Wahlprogramm Grüne

Was wirklich fehlt ist der Wille zur Macht!

kommunale Hausmeister

 

Disclaimer: Ich bin bis ins Mark davon überzeugt, dass die globale Verfassung von Produktion und Konsumtion die Welt in eine dynamische, (und damit will ich ausdrücken: in eine unsteuerbare) Katastrophe führt. Von „Natur aus“ sind die Grünen, waren meine Partei. Schon aus Gründen des emotionalen Desinteresses würde ich über keine andere Partei so herziehen, wie (hier) über die Grünen. Sie sind, waren, auch wenn ich mich immer auf Abstand hielt, Fleisch von meinem Fleische.

Lektüre für den evangelischen Arbeitskreis

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Nun habe ich mich durch ihr Parteiprogramm hindurchgequält und gelange zu der Überzeugung, dass die Partei die Politik ausserparlamentarisch begleiten sollte; da kommt sie her, da gehört sie hin, dafür trifft sie den richtigen Ton. Alternativ: Vielleicht könnte man den Grünen das „Bundesaufsichtsamt für die Oberaufsicht“ antragen, in Analogie: die "Grünen-Behörde", das stünde ihnen gut und gäbe in dem Spiel good cop - bad cop jeder Regierung die Gelegenheit, selbst die Wohltaten zu verteilen und die Grünen mit mahnendem DuDuDu-Zeigefinger über Land zu schicken; wirkungslos wie das Datenschutzbeauftragt*Innen, beruhigte das Gewissen aber ungemein. 

Die Grünen positionieren sich als Kümmerer der Republik. Kein krummer Nagel, kein Grüppchen von Benachteiligt*Innen der, die oder das nicht als Schandfleck masszuregelnder Ungerechtigkeit ins Wahlprogramm geschrieben wurde. Subisdiarität hin oder her; soviel Hausmeister muss sein. Ich musste beim Lesen des Programmes unsere grösste Schüssel unter den Bildschirm stellen, um das herauschwappende Ich-bin-klein-mein-Herz-ist-rein– und die andauernde Gerechtigkeits-Blutung aufzufangen. Es roch so moralin, dass ich das Riechfläschchen nicht mehr wegstellen konnte. Unerträglich. 

Bashing

Nun, Polemik schreibt sich immer gut, aber man soll auch gerecht sein. Anders als die FDP, deren Programm ich bereits kommentiert habe, haben die Grünen eine glasklare, strategische Positionierung. Sie halten sich nicht damit auf, jedem denkbaren Thema eine Fussnote zu widmen, sie sagen straight und gerade aus, wofür sie stehen: Wir sind die Guten. Nicht mehr und nicht weniger. Basta. Wem fällt da nicht Google ein, arrg, schade, der Vergleich passt dann doch nicht! 

In vier Abschnitten

  • Umwelt im Kopf;
  • Welt im Blick;
  • Freiheit im Herzen und
  • Gerechtigkeit im Sinn 

behandelt das Programm 24 Themenblöcke, die jeweils in drei Projekte einfliessen, die sich die Grünen für die nächste Legislaturperiode konkret vornehmen. Formal ist das ziemlich sauber und methodisch-wahlpädagogisch viel besser, als bei der FDP. Muss man ihnen lassen. (Dann könnte man sich aber eigentlich auch das Gesummse ersparen, mit dem die drei Projekte jeweils eingeleitet werden; denn wirklich ernst gemeint sind ja nur diese drei. Der Rest ist Folklore für die Galerie.)

Was unerträglich ist, steht auf einem anderen Blatt, hat mitunter auch mit den Inhalten, vor allem aber mit dem Stil zu tun, und auch das muss man genauer ansehen. Die Grünen haben, verkleistert von selbstgerechten Wortgebimmel, einen klammheimlich verdruckst autoritativen, einen streng-calvinistischen Charakterkern – sie wollen alles verbieten, regulieren, restriktiv vergattern, was auch nur im Ansatz ihrem Weltbild in die Quere kommt. Klare Kante gegen Du-weisst-schon-wer und ein alimentatives Füllhorn für all die Schwachen und Geschundenen. Es ist aber nicht so, dass die Partei damit thematisch grundsätzlich abseits oder absurd läge, das ist ja das Drama.

Ökologie

Vorneweg: an ihrer ökologischen und gut-menschlichen Grundausrichtung lassen sie keine Zweifel aufkommen; anders als alle anderen machen sie sich die Mühe, genau das bis in ins letzte Komma zu beleuchten. Wenn es um die Umwelt geht, so sind sie gegen

  • das Quecksilber, das die Kohlekraftwerke in die Luft pusten;
  • Plastikmüll, den wir in Flüssen und Meeren „entsorgen“;
  • die Pestizide, mit denen wir unsere Böden und Gewässer belasten;
  • Fracking;
  • die Güllefluten aus der industriellen Landwirtschaft
  • Pestizide und  Monokulturen;
  • Mikroplastik in Kosmetikprodukten;
  • Grundschleppnetzen, und zu hohen Fischereiquoten;
  • Stickoxide und Feinstaub;
  • Industrielle  Massentierhaltung
  • Glyphosat, Neonicotinoiden und Bienengift;
  • Agroindustrie;
  • Kükenschreddern, Amputationen und Qualzuchten;
  • quälerische Tierversuche und den Missbrauch von Antibiotika.;
  • gentechnisch veränderte Organismen;
  • klimaschädlichen Kohle und den Ausstoß von Klimagasen;

und mindestens ebenso lang ist die Liste von den Dingen, für die sich Grünen einsetzen, darunter

  • umweltverträgliche Kunststoffe, die im Meer rückstandsfrei zerfallen.
  • eine blaue Plakette;
  • Deiche zurückverlegen und Überschwemmungsgebiete ausweisen;
  • Wildnis zulassen, … Wälder, die sich wieder zu Urwäldern entwickeln;
  • Agrarförderung nach dem Prinzip „öffentliches Geld für öffentliche Leistung“; 

und vieles mehr bis hin zu

  • Elektro-LKW mit Oberleitungen;

was sicher ein besonders erfolgversprechendes Projekt ist. Wenn man von diesem einmal absieht, erscheint doch die Frage berechtigt:

Was ist daran falsch (zumindest: bis hierher)?

Und die Antwort ist nicht einfach. Ich habe eine Weile gebraucht, um aus all dem Wohlmeinen den Knackpunkt zu destillieren: die Grünen argumentieren auf der Ebene der Kommunalpolitik! In dieser allerausführlichsten Konkretheit ist das nur kleinteilig, um nicht zu sagen politisch klein-kariert. Einmal unterstellt, und damit wir nicht die falsche Debatte führen, all das wären richtige, und sogar die richtigen Forderungen (wenigstens in Fragen der Ökologie könnten wir das ja mal vorläufig konzidieren) – … in einem Wahlprogramm sollten sie doch – allenfalls – beispielhaft auftauchen. 

Ein Wahlprogramm, zumal für den Bund, qualifiziert die zu wählende Partei auf der Metaebene: strategisch, zukunftsorientiert, machtpolitisch – In welcher Welt wollen wir leben? – das ist die Frage, auf die ich (Wähler) eine Antwort suche. Ein Programm aber, dass die eigene Durchdringungstiefe dadurch zu beweisen sucht, dass sie jeden Regelfurz einzeln vermisst, ein solches Programm, eine solche Partei nimmt sich einfach nicht ernst – sie positioniert sich nicht auf der Höhe der Macht, um die sie sich bewirbt. Mit der Kleinteiligkeit belegt sie nur, dass sie an den eigenen Erfolg eigentlich nicht glaubt und sich gleichsam vorsorglich wenigstens die tiefgestaffelte Kompetenz in die Tasche lügt. Umgekehrt aber nehmen die Grünen alles geradezu säuerlich ernst, was sie da aufschreiben. Da wabert ein Paternalismus durch die Zeilen, dass es an Kaiser Wilhelm und das alte Microsoft gemahnt. 

Neben die Referatsleiterorientierung tritt längst auch Zynismus: Als ein Ergebnis jahrelanger Professionalisierung sind die vormaligen ökologischen Überzeugungen zu einem „Markenkern“ degeneriert, den die Partei wie eine Monstranz vor sich herträgt, Messdienern gleich, die nie ernsthaft darüber nachdenken, wie und zu welchem Zweck sie ihren heiligen Geist aus der Flasche lassen; denn das ist Sache der Grossen! 

Tatsächlich, auch das hat sich die Partei in jahrzehntelanger Erfahrung abgeschaut, liest sich Wahlprogramm wie ein Mandats-Sicherungsprogramm: ... Wenn wir in der Genderfrage nur konsequent *Innen schreiben, kriegen wir diese 100k Stimmen, und wenn wir Bio mit Innovation verknüpfen noch die 100k hinzu usw. Die Grünen haben sich, nein, nicht im Scheitern, sondern als politischer Parolendienstleister eingerichtet, sind sind nur noch Lobbyisten ehemaliger Überzeugungen, man merkt, riecht, liest die Absicht in jeder Zeile.  

Immerhin bekennen sie sich zu ihrem Kernproblem; es steht in ihrem Namen: Bündnis 90/ Die Grünen – auch der Geist der Partei ist von 1990. Als die Grünen gegründet wurden, entsprach der häkelnde Politikstil ihrer (jugendlichen) Klientel. Als Partei sind sie bis heute in ihrer politischen Pubertät stecken geblieben und haben den Impetus der Gründerzeit lediglich als Geste perfektioniert, nicht entwickelt. Ihr Vokabular repräsentiert in seiner Kompromisslosigkeit den Verzicht auf jedweden Durchsetzungsanspruch, und das korrespondiert mit ihrem moralsäuerlichen Habitus. Machtpolitik? Nie gehört. Ich würde gar nicht sagen, dass die Realität ihnen das Rückgrat gebrochen hätte, sie halten im Gegenteil trotzig fest am mit-dem-Fuss-aufstampfen. Der Alt-Herrenstil Cem Özdemirs – „Ich rate zu..:“, Kopf leicht abgesenkt, von unten in die Kamera mit hochgekräuseltem Waschbrett auf der Stirn, meistens ist sein Rat auch „dringend“ – ist die gnadenlose Entsprechung der Tatsache, dass ihn niemand fragt.

Das Personal

Und damit sind wir bei des Pudels Kern. Matthias Geis hat sich in der ZEIT auf einer ganzen Seite darüber gewundert, wie die Grünen so wirkungsmächtig und zu gleich so erfolglos sein konnten. Ihm fällt alles Mögliche dazu ein, zum Beispiel, dass ihre Themen in die anderen Parteien diffundiert seien (was, gemessen an der grünnen Detailwut nur bei oberflächlicher Betrachtung der Fall ist), nur eines bemerkt er nicht, dass nämlich die Partei ein Personalproblem hat. Die komplette Führungsriege hat nicht für fünf Pfennig Charisma. Geschenkt, dass ihre Fähigkeiten für das grüne Gewächshaus hinreichen, in der grossen Politik haben die Damen und Herren Mittelpunktschuldirektor*Innen nichts zu gewinnen. Mit gewitztem Lehrer*Innenzimmer-Machiavellismus gelingt es grad noch so, die selbstverordnete Basisdemokratie auszumanövrieren: Was sich die Basis als Grasswurzelgeist wünschen könnte, das verordnet die Parteispitze, gleichsam in vorauseilender Erfüllung, und zwar bis tief hinein in jeden Paragraphen.
Dieser Circulus dreht sich solange, bis die ganze Partei damit auf die Schnauze fällt. Das deutet sich an.  

Digital

Naturgemäss ist mir besonders bange, wenn sich Grüne mit dem Internet auseinandersetzen. Auch hier: nicht alles ist falsch. Ihnen ist „Das Recht auf  digitale Selbstbestimmung […] zentral im digitalen Zeitalter.“ Sie wollen „echte Netzneutralität“. Immerhin. Doch dann wieder geht es „Gemeinsam gegen Hass im Netz“, die Grünen wollen „Vertrauen im Netz sichern“ und fragen (wen auch immer) „Was macht ihr mit meinen Daten?“ Soweit zum Thema Digital. Nee, stimmt nicht; ihre drei "Zukunfts-"Projekte stehen unter den Überschriften: 

  • Schnelles Internet für alle / Glasfaser ausbauen 
  • Datenschützer*innen stärken, neues Klagerecht einführen 
  • Moderne Verwaltung mit E-Government.

Ich habe der FDP vorgeworfen, dass sie bei der Digitalisierung die downside unterschlägt; bei den Grünen findet sie wenigstens Erwähnung; aber natürlich nur, um sogleich wieder in Gerechtigkeit auszubrechen. Es ist wie verhext: Immer mal wieder liest man die richtigen Forderungen und bekommt über der Vortragsmischung aus Kirchenfürstlichkeit und Oberlehrergehabe Knieschlottern, wenn man sich vorstellt, WIE die Grünen das dann umsetzen würden.

Wirtschaft

In diesem Sinne pflegt die Partei auch ihr Lieblingshobby: die Wirtschaft. Es gibt sie in genau zwei Erscheinungsformen: entweder, die Wirtschaft missbraucht das Land, die Umwelt, die Menschen, und dem werden sich die Grünen mit aufgerissenen Hemden entgegenstellen und mit Verordnungen und Gesetzesreformnachbesserungsinitiativvorschlägen beikommen, oder sie ist … der Austragungsort von Innovation, von grüner Innovation im besonderen. Diese Zusammenfassung möchte manche*Innen möglicherweise für ein wenig plakativ halten. Das Programm spricht aber eine deutliche Sprache: Entweder, es werden Fehlentwicklungen reguliert und Schwache geschützt, oder es wird grosszügig investiert und alle Hilfsbedürftigen werden gefördert. „Wir wollen Ordnung in dieses System bringen.“ 

Trauriger Exkurs: Afrika

Bei der Gelegenheit wünschen die Grünen einen Marshall-Plan für Afrika. Das ist ein ernstes Thema! Mit Blick auf die historische Verantwortung Europas am Elend des Kontinents wird mir regelrecht mulmig. Zu der Flauigkeit gesellen sich Schrecken und Abscheu, wenn ich die aktuellen, unüberschaubar vielen Konflikte, Machtkonstellationen und das handelnde Personal mit den herrschenden Lebensverhältnissen korreliere (wie sich medial darstellen – ich war noch nicht dort). Die gordisch-katastrophale Gemengelage ist von der Art, dass man die Tür abschliessen und den Schlüssel fortwerfen möchte. 

Aber dann mischen sich die Grünen ein.

Ich verstumme ich vor so viel gedankenlos Gut-Gemeintem. Nur mal angenommen, der Kontinent erwacht, und so etwas wie ein chinesisches Wirtschaftswunder zieht über Afrika (und 1,1 Milliarden Menschen). Kann ich denn eigentlich reinen Gewissens daran vorbeischauen, dass die Alimentierung des Kontinents genau die Nehmerqualitäten erzeugt, an denen die Entwicklung Afrikas gebricht? Und weiter: Könnte irgendjemand mit aufgeklärter Gesamtsicht daran zweifeln, dass unterwegs all die nachhaltigen Umweltkatastrophen stattfinden werden, die wir auch in China beobachten? Können wir übersehen, dass eine wirtschaftliche Prosperität Afrikas die ökologischen Probleme und den Ressourcen-Raubbau exponential verschärfen und damit die globalen Probleme nur um eine Exponentialstelle verstärken würden? Die Grünen kaschieren diese Probleme, in dem sie von einem „grünen“ Marshallplan sprechen. Das ich nicht lache. Welche Kräfte, welche Legitimation, welche Macht könnte (wollte) dieses „grün“ durchsetzen? 

Natürlich sehe ich das Unmass an Leid. Aber um unser schlechtes Gewissen zu beruhigen, vergrössern wir den Schaden; – hat unser missionarischer Eifer noch nicht genug angerichtet? Es ist lächerlich, dumm, gruselig.

Tatsächlich ist die Frage strukturell unbeantwortet: Wie kann, wie sollte Europa Verantwortung übernehmen?

Abschiessende Betrachtungen

Übrigens enthält das Wahlprogramm 216 …ers und *innen. „Außerdem sollen alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger in den EU-Staaten, in denen sie leben, die vollen bürgerlichen Rechte genießen. Die Unionsbürgerinnenschaft sollte zu einer europäischen Staatsbürgerinnenschaft fortentwickelt werden.“ Spass beiseite. Pro bonum, contra malum. Das ist die ganze grüne Philosophie. Es kommt aber auch zu besonders schönen Blühhhhhten, etwa lesen wir beim Themenblock „bezahlbare Wohnungen und lebenswerte Kommunen“ folgendes: „Unser Grundsatz lautet: Wer bestellt, bezahlt. Außerdem brauchen wir viel mehr Investitionen.“ Zitat! Nix hinzugefügt oder weggelassen. Passend dazu dann die drei Projekte: 

  • Kommunen finanziell entlasten 
  • Eine Million neue, bezahlbare Wohnungen 
  • Mietpreise bremsen – für ein Mietrecht ohne Schlupflöcher

Da möchte man nicht der Schatzmeister*innen der Partei sein.

***

Dass die Ökologie (neben der Digitalisierung) DIE Grossbaustelle allen politischen Handelns ist, gehört zu meinem Credo. Nur soll man es um Gaias Willen nicht den Grünen aufgeben, dafür zu sorgen! Die anderen Parteien könnten doch, Stichwort „sharing“, einfach aus deren Programm abschreiben. Und wenn denn schon keine "Grünen-Behörde" – Vorschlag zur Güte: die Grünen könnten doch die Evangelische Kirche kaufen; es wäre einer von den wenigen Mergern, dem ich gewisse Erfolgsaussichten einräume. ... Und sich danach aus der aktiven Politik raushalten.