Es ist jetzt vielleicht 10 Tage oder 3 Wochen her, dass wir verstanden haben, wie ernst die Epidemie ist; wir: als Gesellschaft, wir als Welt. Es dauerte, bis sich der soziale Druck bis in die uneinsichtigsten Köpfe vorgekämpft hatte – und bei jenen mit genügend wenig Grips und Erfahrung ist vermutlich immer noch eine gewisse Strecke bis zur Einsicht zu überwinden: Wenn ich auf den Parkplatz der grossen Firma nebenan schaue, bei Schichtende: weder Mundschutz noch Abstand; Fahrgemeinschaften, Grüppchen, alles wie gehabt. Doch auch, wenn und wo wir verstanden haben – viel weiter, als dass „Krise ist“, sind wir damit noch nicht gekommen.
Das Wort zum Sonntag
psssst
Klappe halten!
Betroffenheit der Branchen – Die inhaltliche Einschätzung stammt von Moody's – in 4 oder 5 Punkten hab ich meine Meinung eingeschmuggelt
Andererseits! Die soziale Dynamik ist beeindruckend: ein Tsunami guten Willens, pragmatischen Zupackens, kreativen Ausprobierens und kleiner und grosser Solidarität schwappt durch die Gesellschaft. Jetzt liesse sich eine lange Liste von Beispielen nennen, stellvertretend: Der Hackathon der Bundesregierung bringt 23.000 Menschen zusammen, die in nur 3 Tagen knapp 1.500 Ideen entwickelt haben. Nicht allein das ist grossartig: am 15. März entstand die Idee, eine Woche später fand der Hackathon statt. Man möchte von „Dynamik“ sprechen!
Schön, wenn es so bleibt. Im
„Erdbeben von Chili“
erzählt Heinrich von Kleist, wie eine Katastrophe (Jahr der Handlung 1647) die Menschen zueinander rücken lässt und für einen Augenblick die „Alten Gesetze“, Hass, Denunziation, Repression, soziale Schranken … ausser Kraft gesetzt werden. Nur dauert das genau solange, bis der Vertreter jener Alten Gesetze, ein Priester, was sonst, wieder zu Wort kommt und eben diese alten Gesetze und insbesondere die soziale Zurichtung – durch einen besonders perfiden, gleichsam „mafiotischen“ Akt der „kollektiven Verschuldung“ (nämlich in der Anstiftung einer Lynchjustiz) – neuerlich zur Geltung bringt.
Und? Haben wir uns in den paar hundert Jahren seither weiterentwickelt? Donald Trump spricht vom „chinesischen“ Virus („Trump Defends Using ‘Chinese Virus’ Label, Ignoring Growing Criticism “It’s not racist at all,” the president said.“)
Wie das Virus, so die Meinungen: epidemisch.
Von dem was heute, gestern und morgen geschieht, ist überall die Rede. Scharf- und auch weniger Klarsichtige verteilen ihren Senf, zuweilen würzt er, öfter verdirbt er das Tagesmenue. Die Wahrheit ist, zumindest meine: in der Krise soll man die Klappe halten. Ist das zu flapsig? Tag für Tag wird dieses und jenes kommentiert, werden Massnahmen gefordert, zu früh, zu spät, nicht genug, es werden Zensuren verteilt, Vorbehalte protokolliert, die Rückschau, die Vorausschau … alles Profilneurotiker, na, viele jedenfalls (ich nehme mich da nicht aus, um das klarzustellen). OK, das ist die Meinungsvielfalt, das ist die Demokratie, die offene Gesellschaft muss man verteidigen; ich seh das anders.
In der Krise braucht es Organisation und Entscheidung
Beides ist abhängig von Ausmass und Qualität der verfügbaren Information. Der Staat ist dafür eingerichtet, Information zusammenzuführen und zu konsolidieren und auf der Höhe besten Wissens und Gewissens zu entscheiden. Doch kaum hat sich das Kabinett zur Krisensitzung versammelt, da brennt das Feuilleton: Vorsicht! Nationalismus! Erschreckt wird dem Bürger eine „Liebe zum Staat“ attestiert. Wo bleibt Europa! vdL zeigt Führungsschwäche! Das Virus verbreitet sich exponentiell, doch die Kommentare sorgen sich um den Föderalismus. Die Sachlage ist simpel: Der Staat soll seinen Job machen! Ob das jetzt auf kommunaler, nationaler oder europäischer Ebene geschieht, Hauptsache, es geschieht (etwas). Und auch die fundamentale Forderung ist klar: Der Staat möge aus der vormaligen Verwaltung der Interessen (die auch eine gewisse Berechtigung hat) überwechseln zu einem Management des Gemeinwohls. Das ist schwer genug! „Ich möchte das nicht entscheiden müssen.“ Der Satz ist in diesen Tagen allgegenwärtig, und er bestätigt das Mandat! Genau das ist die Legitimation des Handelns der Regierung – aber auch deren In-Die-Pflicht-Nahme. Und dann gilt, was Herfried Münkler ausgegraben hat: „Der englische Philosoph Thomas Hobbes prägte die Formel: »Pro protectione oboedientia« - für den Schutz, den der Staat bietet, haben die Bürger Gehorsam zu leisten.“
Der Staat, und wenn man es überstaatlich fassen will: die Gesellschaft, das kann dann auch eine WeltGesellschaft sein, ist eine Schicksalsgemeinschaft. Sie mag ihre Führung in Friedenszeiten wählen und austauschen, kritisieren und beschimpfen, in der Krise „hat die Gesellschaft zu folgen“; jeder andere Weg unterminiert die Staatsautorität, produziert Entscheidungsunsicherheiten und Chaos. In der Krise gibt es nichts Schlimmeres: Chaos und Kakophonie sind wirkmächtiger als jede Fehlentscheidung. Übrigens ist eine Regierung in aller Regel eine Versammlung von Qualifikationen: Manager, Berater, Fachleute, wissenschaftliche Experten; wenn es gut geht, sind es die qualifiziertesten Köpfe der Gesellschaft.
Was wissen denn Hinz oder Kunz über Epidemien?
Was über ökonomische Kausalitäten?
Das gilt bis in die Medien: Das ganze „kritische“ Gebrabbel ist contraproduktiv. Bei Sandra Maischberger sagt es Georg Mascolo richtig: Diskussion ja, nicht aber jetzt. Jetzt müsse die Politik handeln, auch mit dem Risiko, nicht in allen Aspekten das Richtige zu tun. Kritik sei nötig und zwar dann, wenn der Boden etwas weniger schwanke.
Logisch jetzt der Einwand
Es gibt aber doch ideologisch einseitige, also von Interessen geprägte Regierungen, die nur aus dem Bauch heraus „irgendwas“ entscheiden, fernab aller Kenntnis und Abwägung. Was gilt dann? Was gilt, wenn Regierende ganz offenbar überfordert sind, nicht über die intellektuellen Kräfte verfügen, komplexe Situationen zu erfassen und zu entscheiden? Der Einwand ist berechtigt, es gibt ja Beispiele.
In unserem kulturellen Rucksack finden sich hilfreiche Vorschläge für genau den Fall: Am anschaulichsten dazu erscheint mir Herman Wouk, der über exakt diese Frage „Die Caine war ihr Schicksal“ geschrieben hat; in der Verfilmung gibt Humphrey Bogart den überforderten Kapitän Queeg[qtip:(1)| Ein Kapitän ist der Krise (in einem Sturm) nicht gewachsen und fällt falsche Entscheidungen. Die Mannschaft meutert und zwei Offiziere übernehmen das Kommando. Später kommt der Fall vor ein Militärgericht.]. Mit der Zuspitzung dieser Frage hat sich Friedrich Schiller[qtip:(2)| Die Bürgschaft (Was wolltest Du mit dem Dolche, sprich? – Die Stadt vom Tyrannen befreien.)] beschäftigt. In der realen Historie war bereits Caesar[qtip:(3)| Auch Du, mein Sohn Brutus?] damit konfrontiert, und auch Georg Elser, die Septemberverschwörung und die Operation Walküre haben versucht, die Frage[qtip:(4)| Hitler-Attentatsversuche] zu Ende zu denken.
Mit anderen Worten: Man kann, soll, darf oder muss eine unfähige Regierung absetzen, man sollte aber, und zumindest in der Krise muss man sicherstellen, dass das Regieren selbst keinen Schaden nimmt. Denn das Regieren wird ja gebraucht. Eine Gesellschaft, eine Führungselite, eine Opposition, die zu Ersterem (der Absetzung) nicht in der Lage ist oder zu Letzterem nicht willens, muss die damit verbundenen Folgen aushalten. Die Alternative dazu – und übrigens als Folge vor allem des Gebrabbels und der Unentschiedenheit – ist, in letzter Konsequenz, der Bürgerkrieg. (Bevor wir uns missverstehen: Das steht nicht an!)
Mehr ist dazu nicht zu sagen
Das ist mein Kommentar zur Krise, nicht zur Demokratie! Andere Sachverhalte – bevor jemandem der Verdacht käme, ich wollte autokratischen, populistischen oder sonstwie verirrten Haltungen das Wort reden – sind sehr wohl diskussionswürdig! Und zwar, wenn sie nicht der unmittelbaren und existentiellen Gefahrenabwehr zuzuordnen sind, sondern die mittelbare und langfristige Ausrichtung der Gesellschaft und des Handelns betreffen. Wie immer spricht man darüber in den USA früher und schärfer: Ein Artikel aus der Technology Review treibt es mit seiner fettgedruckten Überschrift auf die Spitze: „We need economic relief now. Climate policy can come later.“
Was wie eine Provokation klingt, soll aber genau darüber verhandeln, welche Ziele und Zwecke mit den jetzt anlaufenden Hilfs-Zahlungsströmen verfolgt werden sollten. Dabei geht es zunächst um die Reihenfolge: Unterstützungsprogramme sollten ZUERST dort greifen, wo das unmittelbare Leben und (im medizinischen, aber auch im persönlichen Sinne) das Überleben in Frage gestellt ist. Erst wenn das gewährleistet ist, können und sollen Zahlungen zu nachhaltigen Initiativen, Maßnahmen, Produktionsformen eingesetzt werden. Die Diskussion ist brisant und strahlt natürlich auch nach Deutschland und Europa.
Nehmen wir die USA als katalytisches Beispiel, vielleicht macht das den Übertrag auf die eigenen Verhältnisse dann leichter: Wenn man den Verlust von Arbeitsplätzen schon nicht vermeiden kann, muss doch die Frage beantwortet werden: Welche? Sollten die USA ihre Frackingindustrie unterstützen, die jetzt durch den Ölpreiskrieg zwischen Saudi-Arabien und Russland - bei gleichzeitig einbrechender Nachfrage – gefährdet ist? Ihre Fluggesellschaften? Las Vegas am Ende? Oder sollten sie lieber mit aller Kraft Wind- und Sonnenenergie entwickeln, ein Energiesparprogramm starten usw.? Die Fragen sind alles andere als akademisch, denn mit der durch diese Hilfsmassnahmen eingeleiteten Verdoppelung der Staatsverschuldung stellt sich doch sofort die Frage, mit welchen Mitteln "nach der Krise" die dann immer noch notwendigen wirtschaftlichen Impulse für eine ökologische Transformation bezahlt werden können.
Kaskadierende Entscheidungen
Bereits heute lassen sich im privaten Umfeld die schnellen, unmittelbaren Reaktionen beobachten: Entscheidungen jenseits der Alltagsanforderungen werden ausgesetzt. Es ist nicht der Moment, ein Auto zu kaufen oder grössere Projekte anzugehen, … sagen wir: Fenster oder Heizungen auszutauschen, Dächer neu einzudecken, Garagen, Wintergärten oder Gewächshäuser zu bauen usw.. Diejenigen, die Geld haben und sich darum sorgen, werden vielleicht versuchen, Immobilien zu kaufen. Wer „diese Sorgen“ nicht hat, wird auch die kleineren Entscheidungen überprüfen: Reisen sowieso, Kleider (Homeoffice!), Computer …
In dieser Welle der Unsicherheit, nein, es ist ja bereits eine Welle negativer Sicherheit, da implodiert die Konsumbereitschaft auf das Nötigste.
Hinzu kommen die operativen Einschränkungen: die Restaurants, die kleineren und mittleren Geschäfte, die Schliessung ganzer Branchen, in Deutschland kommen sehr viele Handarbeiter aus östlichen Nachbarländern (und müssen jetzt zuhause bleiben), all diese Einschränkungen führen eine Vielzahl von ökonomischen Strukturen an den Rand des Ruins und darüber hinaus.
Und es reicht natürlich nicht, wenn diese Fragen – sozusagen stellvertretend – in den USA diskutiert werden. Während und nach der Bankenkrise 2008/2010 wurde darüber diskutiert, welche Schlussfolgerungen und Massnahmen aus den Ereignissen damals abgeleitet werden müssen: es ging dann u.a. um Eigenkapitalquoten und Transaktionssteuern. Doch die Massnahmen waren halbherzig. In der Rückschau wird eines sehr deutlich: halbherzige Massnahmen vertagen das Problem nur. Jetzt zeichnet sich ab, dass die Corona-Krise die Gesellschaft vor grössere Probleme stellt, die auf einer breiteren Skala stattfinden und einen tieferen, härteren, schmerzlicheren Impact haben werden. Werden die Massnahmen wieder nur halbherzig auf die Sicherung und Verlängerung des Status Quo ante abzielen?
Moody’s[qtip:(5)| meine Quelle ist CSpace, Deutsche Bank – DB’sCapitalMarketsStrategyteam] hat in einer aktuellen Übersicht die Branchen nach ihrem Betroffenheitsgrad unterschieden (Grafik rechts – in ein paar wenigen Punkten hab ich meine eigene Meinung eingeschmuggelt). Ob das jetzt zutrifft, zum Teil? gar nicht? noch umfänglicher? Ich z.B. glaube, dass die Krise zumindest für die Printmedien der letzte Nagel für ihren Sarg sein wird (da ist Moody's weniger entschieden). Bestimmt lassen sich „Öl und Gas“ nicht direkt „abschalten“, aber die Auswirkungen auf die Nachfrage sind erheblich und werden, vermutlich, mit dem Digitalisierungsschub, den insbesondere Unternehmen jetzt erfahren, auch über das Ende der Krise hinaus anhalten … Usw. Man könnte nun argumentieren, dass es Branchen gibt, deren Leistungen für das tägliche Leben unverzichtbar sind – und die deswegen nicht oder wenig betroffen sein werden. Und sicher gibt es auch Profiteure der Krise, etwa solche, die flexibel und nachhaltig genau das produzieren (Masken, Beatmungsgeräte …), was unmittelbar oder weiterhin gebraucht wird. Allerdings stehen all diese Einzelaussagen unter dem Vorbehalt, dass die Krise eine Krise bleibt und nicht in einen Kollaps umschlägt. In anderen Worten: Gewiss ist nur die Krise, nicht aber ihr Ausmass.
Dieses Ausmass hängt vor allem an den Reaktionen der Regierenden auf das dynamische Geschehen – und zwar in dem trade off zwischen medizinischen und ökonomischen Opfern.
Kultur und Strategie
Bereits heute sehen wir „Strategien“ am Werk, zumindest dort, wo nicht grobe Fahrlässigkeit und intellektuelle Schwäche regiert. Die Nachricht der Epidemiologen ist klar: Bevor nicht die sogenannte „Herdenimmunität“ erreicht ist, – platt gesagt: alle, die erkranken können, erkranken, genesen und immun geworden sind (mit einer soundso grossen Anzahl an Todesfällen unter jenen, die durch Alter oder Vorerkrankungen besonders gefährdet waren) – wird die Krise nicht vorbei sein.
Es sei denn, ein Impfstoff stünde in getesteter und genügender grosser Menge bereit.
Mit dieser Nachricht im Nacken hatten Regierende drei Optionen: sie konnten eine „brutale“ Vorgehensweise wählen, indem sie mehr oder weniger nichts gegen die Ausbreitung des Virus unternommen haben. Sie konnten aber auch „diktatorisch“ die Ausbreitung durch massive Beschränkungen, Repressionen und Überwachung einschränken oder, dritte Möglichkeit, sie konnten es „moderat“ versuchen, indem sie alle Anstrengungen unternahmen, die Ausbreitung „mit Augenmass“ zu verhindern, ohne zugleich „jegliche soziale Bewegung“ in der Gesellschaft zu unterbinden, während sie parallel alle Massnahmen auf den Weg gebracht haben, die schweren und schwersten Erkrankungen medizinisch versorgen zu können.
In jeder dieser Varianten haben Entscheidungen gewünschte und unerwünschte, aber billigend in Kauf genommene Folgen.
Der chinesische Weg ist der simpelste, was weniger an den Massnahmen, als an den Vorbedingungen liegt: Ein Regime, in dem das Individuum hinter dem Kollektiv zurücktreten muss, das ohnehin das westliche Verständnis von Menschen- und Bürgerrechten nicht teilt und die öffentliche Meinungsbildung nach eigenem Gutdünken steuert, trifft bei noch so drakonischen Massnahmen naturgemäss auf geringere Widerstände. Das Volk ist nichts anderes gewohnt, und in Zeiten der Not ist die Freiheit schon gleich gar nicht mehr so wichtig. Zwar würde ich der chinesischen Informationspolitik nicht von 12 bis Mittag vertrauen, aber das, was sie kommuniziert, legt zumindest bis jetzt nahe, dass der diktatorische Weg Erfolge für sich geltend machen kann.
Möglicherweise führt auch das brutale Vorgehen zu einem rascheren Ende der Krise; noch wissen wir das nicht. Was in Italien als Ergebnis schlechter Staatskunst erscheint, zeigt sich in den USA und in UK mit der Fratze einer zynischen Menschenverachtung: egal, wieviele dabei drauf gehen, Hauptsache, die Ökonomie übersteht das (möglicherweise ist die italienische nur eine katholisch-uneingestandene Variante [Beichte–>Vergebung] der US-amerikanischen).
Nicht zuletzt kommen aber bei der Bewertung auch kultur-historische Dispositionen zum Tragen, wie sie beispielsweise der texanische Vizegouverneur Dan Patrick geäussert hat. Er vertritt, so steht es im Spiegel
„ … eine absurde These.
Es könne nicht sein, dass die Wirtschaft der Coronakrise geopfert werde, sagte der Politiker aus Texas in einem Fernsehinterview auf Fox News. Man müsse wenigstens diskutieren, ob nicht die älteren Bürger geopfert werden sollten. "Ich denke, es gibt da draußen viele Großeltern wie mich, ich habe sechs Enkel. Ich will nicht, dass das ganze Land geopfert wird", so Patrick.“
Diese Opferungsbereitschaft ist Teil der US-amerikanischen Kultur und wird immer wieder im Genre der Science Fiction- und Katastrophenfilme propagiert.
Leben, Freiheit
Es geht darum, das Leben mit der Freiheit zu bezahlen oder die Freiheit mit dem Leben. Europäer, aber auch viele liberale Intellektuelle in den USA, wollen die Alternative so nicht einsehen (eingestehen?) und neigen dagegen zu einer moderateren Vorgehensweisen – … und nur in dieser Teilmenge gibt es eine transatlantische „Wertegemeinschaft“.
Beispielhaft macht das ein Beitrag von Thomas Friedman in der NYTimes deutlich. Unter anderem hat der dafür mit Dr. David L. Katz[qtip:(6)| der ist Gründungsdirektor des vom C.D.C. finanzierten Yale-Griffin-Präventions-Forschungszentrums der Yale Universität und Experte für öffentliche Gesundheit und Präventivmedizin] gesprochen. Es geht in der zweiten Hälfte des Artikels um den trade off: „alle“ vor dem Virus zu schützen oder die Ökonomie des Landes „vor dem Zusammenbruch“ (und in Wahrheit ist es ein flirrender, wabernder, uneindeutiger Prozess). In den liberalen Eliten des Westens will niemand solch eine Entscheidung treffen, da es auf beiden Seiten dieser Gleichung um Menschenleben geht.
David Katz empfiehlt ein „abgewogenes“ Vorgehen, bei dem nur noch „Risikogruppen“ streng isoliert werden, während weniger gefährdete Bevölkerungsteile ggf. „durch die Erkrankung hindurch“ begleitet werden; begleitet, in dem schwere Fälle versorgt werden.
„This way, Katz said, “the most vulnerable are carefully shielded until the infection has run its course through the rest of us — and the tiny fraction of those of us at low risk who do develop severe infection nonetheless get expert medical care from a system not overwhelmed.“ ...
„Let those who are inevitably going to get the virus, and are highly likely to make an uneventful recovery, get it and get over it, and get back to work and relative normalcy. And, meanwhile, protect the most vulnerable.’’
Das moderate Vorgehen tritt in „Derivaten“, also unterschiedlichen Ausprägungen auf. In dem die deutsche Bundesregierung bislang vor allem Regeln für den privaten/öffentlichen Raum erlässt, für den ökonomischen Raum es aber bei Empfehlungen belässt (und mit Kurzarbeitergeldern implizit die Fortführung von Betrieben stützt), scheint sie einem „moderaten“ Pfad zu folgen. Auch dieser Pfad hat Schwachstellen, vor allem in der Einsicht und Bereitschaft der Bevölkerung, der „regierenden Vernunft“ tatsächlich zu folgen, auch wenn das nicht mit repressiven Massnahmen sanktioniert wird (siehe oben: Bericht vom Parkplatz).
In diesen Massnahmen treten die politisch-kulturellen Prioritäten verschiedener Gesellschaftssysteme überdeutlich zu Tage; relativ dazu können wir aber doch unterstellen, dass weltweit alle Regierungen die Schäden, was immer sie jeweils darunter verstehen, für ihre Gesellschaften abwenden oder wenigstens minimieren wollen, und unisono herrscht die Bereitschaft, dafür ungekannte Mittel zu mobilisieren.
Die Zustimmung oder Ablehnung, die sie dafür in ihren Bevölkerungen erfahren, entscheidet über die Legitimität ihres Handelns.