Alles Wird NICHT Gut

Klimawandel

COP 28: Beeindruckend. Doch ungenügend.

 

Enerdata ist ein Beratungsunternehmen aus Frankreich, das sich auf Fragen der globalen Energiewende spezialisiert hat und im Rahmen dessen regelmässig Studien zur aktuellen Entwicklungen in diesem Sektor herausgibt. Soeben erschien der jüngste „Global Energy Report – 2024”

Die Weltwirtschaft wächst und emittiert

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Ich verstehe die Müdigkeit, die genervte Pressatmung, den Impuls zum direkten Themenwechsel. Doch davon geht das Problem nicht weg. Es fällt auch nicht leicht, etwas substantiell Neues zur Debatte beizutragen, plus: die Debatte selbst löst auch kein Problem. Von dem Problem aber berichten die Nachrichten am letzten Montag, dass in den vergangenen 13 Monaten durchgängig und global die Temperatur 1,50C über dem vorindustriellen Zeitalter lag. Das war noch 2015 die ZIELMarke des Pariser Vertrages für 2030! 

Hat nicht geklappt. 

Enerdata, das besagte Research-Unternehmen, verfolgt das Thema; ich bin inzwischen so etwas wie deren hessischer Fanclub. Naja, was wir in deren Reports regelmässig zu hören kriegen, ist viel zu beklemmend, als dass irgendjemand die Ergebnisse feiern wollte. Ich habe in der Vergangenheit bereits öfter darüber berichtet, zuletzt im April, als es um die „Decarbonisation Pathways: the Renewables (R)evolution” ging. 

Soeben wurde der „Global Energy Report – 2024” veröffentlicht und zwar hier. Alle nachfolgenden Grafiken sind diesem Report entnommen, die übrigens in dieser Präsentation erläutert werden. 

Die Nachrichten des Reports sind im Einzelnen er- und in Summe entmutigend. Es gibt drei zentrale Aussagen, die hervorzuheben sind:

  • Die Zusagen der letzten Weltklimakonferenz COP 28 in Dubai sind ambitioniert und kommen in die Nähe des 2,00C-Zieles; ganz nebenbei ist von einem 1,50C-Ziel nicht mehr die Rede! 
    Zugleich aber bleiben die tatsächlich zugesagten, sogenannten NDC (Nationally Determined Contributions) weit hinter diesen COP 28 Zusagen zurück. In meinen Worten: 
    Im Rahmen der COP fügen sich die Staaten dem Konferenzdruck und versprechen mehr als sie tatsächlich zu leisten bereit sind. Das lässt die Konferenz fragwürdig erscheinen, umso mehr, als dafür in der Vergangenheit – u.a. – Milliarden von Flugkilometern verballert wurden und immer neue hinzu kommen.
  • Das Wachstum der RES (Renewable Energy Sources) ist wirklich bemerkenswert – führt aber zu einer fehlgeleiteten Einschätzung: tatsächlich ergänzen die Erneuerbaren den bestehenden, nämlich wachsenden Verbrauch, sie ersetzen ihn nicht! 
    China, als Haupttreiber der CO2-Emissionen baut zugleich mehr RES als der Rest der Welt zusammen – und trotzdem steigen Chinas Emissionen! In Abwandlung eines berühmten Mao-Zitates: das ökologische Engagement Chinas ist ein Papiertiger. Und, btw, Indien kümmert sich erst gar nicht um den Klimawandel.
  • Um die Klimaziele tatsächlich zu erreichen müssen mehrere Pfade parallel und zugleich eingeschlagen werden: 
    – Es braucht massive Investitionen in die Erneuerbaren Energien
    – Es braucht eine massive Steigerung der Energie-Effizienz 
    – Die Eletrifizierung der Mobilität und der Wärmeversorgung muss exponentiell steigen
    – Es braucht einen „rasanten” Umstieg auf CO2-freie Elektrizität und Wasserstoff-Energie
    Enerdata weist zudem darauf hin, dass eine „nur” technologische Ausrichtung der Initiativen auch auf Limitierungen durch verfügbare Rohstoffe treffen würde/wird.

Die vierte Aussage, meine Bewertung, ist ambivalent:

  • Die faktischen Erfolge beim Umstieg in eine CO2-freie Ökonomie und Lebensführung sind mitunter durchaus beeindruckend und ermutigend, doch einerseits können die Kapazitäten (45% Potential) nur teilweise (30% Einspeisung) genutzt werden (Stichwort „Dunkelflaute”) und andererseits sind sie in Relation zu einer notwendigen Entwicklung ungenügend und führen – derzeit – weiter in Richtung einer bis-sogar-40C-Klimaerwärmung. 
    Die Ambivalenz der Entwicklung wohnt auf dem Zeitstrahl: Gemessen an der Trägheit politischer und gesellschaftlicher Prozesse, ist es beachtlich, was in welchem Tempo erreicht wird, und ohne die Kipppunkte im Nacken könnte man sagen: Das wird schon! 
    Wenn man aber eben jene grossen klimatologischen Entwicklungen einbezieht, kippt die Aussage in ihr Gegenteil: Das reicht nicht! 
    Dies an einem freundlich-sonnigen Samstag Nachmittag aufschreiben zu müssen ist deprimierend.

Noch eine Aussage, und da wackelt die politische Korrektheit:

  • Der Fokus der Weltgemeinschaft – und auch der deutschen/europäischen Öffentlichkeit – sollte sich langsam aber sicher auf diejenigen Staaten richten, die jetzt, hier, heute die hauptsächlichen Emissionen verursachen! Ich habe die historische Verantwortung des Westens bei jeder Gelegenheit betont und werde darin nicht nachlassen, es wird aber Zeit, auch die Verantwortung der „emerging economies” anzumahnen – und zwar auf der Grundlage „nachgeführter” Entwicklungsrabatte. China, absehbar bald die grösste Wirtschaftsmacht der Welt, nimmt in Sachen Klimahilfen immer noch den Zustand als Entwicklungsland in Anspruch; das ist inakzeptabel! Man kann es gar nicht oft genug sagen.

    ***

Werfen wir einen Blick auf weitere wesentliche Aussagen:

Enerdata untersucht Fragen zu Energie, Energieerzeugung und -verbrauch aus verschiedenen Perspektiven, die allesamt überaus interessant sind: . Wer nicht gerade beruflich mit diesen Fragen zu tun hat, wird sein Augenmerk jedoch auf die politischen Aussagen richten. Ich bin nicht sicher, ob der Report frei verfügbar ist, in der auf youtube verfügbaren Präsentation werden jedoch die gleichen Daten gezeigt. Deswegen hier das Inhaltsverzeichnis des Reports:

 

Die brennendste Frage im ganzen Report: 
Wie entwickeln sich die CO2-Emissionen?

Die Tabellenwerte nennen den prozentualen Anstieg (oder Rückgang) der CO2-Emissionen. 

Das Problem: 
man muss die Werte gewichten! Während 8% aller Emissionen (EU) um 8,3% zurückgegangen sind, sind 39% aller Emissionen (China) um 5,3% gestiegen. Deswegen ist der Anstieg in China weit dramatischer als der Rückgang in Europa erfreulich ist. Hinzu kommt, dass eine Entwicklung im Korridor des 2,00C-Ziel-Szenarios längst signifikante Rückgänge der CO2-Emissionen verzeichnen müsste.

Der Energieverbrauch steht – natürlich – in einem engen Zusammenhang zur Entwicklung eines  jeweiligen BIP. Das relativiert denn auch etwaige „Erfolge”: die EU hat in 2023 ohnehin nur ein Wachstum von 0,5% ausgewiesen, da sind die Einsparungen von 8,3% immer noch „gut”, aber weniger beeindruckend. Und sonst: Immerhin steigen die Emissionen um „nur” 1,7% (in den G20), während das GDP (BIP) um 3,0% steigt.  

Wachsen, Wachsen, Wachsen

Die einschlägigen Diskussionen auch der engagiertesten Kämpfer gegen den Klimawandel scheuen sich, die aus diesen Zahlen abzuleitenden Konsequenzen zu benennen: Natürlich darf die EU – sagen wir: der Westen, immerhin haben inzwischen auch die USA zaghaft damit begonnen, sich anzustrengen – in ihren Anstrengungen zur Senkung der Emissionen nicht nachlassen; zugleich aber gehören jene Nationen in den Fokus, die sich weiterhin grosszügige Steigerungen erlauben. Dabei spielt das Argument eine wesentliche Rolle, dass die „alten Industrienationen”, (vor allem) Europa und die USA, sich eben diese Grosszügigkeit bei der Drecksproduktion über zwei Jahrhunderte eingeräumt, und damit die Grundlagen, den Sockel, des CO2-Problems heute gelegt haben, während der „Rest der Welt” nun „endlich” auch seine Scheibe Wohlstand abbekommen will – und deswegen die eignene Emissionen für „gerechtfertigt” und unvermeidlich erachtet. Die Industrienationen haben im Rahmen der COP erklärt, dass sie einen Teil der Verantwortung für die Vergangenheit übernehmen – und mit jährlich 100 Milliarden $ dazu beitragen (wollen), dass ärmere Länder ihrerseits den Klimawandel bekämpfen können. Deutschland hat mit 6,3 Mrd€ seinen Beitrag zu diesen sogenannten Klimahilfen geleistet, doch die Ziellinie der 100 Milliarden wurde seit 2020 dreimal nicht erreicht.    

Kohle, Öl, Gas

Der Blick auf die Entwicklung der Energiearten zeigt einen weiteren signifikanten Anstieg, zuweilen stärker als in der Vergangenheit! Zugleich bleibt der Anteil der „Electricity” stabil, während man sich hier einen signifikanten Anstieg wünschen muss (Elektrizität aus fossiler Erzeugung ist in den anderen Energiearten enthalten).

Erneuerbare Energien

China, auf der anderen Seite, legt bei den Erneuerbaren zwar gewaltig zu (die Grafik links, unten, zeigt nur neu hinzugekommene Kapazitäten!), jedoch entwickeln sich GDP und CO2-Emissionen im Gleichschritt; insofern muss man den Zuwachs bei den Erneuerbaren anerkennen, kann ihn aber schwerlich als Erfolg verbuchen. 
Letztlich „quer-subventioniert” China lediglich seine unveränderten Entwicklungsziele mit erneuerbarer Energie.  

3 Szenarien

Enerdata verfolgt die Entwicklung in Richtung der Aussagen des Pariser Vertrages sowie des "COP 28 pledge" (>120 Unterzeichnerstaaten) in drei Szenarien. In den Graphen dieser Szenarien wird das Gap der Entwicklungen deutlich.

  • EnerBase – es geht so weiter wie bisher (Erwärmung um 3+0C …)
  • EnerBlue – die Staaten realisieren die von Ihnen zugesagten Projekte und Programme (Erwärmung um 2,50C)
  • EnerGreen – die Staaten realisieren ambitioniertere Programm zur Erreichung der Pariser Ziele (Erwärmung unter 20C)

Zwei Forderungen fassen zusammen, wie eine Erderwärmung unter 2,00C möglich wird:

  • Die Erneuerbaren müssen rasant wachsen (das meint massive Investitionen!), und die Stromerzeugung muss zu 90% aus erneuerbaren Quellen stammen, plus
  • Der Energieverbrauch insgesamt muss sinken

Das bedeutet (siehe die dritt-letzte Grafik im letzten Bericht), ungefähr, dass der Verbrauch um über 30% sinken muss, die Elektrifizierung um einen Faktor 2,5 ansteigen muss und der Verbrauch fossiler Energie auf ein Viertel absinken muss. 

Easy! 

Schon klar: I'm preaching to the converted; doch auch „unter uns” erleidet der Klimawandel eine mehr und mehr erlahmende Aufmerksamkeit. Die Enerdata-Statistiken zeigen in bedrückender Regelmässigkeit, wie bedrohlich diese Luxus-Müdigkeit ist.