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Nancy Fraser schreibt „Vom progressiven Neoliberalismus zu Trump“

Glaube, Liebe, Hoffnung

08-07-2018
 

»Jede Klasse kann ihre historische Mission geschichtlich "verpassen" , kann scheitern - andere "Klassen" müssen dann unter neuen historischen Bedingungen "alte Kämpfe" austragen. Geschichtsbewußtheit und verantwortungsbewußte praktisch-umwälzende Tätigkeit allein vermögen dies zu leisten.« [qtip:(1)|Rudi Dutschke, Zur Literatur des revolutionären Sozialismus; zitiert nach: http://www.infopartisan.net/archive/1967/266764.html, abgerufen am 3-VII-2018.]

A "progressive populism"? For America? For Europe? (Image: Wikimedia/Bunnyfrosch)

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0.
Ich hätte es besser wissen können: Mit Slavoj Žižek, Benjamin Kunkel, Geoffroy de Lagasnerie, Didier Eribon, Judith Butler und anderen manifestiert sich eine progressive Rückwärtsgewandtheit als denkbare Opposition gegen das neoliberale und populistisch-autokratische (ff) Weltbild der Gegenwart. Dabei kommt dem Begriff „denkbar“ eine besondere Bedeutung zu: denn das heute Nötige, namentlich ein Denken, dass auf der technologischen Höhe der Zeit die Bedingungen der Zukunft reflektiert, ist, wie es scheint, un-denkbar. Zu den markantesten Leerstellen der retropolitischen Analyse zählt der Mangel an einer differenzierten, globalen Analyse – nämlich der fundamental veränderten, nicht mehr unter dem "Kapital-Begriff" des 19. Jahrhunderts subsummierbaren, technologischen Ökonomie – sowie eine uneingelöste kritische Bestandsaufnahme des bestehenden Wertekanons der Linken wie der Rechten [qtip:(2)|...welch letzterer mich nichts angeht...]. Für heute ist damit nur eine Präambel angedeutet, denn ich will mich konkret mit einem Text von Nancy Fraser befassen; in Summe jedoch und in der Perspektive bleiben die beiden oben skizzierten Aufgaben auf dem Zettel. 

Nancy Frasers Essay: „Vom progressiven Neoliberalismus zu Trump“ erschien zunächst in American Affairs (Winter 2017) und wurde jetzt für das neue deutsche Online-Magazin adamag.de übersetzt. Es ist hilfreich, zu wissen, dass adamag ein Tochterprojekt von „Jacobin“ Magazine ist, „… eine(r) führende(n) Stimme innerhalb der amerikanischen Linken. Aus sozialistischer Perspektive berichtet Jacobin über Politik, Kultur und Wirtschaft“.

1.
Es ist schwer, den Geist unserer Zeit zu fassen, noch schwerer erscheint eine angemessene Auseinandersetzung. Zahlreiche Hürden stehen im Weg: Einen immer grösser werdenden Anteil an der Behinderung des Denkens übernimmt ein Trend, den ich als „Abfall vom Rational“ zusammenfasse. Dem unter dieser Flagge segelnden Personal ist das kommunikative Institut des „logischen Argumentes“ sinnentleert und gleichgültig; da gibt es kein Vorher und kein Nachher, keine Rückbindung an die eigene Position; nur der Augenblick, nur die Behauptung zählt. Es hat den Anschein, als würden zunehmend relevante Teile der meinungsbildenden Medien in dieses Lager wechseln, oder haben zumindest Mühe, den Ungeist dieser Haltung abzuwehren [qtip:(3)|Als ein kleines, wie mir jedoch scheint, bezeichnendes Beispiel zitiere ich einen Kommentar von Andreas Mihm aus der FAZ, in dem er sinngemäss behauptet, dass das Abschalten von Kohlekraftwerken nur dann einen Beitrag zum Klimaschutz leiste, wenn auch „andere“ ihre Kohlekraftwerke abschalteten. Es ist, plus/minus, diese Art logischer Leere, und damit aber auch kontaminierender Argumentation, die wachsende Anteile von Aufmerksamkeit bindet.]. Die verbliebenen Vertreter einer „liberalen Öffentlichkeit“ versuchen, mit Fact Checking, Aufklärung, Dialektik und Beweisführung dem Trend entgegenzutreten, sie denunzieren die Fake News so gut es eben geht und entlarven die „Lüge“ wo sie sich zeigt; well. Das alles verrauscht, wie es scheint, nahezu wirkungslos – wenn es nicht sogar einen gegenteiligen Effekt erzeugt! 

Eine wieder andere, kleine, aber wieder lauter und neuerlich selbstbewusster agierende Gruppe Intellektueller versucht, dem Zeitgeist mit dem begrifflichen Handwerkszeug des vergangenen und vorvergangenen Jahrhunderts beizukommen. 
Zu diesen zählt auch Nancy Fraser.

Bekanntlich wird eine Auseinandersetzung immer dann besonders unschön, wenn die gegnerische Position der eigenen näher oder gar nahe kommt: Nichts ist schlimmer, als die Irrtümer im eigenen Lager, und nichts verhindert nachhaltiger als solche „Streitereien“, dass Opposition wirkmächtig werden kann. Andererseits befördert das „historische Bewusstsein“ ein begründetes Misstrauen gegenüber „falschen Nivellierungen“: der kleinste gemeinsame Nenner war noch nie der Richtige!
In dieser widersprüchlichen Grundhaltung begegne ich der Autorin.

2. 
Allein ihr Ton macht mich ganz kirre [qtip:(4)|Naja, ich kann nicht wirklich einschätzen, inwieweit die deutsche Übersetzung auch die "sprachliche Geste" des Originals widerspiegelt]; in Vokabular und Duktus tönt sie (jedenfalls in der Übersetzung) wie aus einer fern vergangenen Zeit – nicht von ungefähr, stützt sich Nancy Fraser doch gleich zu Beginn (und auch im Verlauf) auf Antonio Gramsci (1891-1937, Philosoph und Mitbegründer der KP Italiens), und ebenso sinnfällig fällt mir zu diesem Sound als erstes Rudi Dutschke ein. Da ist von "herrschenden Klassen" und "Klassenspaltungen" die Rede, von "hegemonialen Blöcken" und "Hegemoniekrisen, einem "progressiven Neoliberalismus" (huiii!), von "Verteilungs- und Anerkennungsvorsorge" und von … "politischer Ökonomie". Zitat: „Nur verkleidet als progressives Projekt konnte eine zutiefst regressive politische Ökonomie das dynamische Zentrum eines neuen hegemonialen Blocks werden.“

Das Delta zum Damals dieser Sprechhaltung realisiert sich in einer feministisch streng geläuterten Perspektive; Männer kommen (in der Übersetzung) allenfalls als historische Personen vor, also Trump oder Obama, oder als Übeltäter, etwa Banker, Immobilienmagnaten, Hedge Fund-Spekulanten und Kapitalanleger, als gemeine, gesellschaftliche eine Hälfte der Menschheit sehen sie sich bei „Arbeiterinnen, Migrantinnen, Feministinnen“ und anderen Innungen untergestellt. So sehr ich den Gehalt dieser sprachlichen Geste verstehe und, insoweit sie auf eine endlich: historische Balance zielt, nachdrücklich unterstütze, so sehr verabscheue ich das so zum Ausdruck und zum verbindlichen Standard gepushte sprachliche Holzhackertum und auch den schrillen, längst aus dem Protest zum Anspruch degenerierten, impliziten Alleinvertretungsanspruch. 

3.
Zunächst gilt es festzuhalten, dass Nancy Fraser in ihrem Essay eine globale Krise konstatiert. Zwar habe diese eine scheinbar nur politische Oberfläche, darunter aber sei sie "verwoben mit anderen, wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Strängen". Diese Krise zeige sich zwar regional je anders, es gebe aber übergreifende, globale Trends und Erscheinungen – darunter der massive Vertrauensverlust in die gesellschaftliche Administration durch die herrschenden Eliten –, die es rechtfertigen, von einer umfassenden Krise zu sprechen. Das ist, meine Meinung, richtig.

Und falsch, und zwar in dem entscheidenden Punkt, dass die eigentliche Ursache dieser Krise unbenannt, und ich fürchte sogar: unerkannt bleibt. Diese eigentliche Ursache, die zunächst und vor allem anderen hätte adressiert werden müssen – und die sodann auch den Verlauf der analytischen Ableitungen komplett verändert hätte, ist das geschichtlich beispiellose Tempo des technologischen Wandels – insbesondere im Zusammenspiel mit der Globalisierung. Dieser Wandel nämlich ist verantwortlich dafür, dass den Eliten sowohl der Kompass wie auch die Rezepte anhanden gekommen sind: Die Beschreibung der Welt, die Kausalitäten und Gesetzmässigkeiten, nach denen die Welt organisiert war, gelten nicht mehr, sind zumindest so gravierend verändert, dass, wie es Frau Merkel einmal ausdrückte, die Eliten "auf Sicht" fahren. 

Von diesem grundlegenden analytischen Mangel wird sich der Text von Nancy Fraser nicht erholen – und er erscheint mir insofern für eine strategische Ausrichtung politischen Handelns grundsätzlich ungeeignet. 

Ich habe den Text zunächst in der deutschen Übersetzung gelesen – und meine nachfolgende Kritik bezieht sich überwiegend auf diese Version. Allerdings hatte ich im Verlauf mit einigen technischen Problemen meiner WebSoftware zu kämpfen, mein Text stürzte ab, verschwand, ich musste (nur auf der WebSite) dreimal von vorn anfangen, und wie sich das so hinzog, ergab es sich, dass ich schliesslich auch die englische Originalfassung gelesen habe. Dann erst fiel mir auf, dass ich offenbar den Impetus des Essays nicht richtig verstanden hatte: denn zunächst war ich zu der Meinung gelangt, dass Frau Fraser einen weitreichenden, grundsätzlichen Vorschlag für den kommenden Verlauf der Geschichte geschrieben hätte. Insbesondere diesem alt-sozialistischen Ton wohnt so etwas wie ein historischer Grössenwahn inne, der mich zu dieser Sicht verleitet hatte. Dann aber, das wenigstens ist meine schlussendliche Interpretation, merkte ich, dass Frau Fraser lediglich auf die nächsten zwei, drei Jahre schaut. Und sozusagen für die laufende "Fahrt auf Sicht" lediglich vorschlägt, den Blinker anders zu setzen. Um diesen Vorschlag also geht es im Folgenden.

4.
Einer der Leitgedanke des Textes ist ein „progressiver (im Unterschied zu einem reaktionären) Neoliberalismus“, in dem fortschrittlich orientierte Gesellschaftsteile, denen der „hegemoniale Block“ anstelle von Gleichheit immerhin meritokratische Anerkennungen anbietet, dazu beitragen, beigetragen hatten, das bestehende System zu legitimieren.

„Unter Rückgriff auf fortschrittliche Kräfte der Zivilgesellschaft propagierten sie [gemeint sind die „New Democrats“] einen, dem Anschein nach, egalitären und emanzipatorischen Ethos der Anerkennung. Im Herzen dieses Ethos standen Ideale der ‚Vielfalt‘, des ‚Empowerment‘ von Frauen und der ‚Befreiung‘ von Lesben, Schwulen und Transsexuellen; eines ‚post-ethnischen‘ Multikulturalismus, und des Umweltschutzes. Diese Ideale wurden in einer eng umgrenzten Weise verstanden, die mit der Goldman-Sachsifizierung der amerikanischen Wirtschaft gänzlich kompatibel war. Umweltschutz hieß CO²-Handel. Privaten Hausbesitz zu fördern, hieß subprime-Kredite zu vergeben, die gebündelt und als hypothekarisch abgesicherte Wertpapiere weiterverkauft werden konnten. Und Gleichheit hieß Meritokratie.“

In eine andere Sprache transponiert heisst das nicht sehr viel anderes, als dass die liberale Linke und/oder die links bis mittigen Liberalen sich von der politischen Ökonomie der „Goldman-Sachsifizierung“ haben korrumpieren lassen: „Assoziiert mit dem Vorwärtsdenken, der Befreiung, Kosmopolitismus und moralischem Fortschritt wurde das Trostlose mit einem Mal aufregend.“  Dieser neue „hegemoniale Block“ war uns im Text schon begegnet, nun schwang er sich auf, als historisches Subjekt zu agieren (und nur sprachlichen Dogmatikern und Puristen kräuseln sich dabei die Fussnägel). „Doch um hegemonial zu werden, musste der entstehende progressiv-neoliberale Block zunächst zwei Rivalen bezwingen.“, nämlich die alte Sozialdemokratie (die „New Democrats“ des „New Deal“) sowie den reaktionären Neoliberalismus, beheimatet in der republikanisch orientierten Rüstungs-, Öl- und Finanzindustrie. „Der progressive Neoliberalismus gewann diese Schlacht, doch zu einem hohen Preis.“ Nämlich auf Kosten des Rust Belt sowie anderer jüngerer Industriezentren, die vom Freihandelsabkommen NAFTA, dem Beitritt Chinas zur WTO und der Deregulierung der Banken besonders hart betroffen wurden. 

5. 
adamag.de setzt sich zum Ziel, Einfluss zu nehmen, „Wir wollen nicht Recht haben, sondern gewinnen“ [qtip:(5)|a.a.O.]. Man sollte, durfte also annehmen, dass Nancy Frasers Text auch mit uns (Europäern) zu tun hat, uns angeht. Doch spätestens jetzt, wo sich der Text vollständig dem US-Kernland zuwendet, kommen daran Zweifel auf. Andererseits mag sich die Redaktion etwas dabei gedacht haben, und vielleicht müssen wir „nur“ eine gewisse auch regionale Übersetzungsleistung erbringen. Möglicherweise, so könnte man mutmassen, lassen sich Frasers Analysen auch auf den deutschen rOst Belt anwenden? „Angesichts des zunehmenden Tempos, in dem sich Deindustrialisierung, Niedriglohnjobs und Verschuldung ausbreiteten und den Lebensstandard der unteren zwei Drittel der Bevölkerung drückten, war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand diese Lücke füllen würde.“ 

Vielleicht ergibt sich eine gewisse Analogie der Entwicklungen unter Clinton und Schröder; allerdings können wir heute nicht mehr bruchlos mit den jüngsten Arbeitslosenstatistiken [qtip:(6)|niedrigster Stand seit 1990, selbst im Osten ist die AL rückläufig] (siehe hier, hier, hier, hier und hier) oder dem privaten Schuldenstand (die private Insolvenzentwicklung ist rückläufig) argumentieren; vielleicht und schon eher mit der Einkommensverteilung [qtip:(7)|die Armutsquote schwankt um 15%, allerdings im Osten um 20%] (siehe hier, hier und hier).
Vor allem aber fehlt in unserer Hoffnungsökonomie das Obamaloch (für das jetzt möglicherweise Macron in Frage kommt, aber der ist ja nun Franzose)! Gleichviel: die Textabschnitte zu Obama, zum Wahlkampf um die Nachfolge und auch zur Entwicklung unter Trump sind sehr US-spezifisch und lassen sich auf europäische Verhältnisse kaum, schwer oder gar nicht übertragen. Und dass die Lektüre mühsam ist, sei nur am Rande erwähnt.

6.
Interessanter dagegen könnte es wieder in der Schlussequenz werden, in der sich Fraser explizit für einen neuen progressiven Populismus“ ausspricht, als dem „… vielversprechendste(n) Anwärter auf einen gegenhegemonialen Block“. Diese Figur spukt ja auch in der deutschen Meinungsbildung herum und vielleicht lohnt es, diesen Vorschlag noch einmal unter den von Fraser vorgestellten Parametern zu untersuchen.

Sicher stünde im Zentrum eines solchen denkbaren Populismus das zu adressierende Personal. Bei Fraser sind es Arbeiterinnen, Migrantinnen, Feministinnen: „Mehr noch, sie [diese Option] könnte diese – expansiv verstandene – Arbeiterinnenklasse an die Spitze einer Koalition stellen, die sie mit wesentlichen Teilen der Jugend, der Mittelschicht und der Expertinnen- und Führungsmilieus verbände.“ Eine erstaunliche Vorstellung,… möglich doch nur, wenn wir annehmen, dass der intellektuelle Zugriff der US-Arbeiterin sich wesentlich von dem etwa der deutschen unterscheidet. In Deutschland jedenfalls zeichnet sich die „organisierte Arbeiterinnenklasse“ dadurch aus, dass sie schon vor Jahrzehnten ihre Stimme bei den (schwindsüchtigen [qtip:(8)|von den 42 Millionen Beschäftigten sind nur noch 6 Millionen gewerkschaftliche organisiert, rund halb soviele wie 1991]) Gewerkschaften abgegeben hat und sich seither auf den Gebrauch der Trillerpfeife beschränkt. Und auch die Gewerkschaften selbst sind aus dem Lager der politischen Ökonomie in das Lager der Brüsseler oder Berliner Lobbyorganisationen übergesiedelt.

Anders gesagt: Arbeiterinnen ist als solche sind eine aussterbene Spezies, das sowieso; sie exitieren noch, allerdings in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht allenfalls noch als Inhaber stimm(rechts-)loser Aktien. Nicht gänzlich auszuschliessen, dass unter Migrantinnen ein ausgeprägteres Klassenbewusstsein herrscht. Das werden wir allerdings noch eine gute Weile nicht erfahren, (– und ich meine das faktisch, nicht denunziatorisch –) denn wenn dessen Expression nicht an den traditionellen rollenspezifischen Verhaltensvorschriften scheitert, so vermutlich am sprachlichen Vermögen, eine politische Position oberhalb einer Parole adäquat zu formulieren. Angenommen und unterstellt, diese faktischen Hürden würden in einer historisch glücklichen Auslosung zufällig einmal nicht im Weg stehen, so wäre es doch aber auch die Frage, ob die dem Argument eingearbeitete Summenformel „quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen“ mehr als nur eine Versammlung von HirnGespenstern ist.

Wie oft schon sind wir darauf reingefallen? Eine wie auch immer kompilierte Regenbogenkoalition, das liegt in der Natur jedes negativen Ausschlussverfahrens, kann sich nur auf ein paar wenige, rudimentäre Parolen verständigen, die notwendig allesamt an den eigentlichen Problemen (in aller Regel: zugunsten von ein paar Umverteilungsforderungen) vorbeigehen. Vieles von dem, was Nancy Fraser hier verargumentiert läuft unter Glaube, Liebe, Hoffnung: „Indem Trumps hyperreaktionärer Neoliberalismus sich der wirtschaftspopulistischen Züge seiner Wahlkampfkampagne entledigt, eröffnet er die hegemoniale Lücke wieder, die er 2016 zu füllen versprach. Mit dem Unterschied, dass es heute nicht mehr möglich ist, über diese Lücke hinweg zu gehen. Nun, da die populistische Katze aus dem Sack ist, darf bezweifelt werden, dass das Arbeiterinnensegment von Trumps Basis sich lange mit (Nicht-)Anerkennung allein wird abspeisen lassen.“

Das ist … nicht mehr als realitätsferne Ideologie. Und wenn sie Expertinnen und Führungsmilieus in ihre Koalition einbeziehen zu können glaubt, so lässt sich das nur damit erklären, dass sie diese Milieus nicht kennt. Was wäre denn der Inhalt, die Themen eines solchen gegenhegemonialen Blockes? Überall dort, wo es nicht allein um Identitäts- sondern um die realen weltlichen Probleme ginge (die bei Nancy Fraser überdies äusserst kursorisch und mit der begrifflichen Fliegenpatsche als „politische, ökologische, soziale und moralische …“ behandelt werden) finden sich diese Milieus, um es einmal polemisch zuzuspitzen, in den „Reihen der Täter“, jedenfalls zumindest in denen des problembefördernden ökonomischen Komplexes; und die jetzt sollen auf die Strasse gehen, vor die Videoüberwachungsanlagen der Metropolen, und gegen die Interessen ihrer Brötchengeberinnen antreten und "kämpfen"? Übrigens gilt dieses Argument natürlich auch für Arbeiterinnen: deren „politische“ Positionierung ist ja schon dann „mutig“, wenn es „nur“ um die eigenen Interessen, also um Umverteilung, geht.  

7.
Abgesehen von diesen, wie ich meine, ältlichen und rückwärtsgewandten Sichten, die im Geist eines zu Identitätsfragen geöffneten, ansonsten aber (selbst-)unkritischen 68er Idiomes gefangen sind und denen der Zugriff auf die tatsächlich welt-bewegenden und welt-umstürzenden Fragen nicht mehr zur Verfügung steht, abgesehen davon – – – frage ich mich auch, in wiefern eigentlich sich ein progressiver Populismus von einer autokratischen Volksbeglückung a la Hugo Chaves oder der Castro-Brüder unterschiede. Inhaltlich hält Nancy Fraser diese Frage im Dunkeln!

Und um hier keine Fragen aufkommen zu lassen: Jeder Populismus ist notwendig autokratisch! Wäre er das nicht, sondern in bewährter Manier „demokratisch“, so würde er in den „Checks und Balances“ des bestehenden Systems steckenbleiben (siehe Tsipras oder Obama). Und jetzt käme, würde sie mich hören, eine für Frau Fraser doch noch überraschende Wende: Ich bin gar nicht sicher, ob ich dagegen wäre. Ich konnte mich ja der Erkenntnis nicht verschliessen, dass die bestehenden politischen Instrumente und Verfahren schlichtweg ungeeignet sind, den bestehenden Problemen zu begegnen. Nur beginnt die Diskussion dann erst: Populismus, zur Not auch "progressiv" [qtip:(9)|auch wenn ich den Begriff aus dem Archiv auch erstmal abstauben müsste], und vermutlich auch in der einen oder anderen Form autokratisch ..., aber dann bitte: angefüllt mit welchem Inhalt?
„Befreiung“? Liebe Güte, was soll das sein?
„Umverteilung und Anerkennung“? Geh mir fott!

  • Mich interessiert, wie die Gesellschaft ohne Arbeit organisiert werden kann!
  • Ich möchte wissen, woher ein afrikanischer Traum kommen könnte, der Auswanderung für das falsche Rezept ansieht?
  • Mir soll mal jemand sagen, nach welchen Massnahmen die Finanzwirtschaft von ihrem Weltroulette ablässt?
  • Und schliesslich und natürlich die letzte Frage, wie menschliches Überleben auf diesem Planeten gesichert werden kann?

Das sind die Fragen, die mich umtreiben! Und da reicht es mir nicht, mit ein paar Buzzwords im pastoralen Gestus der Gerechtigkeit abgespeist zu werden. Wer ein Programm vorschlagen will, muss schon ein paar Antworten anbieten. Bei Frau Fraser sehe ich keine Antworten. 

Und schließlich die letzte Frage: Angenommen, ein solcher progressiver Populismus hätte sich durchgesetzt, und wir nehmen an: mit dem richtigen Inhalt, --- wer kontrolliert ihn? Wer wird  verhindern und wie, dass nicht am Ende ein "progressiver" Trumpf, Erdogan oder Stalin dabei herauskommt? Jeder Populismus handelt mit Ausgrenzung: wir - gegen "die anderen"; wer würde das im Zaum halten? Und wie?

Das wird man doch noch fragen dürfen!