In Sachen Klimakatastrophe ist oft von Kipp-Punkten die Rede. Auch die Diskussion steht vor einem Kipp-Punkt. Ohne Frage und ohne Einschränkung: Die Anstrengungen in Deutschland, Europa, im Westen überhaupt reichen nicht hin. Die Ausbau- und Einsparungsprogramme müssen intensiviert werden. Aber wenn "wir" nicht anfangen, "dem Rest der Welt" ebenfalls den Decarbonization-Path zu ermöglichen, sind alle Bemühungen für die Katz.
Gelingt die Decarbonisierung?
Enerdata Studie
Die Erneuerbaren entwickeln sich! Nicht genug!
CO2-Reduktion in Szenarien
Enerdata ist ein Beratungsunternehmen aus Frankreich, das sich auf Fragen der globalen Energiewende spezialisiert hat und im Rahmen dessen regelmässig Studien zur aktuellen Entwicklungen in diesem Sektor herausgibt. Ich habe in der Vergangenheit bereits darüber berichtet. Die aktuelle Präsentation (heute) „Decarbonisation Pathways: the Renewables (R)evolution” zeigt die zurückliegenden und notwendigen Veränderungen im Bereich der Erneuerbaren Energien.
Hier die in meinen Augen interessantesten Aussagen:
Der Zuwachs an erneuerbarer Energie-Infrastruktur über die letzten 30 Jahre ist beeindruckend – mit exponentiellen Steigergungsraten.
Die resultierende Energieerzeugung wächst nicht im gleichen Mass, gewinnt aber doch zunehmend Marktanteile.
Der Anteil der erneuerbaren Energie am Primärenergieverbrauch, obwohl gestiegen, ist dagegen ernüchternd. Zwischen 2000 und 2020 konnten 7% CO2-Emissionen eingespart werden.
Derzeit ist eine Kapazität von 8,4 TW produktiv, weitere 0,8 TW befinden sich im Bau und 4,0 TW sind in Planung. Letztere repräsentieren 65% aller geplanten Energieerzeugung; im Umkehrschluss basieren immer noch 35% geplante Energieerzeugung auf fossilen Energien! Sollten bis 2030 alle geplanten Projekte umgesetzt werden, würde das die erneuerbare Energieerzeugung beinahe verdoppeln.
Trends:
Enerdata verfolgt die Entwicklung in Richtung der Aussagen des Pariser Vertrages sowie des "COP 28 pledge" (>120 Unterzeichnerstaaten) in drei Szenarien:
- EnerBase – es geht so weiter wie bisher (Erwärmung um 30C plus…)
- EnerBlue – die Staaten realisieren die von Ihnen zugesagten Projekte und Programme (Erwärmung um 2,50C)
- EnerGreen – die Staaten realisieren ambitionierte Programm zur Erreichung der Pariser Ziele (Erwärmung unter 20C)
Mit Blick auf die bereits eigetretenen klimatischen Entwicklungen – Erwärmung in einem Korridor zwischen 1,10 bis 1,50C – liegt es auf der Hand, dass alle vorwärtsweisenden Aussagen am Szenario EnerGreen bemessen werden sollten, auch wenn die Staaten dafür keine vertraglichen Verpflichtungen eingegangen sind. In diesem Szenario liegt der Fokus nicht allein auf dem Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung – was mit namhaften Investitionen einhergeht – sondern auch auf Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz sowie der Absenkung des Energieverbrauches: „Development of renewables is a must towards decarbonization; but it is not sufficient. Energy efficiency and other measures are also needed.” Gleichwohl steht die weitere Eletrifizierung des Energieverbrauches im Zentrum aller Anstrengungen.
Bis hierher entsprechen die Aussagen den allgemeinen Erwartungen zumindest all jener, die am Thema interessiert sind. Am Ende der Präsentation folgen jedoch zwei Charts, die den Diskurs verändern sollten.
Das vorletzte Chart zeigt – nach Weltregionen getrennt –, welchen Anstrengungen die Staaten zugestimmt haben (EnerBlue-Szenario), um eine weitere Klimaerwärmung zu verhindern. Schon hier wird deutlich, dass 60% der Reduktionen – sagen wir – ausserhalb des „westlichen” Einflusses realisiert werden müssen.
Um allerdings unter der zwei Grad-Grenze zu bleiben, sind weit dramatischere Reduktionen notwendig, die zu über 80% abseits des westlichen Diskurses stattfinden müssen.
Damit verbunden sind nicht nur Fragen, wie es um die Wahrscheinlichkeit bestellt ist, dass China, Indien und Non-OECD-Länder willens sind, diese Anstrengungen zu realisieren, sondern auch, ob sie, einen solchen Willen einmal unterstellt, überhaupt in der Lage wären, die einhergehenden Investitionen zu stemmen.
Die Präsentation macht deutlich, dass eine Diskussion des Klimawandels „vor der eigenen Haustür” nicht an die Höhe der Probleme heranreicht. Das ewige Argument, Deutschland trage „nur 2%” zu den CO2-Emissionen bei, ignoriert, dass die Welt von den übrigen 98% bedroht ist – und es nicht beim Überleben hilft, darüber mit den Schultern zu zucken.