Stukkiman beendet eine Freundschaft

Kurz vor dem Einschlafen

Surfing down the Metoo-Wave

29-04-2023
 

Immerhin gelingt es dem Autor, in gewissen Abständen die Aufmerksamkeit des Publikums zu erlangen. 2016 hatte ich „Panikherz“ gelesen (tatsächlich: gehört, nicht ganz das gleiche, aber es reicht für die 80:20-Regel). Es war nicht mehr (und nicht weniger) als die Beichte eines Suchcharakters: soo interessant ist das nicht. Und also kam ich nach überschaubar wenigen Zeilen

Das Führungspersonal

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zu der Schlussbewertung: Das versendet sich.

 

Das ist diesmal anders,

die Republik wurde von annähernd allen Medien des Landes darüber in Kenntnis gesetzt, dass Stukki ein neues Buch … – und das wurde von einer regelrechten „Kampagne“ an die Spitze der Bestsellerliste gepusht.

Warum.

An der literarischen Sensibilität liegt es nicht, es ist nicht der herausragende Stil, nicht die Sprachmacht des Autors … eher umgekehrt versteht es der Autor, den Verfall der Sprache Stanzen-genau abzubilden (was man, für sich genommen, als eine gewisse Qualität verbuchen könnte, aber, naja, es ist in etwa von der Qualität eines Selfies). Auch an der filigranen Dramaturgie der „Fiktion“ liegt es nicht … plus/minus wird der plot heruntererzählt. Und schliesslich ist es nicht der intellektuelle Tiefgang der vorgetragenen Gedanken … mindestens aber kann ich mich an keinen Gedanken erinnern, was möglicherweise auch gegen mich spricht. Aus der Nähe und bei gutem Licht besehen, hat das Buch nichts, das von Wert ist. Die Aufmerksamkeit versteht man nur, wenn man versucht, den Schuh umgekehrt anzuziehen: es ist der unterirdische Sachverhalt, den das Buch vorträgt; und den transportiert der Autor zu den schleimigsten Synapsen, über die wir verfügen: die suhlende Lust am Gossip, die hämische Schadenfreude, der Voyeurismus und die Vernichtungsgeilheit. Stukki vernichtet den Springer-Chef, den Bild-(Ex-)Chef und das ganze verrottete Unternehmen. Der Autor berichtet aus der Perspektive des Kronzeugen, das schafft Authentizität, er ist allerings auch ein Mittäter (der Läuterung vorgibt).

Wir müssen uns das so vorstellen:

Benjamin von Stuckrad-Barre, den hier zärtlich Stukki zu nennen ich mir erlauben möchte, ist ein Menschlein, eine Schaum-Existenz, die es sich bequem eingerichtet hat, in dem sie die seinen eigenen Unzulänglichkeiten, Neurosen, Feigheiten und Fehlurteile jedem vor den Latz knallt, der den Fehler macht, das Buch aufzuschlagen. Seitenlang erfahren wir, was ein schwächlich-verhuschtes Bürschlein der Autor ist. Stukki, so will er uns glauben machen, hält vor lauter Harmoniebedürftigkeit die Augen überwiegend geschlossen, versteckt seine Konfliktscheu hinter einem losen Mundwerk, (offenbar schlagfertigen) Sprüchen und bellender (nicht beissender!) Aggressivität. Er sei „von all dem“ grenzenlos überfordert, während er Kilometer-lang aufschreibt, was anderen aus dem Mund purzelt. Er lebt nach dem Prinzip des entwendeten Briefes: wenn Du Deinen Scheiss nur bunt und laut genug auf den Tisch legst, kommt niemand auf die Idee, Dich für verantwortlich zu halten. Mit dieser Grundausstattung gelingt es immer wieder, seine Charaktermaske gut, besser: bestens zu vermarkten.

Dieser Nachtgeist also war über viele Jahre (an einer Stelle wird gesagt: über 15) „best friend“ mit MOC Döpfner, als  Männerfreundschaft ein – so interpretiere ich das – tänzelnder homoerotischer Grenzgang oder -übertritt?, als auch intellektuelle Wahlverwandtschaft gleichsam ein Party- und Erlebnisduo. Das Buch kolportiert den Prozess hin zum Ende dieser Freundschaft – rechtssicherheitshalber in Luftpolsterfolie verpackt, nämlich als Fiktion.

Jetzt muss ich einen Satz zu der Fiktion sagen:

Natürlich spielt das Buch mit dem stiläugigen Publikumsinteresse: „Sind die da oben wirklich so?“ Aber NATÜRLICH wäre das Buch ohne jede Bedeutung, und dann auch frei von jedwedem Interesse, wenn „die da oben“, NICHT so wären. „Ähnlichkeiten sind weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“ So hiess es bei „Katharina Blum“, so ist es hier auch. Ich werde deswegen nicht literaturkritisch vorgeben, hier wäre von einem „Roman über einen fiktionalen Sender” die Rede; es geht um Springer und Döpfner und Reichelt.
Und nur weil das genau SO ist, zerreisst sich die Republik das Maul.

Obwohl!

Der veröffentlichte Geifer greift überall hin, nur nicht an die Wurzel des Vortrags: alle halten sich an die Spielregeln und tun so, als habe Stukki ein Metoo-Buch geschrieben, oder noch ungefährlicher: es ginge um Liebe, Macht und Eifersucht. Gosh, gimme a break. Ich nehm da mal die Abkürzung: das ist die Diskussion, bei der die eine Krähe die andere zum Bestseller aufpimpt. Wenn wir mal das ganze Marketing-Bohai beiseite schieben – und da hat Frau Radisch einen Punkt: die Story ist nur ein Vorwand –, geht es um – nein, es geht auch nicht um das soundsovielte Männerbuch, da hat Frau Radisch eher nicht Recht – geht es um die Verfassung der Öffentlichkeit im Allgemeinen und den Einfluss des Springer-Konzerns auf die Verfassung des Landes im Besonderen. Ich will dem armen Stukki nicht zuviel zutrauen, doch schreibt er gelegentlich einen Satz, der so klingt, als habe er verstanden, was dieses Unternehmen anrichtet: mit den Frauen, ja, mit dem Land vor allem. Und ob er nun aus Eifersucht oder gekränktem Narzissmus – oder welcher psychischen Verwerfung auch immer – den Turm (den Verlag) einreissen, „zerstören“ will, da bin ich offen, nicht wählerisch; wenn’s denn klappt, klappen würde.

Es ist, meine ich, bezeichnend, dass die Republik anlässlich dieser „Story” alles mögliche verhandelt, nur nicht MOC D. und seine politische Agenda. Jedesmal, wenn ich meine hinschreiben zu müssen, dass die Medien – egal welche – kein politisches Mandat haben (auch nicht qua Auflage, Zielgruppe oder was …), gruselt es mich: weil ich es ja doch … immer wieder hinschreiben muss. Die Funktion der Medien ist es, sorry, soviel Habermas muss sein, das Geschehen des Landes abzubilden, um es den Bürgern des Landes zu ermöglichen, die politischen Entscheidungen oder Bedarfe zu verstehen und zu bewerten und ggf. daran zu partizipieren. Es ist nicht die Aufgabe der Medien, das Land nach den politischen Vorlieben seiner Besitzer umzugestalten, wie es offenbar tägliche Praxis ist: Frau Springer gibt Herrn Reichelt freundlich den Hinweis, Frau Merkel zu unterstützen. Herr Döpfner (ein paar Jahre später) gibt Herrn Reichelt den flehenden Hinweis, er möge, bitte, die FDP nach Kräften unterstützen (damit die in der Ampel-Koalition mächtig Krumpelchaos veranstalten kann). Das ist, in aller Kürze, Demokratie-zersetzend!

Ich danke Frau Gilbert und Herr Stark und der ZEIT für den Einblick in Döpfners Privatkorrespondenz – und damit in das Gemeinte und Gewünschte hinter den staatstragend-angemalten Fassaden. Über Sinn und Moral dieser Veröffentlichung wird heftig gestritten.Die Herren Jeske zu Dohna (Berliner Zeitung) und Marc Felix Serrao (NZZ) äussern sich in Kommentaren zu dem vorgeblichen Absturz der ZEIT in den „Bild“-Journalismus. Ich halte es mit Bernhard Pörksen, Medienprofessor, der in der Zeit schreibt: „Das alles könnte man aus der Distanz für eine Privatgesinnung halten. Aber das trifft so nicht zu. Denn diese Gesinnung, eben darin liegt der Skandal und die Brisanz der aktuellen Enthüllung, wird publizistisch wirksam. Und so begründet es auch die Redaktion der Zeit: „Döpfners Direktiven, die bei den Verantwortlichen in der Redaktion selten auf Widerstand stoßen, zeigen, wie sehr er Politisches, Publizistisches und gelegentlich Privates vermischt. Deshalb sind Nachrichten des Vorstandsvorsitzenden von öffentlichem Interesse.“ Und weil ich das ebenso sehe, ist es in meinen Augen auch nahezu lächerlich, wenn Frau Gaschke den Verlust der (Döpfner'schen) Privatsphäre beweint. Mich macht das einigermassen sprachlos:

Als Publikum bekommen wir alleweil das Bullshit-Bingo serviert, eben so, wie es Stukki wortreich kolportiert. Vollmundig wird von Demokratie und Verantwortung und Pluralismus und was nicht alles geschwafelt – Potemkinsche Fassaden: was dahinter tatsächlich geschoben und verschoben wird – und uns, Staatsvolk, aber tatsächlich, ja: materiell angeht – können wir nur erkennen, wenn es einmal namhaft wird, wie seinerzeit bei Yanis Varoufakis oder hier, bei den Döpfner-leaks (wer nur hat das in die Tröte gepustet??). Natürlich sind die „eigentlichen“ (und im täglichen Normalfall nicht nachweisbaren) Standpunkte die politisch relevanten, nicht das Verdienstkreuz-Geplauder vor den Mikrofonen. Private Anschauungen sind eben nicht privat, wenn der Chef eines der grössten Medienkonzerns des Landes mit ihnen seine Medien in den Kampf schickt; Patriotismus vorschützend, wo es schlicht um die eigenen Interessen geht.

Und das ist denn auch der eigentliche Skandal, dass Döpfner über die Position und die Mittel verfügt, einen solchen Konzern als Werkzeug, als Hebel, seiner schmalbrüstig-hirnarmen Überzeugungen einzusetzen. „Umweltpolitik – ich bin sehr für den Klimawandel. Zivilisationsphasen der Wärme waren immer erfolgreicher als solche der Kälte.“ (siehe Gilbert/Stark) Wer hat dem denn ins H… – und da soll man nicht verzweifeln? Leider ist auch Stukki nicht in der Lage, die geistige Landschaft dieses Konzernlenkers einigermassen schlüssig auszuleuchten (den ich selbst, disclosure, früher einmal, als ich nur seine öffentliche Erscheinung kannte, ganz patent fand; fast hätte ich mal für ihn gearbeitet – immerhin hatte der Dr. D. doch einmal das Denken erlernt, oder?).

Doch Richtig, wie immer: das Sein bestimmt das Bewusstsein. Und das Sein des MOC D. ist wesentlich von seinen Schwiegermutterqualitäten geprägt: sehr gross und sehr schlank – ein eleganter Windhund, einerseits hilft das natürlich, andererseits, im Kreise all dieser Bullterrier, da fühlt man sich rasch mal unterlegen; viel hilft aber auch sein offenes, ehrlich-strahlend freundliches Gesicht, von Charme ist viel die Rede, und schliesslich, für den sozialen Umgang genügt ihm ein überschaubar memorables Zitatkästlein (sagt Stukki) und im Konfliktfall die Flexibilität einer Gummizelle.

Mit Verdienst oder Leistung hat das ja wenig zu tun – oder genauer: er weiss durchaus, wo die pain- und triggerpoints derjenigen sind, von denen er abhängig ist. „Israel my country“, (siehe Gilbert/Stark) mit der Parole allein könnte man eine halbe Psychoanalyse beschicken. Die Mischung aus Scharfsicht und doch politischer Grenzdebilität, aus zeitgeistiger Vorausschau und moralischer Bigotterie, aus harten Entscheidungen und schwammigen Opportunismen, aus Zynismus und Wehleidigkeit – das ist diesseits einer psycho-pathologischen Diagnose schwer zu verstehen. Zumindest, solange man die eigentlichen Eigentümer des Konzern (die Venture-Capital Firma KKR) nicht in die Kalkulationen einbezieht.

Hier und da wurde angemerkt, dass Stukki durchaus-schon-also-ziemlich-generös-doch über die Abgründe des MOC D. hinwegschauen musste, um ihn über eine so lange Strecke seinen Freund zu nennen. Das Buch nun soll uns davon überzeugen, dass er im Verlauf einer beinahe genauso langen Strecke versucht habe, auf seinen Freund Einfluss zu nehmen: nämlich für die Sache der Frauen in seinem Unternehmen. Er will auch keinen Zweifel daran zulassen, dass er die politische Richtung des Unternehmens stets und auch in der kleinen Öffentlichkeit mit und vor seinem Freund aggressiv kritisiert habe. Ich war nicht dabei und lasse das deswegen so stehen. Der kritische Punkt dabei ist eher, dass eine lautstarke und aggressive Kritik wohlfeil ist: Sie erlaubt ihm damit die Rolle des Narren, wie ihn die Mächtigen schon immer an ihren Höfen geduldet haben. Je lauter, desto mehr gibt er dem Kritisierten Gelegenheit, sich „tolerant und open minded“ zu zeigen. … Eine wirkliche, scharf argumentative Kritik liesse dem Kritisierten diesen Ausweg nicht: sie wäre – frei von jeder Aggressivität – so genau und rational unwiderlegbar, dass dem Kritisierten die Flucht „ins Verständnis” verwehrt wäre. Weder in der Sache der Frauen (nämlich der Organisation von Macht) noch in der politischen Sache, hat Stukki so etwas ähnliches wie eine Analyse geleistet.

Ich will aber auch auf einen anderen Aspekt hinweisen: in einer Freundschaft geht es (immer auch) um Loyalität, und die steht in einem besonderen Spannungsfeld, wenn sich Menschen im Verlauf ihres Lebens (natürlich) verändern. In der Wagenburg sind insbesondere bei den langlaufenden Entwicklungslinien die tipping points nicht immer klar zu erkennen, und je länger es dauert, desto schwieriger wird die Entscheidung, eine Trennlinie zu ziehen, hinter die es kein Zurück mehr gibt. In Beziehungen mit grossem Ungleichgewicht kommt ein korrumpierender Faktor hinzu: beide! Seiten profitieren, das ist eine wichtige Zwischenbemerkung, aber auf der einen Seite ist der Profit leichter zu zählen, schafft Abhängigkeiten oder doch wenigstens Opportunitäten. Und wenigstens an der Stelle und in dieser Hinsicht finde ich es gerechtfertigt, zu sagen: Nichts Menschliches ist mir fremd, und wer von Euch ohne Sünde ist …usw..

Es ist immer ein Grenzgang: jetzt werden Springer und Döpfner und Reichelt und Stukki durch’s Dorf getrieben und alle, alle hinterher. Das eigentliche Drama ist, meine Prognose, dass es folgenlos bleiben wird. Das Image des MOC D. nimmt Schaden, schon, aber für seine politische Haltung werden die amerikanischen Freunde ihn nicht fallen lassen, und für die moralischen Insuffizienzen, zumal sie inhaltlich leicht in „Aussage gegen Aussagen“ zerfallen, wird ihn Friede S. nicht fallen lassen – so sie das denn noch könnte (und wollen will sie eh nicht). Und schliesslich … hält er ein gehöriges Stake in den eigenen Händen, solange "das Haus" als solches keinen Schaden nimmt.

So komme ich auch diesmal zu der Schlussbewertung:

Das versendet sich.

p.s.: „Das ist jetzt anders“, hatte ich eingeleitet: weil, es hat jetzt ein paar Zeilen länger gebraucht.