auf die zweite Seite des Wirtschaftsteils (Freitag, 18.5.) einen Aufsatz von Rainer Zitelmann, in dem der Autor das Verhältnis „der Intellektuellen“ zum Kapitalismus „analysiert“ und eine Reihe von interessanten Ansätzen präsentiert.
Eine Seite FAZ
Nieder mit dem Antikapitalismus!
zu Rainer Zitelmann
Lohnt die Befassung? Mich drücken Zweifel
Lohnt die Befassung?
Der Antikapitalismus sei die unter Intellektuellen vorherrschende Denkungsart, die sich allerdings in verschiedenen Erscheinungsformen präsentiere, etwa als Globalisierungskritik, als Ökologismus oder Antiamerkanismus. Er sei die dem Intellektuellen gleichsam „natürliche“ Denkungsart, denn Intellektuelle neigten zum Denken in Plänen und Systemen, während der Kapitalismus, wie eine Sprache auch, eine spontane und gewachsene Struktur sei. „Da das ganze Tun der Intellektuellen im „Denken“ … besteht, … neigen sie eher einer Wirtschaftsordnung zu, die konstruiert ist und geplant wird, als einer solchen, in der sich die Dinge ungeplant und spontan entwickeln.“ Als „Elite“ stünden Intellektuelle im Wettbewerb zu einer Wirtschaftselite. Wenn aber höhere Bildung nicht zu mehr Einkommen führe, dann sei das ungerecht. „Dass ein „wenig belesener“ Mensch zu grossem Reichtum kommen kann, während der umfänglich gebildeter Professor sich mit … kärglichen Einkommen zufrieden geben muss, mag ihm dann natürlich als ungerecht erscheinen.“
Nachdem diese Ungerechtigkeitsthese in einem Drittel des Gesamttextes drei- oder viermal festgestellt worden ist, werden wir nun damit konfrontiert, dass der fälschliche Bildungsfetischismus bereits in der Schule beginne, wo die Streber stets die höhere Anerkennung bekämen; dies würde später auf die Gesellschaft übertragen. Im Übrigen neige die antikapitalistische Haltung der Intellektuellen in aller Regel auch zur Anerkennung und/oder Bewunderung autokratischer und diktatorischer Erscheinungen, was der Autor an den Beispielen Henri Barbusse (1935), Lion Feuchtwanger (1937), Jean-Paul Sartre (1954) sowie Noam Chomsky im Gespräch mit Michel Foucault (1971 ) belegt und für 100 Millionen Tote verantwortlich macht. Es sei allerdings so, räumt der Autor ein, dass die Intellektuellen selbst von dieser Bewunderung nie profitiert hätten: „Das tragische Paradox der Intellektuellen ist, dass sie in allen antikapitalistischen Systemen, die oft grausame Diktaturen waren, von Tätern, die diese Systeme erdacht, konstruiert, herbeigesehnt oder zumindest gerechtfertigt hatten, zu Opfern wurden. Der Antikapitlaismus hat … Wohlstand vernichtet, sondern auch die politische Freiheit und die Freiheit der Gedanken, die doch gerade das Lebenselexier der Intellektuellen sind.“
Der Autor wird von der FAZ als promovierter Historiker und Soziologe, sowie als Ex-Maoist und inzwischen Nationalliberaler in der FDP eingeführt; der Text selbst basiere auf dessen neuestem Buch „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung.“ Jaaa, es ist eine alte Weisheit: „Die ärgsten Kritiker der Molche waren früher selber solche.“
Mich frisst der Neid
Zunächst, das müssen wir dem Autor zugestehen, ist der Neid eine nicht zu unterschätzende Grösse, wie überhaupt das Sein das Bewusstsein bestimmt. Ich selbst empfinde schon diese oder jene neidische Anwandlung, wenn ich einen solchen Text unter dem grossgesellschaftlichen Rubrum „Die Ordnung der Wirtschaft“ in der FAZ lese, … wenn auch, ... das relativiert meine Stimmungen, ... im Wirtschaftsteil, den ich in Fragen der Meinungsbildung traditionell zwischen reaktionär und unterbelichtet verortet habe. Es darf an der Stelle wohl auch darüber spekuliert werden, inwieweit der Text als eine Art Memo, als hausinterne Stellungnahme gelesen werden kann. Es ist aber doch die FAZ, und dann haben wir noch die SZ, die Zeit, Spiegel und Cicero mischen nur noch selten mit, und dann ist schon Schluss mit der nationalen Öffentlichkeit. Gut, der Deutschlandfunk müht sich, im Bayerischen Rundfunk gibt es Leuchttürme, aber wie man so sagt: das versendet sich.
Wenn also so ein Text in der FAZ steht, dann ist das eine beneidenswerte Promotion ärgerlichen Schwachsinns; stellte ich ihn mir als Blogbeitrag vor, so liesse sich darüber trefflich schweigen. So aber? Zwei oder drei Gedanken, motivisch mehr der Selbstbefragung geschuldet, können nicht gleich schaden.
Da ist die erste Frage, was, bevor wir noch andere Etiketten in die Schublade werfen, Intellektuelle auszeichnet.
„Was ist also die Philosophie heute oder die philosophische Tätigkeit, wenn sie nicht die kritische Arbeit des Denkens selbst ist? Ich schreibe, um mich selbst zu verändern und um nicht mehr dasselbe zu denken wie vorher. Diese Veränderung des eigenen Denkens und dem der anderen scheint mir die Daseinsberechtigung der Intellektuellen zu sein."
Das Zitat von Michel Foucault – den Zitelmann mitverantwortlich macht für die Toten der „antikapitalistischen“ Systeme – führt ins Herz des intellektuellen Denkens: zum Irrtum. Es reflektiert zugleich die grosse Ernsthaftigkeit des Denkens und das Eingeständnis, in dieser Mühe zu scheitern. Denn wie anders könnte eine Veränderung im Denken eintreten, bestünde sie nicht zugleich in der Einsicht, dass das Vorher gegenüber dem Nachher im Nachteil ist – und weiter, dass das Nachher alsbald ebenso zum Vorher wird. Damit werden der Zweifel und die Selbstkritik zum Wesenskern der Intellektuellen.
Whataboutism
Also ja, historisch gab es viele Verirrungen und Monstrositäten; der deutsche Adel hat sich in den Dienst Adolf Hitlers gestellt und linke Intellektuelle haben Stalin bejubelt und die Zwecke die Mittel heiligen lassen. Dann gab es andere, die Widerstand leisteten oder zu Dissidenten wurden. Gelegentlich wurden auch Positionen eingenommen, um auf gar keinen Fall für die gegenposition vereinnahmt zu werden. Ich meine, es ist grober Unfug, Meinungen, Haltungen oder Bekenntnisse a) aus ihrer historischen Zeit und aus ihren historischen Umständen herauszulösen und b) zu aktuellen kategorialen Bewertungen, etwa über „die Intellektuellen“, heranziehen zu wollen; Deutsche tragen Lederhosen und essen Eisbein mit Sauerkraut und Intellektuelle sind von Haus aus Stalinisten.
Es geht nicht nur darum, den Einzelfall anzuschauen, bevor man über irgendeine gesellschaftliche Gruppe, Gemeinschaft oder Zugehörigkeitsbehauptung vergemeinschaftende Werturteile fällt. Und es geht auch nicht darum, den Zeitgeist des 21. Jahrhunderts von den Irrungen des 20. Jahrhunderts freizusprechen (gerade hier droht die Einzelfallbetrachtung!). Zu den groben Fehlern des Zitelmann’schen Textes gehört es, etwaige menschliche und emotionale Befindlichkeiten, die es gibt und die Einfluss nehmen, über etwaige intellektuelle oder analytische Betrachtungen zu stellen, und so mit einer vermeintlichen „Verwerflichkeit“ emotionaler Beweggründe die Richtigkeit abwägender Überlegungen zu negieren; als würde der Neid auf den Reichtum die Kritik an der Ausbeutung entkräften oder gar deligitimieren.
Überhaupt: diese (für einen Historiker regelrecht abenteuerliche) Vorstellung, dass der Kapitalismus als eine ungeplante, "gewachsene spontane Ordnung" entstanden sei ...
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass der Bezugsraum der Zitelmann’schen „Argumentation“ im letzten Jahrhundert (und vermutlich in der eigenen Geschichte) steckengeblieben ist. In wiefern „die Intellektuellen“ heute, abgesehen von der kompromittierenden Frage danach, wer das eigentlich sein könnte, antikapitalistisch eingestellt sind, das wäre erst noch zu erheben; der Verdacht liegt aber nahe, dass jene, die noch gar nicht wissen, dass sie in diese Schublade gehören, sich recht fidel im System eingerichtet haben. Gibt es Kritik am Kapitalismus: sicher ja, gewiss ausführlich; prekäre Arbeitsverhältnisse, ökologische Zukunftsverweigerung, Gesellschaftsroulette in den Finanzmärkten … um nur ein paar Eisbergspitzen zu nennen.
Ist die Kritik aber auch anti-kapitalistisch?
Mich drücken Zweifel.
Schau dir mal an, worüber
Schau dir mal an, worüber Zitelmann promoviert hat und was er letztens veröffentlicht hat. Er hatte die größte PR-Agentur für die Immobilienbranche, kein ImmobilienUnternehmen. Die hat er verkauft, leidet aber an dem Mangel, nichts mehr zu tun zu haben. Über die in der Branche bekannten privaten Vorlieben schweige ich hier. Jedenfalls eine schillernde Persönlichkeit.
Yep. Gesehen. Hermeneutik
Yep. Gesehen. Hermeneutik hilft, auch beim Bildmaterial. ... aber eigentlich rede ich ja über die Titanic, sozusagen am Beispiel des RZ.