Nassim Nicholas Taleb schreibt „Skin in The Game“

IOI

Intellectuals Or Idiots

 

Es würde wohl niemanden, der mich kennt, wundern, wäre Nassim Nicholas Taleb mein Freund. Uns verbindet viel: wir verderben es uns leicht mit jedem, halten Akademiker für Buchstabenzähler und sind ziemlich überzeugt davon, dass es eine Wahrheit gibt: unsere. Das Etikett IOI (intellectual or idiot), das Taleb von Stephen Pinker bis Paul Krugman mehr oder weniger jedem "verdienten" Intellektuellen an den Kopf wirft, könnte auch von mir sein – well: wer im Glashaus sitzt ...

I simply don't care! (Bild: Von Sarah Josephine Taleb via wikimedia)

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Gut. 

Mein Freund wäre er, wenn es denn so wäre, aber nicht wegen etwaiger „Übereinstimmungen“ in der Weltverachtung, sondern weil wir ansonsten in kaum einem Punkt zusammenfinden. Auch nicht richtig: praktisch fänden wir schon in einigen Punkten zusammen, aber niemals in der Herleitung, Begründung, Argumentation, und letztlich auch nicht im Stil. 

Taleb ist ein Brabbelkopp; früher beschäftigte Verlage für solche Fälle Lektoren, nowadays wird’s gedruckt, wie‘s in die Mailbox kommt. Wer wollte einen Sniper wie Taleb auch lektorieren? Wer könnte es überhaupt? Ich habe mir einmal zum Spass sein jüngstes Buch vorgenommen und alle Sätze gestrichen, die abseitige Sottisen, lateinische, griechische oder arabische Spruchweisheiten und andere Stammtisch-Würze enthalten, Vorgriffe oder Rückgriffe, etwa auf sein Buch Antifragilität: das Buch schrumpfte auf von 384 auf 48 Seiten. 

Was steht dann noch drin? 

Nehmen wir zunächst die Hauptnachricht. Taleb ist der Meinung, dass nur solche Menschen Entscheidungen über solche Dinge fällen können sollten, die von den Wirkungen dieser Entscheidungen betroffen sein könnten: also wenn‘s schief geht. Skin in the game, die eigene Haut riskieren, ist für ihn eine zentrale Bedingung dafür, dass die Mechanik der Welt wieder ins Lot käme. Tbd: jeder Zocker riskiert seine Haut! Jeder Killer. Jeder Weltvernichter. 

Was mich selbst betrifft: ich bin ja nun ein unbelehrbarer early adopter, und was hab ich darunter nicht schon gelitten! Prinzip Banane: Produkt reift beim Kunden, das bin ich. Mein Admin schlägt jedes Mal die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich wieder ein UpDate installiert habe, ohne den dritten Patch abzuwarten. Aber auch sonst nehme ich gerne Risiken in Kauf; leider – ohne dass mir das bewusst ist. Ich tu‘s einfach. Man könnte das auch als „unbedacht“ bezeichnen. Es stimmt, dass Taleb in vielen Fällen relativiert: es sei ihm derjenige lieber, der seine Haut riskiere, dem würde er eher trauen, der habe immerhin etwas zu verlieren. Insofern sei ihm Donald Trump, der sich damit brüstet, mit einer Milliarde Dollar Verlust bankrott gewesen zu sein, lieber als jeder Wallstreethai, der seine Risiken anderen ins Portfolio schöbe. Nun könnte so ein Milliardenverlust auch die Folge grossflächiger Beklopptheit sein, aber dass die Welt so eingerichtet ist, dass jene, die entscheiden, davon nicht betroffen sind, das haben wir alle schon mal gehört.

Wir sehen, es könnte etwas dran sein, an seinem Argument, aber es ist auch allerlei faul damit. Ich habe einmal ein Haus gebaut, und seither weiss ich eines ganz genau: das Planen und das Tun musst Du getrennt halten. Wenn Du zu tief drin steckst, überblickst Du das Ganze nicht mehr. Vielleicht aber würde Taleb dem gar nicht widersprechen. Er sagt: OK, wenn Du ein Haus geplant hast, und es stürzt Deinem Bauherrn überm Kopf zusammen und begräbt ihn, dann solltest auch Du des Todes sein. Im Prinzip geht es also um Verantwortung und vor allem darum, dass in der Welt, wie wir sie organisiert haben, Verantwortung nicht mehr materialisiert wird. Schlimmer noch: dass die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert werden. Was wäre gegen diese Klage zu vorzubringen?

Nun, vielleicht folgendes: in der Welt, wie sie nun mal organisiert ist, wird JEDE Entscheidung gegen Interessen verstossen und „Folgen“ haben. Es liegt in der Natur von Entscheidungen, dass sie Folgen haben, und je grösser die Gesellschaft, desto grösser die Folgen. Windräder oder Umgehungsstrassen KÖNNEN Grundstückswerte beeinflussen, oder anders gesagt: Wer den Sumpf trocken legen will, soll nicht die Frösche fragen. Es wäre sehr unwahrscheinlich, dass irgendetwas entschieden würde, wenn jeder Entscheider die Folgen der jeweiligen Verlustgruppe teilen müsste – auch dafür kennen wir genügend Beispiele. Und noch eins: oft genug haben Entscheider „Skin in the game“; das nennt man dann Korruption. 

Man könnte vielleicht so sagen: in einigen seiner „lebensweltlichen Urteile“ könnte man Taleb schon plus/minus folgen, wie es scheint vertritt er u.a. z.B. einen radikalen Umweltschutz; auch wenn seine Widmung an Ron Paul, den oder einen spiritus rector des tea party movement, irgendwie irritiert; kaum erträglich dagegen ist seine „attitude“. Er weiss das auch, zitiert jene zustimmend, die ihn für arrogant halten und begründet seine Arroganz: „Leider weiss ich Bescheid.“ Um das genauer zu verstehen, muss man einen Blick auf die Biografie werfen. Seine eigene akademische Ausbildung, ein MBA aus Wharton und ein Ph.D. einer Grand École (Paris-Dauphine), qualifiziert ihn als Member von eben jener Mischpoke, über die er herzieht, dass kein Auge trocken bleibt. „Er ist gegenwärtig Ehrenprofessor für Risikoanalyse am Polytechnischen Institut der New York University und Gastprofessor für Marketing (Kognitionswissenschaft) an der London Business School. Er war Professor an der University of Massachusetts Amherst, außerordentlicher Professor für Mathematik am Courant Institute der New York University und Fakultätsmitglied an der Wharton School. ... Taleb spricht fließend Englisch, Französisch, klassisches Arabisch und Libanesisch-Arabisch, beherrscht auch Italienisch und Spanisch und liest klassische Texte in Griechisch, Latein, Aramäisch und Hebräisch sowie in kanaanäischer Schrift.“ (Wikipedia) A master of the universe; kein Wunder, dass ihm das zu Kopf steigt.

Entscheidend aber ist, dass er als Trader an der Wallstreet soviel Geld gemacht hat, dass er unabhängig ist und es nicht nötig hat, irgendein anderes Lied zu singen, als sein eigenes. Das hat vielleicht Vorteile, führt aber auch zu einem gewissen Kontrollverlust: nicht in dem Sinn, dass er keine Kontrolle über sich hätte (nu, wer weiss), sondern in dem Sinne, dass die soziale Kontrolle seines überdimensionierten Egos fehlt, ein notwendiges Korrektiv für seine Hybris. Er beschimpft Gott und die Welt: Ökonomen, Forscher, Politiker, Journalisten; es wäre aber ein Irrtum, genau darin sein „Skin in the Game“ zu verorten, denn ihm kann ja keiner! Taleb ist abgehoben, nicht von dieser Welt. Sehr die Frage, und weil er nicht mein Freund ist, kann ich es auch nicht beurteilen, ob es überhaupt Kritiken gibt, die ihn erreichen. Dass ihn jene Sesselpupser nicht erreichen, die als IOI das bullshit-bingo der Welt spielen, muss ja kein Fehler sein, aber dass ihn gar nichts erreicht, zu erreichen scheint, das eben ist die Zeche, die er zahlt. Dieses von gelegentlich richtigen Behauptungen durchsetzte Gebrabbel von „Skin in the game“ jedenfalls hätte dringend eines Korrektivs gebraucht. 

Wenn ich Gebrabbel sage, ist nicht sofort klar, was das meint. Seine Fans mögen es als brillant, genial oder funkelnd bezeichnen. Man könnte es positiv Assoziationswolken nennen, negativ wäre es als Argumentations-Schrot zu charakterisieren (die Auslassungspunkte im Zitat sind Kleinigkeiten) Taleb redet so, am Stück:

„Möglicherweise gibt es eine Art Übersetzungsmechanismus, der sich unserem Verständnis entzieht, mit Verzerrungen auf der Ebene des Denkvorgangs, die faktisch notwendig sind, damit etwas funktioniert. Im Grunde erzielt man mit einem bestimmten Mechanismus, der Fachbegriff dafür lautet Verzerrungs-Varianz-Dilemma, häufig bessere Resultate, wenn man Fehler macht, etwa, wenn Sie beim Schiessen leicht am Ziel vorbei peilen. .. In „Antifragilität“ habe ich gezeigt, dass bestimmte Fehler zu machen das Rationalste ist, was Sie tun können, wenn die Fehler nicht viel kosten, denn sie führen zu Entdeckungen. (Siehe Grafik ..) In einer fehlerfreien Welt gäbe es kein Penicillin, keine Chemotherapie, fast keine Medikamente, und wahrscheinlich keine Menschen. Deshalb habe ich mich dagegen ausgesprochen, dass der Staat uns diktiert, was wir tun sollten. Allein die Evolution weiss, ob etwas Falsches wirklich falsch ist, vorausgesetzt, jemand hat seine Haut aufs Spiel gesetzt, um Selektionen zu ermöglichen. 

Worum geht es bei Religion? 

Ich bin daher der Meinung, dass Religion existiert, um das Management von Tail-Risiken von Generation zu Generation weiter zu festigen, denn ihre binären, unbedingten Regeln sind einfach zu vermitteln und durchzusetzen. Wir haben trotz Tail-Risiken überlebt. Unser Überleben kann also nicht ganz zufällig sein [qtip:(1)|siehe dazu: Robert Altman, „Nashville“… „We’ve must be doing something right to last 200 years!“; Anmerkung von mir]. Erinnern Sie sich daran, dass „Skin in the Game“ bedeutet, nicht auf das zu achten, was die Leute sagen, sondern nur darauf was sie tun und inwieweit sie bereit sind, ihren Kopf für etwas hinzuhalten. Lassen wir das Überleben seine Wunder vollbringen. 

Aberglaube kann ein Vektor von Risikomanagement-Regeln sein.

Wir haben die vielsagende Information, dass Leute, die abergläubischen Vorstellungen anhängen, überlebt haben. Um es noch einmal zu widerholen: Tun Sie nichts, was es Ihnen ermöglicht hat, zu überleben, einfach so ab. So führt beispielsweise Jared Diamond die konstruktive Paranoia der Einwohner von Papua Neu-Guinea an, deren Aberglaube sie davon abhält, unter abgestorbenen Bäumen zu schlafen. Ob es Aberglaube ist oder irgendetwas anderes, womöglich ein tiefes wissenschaftliches Verständnis von Wahrscheinlichkeit, das sie davon abhält, spielt keine Rolle, solange sie nur nicht unter einem abgestorbenen Baum schlafen. Und wenn Sie die Vision haben sollten, dass Leute mit Wahrscheinlichkeit arbeiten, um Entscheidungen zu treffen, dann kann ich Ihnen etwas verraten: Über 90% der Psychologen, die sich mit Entscheidungsfindung beschäftigen, wozu auch Regulatoren und Forscher wie Cass Sunstien und Richard Thaler gehören, haben keine Ahnung von Wahrscheinlichkeit und versuchen unsere effizienten organischen Verfolgungswahnvorstellungen zu zerstören.“ 

Die Behauptung, dass Fehler zu machen rational sei, ist ja schon recht spassig, gehört es doch zur Defintion des Fehlers, dass er falsch ist. Mindestens müsste man also sagen, dass bei einem Fehler zufällig auch etwas Richtiges entstehen mag, gerade dem Statistiker sollte aber einleuchten: im Verhältnis 1:xn! Wir können für einen solchen „erfolgreichen“ Fehler auch kein Rational in Anspruch nehmen, müsste es andernfalls doch so sein, dass vorsätzliche Fehler zu gewünschten Resultaten führen. Und die Messlatte des „Überlebens“ offenbart auch keine höheren Qualitäten: Wer überlebt nicht alles – und auf lange Sicht sind wir alle tot. Wer hingegen einen Aberglauben für eine zufällige Trefferquote verantwortlich machen wollte, der müsste ihne zugleich auch für die Fehlschüsse reklamieren: entweder oder.  

Einigermassen heikel wird seine Argumentation, wenn es um den Einfluss von Minderheiten geht. Er macht das Beispiel, dass Meetings in Deutschland in schlechtem English geführt werden, sobald eine Person im Raum nicht deutsch spricht. Ich selbst habe das oft beklagt. Ich bin schon lange der Meinung, dass Europa englisch als erste Amtssprache einführen sollte. Doch solange das nicht der Fall ist, wehre ich mich mit Händen und Füssen gegen die Bequemlichkeit der englischen Muttersprachler, übrigens auch, weil sich in solchen Meetings das Argumentationsniveau häufig aufgrund sprachlicher Beschänkungen dramatisch absenkt, resp. Muttersprachler Positionsvorteile realisieren, die nicht in der Sache begründet sind. Das Beispiel ist aber harmlos, gemessen an den Streuwirkungen, die der „Minderheitenterror“ in anderen Themen anrichtet. Es müsse eine Minderheit nur genügend hartnäckig sein, dann würden sich die Mehrheiten schon anpassen: siehe Gendertalk,  vegetarische oder koschere Speiseangebote, schmale Kravatten und kurze Konfirmandensakkos (die tatsächlich von EINEM Tagesschausprecher, Jens Riewa, durchgesetzt worden sind) oder das Tragen von Bärten. Und wenn wir, argumentativ dergestalt vorbereitet, jetzt einmal auf den Islam zu sprechen kämen …, Taleb fasst das so zusammen: „Der Westen ist im Moment dabei, Selbstmord zu begehen.“       

Gespeist aus der unüberschaubaren Breite seines – insbesondere auch statistischen und mathematischen – Wissens, sortiert sich für Taleb die Welt auf einer anderen, eigenen, „höheren“ Ebene, und es interessiert ihn einen Scheiss, ob das jemand versteht oder nicht. Schlimmer noch: weil er Millionenauflagen einfährt, glaubt er, dass er Millionen Verständige bedient, während ihm aber zugleich auch klar ist, dass diese Millionen bestenfalls verstanden haben, was ein „schwarzer Schwan“ ist, ansonsten aber seine Bücher vor allem im Regal stehen haben. Ich selbst würde nicht für mich in Anspruch nehmen, Herrn Taleb oder meinen Freund Nassim in allen seinen Delirien zu verstehen; es gibt diese Art Freunde, die einzig dazu da sind, dass Du Dich über sie ärgerst.

 

Submitted by lamoosh on

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