Das "Techno-optimist Manifesto"

Maybe, it’s nothing but bullshit

Für einen aufgeklärten Techno-Pessimismus

 

Marc Andreessen erfand mit Mosaik und Netscape die ersten Browser und wurde damit einer der Wegbereiter des Internet. Heute ist er milliardenschwerer Gründungspartner von Andreessen Horowitz LLC, einer der grössten VC-Firmen im Silicon Valley. Er ist schon oft mit provokativen und polarisierenden Essais an die Öffentlichkeit getreten; gut erinnerlich sein Claim: „Software is eating the world.”

Zurück, Marsch-Marsch! – zum Fortschritt, zur Freiheit (image via creator nightcafe studio)

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Glauben heißt nicht wissen. 
Wilhelm Weitling (1808 - 1871)

Der verbreitetste Glaube ist das Wissen. 
© Michael Richter (*1952)

 

Ich hätte die Sache vermutlich verschlafen, hätte nicht Adam Tooze in seinem PodCast Ones&Tooze mit Cameron Abadi über das Manifesto Marc Andreessens gesprochen. Im Nachhinein erstaunt mich deren insgesamt neutraler, zurückhaltender Ansatz. Andere sind deutlicher geworden. Sagt Google: Wired, die Financial Times oder currentaffairs.com … hatten das Thema am Wickel, auch ein paar deutsche Quellen: Telepolis, SZ, der Standard aus Wien …. Ich nahm an, dass der Text eine gewisse Bedeutung haben wird. Erstmal selber lesen: besser ist das. …Hhm. 5200 Wörter, das dauert einen Momang. Und bevor ich dazu schreibe: was wurde denn bereits gesagt?

  • I think it’s mostly nonsense,” science-fiction writer Ted Chiang said Thursday at the GeekWire Summit in Seattle.
  • Und Yemima Kelly titelt ihre Kritik auf ft.com:
    „I read Andreessen’s ‘techno-optimist manifesto’ so you don’t have to”.
  • Auch Wired hat einen guten Einstieg gefunden:
    „As a general rule, any essay that includes the one-sentence paragraph “I am here to bring the good news” is written by someone who wants to take your money, your vote, or your soul.”
  • „Marc Andreessen’s “manifesto” reads more like a chapter from a new cult’s bible. This isn’t techno optimism it’s more of a dangerous and reckless push to ignore consequences.” Schreibt metapunk auf hackernoon.com.
  • „I’m sort of mystified why people aren’t more horrified by Marc Andreessen’s quoting from a document that talked about the hygiene of war and how museums, libraries and feminism should all be destroyed. Am I weird for being horrified by this?!”
    Mit diesem Hinweis auf Marinettis Manifesto of Futurism wird Tom Coates auf venturebeat.com zitiert.
  • „There’s probably a German word to describe the unique combination of horrifying and silly that this vision evokes, but it is taken seriously by people who imagine themselves potential Chief Executive Authoritarians, or at the very least proxies. This includes another Silicon Valley billionaire, Peter Thiel, … … In a darker, perhaps sadder sense, the neoreactionary project suggests that the billionaire classes of Silicon Valley are frustrated that they cannot just accelerate their way into the future, one in which they can become human/technological hybrids and live forever in a colony on Mars. In pursuit of this accelerated post-Singularity future, any harm they’ve done to the planet or to other people is necessary collateral damage. It’s the delusion of people who’ve been able to buy their way out of everything uncomfortable, inconvenient or painful, and don’t accept the fact that they cannot buy their way out of death.”
    Elizabeth Spiers liefert in ihrem New York Times-Text vermutlich die schärfste Attacke auf Mr. Andreessen.
     
  • „There's some truth to what Andreessen says, according to Carl-Benedikt Frey, professor of AI and work at the Oxford Internet Institute.” Das erfahren wir auf business insider.

Es gibt auch andere positive Stimmen (etwa vom Ayn Rand Institute…); soweit ich sehe, sind sie in der Minderheit. Mir selbst standen die Haare zu Berge. Zunächst dachte ich, ich sollte einmal meine Eckzähne feilen und kräftig in den Text beissen, doch je länger ich darüber nachdachte, desto nutzloser erschien es mir: l’art pour l’art.

Ich will das am Beispiel kursorisch abhandeln:

  • Das Manifesto beginnt mit der Zeile:
    „We are being lied to.”
     
  • Wer da lügt bleibt im Ungefähren. Später im Text, wenn die „Feinde” des Techno-Otimism gelistet werden, ist vom „Ivory Tower” die Rede:
    „Our enemy is the ivory tower, the know-it-all credentialed expert worldview, indulging in abstract theories, luxury beliefs, social engineering, disconnected from the real world, delusional, unelected, and unaccountable – playing God with everyone else’s lives, with total insulation from the consequences”
  • Was wird gelogen?
    „We are told that technology takes our jobs, reduces our wages, increases inequality, threatens our health, ruins the environment, degrades our society, corrupts our children, impairs our humanity, threatens our future, and is ever on the verge of ruining everything.

    Aber vielleicht meint er mich:

  • Mir sind eine Reihe Studien bekannt, die unter der Überschrift „Jobs at risk” mehr Aufwand betrieben haben, als dieses Manifesto, das Behauptungen im Fettdruck am Fliessband abspult.
  • Mir sind eine Reihe von Studien bekannt, die die historische Entwicklung der grossen und grössten Vermögen nachzeichnen und u.a. zu der Aussage kommen, dass von dem Vermögenszuwachs nach dem Ende der Corona Pandemie 63% bei den reichsten 1% angekommen sind; bei den unteren 90% blieben 10% hängen.
  • Mir sind unzählige Studien bekannt, die über Verursacher von Umweltkatastrophen geforscht haben.
  • Und schliesslich kenne ich viele Studien, die die Lebensbedingungen auf dem Planeten in Gefahr sehen.
  • Abgesehen von all den Studien, die den Einfluss von Technik auf Psyche und Gesundheit untersucht haben.
  • Nicht alle kommen zu den gleichen (in meinem Sinne) kritischen Ergebnissen, doch stets zeigen sie eine differenzierte und belastbare Sicht auf unsere Welt.

Eine detaillierte Gegenargumentation ist die Ebene, auf der es sich einfach nicht lohnt, sich mit dem Manifesto auseinanderzusetzen. Um die zuweilen himmelschreienden Behauptungen zu entkräften, bräuchte es grossen Aufwand und die Geduld des Publikums, um Sachverhalten aufzudröseln und klarzustellen, die unzählige Male aufgedröselt und klargestellt wurden. Es überzeugt auch nicht der Hinweis, dass „die Menschheit” mit Technologie noch jedes Problem gelöst habe, das sie sich wirklich vorgenommen hat. Obwohl ich tatsächlich auch glaube, dass Technologie eine Reihe von Problemen lösen kann/könnte, haben alle Analysen, die ich kenne, gezeigt, dass sie a) nicht gelöst werden, b) zu spät gelöst werden oder c) mit der Lösung neue Probleme schaffen, die üblicherweise die alten in ihrer Dimension und Bedrohlichkeit übersteigen. 

Das Manifesto strotzt nur so von bullit point bullshit.

Kommunikation ist politisches Handeln 

Einige Aspekte aber, die in einer umfänglichen Kritik an Andreessen auftauchen müssten, weisen über den Text hinaus und erscheinen mir diskussionswürdig.

  • Der erste und wichtigste zielt auf die Person und ihr Umfeld. Marc Andreessen verwaltet mit Andreessen/Horowitz LLC Unmengen Geld: von 35 Milliarden lese ich auf Wikipedia. VC ist etwas anderes als bloss Privat Equity, denn es gestaltet die Zukunft. Insofern geht es um den ideologischen Einfluss, den Andreessen in seine Investments trägt, und … es kann auch niemanden beruhigen, dass in jüngster Zeit viele seiner Investments in Rüstungs- und Militärtechnologie geflossen sind.
    Es ist aber nicht allein sein in meinen Augen beängstigender Einfluss auf junge Unternehmungen, er repräsentiert auch eine verbreitete Denkhaltung in der Bay area und im Valley; zumindest von Elon Musk und Peter Thiel ist bekannt, dass sie ähnlich denken. Insofern geht es auch um den zunehmend erschreckenden Zeitgeist des Valley, der hier zu Tage tritt. Das Etikett „Denkrichtung” wäre allerdings zuviel der Ehre; vielleicht sollte man von einer ekletischen Sprüchesammlung sprechen, von einem erz-technologischen Katechismus, vielleicht auch vom Gründungsdokument einer Sekte; fortune.com hat nachgezählt: 113 Mal eröffnet Andreessen einen Satz mit „We Believe …”
    Und schliesslich ist es das Dokument einer politischen Propaganda, die sozusagen seemlessly mit dem aufkommenden US-Faschismus zusammengeht – die Nähe und der Vergleich mit Marinetti ist kein Zufall.
     
  • Der zweite kaum weniger bedeutsame Aspekt ist das „We”.
    „Wir” haben selbst unsere liebe Not mit dem „Wir”, denn es ist nie klar, wer davon eingemeindet werden soll und noch weniger lässt sich sagen, wer davon sich vereinnahmen lassen wollte. Unterschriftenlisten liegen ja nirgendwo aus. Das „We” des Marc Andreessen ist ausschliessend; es vereinnahmt den Zuspruch der Opportunisten und Profiteure der eigenen Anschauung (die es zweifellos gibt). Der Rest, egal, das sind die Feinde. Fertig.
     
  • Der dritte, in meinen Augen wichtige Aspekt ist, dass es die von Andreessen behauptete glorreiche Entwicklung der Gesellschaft (durch Technologie) „nicht gibt”. Nur weil es so schön auf’s Auge passt, zitiere ich Margaret Thatcher: „There is no such thing as society.” Was es dagegen gibt, ist eine positive oder erfolgreiche Entwicklung für Einzelne. Meine Lebensbedingungen, könnte ich etwa sagen, haben sich über die Zeit verbessert, mein Leben verlief erfolgreich. Ich hätte auch nichts dagegen, unter diesen Sachverhalt zahlreiche andere Leben zu subsummieren, solange es klar ist, dass es gleichzeitg zahllose andere Leben gibt, für die das nicht zutrifft (umso mehr, je globaler die Grundgesamtheit angelegt ist). Die utilitaristische Sicht auf die Welt und das greatest possible good for the greatest possible number ist Statistik, nicht Humanismus.
     
  • Viertens ist für Andreessen das Wachstum der Schlüsselbegriff für alle gesellschaftliche Entwicklung. Ich glaube, das ist kompletter Bullshit, genauer gesagt: das ist eine Zielvorstellung der Vergangenheit.

    Natürlich hat der Begriff Facetten, und die verbieten pauschale Bewertungen. Zunächst nämlich ist Wachstum unvermeidlich, wenn und wo die Bevölkerung wächst – insofern ist Wachstum global vorgegeben, wenigstens noch für ein oder zwei Jahrzehnte. Soweit ich weiss – leider weiss ich es nicht wirklich, sondern habe es nur nirgendwo je explizit gelesen –, ist das Bevölkerungswachstum kommender Jahrzehnte in den Berechnungen der Klimawissenschaften nicht enthalten; anyway: anderes Thema. Wichtig in diesem Zusammenhang: dieses Wachstum folgt der Notwendigkeit, ist unvermeidlich und hat nichts mit (irgendeiner Qualität von) „Entwicklung” oder Technologie zu tun. Umgekehrt, und deswegen jenseits aller Wünschbarkeit, ist dieses Wachstum Beschleuniger aller ökologischen Katastrophen und erzeugt daher das Paradox: notwendig – aber noch notwendiger in seinen Ursachen zu stoppen. 

    Mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung ist Wachstum in vielen schrumpfenden Nationen – darunter Deutschland, Süd-Korea, Italien, Portugal, Japan und andere – nicht geboten, sondern ideologisch gewollt. Es ist eine schillernde Figur, die, nach dem Motto: Die Flut hebt alle Schiffe, mit der Forderung nach Wachstum vor allem den eigenen Vermögenszuwachs mit einem kleinen, vielleicht moderaten Vermögenszuwachs für alle zu rechtfertigen sucht. Ein anderes Wort für diese Wachstumsforderung ist Gier.

    Unberücksichtigt in der ganzen Wachstumsphilosophie ist, dass ihr Treiber über die letzten Jahrzehnte die Schrumpfung war: zumindest alles, was mit technologischer Entwicklung zu tun hat, wurde kleiner, effektiver, effizienter: den Deutschen Forschungs- und Innovationspreis hat in diesem Jahr ein MRT gewonnen, der nur ~ein Viertel von dem Raum und Material verbraucht, das vorherige Generationen beanspruchten. Moore‘s Law besagte nichts anderes. Vergleicht man den „Enigma-Computer“ der 1940er Jahren mit meinem iPhone oder meiner Apple Watch etwa, so ist das zentrale Merkmal eine materielle Implosion bei gleichzeitiger Explosion der Leistungsfähigkeit. Kein Wunder, dass sich Apple dumm und dusselig verdient, verkauft uns der Konzern doch immer weniger Material für immer höhere Preise (obendrein bei relativ immer weniger Personaleinsatz).

    „Jaaah, aber es wurde immer mehr davon verkauft: da! liegt das Wachstum! Stimmt schon: bei mir im Regal liegen sechs oder sieben Generationen alter iPhones. Oder anders: die meiste Mehrheit allen Wachstums resultiert aus Marketinganstrengungen der Bedürfnisweckung und -schulung, nicht aus dem Bedarf: „Ich besitze das zwar, und ich habe es auch „gewollt“, aber ich benutze es kaum und brauche es gar nicht!“ Und dass in dieser Ökonomie ungeheure Fremdlasten MITwachsen, Ressourcen abschmelzen, Lebensräume vermüllt und vergiftet werden etc. (vom Klima mal ausnahmsweise nicht gesprochen), alle diese kollateralen Schäden des Wachstums finden bei Marc Andreessen nicht statt.
     

***

Nun sag', wie hast du's mit der Religion?

Ich ändere die Perspektive: denn „eigentlich“ gehöre ich doch zur Kernzielgruppe des Manifesto. Immerhin war ich über Jahre einer der Evangelisten der Digitalisierung und habe als Berater einer Reihe von Unternehmen „den Fortschritt gepredigt“. Ich sehe mich - anlässlich der Übertreibung zur Kenntlichkeit – also gezwungen, einmal das eigene Verhältnis zur Technologie auf den Prüfstand zu stellen. Aus eigener Erfahrung ist mir klar, dass, wenn man etwas erreichen will, eine Position voller Zweifel und Bedenken wenig förderlich ist; vielleicht ist es insofern geboten, einigen Aspekten des Manifesto des Marc Andreessen einen gewissen missionarischen Rabatt einzuräumen. Und zweifellos dürfen und müssen wir – im Sinne des Manifesto – der Technologie auch gewisse Erfolge attestieren, Errungenschaften, für den Einzelnen und zum Wohle der Menschheit erreicht wurden; eine ganze Menge, auch das.

Gleich danach bin ich weniger großzügig gestimmt, nämlich wenn wir auf die Downside zu sprechen kommen, sozusagen die total cost of ownership. Der Ladenpreis unserer technischen Umgebung ist ja nur ein ein Nominalwert. Zunächst kommen die erwähnten Fremdlasten hinzu, die die Gemeinschaft gleichsam bewusstlos entstehen lässt und – irgendwie – gar nicht den Verursachern zurechnet: die Salzlast der Flüsse oder deren Erwärmung, der Verbrauch von Grundwassern oder deren Vergiftung, die Waldschäden durch Abgase (und deren „Reparatur), die Belastung der Atemluft, ganze Müllmittelgebirge in der Landschaft und so immer weiter.
Der lange Nachteil hat gegenüber dem kurzwelligen Haben-Wollen stets einen schlechten Stand.

Und gleich nach den Fremdlasten tritt die Janusköpfigkeit aller Technik auf den Plan: sei es als militärischer Hauptnutzen, als repressives politisches Instrument oder als destruktives Potential, dass Leben und Lebensentwürfe vernichtet und soziale Strukturen untergräbt oder zerstört. Denn zu den Problemen des „We“, wie es Marc Andreessen benutzt, gehört, siehe oben, dass jedes Leben einzeln gelebt wird.

Eine Ebene über dem „We”, nämlich auf einer abstrakt gesellschaftlichen Ebene, glaubt Mark Andresen an eine lineare Entwicklung der Gesellschaft. Er beschreibt den Fortschritt als einen kontinuierlichen, mitunter exponentiellen Weg voran. Technisch und technologisch ist mit dem RollOut von KI und Robotic in alle Bereich der Ökonomie vermutlich sogar eine regelrechte Explosion zu erwarten, die man mit dem Kambrium vergleichen könnte.

Dem gegenüber erleben wir den Fortschritt heute – und schon seit einiger Zeit – als eine kontinuierliche Regression, sowohl der gesellschaftlichen Fähigkeiten im intellektuellen und kommunikativen Umgang mit den stattfindenden Entwicklungen, als auch in den politischen Vorstellungen davon, wie Gesellschaft organisiert werden (sollten). Überhaupt war Entwicklung über alle Zeit eher Pendelbewegung, günstigstenfalls eine Echternacher Springprozession, jedenfalls nicht kontinuierlich voranschreitend. Ich liesse noch mit mir reden, ob oder dass am Ende Verbesserungen für die Gesellschaft stattgefunden haben, zugleich aber braucht es den Hinweis, dass diese Verbesserungen im Einzelfall – und der Einzelfall ist das Leben des Einzelnen – stets von einem auf und ab, von einem vor und zurück begleitet wurden. Der Blick auf die Entwicklung der Menschheit ist eine für mich, den Einzelnen, sinnlose Perspektive; ich lebe nicht als Gesellschaft, nicht als Nation, nicht als Menschheit. Ich lebe als Mann, Frau, neuerdings in einem Format nach Gusto, auf jeden Fall aber mit meinen Partnern, Kindern, Freunden und Kollegen, das – ist das Leben. Die Schultern zuckt da nur, wer sich auf der Gewinnerseite wähnt – und auch das ist zuweilen eine trügerische Sicherheit.

Techno-Pessimismus

Technikfeindlichkeit hat in Deutschland Tradition; mindestens genauso falsch gewickelt sind dagegen jene Apologeten, die sich um die Folgen der Technik weder kümmern, noch sie überhaupt sehen (wollen). Ich bin nicht ganz sicher, ob ich mich selbst solcher Blauäugigkeit schuldig gemacht habe; ich erinnere allerdings eine Vorstandssitzung, nach der mich der Vorsitzende zunächst in derber Sprache beschimpft und dann gefeuert hat, weil ich immer dann genickt hatte, wenn seine Kollegen von den Risiken sprachen und meist dann die Stirn in Falten hatte, wenn er, der Vorsitzende, die Zukunft in einen Strauss FakeViews bettete. Ob also ich persönlich eher mitschuldig oder aufgeklärt agiert habe, will meine Erinnerung nicht exakt beantworten: im Berufsleben steht der verantwortliche Umgang mit der Zukunft meist mit den Quartalszahlen in einem verzerrten Wettbewerb, der regelmässig zugunsten der Bonuszahlung entschieden wird. Heute zittert mein kritischer Zeigefinger von organisatorischen Befindlichkeiten unbelastet in der Luft, aber: immerhin weiss ich, worum es geht!

Dies alles in Rechnung gestellt und Herrn Andreessen mit seinem haltlos-blinden und politisch-toxischen Optimismus in die Wüste geschickt – bin ich und bleibe ich doch Technik-affin – und etwas mehr als das. Es ist eine Binse, dass die allermeisten der bestehenden Überlebensrisiken nicht in Handarbeit abgewendet werden können; insofern wäre (ist, leider) Technikfeindlichkeit auch Lebensfeindlichkeit. Doch die Einsicht bringt mich nicht ins Lager Andreessens. 

Ich bin, um im Bilde zu bleiben, Techno-Pessimist und sage damit, dass ich zwar nicht (mehr) an eine technologische Auflösung der grossen Krisen- und Katastrophendrohungen glaube. Allerdings glaube ich, dass Technologie Auswege aus den unabwendbaren Katastrophen bereitstellen kann. So kann ich mir zum Beispiel covered societies vorstellen, also ein Leben unter der Kuppel. Ich kann mir auch emigrated societies vorstellen, also ein Leben im Weltraum (das mit dem Mars ist ja Quatsch!). Und ich kann mir schliesslich sogar virtual societies vorstellen, also ein Leben im digitalen Raum. Keinen der Auswege, die mir plausibel erscheinen, halte ich für wünschenswert; allerdings korreliert die Bewertung vermutlich mit dem Ausmass drohender/eingetretener Katastrophen. Und in jedem Fall werden auch solche Auswege auf technologische Fortschritte angewiesen sein.

Wenn ich das also zusammenfasse, so erscheint mir die affektive Befehdung von Technik für nicht nennenswert weniger falsch als der durch die intellektuellen Rabatten trampelnde Techno-Optimismus des Herrn Andreessen. Technik bleibt ein Werkzeug, Technologie bleibt ein Entwicklungspfad; es kommt jedoch darauf an, mit aufkommenden Entwicklungen umsichtiger, vorsichtiger und in der Perspektive langfristiger umzugehen, als es in der Historie so far dokumentiert ist.