rinks und lechts velwechsr’ ich nicht

ver-mitte-lt

 

„Sag, was Du meinst, dann bekommst Du, was Du willst“. Es war so einfach. Das Ding, die Sache und deren Bezeichnungen kamen zur Deckung – und die Welt war, was der Fall war; Kommunikation war möglich! „Nieder mit …, Hoch die …, We want the world, and we wan’it now!“

Klare Ansagen, so war das, damals.

Gerontokratie

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Teil Eins: All das Vergangene – von den Verlusten der Worte

Jetzt bist Du älter geworden, reicher oder ärmer, klüger oder dicker und es kommt zu … Verschiebungen – als würden die Sachverhalte aus ihren gewohnten Bedeutungen irgendwie auskragen – derweil ihre Bezeichnungen aber immergleich bleiben; und das ist doof. Wenn die Begriffe nicht mehr meinen, was sie bezeichnen, ist die Welt durcheinander; und Kommunikation geht nur unter erschwerten Bedingungen.

Ungefähr so steht es in dieser Weltminute um die Verortung der politischen Lager. Über Jahrhunderte hatten sich die Obermengen „links“ und „rechts“ bewährt, die Roten und die Schwarzen. Heute allerdings ist unklar, was das meint: links, rechts, oder: ein jedes pflegt sein je eigenes Verständnis.

Wie kam ich drauf: 
Ist Frau Merkel (wie der griechische Boulevard meint) nun ein Nazi, weil sie deutsche Banken mit Hunderten von Milliarden rettet, oder ist sie ein Nazi (wie Herr Erdogan meint), weil sie türkische Brandstifter nicht soo gut findet? Oder ist sie eine linke Socke (wie es die CSU zuweilen behauptet), weil sie die Atomkraftwerke abschalten lässt und Flüchtlinge ins Land lässt? Dagegen die Linke, die den Sozialismus gegen die Sozialhilfe getauscht hat, die Sozialdemokraten, die die Agenda 2010 auch gegen die eigene Partei durchsetzen. Nimm Schmidt, Schröder oder Gabriel, die zu nuscheln anfangen, wenn sie ihren Parteitag mit „Genoss’n'nd‘Genoss’n“ ansprechen. An den Rändern wird es noch undeutlicher: links und rechts, alles eine Sosse. Die Hinweise sind vorläufig. Dass die Begriffe, sicher schon seit 1989, irgendwie durcheinander geraten sind, das hat lange niemanden interessiert. Gemütlich, Ereignis-arm, das Land hatte bräsig vor sich hin gedämmert. Inzwischen, immerhin, wird die flächendeckende Begriffserosion diagnostiziert und diskutiert [Grafik: Wolfgang Herles via Tichy].

 

 

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Zunächst gingen Reperaturtrupps und Pflegedienste ans Werk. Wohl in Anerkennung ihrer Nützlichkeit und grosser Traditionen, wurden das Verständnis von „links“ wie „rechts“ ergänzt, adaptiert, reduziert oder geweitet, umgedeutet, ver- oder entschärft, implizit oder explizit. Darüber ist die Bestimmung dessen, was was ist, unklarer geworden, pastoser, verschwommener und Beliebigkeit, Entropie und Zielverluste sind in die Begriffe eingesickert. Richtig? Nicht ganz, denn: Das Sein bestimmt das Bewusstsein, und so spiegelt das Wortgemauschel letztendlich ein wachsendes Durcheinander der Sachverhalte. Links oder Rechts, als Platzhalter und Vektoren politischer Programmatik, wurden ihres Bedeutungskernes beraubt, als die damit konnotierten Handlungsräume, Adressaten und Zielvorstellungen von kulturellen, ökonomischen und insbesondere technologisch induzierten Entwicklungen gründlich verquirlt, ausgehöhlt oder gar vernichtet worden sind. Ein Versuch, die Koordinaten neu zu kalibrieren, um – dann – daraus handlungsführende Distinktionen abzuleiten, erscheint insofern dringend geboten. Wo beginnen? 

„Die In-ter-na-tio-nale erkämpft das Menschenrecht!“ 

Ja, denkste. (Nicht nur) Die europäische Linke hat über die letzten einhundert Jahre die Vorstellung gepflegt, bestimmte Begriffe wären Repräsentanten (international) einheitlicher Vorstellungen. Dass die Kultur- und Sprachräume der Nationen sehr unterschiedliche sozio-demografische Strukturen aufweisen, dass nationale Diskurse und Traditionen (auch in Ab- oder Unabhängigkeit von imperialen Einflusssphären) weit auseinanderliegen, dass Gesellschaften als ganze auch nach ihren ökonomischen, klimatischen oder Infrastrukturbedingungen oder (in aller Regel als Folge davon) nach ihrer Position „auf dem Zeitstrahl zivilisatorischer Entwicklungen“ differierende Reife- und Aufklärungsgrade aufweisen und insofern von gleichen Begriffen einen sehr unterschiedlichen, und zuweilen gar widersprüchlichen Gebrauch machen – all das liegt doch auf der Hand. Und nur der Vollständigkeit halber: das ist auf der Rechten kaum anders.

Doch warum in die Ferne schweifen, … Noch in einem gegebenen Kulturraum gibt es Streitigkeiten. Gruppen, Institutionen, Parteien, die einen Begriff oder eine Definition reklamieren (resp. deren impliziten moralischen oder politischen Gehalt), wird die Legitimität, das zu tun, sogar von den eigenen Leuten abgesprochen – von der jeweiligen Opposition sowieso, bisweilen aber auch, wie wir das gegenwärtig bei den US-Republikanern oder der CSU erleben, von den eigenen Parteigängern. Was also „links“ ist, oder „rechts“, das ist demnach sowohl regional wie auch historisch und überdies auch in einer gegebenen Situation in Definition und Anwendung verschieden[qtip:(1)|Ein Beispiel: Als sich die deutsche Linke in den 80er Jahren in den Grünen wiederfand und damit in eine Phase technologischer Abstinez wechselte, war die Linke in Frankreich technizistisch-modernistisch eingestellt]. Oder ungenau besser gesagt: „Irgendwie“ scheint es klar, aber wie genau, ist im Einzelfall – nämlich wenn es gilt, es als Sachverhalt zu benennen oder abzugrenzen – eher ungewiss, flottierend (Baudrillard) und oft sehr verschieden.

Eine Annäherung:

Die politische Landschaft rührt aus der Sitzverteilung der ersten französischen Nationalversammlung von 1789: dort sassen links die Revolutionäre, allesamt Republikaner, derweil rechts, solang der Kopf noch auf den Schultern sass, das Establishment Platz nahm, Monarchisten, die Generalstände. Seither wurden „la gauche et la droit“ mit einem Kanon von Attributen in Verbindung gebracht, die das Verständnis bis heute eingrenzen. 

  • Dem linken Spektrum hinzu gesellen sich Begriffe wie „jung/strebend, progressiv, internationalistisch, egalitär; Solidarität, Emanzipation, Selbstverwirklichung, Menschenrechte, Toleranz und Änderung/Wechsel“. Nach älteren Auffassungen gehören in diesen Kanon allerdings auch ein starker, zentralistischer Staat sowie die (bisweilen auch repressive) Dominanz des Kollektivs über das Individuum. Und bevor uns Romantik aufkommt: Jakobiner, Stalinisten, die RAF (und Art-verwandte Gruppierungen) zahlten auf dieses Konto.
  • Das rechte Spektrum dagegen verbinden wir mit „etabliert, konservativ, patriotisch bis nationalistisch, elitär; Ordnung, Wettbewerb, Hierarchie, Patriarchat, Heimat, Familie und Bestand/Besicherung“; oder, siehe Giddens, "Autorität, Loyalität und Tradition" als "die" drei Grundpfeiler. Und natürlich bilden sozialdarwinistische bis menschenverachtende Attribute und die Schlächter und Folterer des Faschismus (von den Freicorps bis zur Lagerverwaltung) den Rand dieses Definitionsraumes.

In der Zusammenfassung aber: Progressiv versus konservativ – so die wohl gängigste Unterscheidungen; was für sich schon, und zwar auf beiden Seiten, Etikettenschwindel war. 

Konservativ war an der Rechten nur der durchaus auch gewalttätige Wunsch, die überkommenen Rollen und Besitzstände beizubehalten. Ansonsten brach die Rechte gern und ausgiebig mit jedem bewahrenswerten Gesellschaftsbestand, solange ihr Supremat und der damit verschränkte innere (z.B. katholische, patriarchalische …) Wertekern nicht angetastet wurde.

Der Fortschritt der Linken demgegenüber bestand zunächst einmal darin, das Establishment, die Platzhirsche, die Besitzende Klasse aus eben jenen Sesseln zu schubsen; oft ein Generationen-, zuweilen auch ein Bildungskonflikt. Das Ziel dieses Fort-Schreitens vom Bestehenden lag in der Umverteilung, sei es der Macht, sei es dessen, was mit ihr zu bewegen war. Historisch erschien das legitim: Waren dunkle Zeiten und was damals Arbeit hiess, würden wir heute zwischen Folter und Sklaverei ansiedeln. Ich sag nur: Dieser Fortschritt hatte zwei Gesichter, und nicht selten legitimierte das, was mit der Fahne der Befreiung daherkam, lediglich einen unfriendly take over, die Übernahme von Macht.

Der aus heutiger Sicht wichtigste Bedeutungsraum jedoch verbindet den „Fortschritt“ mit der Entwicklung von Technologie, ein wiederkehrender, gleichsam „archimedischer“ Hebel: mit Technologie liessen sich ganze Gesellschaften aus den Angeln heben. Und keineswegs alle Stakeholder waren davon erfreut! Was Marx und Engels für gut befanden UND als humanistische Chance anerkannten, die den Menschen aus der Fron erlösen sollte, wurde den davon „Abgehängten“ – als solche eigentlich Subjekte der linken Fürsorge und damit die engere Zielgruppe – zum Verlust ihrer Perspektiven. Die Maschinenstürmer, die Weberaufstände, sie liefen Sturm gegen den Strukturwandel: die Maschinen nahmen ihnen das elende Leben (daheim, in der Heimat), nur um sie, wenn nicht in den Hungertod, in ein noch elenderes, würdelos fremdbestimmtes Leben (in der Fabrik, in der Stadt, in Amerika ...) zu zwingen. Analogien zu heutigen Verhältnissen wären kein Zufall.

Die Linke hat die technologische Frage gern teleologisch beschieden: „Wer hat wen? Hast Du die Technik oder hat die Technik Dich?“; und leitete daraus ihren Anspruch auf die Vergesellschaftung der Produktionsmittel ab. Für die Rechte dagegen war Technik von jeher kein (oder kaum ein) politisches Thema – ... nur ökonomisches Mittel: machen, nicht lang schnacken. Solange es „ihre“ Technik, „ihre“ Maschinen waren (eine Folge der Kapitalintensität), trugen diese zur Mehrung des (in aller Regel rechten) Reichtums bei; mehr gab es dazu nicht zu bedenken.[qtip:(2)|Analog den zwei Seiten jeder technischen Anwendung zeigt sich auch jede Technologie ihrem politischen Wesen nach indifferent - und ist damit instrumentalisierbar. Ihre Ambivalenz und Doppelzüngigkeit lässt sich an Marinetti und seinem Krach-, Tempo- und Maschinen-verliebten Futurismus recht anschaulich demonstrieren: zunächst mit allen Attributen linken Politikverständnisses aufgetreten (gegen Monarchie und Kirche, für die Vergesellschaftung von Gossgrundbesitz und -vermögen, für Emanzipation, Pressefreiheit …) war Marinetti der italienischen KP (unter Gramsci) ebenso willkommen wie dem italienischen Faschismus (unter Mussolini, wo er nach einigem Lavieren schliesslich auch verblieb).]

Schon historisch ging es drunter und drüber

Inzwischen haben sich viele tradierte Verhältnisse verkehrt. Vom Fortschrittglauben der Linken blieb mit den Grünen wenig bis nichts mehr übrig. Mit der Atomkraft, mit dem Waldsterben und der Umweltverschmutzung, mit dem Klimawandel schliesslich befand sie die Technik „als solche“ von übel. Seither kokettiert es sich schick, davon „nix zu verstonn“[qtip:(3)|„Ich jonn su unwahrscheinlich jähn met dir en der Waschsalon, weil, do häss Ahnung vun dä Technik, vun der ich nix verstonn.“ Zeile aus einem Song von Wolfgang Niedecken, BAP, 1981; Gründung Grüne: 1980 – über die „repräsentativen“ Bande zwischen BAP und der Linken lesen wir hier - http://www.zeit.de/2011/18/KS-BAP/seite-2.] – und so kam es auch, dass aus jenen, denen die intellektuell hochnäsige Abstinenz nicht unmittelbar einleuchten wollte, Geeks, Nerds und Freaks werden konnten, die damit auch ihre angestammte politische Heimat verloren. 

Die ehemals ideologisch und pathetisch überhöhte Technik wurde von der Linken nun zunehmend ignoriert. Nicht zuletzt aus mangelndem Verständnis, hatte doch die Linke überwiegend bis ausschliesslich geisteswissenschaftliche Qualifikationen erworben, grossenteils aber auch aus einer Art kultur-politischen Desinteresses, das in dem Masse wuchs, wie sich Technik, jetzt nämlich als Technologie, vom Mittel (Dampfmaschine) gleichsam „zum autonomen Objekt“ (Fliessband), wenn nicht gar zum Subjekt (Computer) „aufschwang“ – und damit auch den Händen der Zielgruppe, der Arbeiterklasse, entglitt[qtip:(4)|Dass es sich bei dieser „Zielgruppe“ um ein grob geträumtes Missverständnis handelte, steht auf einem anderen Blatt!]    . 

Der Fortschritt (I.) als solcher zählt damit wohl zu den markantesten Verlusten der Linken; dem Wesen nach desertiert der herrenlos gewordene Begriff nach seinem Relaunch als „Innovation“ in die verschiedenen „liberalen“ Lager und kaperte unterwegs auch den zugehörigen Revolutionsbegriff (II.). Schon im Verlauf dieses Prozesses wurde die herkömmliche „links-rechts“-Dichotomie brüchig, wackelig, inkonsistent. 

Doch wie gesagt: Das Sein überstimmt das Bewusstsein. Mit dem Verlust einhergehend regredierte auch der politische Horizont der Linken. In Whyl, im Wendland, im Vogelsberg, und schliesslich auch in der Uckermark überwucherte Heimat (Edgar Reitz hatte das –vielleicht – anders gemeint) den linken Internationalismus (III.), der nun als „Globalisierung“ sich ebenfalls in’s „andere“ Lager schlug. 

Und noch ein letzter Verlust spielt eine nicht unerhebliche Rolle bei der Umgestaltung der politischen Begriffe: der Verlust der Jugend (IV.), wie wir sehen werden, sogar in einem doppelten Sinn. Wenngleich mental, musikalisch und charakterlich auf eine ewig andauernde Jugendlichkeit programmiert[qtip:(5)|was, weniger polemisch gesprochen, auch die sich sprunghaft verlängernde Lebenserwartung reflektiert …], wurden auch die Babyboomer älter, padauz! – wenigstens betraf dieses „historisch einmalige“ Phänomen alle politischen Lager und zwar dramatisch[qtip:(6)|Das Durchschnittsalter ihrer Mitglieder liegt bei CDU/SPD/CSU/Linken (sic!) zwischen 59 und 60 Jahren, bei der FDP bei 54 und bei den Grünen bei 50 Jahren (Quellen: Statista, bpb). Zum Vergleich: bei Accenture, mit knapp 400.000 Mitarbeitern eine der weltweit grössten Unternehmensberatungen, liegt das Durchschnittsalter bei 27 Jahren]. Die presenile Alterstruktur der deutschen Parteienlandschaft hat zwei sozio-politisch relevante Erscheinungsformen: 

  • Einerseits repräsentieren die politischen Parteien mehrheitlich bis überwiegend die älteren 30 - 35 Mio Bundesbürger (in den Alterskohorten 45-80 Jahre). Für die Feststellung, dass diese Überalterung sich in der Dynamik und Programmatik niederschlägt, braucht es vermutlich nur wenig Argumente: Bekanntlich wächst mit dem Alter das Bestandssicherungsdenken; sicher aber ist: die „wilden Jahre“ bewohnen jenseits der 50 in aller Regel das Fotoalbum. 
  • Andererseits: Lässt man Kinder (die ihre Interessen nicht vertreten können) aussen vor, so sind 25 - 30 Mio jüngere Bundesbürger (in den Alterskohorten 15-45 Jahre) nicht, kaum oder zumindest stark unterrepräsentiert[qtip:(7)|Die Statistiken machen nebenbei auch pausibel, warum die politische Umpositionerung der CDU alternativlos war und keine versponnene Grille der Kanzlerin: sie war Ergebnis einer demografisch-soziologischen Analyse. Die grosse Koalition ist schlicht die angemessene Vertretung der Babyboomer; je älter sie werden, desto näher rücken ihre vitalen Interessen zusammen. In dem die von SPD/Linken und CDU/CSU zu vertretenden Kohorten nahezu identisch sind, vermittelt sich auch das programmatische Spektrum. Und was, und sei es aus Trotz, von den „alten“ und nicht vom Leben gleichsam „zur Mitte erodierten“ politischen Dispositionen übrig ist, so sind dafür die Linke und, je nach regionaler Verfügbarkeit, die CSU/AfD zuständig]. Und so kam den Babyboomern die Jugend abhanden, die eigene UND die nachwachsende, zu denen ihnen nicht zuletzt, in Ermangelung eigener Bindungen, der persönliche Bezug fehlte.

Von den vormals zentralen politischen Attributen sind der Linken allenfalls noch ein paar wohlmeinende, bauchlastige, wachsweiche, bisweilen exotische und auch dumme Allgemeinplätze übrig geblieben (voran die political correctness, dicht gefolgt von Gendertoiletten und Gelbbauchunken). Und so erweisen sich die Vertreter des linken Lagers heute, von den Linken über die Sozialdemokraten bis hin zu den Grünen, als die „eigentlichen“ Konservativen. Die ehemals linken Attribute jedoch, der Fortschritt, die Revolution, der Internationalismus und die Jugend, sind in das Lager einer (ausserparteilichen, ausserparlamentarischen) liberalen, technologisch-dynamischen rechten Mitte konvertiert.

Technologie und ÖkonomieDas ist noch nicht alles. Dass von den linken, progressiven und rechten, konservativen Katechsimen nur noch Pappwände stehen, hat natürlich (auch) ökonomische Gründe. Die Grafik zeigt die Entwicklung des BIP seit 1950.

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Keine Kriege, wenig soziale Konflikte. Mit dem Fahrstuhleffekt prosperierte die gesamte deutsche Gesellschaft; durchschnittlich besitzt ein deutscher Haushalt rund € 123.000 (Quelle: Stat. BA). Es geht uns … ganz gut. Da tut es weniger weh, dass „die da oben“ ungleich mehr besitzen, ja, mitunter ist es sogar wurscht, hat doch „das letzte Hemd keine Taschen“. 

Die Folge: Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges, spätestens aber seit dem Ende der wilden Streiks (1969) und dem (als abschreckendes Beispiel gut erinnerlichen) Untergang der britischen Gewerkschaften in den 1980er Jahren pflegen Arbeit und Kapital zumindest in Deutschland eine Art gentlemen agreement, wonach, so könnte man das übersetzen, keiner Seite damit gedient wäre, wollten die Arbeitnehmer’nd’Arbeitnehmer ihr Schiksal selbst in die Hand nehmen. Aus den Klassenfeinden von einst wurden Sozialpartner, der Klassenkampf ist zu rituell-dramatischen Nachtsitzungen degeneriert, in denen beide Seiten ihre demonstrative Kampfbereitschaft unter Zugabe von Kaffee und Red Bull aussitzen[qtip:(8)|In nur wenigen Ausnahmefällen haben kleinere Privilegierten-Lobbys, die über breitenwirksame Hebel verfügen (Piloten, Fluglotsen, Lokführer ..) und nur aus historischen Gründen noch als Gewerkschaften firmieren, die Rollenverteilung beinahe in ihr Gegenteil verkehrt]. Phänomenal gilt: von der früheren Klassen-bewussten und aggressiven Selbstgewissheit blieben Trillerpfeife, Plastik-Laibchen und XXL-Fahnen als entleerte Variablen, wortlos, inhaltslos, gebisslos, jämmerlich. Keins glaubt mehr an das, was es da tut.

Daher die Jahre-lange politische Langeweile; allerdings sind neuerdings Zweifel entstanden. Noch geht es im Durchschnitt nicht wirklich schlechter, dass dies aber immer weniger wahrscheinlich so bleiben wird, das treibt viele um, die etwas zu verlieren haben. 

Zwei Grossereignisse sind vom anfänglichen Staunen in andauerndes Unwohlsein, Beängstigung und Missbehagen umgeschlagen: Zunächst gelang es der deutschen Regierung unter der Leitung ihres „eisernen“ Sparkommisars Schäuble gefühlte Hunderte von Milliarden von Euros für … ja, wofür? … für die Absicherung und Bedienung von Risiken aufzubringen, die vor allem deutsche Grossbanken eingegangen waren. Der Markt regelt die Gewinne, Verluste werden sozialisiert. Sogar vor dem linksradikalen Foltermittel der Verstaatlichung einer Grossbank schreckte die CDU nicht zurück[qtip:(9)|eine temporäre Massnahme, das stimmt; aber weisst Du das mit Gewissheit – in dem Augenblick des wo Du das beschliesst?]. Nach Jahren und Jahrzehnten kleinteiligster Streitigkeiten um den deutschen Sozialstaat trug die Dreistigkeit dieses Vorganges, und vielleicht mehr noch die abgepresste Einsicht in die faktische Unabweisbakeit dieser Begehrlichkeiten, eine schweigend-verbissene Empörungswelle durch breite Teile der Bevölkerung, von links bis rechts, vom Elfenbeiturm bis hinunter zum hölzernen Stammtisch. 

Natürlich war die nahezu unkontrollierte Öffnung der Grenzen[qtip:(10)|i.e. Verzicht auf Dublin II und Aussetzung der Schengen-Regeln] und der nachfolgende rasante Anstieg der Flüchtlingszahlen in Deutschland das zweite Grossereignis; das nicht vom Himmel fiel. Es war ein Krise mit Ansage[qtip:(11)|Die finanziellen Engpässe des UNHCR (Flüchtlingswerkes der Vereinten Nationen), das insbesondere für die syrischen Flüchtlingslager aufkam, waren bereits 2014 bekannt und wurden von Vertretern der UN bei jeder sich bietenden Gelegenheit beklagt; bei einer solchen Gelegenheit (im Januar 2015) wurde die Bundesregierung (in der Person Angela Merkel) auch vor dem absehbaren Flüchtlingsstrom in Richtung Europa gewarnt, sollten die Hilfsmassnahmen des UNHCR eingestellt werden müssen]! Bis es am 1. Juli 2015 zum Zusammenbruch der syrischen Flüchtlingshilfe kam, hatte die Völkerwanderung bereits begonnen – und entwickelte nun die bekannte Eigendynamik. In anderen Worten: Vorsätzlich unterlassene Hilfeleistung in Verbindung mit einer fahrlässigen Kommunikation („Wir schaffen das!“) waren die Ursache einer nie dagewesenen Migration nach Deutschland.

Im Sinne des hier behandelten Themas sind die Auswirkungen dieses „Doppelschlages“ nicht nur für das Verständnis dessen, was heute links und was rechts ist, von erheblicher Bedeutung. Während die Griechenlandkrise, die eine Bankenkrise war, die Vision von Europa in allen Lagern schwer beschädigte (V.) und den Boden bereitete für nationale bis nationalistische Revisionen der Sinnhaftigkeit der Europäischen Union, hat die Migrationskrise (VI.) aus einem punktuellen Unmut geradezu ein Programm geformt. 

Für die 2013 gegründete AfD, die sich zunächst (gegen den Euro) als Ein-Punkt-Partei formiert hatte, war die Migrationskrise „ein Geschenk“ (so Alexander Gauland im Dezember 2015). In Anschauung der breiten, Ressentiment-geladenen, aber politisch begriffslosen Ablehnung der Bevölkerung konnten nun seitenweise spiessig, regressiv bis reaktionäre Paragraphen für ein Parteiprogramm destilliert werden – bis in die versuchsweise Wiedereinführung national-sozialistischen Sprachgebrauchs. Was rechts ist, hat sich im Verlauf dieser Entwicklung weit aus der konservativen gesellschaftlichen Mitte gelöst und in eine (quantitativ bedeutsame bis bereits gefährliche) neo-faschistische Randständigkeit radikalisiert[qtip:(12)|Die Wählerwanderung aus allen (!) Lagern hin zur AfD ist ein weiterer Beleg für die These von der Auflösung der traditionellen politischen Begriffe]. 

Wiewohl in ihren Dimensionen ausserordentlich und historisch, wirkten die zwei Grossereignisse dennoch nur als Auslöser und Katalysatoren. Um bis in die Einstellungen und politischen Begrifflichkeiten hinein ausstrahlen zu können, mussten die Ereignisse auf eine still und kontinuierlich gewachsene Verunsicherung und Zukunftsangst treffen, die ihren eigentlichen Ursprung in einer nicht nachlassenden Abfolge von technologischen Erfolgsmeldungen hatten: in Moore’s Law. 

Wie eine nicht enden wollende Party-Saison, mit Champagner-IPO’s, product launches und Weltherrschaftsmeldungen, vollzog und vollzieht sich unter der Herrschaft des Moore’schen Gesetzes eben jene Digitale Revolution, die mit universitärem Glitter[qtip:(13)|Ungefähr angefangen mit „Total Digital“ von Nicholas Negroponte und, nur als letztes Beispiel, nicht geendet bei „Whiplash - how to survive the faster future“, von Jeff Howe und Joe Ito], Film, Musik und Dollar-Konfetti die Lust an der neuen Welt verkündete. Zunächst. Ein bischen komisch war es schon, als die Y2K-Hysteriker vom Weltuntergang wie von einer Wettervorhersage sprachen; und, mit Verspätung zwar, dann aber umso heftiger, die Börsen abrauschten … aber dann kamen Google und Apple, Amazon und ebay, und die Party ging weiter. Gut, der Buchhandel ging über die Wupper, dem Musikbusiness stellte sich die Sinnfrage, die Medienlandschaft widersprach der Krise (solang es nur ging). Aber …,

nix aber, das Aber wurde leiser. 

Es kam die Sache mit den Daten, vor allem dieser Snowdon und die NSA-Kiste, parallel kamen AirB’n’B und Uber und autonome Autos, die digitale Fabrik, das Internet of Things und jetzt auch noch die Blockchain, und ohne dass man es so recht bemerkt hätte, gerieten die wöchentlich heraustrompeteten Erfolgsmeldungen der StartUps zu dräulichen Katastrophenankündigungen; in der schleichenden Prozession wurden nacheinander ganze Branchen abgemeldet. Wie in einem aus weiter Ferne heranrollenden Sturm, der seine Vorboten als Quartiermacher über Land schickt, fühlte es sich für immer mehr Menschen so an, als würde ein unbekanntes Unglück oder Virus langsam die Grundlagen der Welt, ihrer Welt auffressen. Dort – standen die Täter, die Jungen, die Nerds, die Manager und Eliten, die liberale Mitte der Gesellschaft, weltoffen, aufgeklärt, human, emanzipiert und „natürlich!“ fortschrittlich gesinnt, die den ganzen Wahnsinn anheizten und beklatschten, und hier – waren alle anderen, denen Stück für Stück klar zu werden begann, dass ihr gewohntes und beschauliches Leben zu wackeln begann. 

The „digital divide“, das war einmal der Verdacht, dass nicht alle (Bevölkerungsschichten) genug Internet abkriegen. Pustekuchen: inzwischen ist klar, dass zwar alle „drin“ sind – aber durchaus nicht alle das überleben werden! Wer auch nur das zweite seiner beiden Augen geöffnet trug, dem musste nach und nach klar werden, dass es bei dieser Entwicklung schlussendlich auch um die eigene Existenz ging, um den eigenen Beruf, die eigene Perspektive, um die der Kinder und Enkel allemal. Denen hatte man eine bessere Welt versprochen, und würde sie ihnen stattdessen als Trümmerhaufen überlassen. Das war der Resonanzboden. So entstand der Riss. Mit einem Mal war Fortschritt kein Versprechen mehr, sondern eine Drohung. So – kam es zu dem Aufstand gegen das Establishment, und so – wurden die „gefühlt Guten“ mehr oder weniger unterschiedslos zu den Bösen.

Und ein vielleicht letzter, eigentlich vorletzter Aspekt (denn er ist dafür verantwortlich, dass dem gemeinen Mittelschichtbewohner die Perspektive verlustig geht) bleibt zu diskutieren: der Verlust der Arbeit als legitimierender und (einzig) ausbeutungsfähiger Bestandteil der Weltökonomie. Ich hatte gesagt, dass die globalen gesellschaftlichen Ungleichzeitigkeiten dazu beitragen, dass die Begriffe und die Vorstellung von dem, was sie meinen könnten, auseinanderdriften. Jetzt, in einem anderen Aspekt des gleichen Sachverhaltes, müssen wir aber auch festhalten, dass die Ungleichzeitigkeiten wesentlich dazu beitragen, dass das ökonomische Gesamtgeschehen nicht kollabiert ist: Denn noch sieht sich „das Kapital“ in der Lage aus den Regionen der (computergetützten) Maschinisierung in die Regionen der Arbeit zu desertieren (von wegen: konservativ!), um überhaupt noch Mehrwerte realisieren zu können.[qtip:(14)|Es ist eine der Grundlagen der Marx’schen Analyse, dass nur Arbeit ausbeutbar ist, nur Arbeit also zu Kapitalgewinnen führen kann. Das ist gar nicht so schwer zu verstehen, denn wo Arbeit an der Entstehung von Produkten unbeteiligt ist, also nur noch Maschinen dazu eingesetzt werden, dort sind die einen Kapitalinhaber genauso gut in der Lage, Maschinen, Energie und andere nötige Ressourcen einzukaufen, um bestimmte Produkte zu erstellen, wie jeder andere Kapitalinhaber auch. Und unter diesen Umständen führen die Wettbewerbsbedingungen des Marktes dazu, dass sich der Preis eines Gutes an die Gestehungskosten annähert, kurz: kein Gewinn mehr einpreisbar ist – der Hochfrequenzhandel als nur ein Hinweis auf dieses Geschehen. Und dieser Analyse unterliegen auch all jene, die Marx für eine Ausgeburt des Teufels halten wollten.] In einer groben und eigentlich unzulässigen Verkürzung könnte man sagen, dass unsere ökonomische Grundordnung nur deswegen noch nicht zusammengebrochen ist, weil es Regionen auf der Welt gibt, in denen das Arbeitselend gross genug ist, dass der Rest der Welt von den Profiten leben kann, die in diesen Regionen erarbeitet werden.[qtip:(15)|Jack Ma hat in einem Gespräch im Januar 2017 in Davos erklärt (https://www.weforum.org/agenda/2017/01/top-photos-from-davos-2017), dass er im Jahr 1988 in Boston einen Beeper für $ 250 gekauft habe, der für $ 9 in Shanghai hergestellt wurde. Die warme Luft zwischen den beiden Preisen sei das, was im Westen als Gewinn verfrühstückt wird.] 

Auf der anderen Seite der Gleichung kommt den Produktionsmitteln das Kapital abhanden, na, sagen wir besser: dessen Notwendigkeit. In den Mythen unserer Tagen hören wir immer wieder die Geschichte von dem kleinen StartUp, dass mit fünf Laptops und einem Flipchart begann und drei Jahre nach seiner Gründung für irgendwelche MultiMillionen oder gar Milliarden aufgekauft wurde oder an die Börse ging. Richtig ist, dass die Server-Farmen von Google oder Amazon schon ein bischen mehr kosten, als grad in der Portokasse ist, nur: zur Gründung eines erfolgreichen Unternehmens genügen in Zeiten der Digitaliserung eine griffige Idee und ein Handgeld. Den Samwer-Brüdern genügten sogar die Ideen anderer.

Ich fass das mal zusammen: wesentliche Teile der Welt, der Ökonomie, der Technologie und der Kultur, aus der die uns geläufige Unterscheidung von links und rechts entstammt – und in der diese Unterscheidung gerechtfertigt war –, liegen in der Vergangenheit. Die Gegenwart, letztlich getrieben von der die Ökonomie bestimmenden Technologie, hat die politischen Lager sowohl in ihren konstitutiven Bedingungen wie auch in ihren realen Ausprägungen kräftig durcheinander gemischt. Solange die gesellschaftlichen Konflikte sich im Fahrwasser dieser (von Unverständnis, Missverständnis und Realitätsblindheit im falschen Diskurs gefangenen) Begrifflichkeiten austragen, ist die Zukunft des Landes (gewiss, … auch Europas, der Welt) gefährdet. Nicht, weil einzelne politische Ziele oder ökonomische Massnahmen isoliert betrachtet schlecht wären (das – vielleicht – auch und wäre gesondert zu untersuchen), sondern vor allem, weil die tradierten politischen Antworten und Zielrichtungen (Vektoren) für die Notwendigkeiten dieser Zukunft nicht taugen. Anders gesagt: mit den falschen Antworten auf die falsch gestellten Fragen vertändeln wir die Zukunft.