Nimm diesen Kalenderspruch von Ludwig Wittgenstein: „Die Grenzen Deiner Sprache sind die Grenzen Deiner Welt”. Dreh in um und …Du findest in Deiner Sprache die Welt. Analog: Du bist, was du isst; also: Du lebst, was Du redest; vermutlich richtig. Die kritische Paraphrase aber besagt: Die Sprache macht blind für alles, was sie nicht abbildet. Wiederum umgedreht, kannst Du, können sich, in Deiner Sprache Blindstellen oder Zugriffslücken verstecken.
Wenn ich zum Augenblicke sag: verweile doch
Eva von Redecker schreibt "Bleibefreiheit"
Über den Versuch, Freiheit zeitlich zu denken
Heute bleibt McDonalds kalt, wir braten Popcorn bis es knallt – © CDU (https://archiv.cdu.de/corona/bleiben_sie_zu_hause)
Sprache ist mächtig, Bedingung und Werkzeug! Dichter und Denker, Journalistinnen oder Philosophinnen, sie alle bindet die Sprache in eine Region, in eine Historie, in eine Kultur. Sprache regelt den Zugang, schliesst ein oder aus, positioniert. Beispiel? Such es Dir aus: Bayerisch oder Sächsisch, die Jugendsprache, Heideggers Jargon, das gendergerechte Sprechen. Die Sprache regelt die Rolle, die Hierarchie: Gläubige verstehen den Römischen Ritus nicht, der Patienten verstehen den Facharzt nicht, der/die/das Studierende verstehen den Dozenten nicht. Alles kein Zufall, soll so sein: es regelt, wer spricht und wer zuhört, oben und unten.
Die Sprache wählt ihr Publikum; sie ist ein Ausweis. Wer sie beherrscht, herrscht. Wer sie beherrscht, macht sie sich zu eigen, gestaltet sie, macht sich wiedererkennbar durch eine Diktion, einen Rythmus, eine Melodie, ein eigenes Vokabular. Es genügte, ihn zu hören, um Willy Brandt zu erkennen. In der Schriftform wird die Aneignung zur Meisterschaft, wenn es für einen Blindtest reicht: Rainer Maria Rilke, Stefan George, Thomas Mann, Joseph Roth, Paul Celan, vielleicht Peter Sloterdijk, Judith Butler. Über Heidegger las ich:
„Und »Heideggers Auffassungen wiederholen« … bestand in einem papageienhaften Wiederholen oder in einer Paraphrasierung, … … … [es] war eine Form, sich im Kreis zu drehen, denn Heideggers These war eben genau die, dass die in jeder Paraphrase gebrauchten Begriffe unvermeidlich die Verpflichtung auf mindestens einige der verzerrenden ontologischen Annahmen enthalten würden, die er verwerfen wollte. Diese Aporie wirkte lähmend. Der einzige Ausweg, den ich erkennen konnte, war die eigene Zusammenstellung neuer hermetischer Begriffe, um mit seinen Schriften in einer Weise umgehen zu können, die einen nicht zum Gefangenen von Heideggers Terminologie oder der philosophischen Tradition machte.” [Raymond Geuss, „Nicht wie ein Liberaler denken”, Berlin 2023, S. 214]
Eine eigene Sprache zu entwickeln, ein Branding, einen Sound, gehört nowadays mehr in die Selbstvermarktung, als dass es der Eindeutigkeit, Vereinnahmung oder einer begrifflichen Trennschärfe dient. Auch Eva von Redecker (EvR) wagt den Versuch. Erfolg und Misserfolg liesse sich an zwei Parametern prüfen: bezeugt ihre Sprache den von ihr gewählten Sachverhalt, erstens („Verstehst Du?”), und erzeugt die Sprache eine Welt, zweitens („Ich versteh, wie Du’s meinst”). Steht EvR auf dem Prüfstand, gehört ein wenig good will dazu: also ja, in beiden Fällen, aber cum grano salis, also: kommt drauf an, wen man fragt. EvR hat einen eigenen Duktus gefunden und lebt in ihrer Welt. Insoweit Ja! Mit meiner gibt es ein paar Schnittmengen und mehrheitlich Differenzen. Da liegen die Körnchen.
Schwiiierig: gerade dann, wenn jemand eine eigene Sprache, einen eigenen Zugriff auf die Welt findet, wird es mühsam und kleinteilig, die Fehlfarben, Blindstellen und Lücken exakt zu greifen: „alles” Vermisste oder Unverstandene könnte ja „irgendwo und irgendwie” mit/gemeint sein. Soviel zur Vorrede.
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„So sehr, wie Freiheit und Bewegungsfreiheit zusammenfallen, ist es auch kein Wunder, dass die pandemiebedingten Reisebeschränkungen von vielen als drastische Freiheitseinbuße empfunden wurden - und das nicht nur, wo sie Menschen tatsächlich in beengten und in gewalttätigen Haushalten festhielten. Freiheit ist Bewegungsfreiheit. So gesehen bildet das Bleiben geradezu den Nullpunkt der Freiheit.” S. 10
Jetzt zu ihrem eigentlichen, zentralen Anliegen. EvR nennt ihr Buch „Bleibefreiheit”; das ist unglücklich, weil es einen assoziativen Sack Migration im Beipack führt – die jedoch nur im Nebensatz vorkommt. Der Kern ihrer Argumentation meint einen Freiheitsbegriff „in der Zeit” – im Unterschied zu „im Raum”, der einen Grossteil unseres traditionellen Verständnis' repräsentiert: „Unsere” mehrheitliche Freiheit ist materiell, Bewegungsfreiheit, Handlungsfreiheit, Besitzfreiheit. EvR propagiert ein anderes Verständnis, und diese Rückung ist ein kompliziertes Manöver.
„Tatsächlich gibt es seit einigen Jahren kein wirksameres Manöver, um progressive Forderungen auszuhebeln, als die Berufung auf Freiheit. Der zentrale Wert der 68er-Generation befeuert nun die Kampagnen von Meloni, Bolsonaro und Trump. Ich sehe das nicht als einfache Übernahme. Es ist eher das offene Zutagetreten eines Bruchs, der den liberalen Freiheitsbegriff von Anfang an durchzieht: … . Wir müssen Schranken anerkennen, um gegenseitig Freiheit zu wahren. Maßvolle Maßlosigkeit. Und diese beiden Seiten klaffen nun in aller Öffentlichkeit auseinander.” S. 11
Zunächst diganostiziert sie einen Haarriss – und das war mein Trigger: Zwar stellt uns die „Freiheit”, so die herrschende Meinung, frei von einschränkenden Bedingungen (etwa beim Reisen, Konsumieren, auch Produzieren, … später widerspreche ich dem), in ihrer ungeheuren Summe aber bedrohen die Moränen dieser Freiheiten das Leben selbst (dem widerspreche ich natürlich nicht). Redeckers Blick sprach mich an, weil ich selbst schon eine Weile über die Freiheit nachdenke.
Dieses Nachdenken hat sich in ein teeriges, omnipräsentes Unwohlsein entwickelt. „Du musst Dein Leben ändern.” Eine Forderung aus Vernunft und Einsicht, die mich jedoch vor Probleme stellt: Ich räume es ein, ich sehe es ein, aber ja!, der Geist ist willig. „Du musst Dein Ändern leben.” Da hakt und hapert es. Bitte sehr, ich handele … schon, auch, hier und da; ungenügend, …billige Einsicht. Dabei ist „die Freiheit” nicht einmal das Schild, mit dem ich die Angriffe der Beschränkung abzuwenden versuche; sie ist lediglich die Ursache für meine Schwäche: nichts steht mir im Weg, es ist so einfach, grad jetzt und ausnahmsweise nicht daran zu denken und – ein Grund find’ sich immer.
Wir ahnen die Fallstricke der Diskussion: Erwachsen, autonom und selbstverantwortlich, sollte ich doch, gefälligst, in der Lage sein, meinen Einsichten zu folgen. Einerseits. Andererseits Johannes 8: Wer unter euch ohne Sünde ist, … und bekanntlich ist das Argument damit nicht am Ende: Denn warum sollte ich mir Beschränkungen auferlegen, verzichten, leiden (umpf, sagen wir: auf hohem Niveau), wenn um mich herum die Fettlebe tanzt? Und Deutschland nur 2% …, und die Chinesen, …
Es ist also eine politische Diskussion, in der EvR nach einem Weg, einer begrifflichen Wendung sucht, auf den Verzicht zu verzichten:
„Das Neue wäre dann allerdings gar kein Feld mehr, sondern eher eine andere Zeit. Denn das Bleiben verlässt das räumlich Imaginäre der liberalen Freiheit und bezieht sich auf die Möglichkeiten der Zukunft. Auf der räumlichen Achse mag keinerlei Freiheit im Bleiben liegen. Aber auf der zeitlichen alle.
Hier bleiben und frei bleiben können.” S.12/13
„Jetzt zu Hause bleiben, um später besser reisen zu können: Um diese Überlegung anzustellen, muss man Freiheit zeitlicher denken.” … … „Aber geht das überhaupt? Kann man unseren Freiheitsbegriff verzeitlichen?” S. 13
Keine Frage: Das Argument ist schwach. In diesem „zu Hause bleiben” kristallisiert der Hintersinn ihrer begrifflichen Operation. Tatsächlich meint sie, will sie, impliziert sie: Du musst verzichten – in ihrem Sinn „frei(heits-)willig”, eine Be- oder Einschränkung gleichsam aus philosophischer Finesse; aber auch ihr Verzicht ist real. Zudem ist ihre „zeitliche” Freiheit kein ganz neues Argument (und damit Teil des herrschenden Narrativs). „Mit 30 will ich aus dem Gröbsten raus sein und mit 40 will ich von den Zinsen leben.” Gleich danach ist die zukünftige Freiheit verschiedenen Risiken ausgesetzt: etwa dem Herzinfarkt oder Schlaganfall oder, ganz prosaisch, der Langeweile dann, wenn Du die Freiheit dann nicht zu gebrauchen verstehst (solche Fälle kenne ich persönlich)! Zudem ist das Argument auch gewissermassen saisonabhängig: So spricht, wer über Lebenszeit verfügt, zu verfügen glaubt (EvR ist 41). Im weiteren Verlauf, mit dem Alter, wird der grosszügige Umgang mit dem Zeitstrahl möglicherweise restriktiver.
Die Vermutung, dass EvR selbst soweit gedacht hat, sollten wir ihr zumuten. Was also ist das Ziel ihrer begrifflichen Bemühung? Nebel, Ideologie, eine Mogelpackung! Weil: Verzicht oder eine diesen paraphrasierende Operation ist grad nicht so in Mode, gilt als grüner Paternalismus. Also sucht EvR nach einem Weg, um mit weichen, wohlmeinenden Worten etwas anderes zu sagen, das den gleichen Effekt hat. Ihre „Bleibefreiheit” funktioniert nicht viel anders als die Schere im Kopf. Der Begriff ideologisiert den gewünschten Effekt, romantisiert ihn, transkribiert ihn in „Erfüllung und Wohlbefinden”. In meiner Jugend sang Wolf Biermann:
„Warte nicht auf bessere Zeiten, gleich dem Tor, der Tag für Tag, an des Flusses Ufer wartet, bis die Wasser abgeflossen, die doch ewig fliessen.”
Carpe Diem. Überhaupt wird mir immer dann unwohl, wenn (irgend)eine Argumentation ignoriert, dass das Ich und seine Perspektive stets der erste Massstab sein wird: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.” Das ist, gewiss, falsch und langfristig verhängnisvoll, bedauerlicherweise aber real. Auch ich rede für das Gemeinwohl und die Zukunft, aber ich kann doch nicht so tun, als hätte das Ich keine Interessen und kennte nur die selbstlosen Anforderungen eines fiktiven Holismus.
„Wo es nicht um die einmalige Spanne einer individuellen Lebenszeit geht, sondern um Natur, kann man diese Zeit als zyklisch beschreiben.” S. 21/22
Und für wen würde das gelten? Kenn ich nicht. EvR betreibt eine Art von Virtualisierung von Leben, indem sie die Zeit ent-ortet oder den Ort ent-zeitet – Prokrastination, s.o.. Zugespitzt formuliert, erscheint mir die Operation als woker Etikettenschwindel, eine Verschleierungstaktik, die mit sprach-artifizieller Nebelmaschine den Kern der Operation versteckt: Verzicht, DeGrowth, Beschränkung, Verbot, Regulierung, was auch immer, wie auch immer.
„Das Extrem der Bewegungsfreiheit ist nur genauso lange attraktiv, wie man es zeitblind betrachtet.” S. 28
Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass der intellektuelle Umgang mit EvR knifflig ist: gerade das letzte Zitat zeigt das. Denn das stimmt. Nur wenn wir die Folgen unseres Tuns, somit den Zeitstrahl, ignorieren, können wir aus lauter Freiheit das Gaspedal durchtreten. So ist denn auch gemeint:
„Um die Freiheit mit dem Leben zu verknüpfen, muss man sie zeitlich denken.” S. 21
Leben als Überleben! EvR hofft, dass ihre Pirouetten eine freiwillige Welle auslösen. Ich widerspreche dem ungern, sehe ich doch im Zielbild einige Überschneidung; man muss es jedoch beim Namen nennen. Ich belasse die Freiheit in unserm gängigen Verständnis und seziere die Fehlstellen.
„Freiheit hat Bedingungen, sie existiert nicht im luftleeren Raum. Wenn du frei sein willst, ohne dich um diese Bedingungen zu sorgen, bist du unvernünfig.” S. 41
So habe ich auch Zweifel, als Freiheit zu erkennen, was wir in den Bedingungen erst sichern müssen – umso mehr, wenn diese Sicherungsarbeit über kommende Generationen hinweg wirken soll. Im Gegensatzpaar der Freiheit steht doch – die Gebundenheit (oder was sonst!?). Wenn also Freiheit erst ihre Bedingungen realisieren muss, ist sie an diese gebunden. Es irritiert mich, wenn eine Philosophin sich bei der Begriffsdefinition nicht der Grundlagen versichert. Was soll das sein: Freiheit?! (Und weil ich SO denke, ist der Begriff Freiheit für mich mehr als nur fragwürdig: eine Schimäre! Sowieso!) Und wenn schon keine gesicherte Definition verfügbar wäre, so müsste doch die Autorin das Spektrum der Bedeutungen voranstellen, um das Publikum dann an die von ihr favorisierten Aspekte zu verweisen.
Jedenfalls: Wenn ich (jetzt ich) über die Freiheit nachdenke, wird nur umgekehrt ein Schuh draus: wir müssen uns von der falschen Freiheit verabschieden. Mein Blick ist „operativ”, EvRs ist eher „kommunikativ”. Folgen wir der Autorin, so müssen wir nur einsehen, dass unser Tun unsere „kommenden Freiheiten” beschränkt, gar vernichtet; bei mir dagegen schneidet das begriffliche Skalpell direkt ins Fleisch der Freiheit – weil ich der Einsichtsfähigkeit nicht bis in die Praxis traue.
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Und dann, im weiteren Verlauf, tauchen im Text immer wieder Behauptungen, Stänge, Voraussetzungen auf, die mir sachlich, aber auch philosophisch untragbar erscheinen. So schreibt sie:
„Dieser Gedanke ist eine hegelianische Idee, und Karl Marx hat sie einmal besonders schön formuliert, als er sagte, dass die Emanzipation von der bürgerlichen Gesellschaft bedeute, dass jeder Mensch im anderen Menschen nicht die Schranke, sondern die »Verwirklichung ... seiner Freiheite fände. Meine Freiheit hörte demnach nicht auf, wo die der anderen beginnt, sondern würde sich mit ihrer Freiheit potenzieren.” S. 42
„Diese Wechselseitigkeit, also das Gegenüber von jemandem sein, der ebenso frei ist wie man selbst und sich reziprok auf uns und unsere Bedürfnisse beziehen kann, ist der Kern der kommunistischen Idee.” S. 43
Ich meine mich zu erinnern, dass Rosa Luxemburg diesen Irrtum überwunden hatte. So sehr ich meine Gefährten als Bereicherung empfinde, Freunde und Geliebte im Besonderen, so sehr bleibt es doch existentiell wahr, dass meine Freiheit (unterstellt, es gäbe sie), an meinen Fingerspitzen aufhört, sozusagen lange, bevor ich die Freiheit eines anderen berühre oder, Gott bewahre, beschränke. Einerseits; andererseits aber auch, dass ich am Ende in mir allein bleibe: da beisst die Maus keinen Faden ab.
Je weiter sich EvR von ihrer Ausgangsthese entfernt und sich bemüht, Fleisch an den Begriffs-Knochen zu schreiben (dichten wollte ich schreiben: zu polemisch), desto fragwürdiger erscheinen mir ihre Vorschläge. Der Blick ins Inhaltsverzeichnis …
… liest sich in meinen Augen wie eine Mischung aus Kirchentag und Klangschalen-Seminar, – und da bemühe ich mich bereits, meine quengelnde Polemik zurückzuhalten.
Nachdem ich die Freiheits-Diskussion durchaus ernst nehme – und lediglich eine ausdrücklich andere Persepktive vertrete –, fällt mir das bei ihren Subthemen schwer. Dabei räume ich ein, dass das Format Essay einer Autorin Freiheiten gewährt und sie einigermassen freistellt von Konsistenzansprüchen: sie setzt IHR Thema und dekliniert es durch die IHR angemessen oder notwengig erscheinenden Aspekte. Diese Aspekte – darunter Krankheit und Tod, Longtermism und Transhumanismus, Hannah Arendt und Simone de Beauvoir, Mutter und Mutterschaft, insbesondere Luisa Muraro: Geburt und Wiedergeburt, der Generalstreik als maximale Manifestation demokratischen Handelns, symbolische Ordnung und Erdzeitalter, Zyklen, geologische „Gezeiten” und Bodenbeschaffenheit, Kipppunkte und Dysbiose, und einiges, das ich nicht mehr erinnere – stehen in einer nur sehr losen Verbindung zu den Abschnittsthemen. So aneinandergereiht klingen sie erratisch. Tatsächlich rückt sie EvR aber doch in ihren Zusammenhang. Wenn ich ihr darin nicht folgen kann oder will, ist das gewiss mein Problem; doch wenn ich es bewerten sollte, käme ich in Bedrängnis. Natürlich müsste ich ellenlang zitieren, um jeweils die Herleitung zu zeigen und dem Vorwurf zu entgehen, ein Zitat aus dem Zusammenhang zu reissen, und doch gibt es apologetische Aussagen, … da bin ich ratlos:
„Kurz gesagt, Wenn man stirbt, kann man keine weiteren Entwürfe mehr machen, aber wenn man nie stürbe, dann wären alle Projekte sinnlos.” S. 78
In aller Kürze: wäre ich unsterblich und baute mir eine Hütte (oder Haus), so wäre das a) ein Projekt und b) sehr sinnvoll – um nicht in alle Ewigkeit im Regen zu schlafen.
„Freiheit stellt sich ein, wenn wir uns ins richtige Verhältnis zur Geburt setzen. Und das richtige Verhältnis ist eine Wiederholung” S. 84
Man muss in einem anderen Diskurs zu Hause sein, um mit solchen Sätzen etwas anfangen zu können.
„Auch unsere eigene Lebenszeit teilen wir, nämlich mit uns selbst.” S. 95
??? Da muss ich schon tief durchatmen.
Hinzu kommen eine Reihe von „feministischen Konnotationen”, die mir, einem alten, weissen, CIS-Hetero, schwer zugänglich sind.
„»Let’s face it. We are undone by each other.« [Judith Butler] … Man könnte auch sagen: »Geben wir’s zu. Wir machen uns fertig.« Hier wird aber kein ungünstiger Umstand beschrieben. Denn im Grunde meint »Undone« das Gegenteil von »fertig«. … Nach Butler passiert das ständig, in der Trauer, nach einem Verlust, aber auch in jeder Form des Begehrens. Das Verlangen macht uns unfertig. Und das ist auch gut so. Das Unfertige ist eine Verheissung. Es ist eine Wiedergeburtsvorbereitung.” S. 94/95
Ich habe EvR bis zum Ende gelesen und könnte von daher eine Weile weiter zitieren und mein Befremden links- und rechtsrum wenden.
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Ich habe mich oft gefragt, wie wohl „die Astronomie” als Wissenschaft vom Universum entstanden ist. Erstens: durch Himmelsbeobachtung, schon klar, nur geht es in der Astronomie um mehr als „Sonne, Mond und Sterne”. Längst werden hochdifferenziert, detail-sprühende Aussagen über Sachverhalte getroffen, die in unvorstellbaren Entfernungen „stattfinden”, stattgefunden haben, ohne dass der Hauch einer Chance erkennbar, begründbar wäre, diese Behauptungen zu überprüfen. So kann man über Schwarze Löcher straflos spekulieren; wie wär’s mit der These, dass Deodatos „Also sprach Zarathustra.” Frequenzfolgen enthält, die von Schwarzen Löchern abprallen?
Woher also der Mut? Woher die Eindeutigkeit? Die Sicherheit?
Meine These: es ist ein selbstrefentielles System von Spekulationen, deren Axiom – man könnte auch sagen: deren Erbsünde – als Deduktion charakterisiert werden kann, also in der Aussage: „Wenn das richtig ist, dann muss auch folgendes gelten.” Und dann wird erstens dieses „Wenn” stikum in den Indikativ überführt und zweitens werden etwaige Abweichungen als Nachkomma-Ungenauigkeiten ignoriert und drittens wird unterstellt, dass wir über die den Aussagen zugrunde liegenden Gesetzmässigkeiten gleichsam verfügen. Wir unterstellen, dass die fundamentalen Gesetze der Physik all-gültig sind. Nachdem wir ignoriert haben, dass die Relativitätstheorie und die Quantentheorie nicht miteinander vereinbar sind. Und auch darüber hinweg sehen, dass unser Wissen Übermorgen mit unserem Wissen heute (vermutlich in einem breiten Spektrum) unvereinbar ist.
Ähnlich, darauf will ich hinaus, verhält es sich mit den Moden des Denkens. Es ist ja eine krasse Fehlannahme, dass das Denken gesicherten Parametern unterläge. Im Gegenteil: es erscheint als fluktuierender Bestätigungszusammenhang. Beispiele ohne Ende: Alchemie, Animismus, Existentialismus, Utopismus, Urknall, Stringtheorie, Ökonomie … in unzähligen Fällen ruht der Bestand des Systems auf der Zustimmung der Systemteilhaber – und nicht etwa auf belastbaren Fakten. Einige Behauptungen zeigen eine gewisse empirische Haltbarkeit und dienen dann als Cornerstones multipler, auch paradoxer Denkgebäude. Ein ähnliches Phänomen begegnet uns in den Denkschulen, aktuell besonders im Feminismus.
EvR hat ihr Gebäude (ihre Welt) auf einer Reihe von („feministischen” ??) Axiomen aufgebaut, die vermutlich (in ihrem Umfeld) anerkannt sind, aber unbeweisbar bleiben. Auch in ihrer Welt gibt es eine Klimakrise, Artensterben, etc., was aber fehlt, wenigstens kann ich es nicht entdecken, ist der Alltag von 8 Milliarden Menschen, die Ungleichzeitigkeiten der Kulturen, die Unübertragbarkeit von Normen und Werten. Ein Drittel der Menschen lebt in Armut und Elend: es wäre zynisch (vielleicht unvermeidbar, eine andere Diskussion), wollte man ihnen eine Freiheit „in der Zeit” anempfehlen. 20 Prozent der Deutschen sind bereit, der AfD politische Verantwortung anzuvertrauen: wollte EvR denen ihre Phantombesitztümer ausreden, wäre der Mittelfinger die mindeste Reaktion. Und mit denen will sie einen Generalstreik veranstalten. Gutes Gelingen!
Ich fasse mich dahingehend zusammen, dass die Schnittmengen in der Anamnese nicht hinreichen, die Differenzen bei den therapeutischen Ansätzen zu überspielen. Ich halte das Denken der Eva von Redecker für überwiegend abseitig: es ist ein Bestseller.