Any News is Good News. Wenn ich die Verkaufsstatistik von Amazon richtig lese, muss man für Guillaume Paoli gar nicht mehr soo viel tue: es läuft. Dass meine Empfehlung wie ein Verriss daher kommt, sagen wir: so tut, als wäre es einer, wird dem Buch also kaum schaden. Ernsthaft aber: Paolis Einkreisung des allgemeinen Desasters liest sich flott.
Reaktionäres Denken
Guillaume Paoli schreibt "Geist+Müll"
With All Due Respect – THINK!
Heute im Angebot: das Desaster
„Die sekundäre Verdrängung besteht also darin, das Desaster in einem ersten Schritt anzuerkennen, um es dann in sein Gegenteil umzudeuten. Zwischen Verneinen und Bagatellisieren werden nur Scheingefechte geliefert.“ (S.22/23)
Jeder weiß, dass „reaktionär” ein beleidigendes Attribut ist; man erwartet nichts Gutes. Ich setze es allerdings als Eye Catcher ein: das Denken des Guillaume Paoli ist eine Reaktion, und zwar eine ebenso wütende wie verzweifelte Reaktion auf das herrschende Desaster (die allgegenwärtigen Reden von Katastrophe, Klimawandel, Artensterben, usw. … erscheinen dem Autor zu verbraucht und auch jeweils zu spezifisch: alles hängt zusammen; und so wählt er den Begriff „Desaster“ für die Zustandsbeschreibung der Welt von heute).
„Das Desaster kann nämlich mit keiner Einzelfigur dargestellt werden, es ist niemals im Singular, sondern besteht aus einer Kaskade heterogener Ereignisse, die sich gegenseitig verstärken. Hitzezeit bedeutet … potenziell auch Dürre, Wasser- und Lebensmittelknappheit, Seuchen, Unterbrechungen der Versorgungsketten, Hyperinflation, Verteilungskonflikte, Krieg, Flucht, Vertreibung, und noch einiges.“ (S. 50)
Allerdings, dazu komme ich später, sein Buch „Geist und Müll“ von reaktionären Elementen freizusprechen („[politische] Verhältnisse erstrebend, die als überwunden und nicht mehr zeitgemäß empfunden werden ...“ Wikipedia), trifft es nicht.
„Die Überforderung versucht … jeder mit kleinen umweltschonenden Gesten und Verzichten einigermassen wettzumachen. So ehrenwert die Sorge um die eigene Umweltbilanz ist, überwiegt dabei der Eindruck, einen Flächenbrand mit einem Teelöffel löschen zu wollen.“ (S. 25)
„Die Erklärung für diesen … Befund ist, dass Hauptverursacher für das Desaster nicht so sehr das Individuum oder … die Menschheit … vielmehr die Infrastrukturen, Systeme, institutionelle und räumliche Konfigurationen [sind], die zwar „menschlichen Ursprungs“ sind, aber doch unabhängig davon funktionieren, … (S.26)
Überhaupt: mit seinen 17 oder wieviel Ecken und Kanten fällt es schwer, das Buch in eine Schublade zu sortieren. Ich habe es mit einiger Begeisterung begonnen: Paoli zitiert SEHR viele Denker, hebt aber Günther Anders besonders heraus, dem er (in seinen Bänden „Die Antiquiertheit des Menschen“) eine präzise und visionäre Vorausschau attestiert. Insofern Anders auch zu meinen bevorzugten Philosophen zählt, fühlte ich mich bei Paoli in guter Gesellschaft. Auch andere Vorlieben, die für Castoriadis etwa, oder sein Unbehagen an den französischen Denkmoden, sprachen mir aus der Mitte meines Hirnes (das Herz hat hier ja nichts zu suchen).
Bevor wir zum Aber kommen, will ich eine Skizze davon wagen, worum es eigentlich geht.
„Das einzige, was uns [„wir“] verbindet, ist gerade das Unvermögen, ein handlungsfähiges, souveränes Kollektivsubjekt zu sein.“ (S.28)
Nämlich um den Zustand der Welt, um das allgemeine Desaster, das hatte sich ja bereits zaghaft angedeutet. Es ist keine ganz neue Nachricht, die den Autor umtreibt, doch eben das ist Teil des Desasters: „Wir glauben nicht, was wir wissen” (sagt ein anderer, Jean-Pierre Dupuy), und so ergehen wir uns in Gejammer und Palaver und alles wird immer nur schlimmer, und das, frei heraus gesprochen, kotzt den Autor an. Man könnte, das hilft ein wenig zur Klärung, den Titel Paolis auch paraphrasieren: Der Müll im Geist, im Geistigen, oder auch Die Vermüllung der Gedanken; das sind jetzt Eselsbrücken, um den Scope, das Spektrum dessen zu umreissen, das Paoli vor seinen Lesern ausbreitet. Er lässt, auch so könnte man es ausdrücken, kein Auge ohne Veilchen, keine Träne bleibt ungeweint: das Desaster ist allgegenwärtig und vor allem beherrscht es die Köpfe.
„Es ist für den Verstand keine leichte Aufgabe, den Totalitarismusbegriff mit der banalen Tatsache zu verknüpfen, dass uns permanent irgendjemand irgendetwas verkaufen will.“ (S.37)
Das Buch gliedert sich in acht Kapitel, naja, „gliedert“ … das klingt so nach Plan. Es sind 123 Abschnitte, teils in sich geschlossene, seltener aneinander anschliessende Miniaturen, in denen Paoli eine Zivilisationsskizze ausbreitet, die auf das Desaster zuläuft. Über viele Jahrhunderte hinweg findet und deutet er die Wurzeln und Grundlagen des Versagens; alles wird mal gesagt, und ganz besonders spreizt der Autor sich und seine Literaturkenntnisse über bekannte und vor allem weniger bekannte geistige Liegenschaften; es steht zu vermuten, dass die meisten seiner Leser von der Mehrheit seiner Quellen noch nie gehört haben – gerade weil sein Publikum sich, wenn überhaupt – allenfalls im Mainstream auskennt, sagen wir mal grob: mit Heidegger, Canetti, Adorno oder Benjamin, mit Ahrendt, Diamond, Krastev oder Hegel usw.. Ich zähle aus dem Anhang einmal einige auf, von denen ich, shame on me, nie gehört hatte: Jerome Ravels, Jason Hickel, César Dugast, Xiang Biao, Didier Budimbu, Dipresh Chakrabarty, Matthias Riedl, usw., es sind Dutzende, wie ich meine, ziemlich abgelegene Quellen und auch Fachgebiete. Da ist es dann auch kein Wunder, dass Paoli selbst sein Werk für chaotisch hält, worin – Du ahnst es – eine gehörige Portion fishing for compliments enthalten ist. Denn eins muss man ihm zubilligen: er ist ein Meister der pfeilspitzen Formulierung. Was er aufspiesst ist getroffen, verletzt, zur Deutlichkeit blutend. Ich streue Zitate zwischen die Zeilen, die nicht so sehr den Gang der Argumentation, sondern die Qualität der Rede zeigen mögen. Denn für die überdauert meine Begeisterung die Lektüre.
„Ohne Pessimismus des Verstandes ist der Optimismus des Willens nur selbstverlogener Quark.“ (S. 48)
Es ist also auch naheliegend, dem Buch den Charakter eines Sammelsuriums von Gedanken zuzuschreiben – das auch nicht wirklich „zusammengefasst“ oder paraphrasiert werden kann. Der Hauptfluss ist das Desaster, in seinem Verlauf und Mündungsdelta jedoch finden sich eine überbordende Vielzahl von Seitenkanälen, Abstichen und auch Zuflüssen, mit denen der Fluss durch die zahllosen Quell- und Randgebiete des Desasters braust, plätschert oder eben gemächlich dahintreibt. Die kurze (selten mehr als zwei Seiten pro Paragraph), überwiegend prägnante und geistreiche Form erleichtert die Lektüre, ja, trotz des Themas, trotz der depressiven Ausweglosigkeit.
„Das, wozu die sozialistische Planwirtschaft im Wesentlichen unfähig war, heisst programmierte Obszoleszenz. … Was produziert wird, ist hauptsächlich Schrott mit zwischenzeitlichem Kollateralnutzen.“ (S. 99)
With all due respect: ich folge ihm aber nicht auf jeden Ast seines Denkgebäudes.
„Im Grund sollte jeder und jede aus Sorge um die künftige Menschheit mit der Fortpflanzung sofort aufhören.“ (S. 59)
Ja, schon richtig; zweifellos ist die globale Bevölkerungsentwicklung das grösste Problem des Desasters. In den nächsten 30 Jahren entstehen hier 25% zusätzliche Verbräuche und Belastungen – und zwar (aber!) vor allem dort, wo keine ökologischen Rücksichten zu erwarten sind (und auch nur schwerlich gefordert werden können). Jedoch: jede und jeder sorgt sich auch um das Überleben im Alter, zumal in all jenen Gesellschaften, die dafür nicht vorsorgen! Und so ist mit solchen Aussagen nichts gewonnen – auch weil westliche Gesellschaften (ohne Zuwanderung) sowieso im Schrumpfen begriffen sind.
„Ähnlich schreibe ich nicht über, sondern mit Corona, Klima, Krieg und Krise.” (S. 15)
Im Umkehrschluss ist aber auch die Bevölkerungsentwicklung ein zentraler Faktor in der Wachstums-/Null-Wachstumsdebatte: Der Wachstumsgedanke resultiert ja mindestens bei den Grundbedürfnissen aus der Notwendigkeit und der Sorge , dass sonst „es nicht reicht”. Zugleich ist eben dieses Bevölkerungswachstum, dort wo es tatsächlich stattfindet, noch immer vom Mangel an einer Alterssicherung bestimmt. Mit Rücksicht darauf dem Kapitalismus alle Verantwortung aufzubürden ist wahr und falsch zugleich, denn (Henne/Ei) zunächst, wenigstens einerseits, bedient er Bedarfe. Andererseits unterstellt er seine konzeptionellen- und Managementprobleme einer Regie aus Terror und Repression, an deren Ergebnissen er sich sodann gierig bedient, bevor die „soziale Marktwirtschaft” die gröbsten Schäden abmildert … In anderen Worten: Einfach ist es nicht.
„Die biologischen und sozialen Zustände, die Debord 1972 als absolutes Limit des Erträglichen ansah, sind heute bei Weitem überschritten.” (S. 96)
»Alles, was wir wissen – und das bedeutet auch: alles, was wir können –, hat sich am Ende gegen das gestellt, was wir sind.« [Paul Valéry, 1995] (S. 41)
Ein anderer kritischer Aspekt – Paoli thematisiert ihn ausführlich – ist der Umgang mit dem „wir” in der Gesellschaft. Wer soll das sein? Klar, die Frage wurde ausgiebig diskutiert; mir scheint jedoch, dass die Debatte wenigstens im gutmenschlichen Lager eine zentrale Blindstelle aufweist (so auch bei Paoli, der sich freilich bei der Einordnung in das Lager herzlich „bedanken” würde). In der marxistischen Analyse gibt es – scheinbar – keine Gauss‘sche Verteilung von Dummheit und Unwissen. Tatsache ist – wenn auch unschicklich, sie zu benennen – das Intelligenz und Ausbildung (gewiss: Ergebnis vor allem der Geburtslotterie) als dominante Faktoren auf die gesellschaftliche Rollenzuweisung einwirken. Tatsache, dass Urteils- und Zugriffsmängel, ob hergestellt oder ererbt, in „mindere” Tätigkeiten (und seien sie systemrelevant) und schlechtere Lebensverhältnisse führen. Tatsache, dass die Gauss‘sche Kurve die Verteilung beschreibt und in der Zuspitzung kulminiert: Die Mehrheit ist bescheuert! Diese Tatsache gerät umso dramatischer, je größer und kleinteiliger die Gesellschaft, nicht zuletzt, weil die Grau- und Mischbereiche abnehmen, derweil die Grenzverläufe umso dogmatischer werden.
„Mehr denn je tut Revolte not, doch eine, die von Neid und Ressentiment frei ist. Eine Revolte, die nicht vom Modus der Dauerempörung zehrt. Eine Revolte, die weder Märtyrerkult noch Opferidentität kennt. Eine Revolte, die den erhobenen Zeigefinger aus- lacht, angefangen mit dem eigenen. Eine Revolte, die sich vor Chaos, Widerspruch und Abwegigkeit nicht fürchtet.” (S. 105)
Im Abschnitt 107 auf Seite 223 (von 254) kommt Paoli zu seiner Hauptaussage – nein, das ist Unsinn: er formuliert, quasi nebenher, soviele hauptsächliche Aussagen, dass irgendeine davon kaum zur Hauptsache gekürt werden sollte. Gleichwohl sagt er, dass er
„nun endlich“ zu der Erläuterung käme, was denn „all die obigen Abschweifungen mit der Gegenwart zu tun haben. Wenn, wie allgemein geglaubt, das Proletariat eine in dreckigen Fabriken brutal ausgebeutete männliche Masse sei, dann wäre die Art so gut wie ausgestorben … . Wenn aber Proletarisierung die Entfremdung der geistigen Praxis bedeutet, dann sind heute so gut wie alle Menschen auf diesem Planeten proletarisiert. … … Jede heruntergeladene App ist ein Schritt weiter in die Proletarisierung“
Offen gesprochen, mir erscheint das nicht als die schärfste aller Beobachtungen und auch nicht wirklich zwingend. Vielleicht zielt sie auf Klärung, mit Hinweis auf eine selbstverschuldete Unmündigkeit, aber ach, selbst wenn ich dergestalt proletarisiert wäre und nun, aha, darauf gestossen worden wäre: es wäre nicht mein vordringlichstes Problem. Und ich glaube auch nicht, dass jene, die noch denken, darin einen aufrüttelnden Gedanken erkennen.
Dass (sowieso) nicht mehr viele denken, lese ich auf einem anderen Zettel, den Paoli vermutlich nur off the record unterschreiben würde. Und auf dem steht zunächst – auch ein Idiom, mit dem Paoli wenig anzufangen weiss – dass es den Denkern an einem Zielbild mangelt, seit der Sozialismus an seinen short comings implodierte. Für die Mehrheit der Boomer-Intellektuellen ist mit jenem Begriff des Sozialismus, dem sie – wider seine Praxis! – doch über Jahrzehnte hinweg auf die Sprünge zu helfen verhofften, der Nordstern untergegangen; jetzt irren sie richtungslos zwischen den Franzosen und der Identität umher.
„Über Marx und Engels schreibt Adorno: »Sie waren Feinde der Utopie um deren Verwirklichung Wille,« Wir sind Freunde der Dystopie um deren Vermeidung Willen.“ (S. 180)
Und gleich danach sehe ich ein weiteres, wirkliches Problem: Die Digitalisierung zwingt die Weltgesellschaft (so sie nicht ohnehin untergeht) in eine Zwischenzeit, denn es ist vollkommen unerkennbar, bis zu welchen Höhen oder Tiefen, zu welcher Achterbahn, sich die Technologie – auf den Schultern von KI und Robotik – noch entwickeln wird; und was „der Mensch“ dann noch in der Welt verloren hätte. Dass schliesslich das Multi-Desaster in seiner Ausweglosigkeit das Denken lähmt, darin wieder stimme ich mit Paoli weitgehend überein. Bin aber auch hier in der Konsequenz nicht einverstanden.
„Solange etwas nicht verfälscht worden ist, ist es authentisch. Rembrandt hat keinen authentischen Rembrandt gemalt. Erst als die ersten Fakes auf dem Kunstmarkt auftauchten, mussten Experten originale Gemälde authentifizieren.“ (S. 222)
Vielleicht bin ich zum Ende hin etwas ungeduldig geworden und habe nicht mehr ganz so intensiv mit dem Zeigefinger gelesen; aber wenn ich es richtig erinnere, hat sich Paoli auf das Eintreten des Desasters – und zwar in seiner kathartischen Wirkung verlegt. „Leiden sind Lehren“ titelt der Abschnitt 109 und „Schreckenslust” der folgende. Die These ist verständlich und ich bin unentschieden, ihr zuzustimmen. „Bevor nicht 3 Milliarden Menschen auf einen Schlag sterben, wird sich gar nichts ändern“ hat einmal ein Freund zu mir gesagt. Vor allem stelle ich dagegen den Aufsatz „Change or Die” in Rechnung, in dem Alan Deutschmann 2005 (in Wired) nicht gerade bewiesen, aber doch nachvollziehbar dargelegt hatte, dass selbst die Aussicht auf einen gesicherten Tod nicht dazu führt, lieb gewonnene Verhaltensweisen zu verändern. In anderen Worten: die Katharsis ist eine unsichere Bank. Zudem wäre bei der Gelegenheit Kleists „Erdbeben von Chili” zu Rate zu ziehen; ich räume aber ein, dass Paoli diesen Gedanken eingeräumt hat.
„Auch wenn ich der Letzte sein sollte, der die Welt auf diese Weise wahrnimmt: Meine Entfremdung lasse ich mir von niemandem nehmen!“ (S. 212)
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Bereits eingangs hatte ich beim Autor dem Zynismus zuneigende Verzweiflung verspürt, doch damit will ich ihn und meine Generation nicht mehr davon kommen lassen. Es genügt nicht, schlau und belesen zu sein, man muss auch etwas aus dem Denken herausschlagen. Die Kritiker heute verstehen noch immer ihr kritisches Handwerk. Was sie nicht können – und noch weniger wagen – ist, aus all ihren Schlauheiten einmal einen Vorschlag zu destillieren (von Ausnahmen wie Marc Saxer einmal abgesehen, der allerdings eigentlich nur mit seiner Partei reden will). Gern würde man ihnen die Ausrede unterstellen, sie wären sich für die Niederungen der Praxis zu fein; aber so ist es nicht. So sehr sie die Realität zu greifen behaupten, so sehr verweigern sie sich ihr: nämlich in ihrer Unwilligkeit, Technik und Technologie der Zukunft auf die Lehren der Vergangenheit anzuwenden. Sie, fast möchte man sagen: diese ganze Generation, können, sie wollen „in dieser Welt“ einfach nicht konstruktiv denken.
„Bestrebt, die Kritik der politischen Ökonomie auszuklammern, übernehmen die neuen Theorie-Trendies, die Augen in die anthropologische Weite gerichtet ,ohne zu mucksensämtliche Kategorien der bürgerlichen Ökonomielehre. Bedürfnisse, Nachfrage, Konsum, Produktion, Energiebedarf …, all diese Dinge werden so selbstverständlich hingenommen wie die Existenz von Sauerstoff oder Elektrizität.“ (S.124)
Und als so ein scharfsinniger Verweigerer erscheint mir auch Guillaume Paoli. Schicke Zitate für alle Gelegenheiten, das macht auch Spass, aber es führt zu nix. Und das ist der Punkt, in dem ich sein Denken, bei aller Sympathie, für reaktionär halte, für rückwärtsgewandt. Übrigens – ich habe keine Sorge, falsch verstanden zu werden, aber manches muss einfach ausgesprochen sein – hat kürzlich Marc Andreessen dieser meiner Forderung ein Manifest gewidmet (siehe auch hier): DA wünscht man sich Hirn, da möchte man die tiefgestaffelten, historischen, philosophischen, weltgewandten Kenntnisse in die Pflicht nehmen. Andreessens Visionen gehören zum Arzt, aber eben zu einem Doctor philosophicus futuris!
„»Müllkritik ist Wertkritik« – hätte dazu Robert Kurz gesagt.“ (S. 171)
Zum Ende, zum Jahresende, übe ich Nachsicht: viele Denker mit steilen Profilen haben es nicht bis zu einem "eigenen" Entwurf gebracht – und immerhin sollte man ihnen zugestehen, dass sich darin wohl auch eine gewisse Demut und Bescheidenheit spiegelt. Doch der Weltzustand braucht den Mut zur Lücke, und sei es die Blamage, bei deren Aufräumungsarbeiten sich die Begriffslandschaft klärt. Mit marktgesellschaftlicher Dankbarkeit wäre natürlich nicht zu rechnen, zumal wenn so ein Vorschlag Unerhörtes enthielte; Fragen lassen sich besser verkaufen als der Versuch, Antworten zu geben. Wohl aber würde prospektives Denken – endlich wieder – mit so etwas wie einem Diskurs belohnt.