rinks und lechts velwechsr’ ich nicht

ver-mitte-lt

 

Ohne Reihenfolge oder Priorisierung haben wir damit die Grossbaustellen einer politischen Neuorientierung angedeutet:

Set the Controls for the Heart of the Sun

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Teil Drei: Remapping Politics

  • The Digital Europe Project (Anleitung zum Überleben)
  • Zweckbindung der Technik (Was denkbar ist, soll auch unterbleiben können)
  • Transfer–2–Virtuality (Konsumtion ist „genozidär“)
  • Die Rolle der Arbeit (Legitimation und Eigentum)
  • Definancing (Die Rolle des Geldes in der Maschinenwelt)… 

Sind das alle? Unwahrscheinlich. Die Richtung wird erkennbar, ein Vektor, und übrigens noch weitgehend frei von Bewertungen; das kann nicht anders sein, denn in ihrem Wesenskern subsummieren sich diese Fragekomplexe unter das Überleben der Gattung. In der Not treten die Werte in den Rückraum, der Firnis der Zivilisation knistert, bricht auf, eine schwarze Epoche. Nun liegt der Sinn einer Prognose nicht aber darin, dass eintritt, was sie prognostiziert, sondern dass Du Dich darauf vorbereitest, wenn möglich Einfluss suchst, die Prognose jedenfalls dort unterläufst, wo ihre Schatten düster sind.

Wir kennen zwei Vorgehensformate, nennen wir sie ruhig traditionell: die Rechte entwickelt Strategien für die eigene Wohlfahrt, Vorsorge, Fluchtwege, Verteidigung, die Linke dagegen versucht eher, nach den Bedingungen der Möglichkeit zu greifen, das Ruder, wie man so sagt, herumzuwerfen. Tatsächlich entscheidet nicht die politische Orientierung sondern der Abstand der Zukunft über den Wert dieser Strategien.[qtip:(31)|Beispielsweise gab es auch in Deutschland namhafte Anstrengungen zur Vorbereitung auf einen Atomkrieg: Ein 17 Kilometer langer, für ca. 3.000 Menschen ausgelegter Bunker bei Ahrweiler wurde 1972 „eröffnet“ und 2008 als Museum wiedereröffnet. Das Objekt 17/5001 bei Prenden, in dem die DDR ihren 300-Personen Krisenstab unterbringen wollte, wartet noch auf eine „erfolgreiche“ Wiederverwendung. In ganz Deutschland gibt es tausende von Bunkern, allein in Hamburg 700.] Noch finden sich gute Gründe dafür, mit einem rechtzeitigen Paradigmenwechsel genügend Einfluss auf die Zukunft gewinnen zu können, um schmerzhafte Entwicklungen zu minimieren, wenn nicht sogar abzuwenden; auch wenn die blosse Hoffnung darauf einen gewissen Teil dieser Gründe überschattet.

Dass der Paradigmenwechsel kommt steht nicht in Frage (allenfalls, ob er „rechtzeitig“ eintritt). Unterstellt, das wäre nun schon geschehen, oder stünde absehbar bevor, so würde es auch „danach“ oder im Hinblick darauf unterschiedliche Anschauungen und Wertvorstellungen geben, von denen einige eher am Subjekt und andere eher an der Allmende ausgerichtet wären. Halten wir fest: Nicht alles, was das Subjekt einfordert, ist falsch; nicht alles, was das Gemeinwohl will, ist richtig. Wie aber können wir, wenn denn die Themen und die Richtung ungefähr stimmen, auf dem so sich abbildenden Pfad einen eher rechten von einem eher linken Angang unterscheiden?

(1) Erst jetzt führe ich zwei Begriffe ein, die ich in der einleitenden Gegenüberstellung nicht habe verbrauchen wollen: Aufklärung und Verklärung. Tatsächlich haben beide Begriffe einen politischen Spin, gehören aber, u.a. auch auf Grund ihrer wissenschaftlichen Konnotationen, soweit ich sehe nicht in den engeren Definitionsraum von links und rechts. Dies sollte sich ändern!
Nach meiner Auffassung ist Aufklärung in seiner auf das Subjekt ausgerichteten Haltung der eigentliche Indikator einer linken Orientierung; und zwar Aufklärung in einem dynamischen Verständnis, das die Errungenschaften der „historischen Aufklärung“ fortschreibt[qtip:(32)|Aufklärung ist immer relativ zum Stand der Erkenntnis. So gibt es etwa zur Urknall-Theorie keinen „aufgeklärten“ Standpunkt, wohl aber aufgeklärten Zweifel]. Sie denunziert nicht nur das Metaphysische und den jeweils gerade modischen (wissenschaftlichen, politischen, kulturellen…) Aberglauben bis zur Transparenz, sondern überwindet auch die eigenen Blindstellen; verschleiert vor sich selbst (dem handelnden, definierenden Subjekt) keinen Sachverhalt, und sei er zum eigenen Nachteil, und sei es eine narzisstische Kränkung. Sich zu kennen und auf die Billigkeiten der Lebenslüge zu verzichten, sowie – nach bestem Wissen und Gewissen – zu erkennen, was ist, das ist die Basis einer links-orientierten Sichtweise[qtip:(33)|wiewohl mir bewusst ist – das Fleisch ist willig, der Geist aber ist schwach – dass es zu Wechselfällen kommt: Ausnahmen bestätigen die Regel]. Dem stelle ich Verklärung als eine rechte Lebenshaltung gegenüber. Verklärung schummelt die Erkenntnis hinter das Interesse, sie sieht – um der Bequemlichkeit oder des stumpfen Vorteils willen – nicht sich selbst (oder den Sachverhalt), sondern malt ein Bild von der Welt, widewidewitt, wie es ihr gefällt, in den Kram passt, dem Interesse dient. Der ungebrochene Narziss ist – immer – ein Rechter.
Übrigens heisst das nicht, dass die linke Sicht aus „Erkenntnis“ oder in Demut auf das Interesse (und seine Durchsetzung) verzichtet – sie aber weiss um die Anmassung, die darin zum Ausdruck kommt. Linke Bigotterie, und natürlich gibt es sie, ist existentiell („Du musst mit Deinen Widersprüchen leben“).
Und es heisst auch nicht, dass eine rechte Sicht schlussendlich stets (gewalttätig) das Interesse oder den Vorteil durchsetzt; vielleicht ist sie schwach oder opportunistisch, vielleicht diszipliniert; wo aber möglich, und die katholische Kirche hilft dabei gern, malt sich die rechte Sicht das .. durchgesetzte .. Interesse und besonders die einhergehenden Fremdlasten lieb. Eine rechte Bigotterie, die unvermeidlich ist, ist regressiv.

Im Fahrwasser von Aufklärung und Verklärung werden weitere Attribute die geänderte Sicht auf die Welt unterscheiden. Spätestens seit dem Untergang von DDR und Sowjetunion hat sich die Linke („Deine Rede sei mecker-nörgel-krittel“) im Klagen und „Dagegen-Sein“ eingerichtet. Vom Verlust der Utopie hat sie sich nicht erholt und verzagt vor der Beschreibung dessen, was sein soll. Die Rechte, die sich stets auf’s Machen verlegt, kennt diese Sorgen nicht, oder kaum[qtip:(34)|Wer Visionen hat, solle zum Arzt gehen, beschied Helmut Schmidt – und komm mir jetzt nicht mit dessen Parteibuch!]. Immerhin bläst der Wind aber in unser aller ökonomisches Kartenhaus, und sogar den Rechten wird’s bei all dem Sausen und Brausen ungemütlich. 

Die Ursachen für diesen – beiderseits – pastosen Zustand sind relativ simpel: Es hat der Zeitgeist eine tiefsitzende Scheu, wenn nicht gar Angst, vor Theorie; nicht vor irgendeiner Theorie, sondern vor einer theoretischen Position „als solcher“. Theorie, ich definiere, nimmt für sich in Anspruch, die Wirklichkeit in einer Metaebene von Beschreibungen und als systematisches Regelgerüst zu erfassen („Was ist, und wie funktioniert es?“). 

Je grösser die Summe aller Sachverhalte (und damit auch in ihren Interdependenzen: je komplexer), desto schwerer lässt sich eine der Realität angemessene Theorie formulieren. Bei aller Resignation: da liegt auch Blamage in der Luft, Shitstorms. Wittgenstein war der Letzte, der das, was ist, noch ungebrochen behaupten konnte: Heute ist der Sachverhalts- UND Erkenntniszuwachs so überwältigend, dass es „zunehmend“ unmöglich  geworden ist (als gäbe es diesen Komparativ), zu sagen, was der Fall ist. Und so erleben wir täglich: jemand wagt eine These und tout le monde weisst ihr die Lücken nach. Mecker-nörgel-krittel. Was natürlich einfacher ist, als konsistent und belastbar zu sprechen. Kaum anders im wissenschaftlichen Apparat: immer kleinteiliger, abgelegener, spitz entlaufen unüberprüfbarer die Erkenntnisse, oder! .. umso generischer. Als Motto gilt: „Entweder soll mir keiner widersprechen können oder ich muss – auf Teufel komm raus – jedwede Vergleichbarkeit vermeiden“. Sloterdijk beherrscht dieses Genre wie kein zweiter!

(2) Eine Zukunfts-orientierte Position überwindet diese Paralyse! Und zwar von Seiten der systematischen Position, wie auch von Seiten der kritischen Rezeption. Gewiss, die Forderung nach einem „konstruktiven“ Diskurs ist nicht neu, so what: heute fehlt der! Eine tragfähige Gesellschaftstheorie (die den oben geforderten Modellwechsel unterfüttert) erscheint nachgerade überlebensnotwendig, und es ist eine revitalisierte, eine traditionell linke Position, die Aufgabe als solche zu akzeptieren (und die bereits bestehenden Ansätze fortzuschreiben).
Wie jeder Theorie muss es auch dieser gelingen, die Welt auf der Höhe der Zeit, nein, auf der Höhe der absehbaren Zukunft zu beschreiben – und zu regeln, wie sich Subjekte, Objekte und Sachverhalte zueinander stellen, und unter welchem Wertehorizont sie interagieren. Im Unterschied zu jeder früheren Theorie gehört es jetzt zu den komplexen Herausforderungen, die ein solches Denkgebäude angehen und auch meistern muss, die Welt auf einer radikal geänderten Grundlage zu beschreiben: denn es kommt zu Parallelwelten.
Dabei ist nicht die Parallelwelt als „Sachverhalt“ neu, sondern ihr Geltungsanspruch und ihr Regelungsbedarf! Bislang hatte keine Notwendigkeit bestanden, sich mit den Interdependenzen mit- und Gültigkeitsanmassungen solcher Welten zu befassen (die es spätestens seit dem Aufkommen von „oral histories“ gab): „die Realität“ galt als das Mass der Dinge – und mit grosser Wahrscheinlichkeit werden wenigstens die sogenannten „entwickelten“ Industrienationen daran noch eine Weile festhalten. Es ist gleichwohl absehbar, dass weitere, virtuelle Realitäten neben „die“ Realität treten werden, und zwar mit einem gewissen Hang zur Prädominanz. Dafür gibt es, wenn wir hilfsweise noch dieses eine Mal auf die überkommene Figur zurückgreifen dürfen, einen „objektiven“ Grund: in einem breiten Strom und mit der Tendenz zur Vollständigkeit übernimmt nämlich die virtuelle Welt, neben ihrer Funktion als Austragungsort „spielerisch bis seriöser“ Weltmodelle, wachsende Anteile an der Steuerung der realen Welt; die virtuelle Welt „begreift sich“ damit als „Metawelt“ der realen; fast möchte man sagen: als das Reich Gottes.
Weniger pathetisch gesagt, wird es der geforderten Gesellschaftstheorie gelingen müssen, die Verhältnisse in den Welten sowie der Welten zueinander zu beschreiben und zu regeln. In einer Kernfrage der politischen Ausrichtung kommt es in wenigstens zwei philosophischen Fragen aber doch zu einem fundamentalen Eklat:
• Werden in allen Welten jeweils dieselben, gleichsam universalen Werte Gültigkeit einfordern? – und:
• Wird die Ratio (die kausale Logik) oder wird das Gattungsinteresse (die anthropozentrische Zwecksetzung) über die Verhältnisse zwischen Realität und Virtualität entscheiden?
Anders als in der Vergangenheit kann eine Linke der Zukunft nicht auf einem universalen Wertekanon bestehen, ohne zugleich, als Folge der gleichen Logik, die Existenzberechtigung der menschlichen Gattung zur Disposition zu stellen. Und anders als in der Vergangenheit kann die Rechte nicht länger „der Realität“ das Interesse aufnötigen, ohne zugleich die Existenz der menschlichen Gattung zu riskieren.
Eine andere, auch nicht eben geringe Anforderung an diese Theorie wird es sein, das politische Mandat neu zu denken; eine Notwendigkeit, die ganz unabhängig davon existiert, ob eine Welt nun „real“ oder „virtuell“ sein wird. Natürlich steht bei dieser Frage die „Mutterwelt“ – die wir „die Realität“ nennen – im Vordergrund: Denn um in ihr die Zukunft zu gewinnen (wenn nicht: überhaupt noch zu erleben!) werden unangenehme und schmerzliche Regelungen notwendig; wir, die ganze Gesellschaft, die Welt, weiss das. Nun soll, heisst es, wer den Teich trockenlegen will, nicht die Frösche fragen: Wir Frösche haben uns das bestehende System so eingerichtet, dass es uns erlaubt, eins ums andere Mal dem Erkannten abzuschwören, Remedur zu vertagen und einem zahnlahmen Teichmeister zu huldigen. Mehrheitlich entstehen derlei Entscheidungen in einem Kalkül, demzufolge „nach mir die Sinflut“ kommen mag. Dieses dekadente System, dass die Zukunft als Gegenwart verbraucht[qtip:(35)|wovon die Überschuldung ja nur ein Zeichen ist; die Klimaerwärmung ist ein anderes; etc.], ist nicht überlebensfähig. Ich lege damit Hand an die Demokratie; und ja: an DIESE. Ich meine, dass wir zu besseren Formen der politischen Mandatierung kommen müssen. Einige Schwachpunkte, die selbstverständlich zu diskutieren wären, sind offenbar: Abhilfe ist eine Frage des politischen Willens![qtip:(36)|• Wahlzyklen untergraben konsistente politische Arbeit: Wahlperioden auf 8 Jahre verlängern, wechselnde Mehrheiten ermöglichen; • nationale Regularien werden von globalen Playern gegeneinander ausgespielt: Europa ausbauen, die UN stärken – ein Zwischenschritt …; • Parteien und Listenmandate unterminieren die politische Willensbildung: Direktmandate nur an (min 3 Jahre) parteilose Bewerber vergeben; • Lobbies korrumpieren die Ausrichtung der Politik am Gemeinwohl: nicht-öffentliche Lobbytätigkeiten strafrechtlich sanktionieren; • Institutionen kommen dem Tempo der techno-ökonomischen Entwicklung nicht nach: Entscheidungsvorbereitung öffentlich externalisieren; • Beamte und Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes (und damit ihr risiko-averses wie risiko-ignorantes Denken) sind massiv überproportional vertreten: Freistellungsregeln verbessern]

So kommt ein anderer Zungenschlag in die Debatte: die Politik der Zukunft zeichnet sich dadurch aus, den Zukunftsverbauch abzustellen. Paul Mason fordert an der Stelle, was bisher nur die Rechte zu leben in der Lage war: „will, power, confidence and design“. Während die Rechte traditionell eher die Notwendigkeit einer Neuorientierung leugnet, hätte sie gewiss keine Probleme damit, für sinnvoll befundene Regelungen dann auch gegen Widerstände durchzusetzen. Der Linken freilich geriete bei dieser Anforderung die moralische Selbstgefälligkeit ins Schlingern! In einer Geste der Bussfertigkeit nach dem stalinistischen Terror opferte sie, wenn es fürderhin drauf ankam, das Rational der moralischen Unfähigkeit, die Gattung über den Einzelnen zu stellen – anders gesagt: mit durchgedrücktem Kreuz entscheidet die Linke stets „für den Menschen“. Auch dieser noble Etikettenschwindel endet, wo das Überleben der Gattung auf dem Spiel steht.

Die Linke (nur zur Erinnerung: = die liberal gesinnte Mitte!) hat sich über die letzten 20 Jahre in einer win-win-Philosophie eingerichtet, ohne zu berücksichtigen, dass es diese seltenen Konstellationen nur geben kann, wenn beide Seiten sich dafür oder dagegen entscheiden können[qtip:(37)|In „Neuen Märkten“ ist das ein sehr dynamisches Element: wo noch nichts verteilt ist, lassen sich leicht Koalitionen schmieden. Nur befinden sich die „neuen“ gegenüber den „alten Märkten“ in der Minderheit]. Das gut-menschliche Verständnis der Linken fragt: „Darf der „gute Mensch“ Böses tun?“ – Nein, lautet die Antwort, denn: der Weg ist das Ziel! Politik jedoch regelt widerstreitende Interessen! Folglich ist politisches Handeln, und das ist etwas, das die Linke erst wieder lernen muss, eben kein Nullsummenspiel; wenn etwas geregelt werden muss, wird es Gewinner geben und Verlierer. DESwegen ist es so wichtig, über Parameter zu verfügen. 

Ein Beispiel: Barack Obama hat den Befehl gegeben, Osama bin Laden zu töten[qtip:(38)|ob die ausführenden Navy Seals, wie in den Diskussionen angeführt wird, dabei Kriegsvölkerrechte in Anspruch nahmen oder nicht, ist in meinen Augen unerheblich]. Das Interesse und die Legitimation, Osama bin Laden zur Rechenschaft zu ziehen, ist unbestritten. Ich halte aber den Tötungsbefehl selbst für einen Akt der Rache und bewerte ihn als falsch und verwerflich (es ist institutionalisierter Mord, um die Sache beim Namen zu nennen): Wenn man schon, weil man es kann, in ein fremdes und eigentlich sogar „befreundetes“ Land und dort mit einer militärischen Einheit bis hinein in ein Haus eindringt, dann hätte man bin Laden auch entführen und einem ordentlichen Gericht vorführen können – ich meine: müssen.

Die andere Seite des Beispiels ist der Einsatz von Drohnen gegen mutmassliche Terroristen. Wenn die Nachrichtenlage eine von ihnen ausgehende akute Bedrohung belegt, so halte ich es für relativ eher gerechtfertigt, Terroristen mit Drohnen zu töten (gleichsam in einem Akt vorauseilender Notwehr – wo es denn keinen anderen Weg gibt, das Unheil abzuwenden), als den Schaden abzuwarten oder gar, wie in Afghanistan, dafür einen Krieg zu führen[qtip:(39)|Ich weiss natürlich, dass ich Menschenleben nicht gegeneinander aufrechnen kann; ich weiss aber auch, dass ich „weniger Tote und Leiden“ für relativ „vertretbarer“ halte als „mehr Tote und Leiden“. Ich weiss auch, dass es in diesem Beispiel wackelige Grundlagen gibt: ich argumentiere mit meinem Kenntnisstand - der mag unzureichend oder falsch sein; auch die (akute?) Gefährlich- oder Ungefährlichkeit von Terroristen kann ich nicht wirklich beurteilen, und ich bin grundsätzlich bereit, meine Argumentation insoweit, nicht aber in der zugrunde liegenden Abwägung, zu prüfen]. Ich kann auch gar nicht ausschliessen, dass von bin Laden noch immer „akute Gefahren“ ausgehen konnten: Diese Behauptung wurde aber gar nicht erst vorgetragen (geschweige denn belegt); entscheidend aber ist etwas anderes: mit dem Einsatz vor Ort wollte man eben nicht eine etwaige potentielle oder akute Gefahr abwenden (was eine Drohne auch besorgt hätte), sondern man wollte sicher gehen und genau und nachweisbar diesen Menschen exekutieren (und, auch das offenbart den Vorsatz der Tat, um einen Wallfahrtsort zu unterbinden, überdies im offenen Meer „bestatten“).

Ich nenne dieses Beispiel als Hinweis darauf, dass politisches Handeln, auch wo es weniger drastisch erscheint, darin besteht, Entscheidungen zu fällen, die Gewinner und Verlierer, mitunter auch Überlebende und Tote erzeugen. Und ich meine, dass eine künftige linke Politik darin bestehen muss, Entscheidungen und ihre Folgen nicht nur „auf sich“ zu nehmen, sondern auch offensiv zu vertreten und sogar anzustreben, so sie diese – und das sind dann auch Fragen nach dem Recht und der Gerechtigkeit, also der Legitimität – nachvollziehbar begründen kann.

(3) Die Dinge – und auch hier geht es um Fragen der Gerechtigkeit – sind ungleich verteilt, seien es Attraktivität, Vermögen oder Intelligenz, und auch der „Erwerb von Vorteilen“ ist eher selten an Leistungen oder Verdienst bemessen. Geld kommt zu Geld, sagt man, und wer „gut aussieht“ hat es leichter im Leben. Gelegentlich spielt der Zufall eine Rolle, öfter wird mit Vitamin B nachgeholfen … Traditionell gehören daher Vorstellungen von einer „gerechteren“ Gesellschaft in das linke Weltbild – doch halten wir wenigstens fest, dass auch Rechte überwiegend der Meinung sind, dass es in der Welt „gerecht“ zugehen sollte. Es sind wohl die definitorischen Grundlagen der Gerechtigkeit, die zur Diskussion Anlass geben.
Ungefähr seit der Zeit, als die Linke aufgehört hat, den Begriff des Sozialismus aktiv zu promoten und mit der Notwendigkeit einer Revolution zu verbinden, ungefähr also seit dem Ende der bleiernen Zeit[qtip:(40)|1977: Entführung und Ermordung Hans-Martin Schleiers, Entführung der „Landshut“ nach Mogadishu und Befreiung, Tod von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Stammheim] und spätestens seit dem Fall der Mauer, ist die klagende Einforderung einer „sozialen Gerechtigkeit“ ins Zentrum linker Vorstellungen gerückt. „Wie kannst Du nur diesen armen Menschen, Frauen, Behinderten, Minderheiten, … das Recht absprechen …“ – so oder so ähnlich klingt das dann.
Die Ergebnisse sind fatal! Auf genau diesem slippery sloap hat die „Linke“ eine Anspruchsgeneration geschaffen, hat die Selbstverantwortung des Subjektes an den Staat outgesourct und geriet selbst zum (sozialen) Reperaturbetrieb des Kapitals, anstatt, wie sie es sich dereinst vorgenommen hatte, die Zukunft zu gestalten. Ich halte die Überführung der „sozialen Gerechtigkeit“ aus dem „Reich der Folgen“ in das „Reich der Ziele“ für einen entpolitisierenden Weichspüler. Und bevor Du mich richtig falsch verstehst: auch der Sozialismus ist nichts, mit dem morgen noch ein Blumentopf zu gewinnen wäre. Der Systemwechsel, von dem ich spreche, hat bislang weder ein Weichbild noch einen Namen!
Ich stelle mich damit in den Verdacht, den „Nebenwiderspruch“ zu reanimieren. Der Verdacht wäre so abwegig nicht. Doch zielt das Argument, politisch wieder nach den Ursachen zu greifen, nicht darauf, soziale Unterschiede, Ungerechtigkeiten und Fehlentwicklungen stillschweigend hinzunehmen, sondern darauf, die Gesellschaft wieder analytisch zu betrachten, anstatt sich aktionistisch und Triller-pfeiffend mit der Abfederung von Folgeproblemen zu begnügen.
WEIL die Linke sich in der Zukunft diesem Selbstbetrug verweigert, ist es ihre (traditionelle!) Aufgabe, die Gesellschaft durch den Schrecken des Notwendigen zu begleiten. Das gesagt habend, muss ich eben auch einräumen, dass, wenn die oben genannten Prognosen auch nur ungefähr stimmen, die resultierenden Probleme für eine ziemliche Weile mehr mit der Gerechtigkeit beim Überleben als mit der Gerechtigkeit der Umverteilung zu tun haben werden.  

Durch die Geschichte hindurch haben die Menschen sich darin beschieden, die Zukunft nicht kennen zu können. Das stimmt für alle Phänomene der Abweichung: das Unglück, die Katastrophe, der Todesfall, das (und anderes) sind die Unbekannten der Zukunft. Doch ist das nur die halbe Wahrheit, denn die „minderheitliche“ Abweichung ist eingebettet in ein mehrheitliches Meer von Kontinuität und Folgerichtigkeit. Wenn wir Szeanrios entwerfen, so reden wir von Kausalitäten zur Basis möglicher Abweichung. Das setzt die Kenntnis von Ursachen voraus; Ursachen zu kennen macht folgerichtig Prognose-fähig. 

(4) Die Änderungen der Gegenwart kommen mit der Digitalisierung „quasi von selbst“. Mit Hilfe einer Retropolation aus der insofern absehbaren Zukunft formuliert die Linke die „Transition“. Denn den b.a.w. beschleunigenden Prozess nicht in soziale Verwerfungen und Chaos kippen zu lassen, erfordert Steuerung – und nur die Linke nimmt diese Herausforderung an. Die rechte Position, nach der es der Markt schon richten wird, oder nachdem sich die nötige Technik schon finden wird, wenn nur die Not gross genug ist (in deren Folge sich nämlich auch deren Preis, welcher auch immer, legitimiert), diese kindlich dynamische und euphorisch energetische Position ist allein nicht überlebensfähig, oder besser gesagt: sie trägt die Katastrophe als ungewusste Abweichung in sich.
Die Linke fordert und ermöglicht die nötige Technik, sie findet die Systematik für- und regelt den Übergang. Natürlich erfordert das ein Zielbild, wie wir es (s.o.) als Desiderat auf die Agenda geschrieben haben, es erfordert zugleich aber auch ein affirmatives Verständnis der global relevanten Wissenschaften. Die Abkehr vom naiven (und im Übrigen hochgefährlichen) Verzicht auf Technologie wäre für sich schon ein fundamentaler Wechsel des linken Weltbildes.
Dieser Punkt, anders verpackt, heisst ja nichts anderes, als dass (in Anlehnung an Max Frisch) die Aufgabe darin besteht, sich (auf der Basis der Theorie) ein Bild zu machen (von der zukünftigen Gesellschaft) und mit allen erforderlichen Mitteln dafür zu sorgen, dass es (das System) ihm (dem Bild) gleich kommt.   

Alles Nachdenken hat einen beschränkten Horizont; der gedankliche Engpass ist deswegen folgender: wie können wir die Welt nicht erkennen, zugleich aber Zukünfte prognostizieren? Die These lässt sich nicht widerspruchsfrei denken: Die Welt besteht einerseits aus unerkennbar vielen – interdependenten – Sachverhalten, andererseits aber sind die Mehrheit der Sachverhalte gleichsam als „geschlossene Gesellschaften“ auf dem Zeitstrahl unterwegs und jedenfalls solange prognostizierbar, wie aus den Interdependenzen keine „Abweichung stiftenden Energieeinträge“ erfolgen; mehr noch: sogar die Risiken und Störfaktoren lassen sich, wenn schon nicht prognostizieren, so doch statistisch erfassen. Tatsächlich ist auch jene Zukunft, von der hier die Rede ist, nicht Risiko-frei. Oder anders gesagt: Die Möglichkeiten der Zukunft lassen sich nur „diesseits“ des Auftretens von Schwarzen Schwänen ausloten, aber auch unvorhersehbare Ereignisse haben ein geringeres Schadpotential, wenn deren unmittelbar zuvor gültigen Umfeldbedingungen bekannt waren. 

(5) Und schliesslich beschliesst die Linke auch das Ende des Wilden Westens, der sich über die letzten 20 Jahre in der Datenwirtschaft und bis hinein in das Verständnis des Staates von seinen Durchgriffsrechten hemmungslos ausgebreitet hat.
Die Formulierung ist bewusst gewählt: ganz sicher steht ein Beschluss am Beginn einer Ordnung der Digitalen Sphäre! Die Digitalisierung ist in die Kinderschuhe hineingewachsen, doch noch immer erscheint uns das Geschehen von Pioniergeist gesättigt, und so gilt es als unangebracht, der Entwicklung mit Regularien in die Speichen zu fassen. Wenngleich genau dieses „laissez faire“ für weite Bereiche der digitalen Anarchie verantwortlich ist, gibt es derzeit auch eine grosse Zahl von theoretischen, wissenschaftlichen, Umsetzungs- und auch Durchsetzungsproblemen, die sich an eine regulierte Datenwirtschaft richten und die durch ihr Vorhandensein das globale „enrichissez vous!“ ersst ermöglichen.
Zu diesen Problem gehört, dass die Orwell’sche Wolke gleichermassen im Interesse der Wirtschaft ist wie des Staates. Beide geben vor, mit ihren bis in die einzelne Existenz durchgreifenden Instrumenten in deren Interesse zu handeln. Honi soit, qui mal y pense! Es ist – auf Seiten des Staates – eine olle Kamelle, dass, wer die Sicherheit auf Kosten der Freiheit befördert, am Ende weder das Eine noch das Andere bekommt. Die wirtschaftlichen Interessen dagegen sind so offenbar, dass eine Diskussion darüber sich erübrigt.
Nicht erübrigt sich die Frage der Regelbarkeit: denn die Eigentums-, Nutzungs- und Verfügungsrechte an digitalen Profilen sind sehr filigrane und derzeit noch weitgehend ungeklärte Sachverhalte, die der unverbürgten individuellen Datenhoheit und dem verbürgten „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ Hohn sprechen.  Das Problem passt in eine simple Frage: Wo hört das Profil auf, wo fängt der Mensch an? Ein „autonomes digitales Subjekt“ zu formulieren und im Gesellschaftskörper zu verankern gehört deswegen zu den vordringlichen theoretischen und praktischen Aufgaben, die eine Zukunfts-orientierte Linke initiieren muss. Tönt lapidar – die Implikationen dagegen sind radikal! In den aktuellen Dystopien steht der Untergang der Menschheit „als Gattung“ sehr weit oben in der Liste der beliebtesten Topoi; tatsächlich ist der Mensch als Gattung, Stand heute, soviel konzidiere ich, ohne den Menschen als Subjekt und Individuum nicht denkbar.  

Lässlich, auf die Vorläufig- und Unvollständigkeit dieser Thesen hinzuweisen, sie sind offensichtlich. Allerdings insistiere ich darauf, dass Vollständigkeit und gar finale Gültigkeiten das gegebene Problem nicht lösen; wie auch, panta rhei. Mein derzeit gültiges Weltpuzzle ist überschattet von einer gordischen Verknotung, in der Kulturen, Ökonomie, Wissenschaften und Technologie sich gegenseitig darin befeuern, den Untergang erfolgreich herbeizuführen. Dieses „Problem“ zu lösen beginnt, wenn sich die meinungsbildenden Teile des „Weltgeistes“, links wie rechts, von ideologischen Altlasten lossagen, sich zugleich den heranrollenden Gegebenheiten stellen und aufhören, sich etwas vorzumachen. 

Ich glaube nicht (mehr), dass das Glück links ODER rechts am Wege liegt, auch wenn ich selbst mich, im Lichte der hier vorgetragenen begrifflichen Kalibrierung, eher links verorte. Ich bin vielmehr zu der biGotten Überzeugung gelangt, dass mit „egozentrischen“ wie auch „gesellschaftlichen“ (oder kollektivistischen) Weltsichten wertvolle Energien freigesetzt werden, die weder vom Staat noch vom Markt allein in der Waage gehalten werden. (Globale) Regulierung UND (regionale) Deregulierung sehe ich damit als gleichgewichtige Werkzeuge einer zukünftigen Politik. Es wäre ein grobes Missverständnis, diese radikale Abkehr von den politischen Polen „in der Mitte“ zu verorten.