Annalena Weltweit. Jetzt, wo wir sie täglich sehen und hören, bleiben die Schoten aus. Heiko who?! – vergessen. Mit je 0,8 Zustimmung sind Habeck und Baerbock im November die beliebtesten deutschen Politiker; Scholz bringt es auf 0,4, Lindner auf -0,3 und Merz auf -0,4. Nach einem Jahr haben Regierende schon schlechter dagestanden – und es passt nicht recht zu den Schlagzeilen und Kampagnen von der Sorte „Zufriedenheit mit der Ampel auf einem Tiefpunkt“. (so bei T-online.de)
Madam Secretary
Wie werden wir regiert!
Annalena Baerbock ein Jahr im Amt
Der orange Elefant
Vor der Wahl hatte mich Frau Baerbock natürlich beschäftigt (hier und hier). Meine Kommentare damals waren geprägt von Sympathie und Zustimmung für die Grünen, Zweifeln an der Kandidatin und Kopfschütteln über Pannen und Performance; es fiel mir nicht leicht, zu verargumentieren, dass ich die Politiker ins Amt wählen möchte, die auf dem Weg dorthin Murks und Mist verzapfen. Nach ihrem Buch „Jetzt“ hielt ich Frau Baerbock für „verbrannt“, ob zurecht oder nicht, das war nicht mal mehr die Frage. In meinen Augen hatten Habeck und die Grünen die mögliche Kanzlerschaft dem Feminismus (btw: der Bundestagsfraktion) geopfert.
Ein Jahr später, die Regierung arbeitet, und die veröffentlichte Meinung (in meinem scope) tut alles, um diese Arbeit schlecht zu reden – ob Wirtschaftswoche, Deutschlandfunk, Zeit, von der FAZ nicht zu reden, da rollt eine Kampagne nach der anderen. Was die Regierung schlecht aussehen lässt, ist frei zugänglich, etwaige differenziertere Äusserungen, die gibt es natürlich auch, verschwinden hinter der Paywall. (K)alte KriegerInnen-den managen die Headlines von Texten, die ganz andere Interpretationen nahelegen. Auch die Zeit opfert sich auf, um der Opposition Munition zu liefern; subtiles Dauerfeuer. Damit das gelingt, kommen von der Fahne gegangene Springer-Journalisten zu Wort und Leitartikel; Journalismus, ach Gottchen!
Politik – to begin with – ist Tagesgeschäft
Zu glauben, in der Politik könne man langfristige Ziele verwirklichen, phhh; meist werden derlei Pläne an den nächsten Wahlen scheitern. Bei dieser Regierung hat es nur 14 Tage gedauert. In der Historie der Republik war wohl kein Amtsantritt einer Regierung mit einem vergleichbaren Tagesgeschäft gestraft.
Erst die Erblasten einer Pandemie, für die es keine Blaupausen gab – aber 84 Millionen Virologen, die in den Direktmedien ihre Parolen plakatierten, plus jede Menge Ministerpräsidenten, die auf landeseigener Flamme ihr je eigenes Süppchen köchelten und aus dem föderal-zuständigen Dschungel heraus alles torpedierten, was der Minister für richtig befand. Fehlentscheidungen? Das Hin&Her?! Jaaahh; hat es gegeben. Kein Wunder! allerdings war die soziale, administrative, medizinische und politische Gemengelage so ausufernd, dass es schwer ist, Ursachen von Wirkungen zu unterscheiden.
14 Tage nach Amtsantritt flog der Ampel der Krieg um die Ohren, das hatte ihr am Wahlabend auch niemand gesungen. Jetzt reiben wir uns die Augen über Frau Baerbock, „streitbar, entschieden, emotional und mit Härte“ (ein Experte für Körpersprache auf t-online), die sich wie Frau Strack-Zimmermann anhört und Herrn Hofreiter, der mit der deutschen Generalität „Panzerquartett“ spielt.
On top die Energiekrise – die in der Sache (nicht im Anlass) SPD und CDU zu verantworten haben, und die der Herr Habeck ausbaden muss. Wenn der jetzt seine Regierungsbefähigung unter Beweis stellt, indem er bei „your Highness“ LNG einkauft und Kohlekraftwerke hochfährt, ist das seinem Amtseid geschuldet – aber es ist nicht gerade das, was seine Wähler gewählt haben. Eher schon, dass es ihm gelingt, ein neues LNG-Terminal in nur sechs Monaten ans Netz zu bringen – …wäre LNG nur nicht gerade der klimaschädlichste Aggregatzustand, in dem diese „Übergangstechnologie“ auftritt.
Nun war aber Deutschland zu Jahresbeginn zu ca. 38% von russischen Energielieferungen abhängig, allen voran leitungsgebundenes Erdgas (aber auch Öl und Steinkohle). Seit dem 28. August fliesst kein Gas mehr aus Russland. Damit fehlen 24% in der aktuellen deutschen Gesamtenergiebilanz (wenn auch nicht im Ganzjahresvergleich). Obendrein greift seit dem 5. Dezember das Ölembargo (inkl. eines Preisdeckels bei 60$, der „Importe über Bande“ zumindest erschwert).
Natürlich ist es für eine Krisen-Bewertung zu früh, der eigentliche Winter steht noch bevor. Was wir aber schon jetzt feststellen können ist, dass Herr Habeck Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, um der deutschen Ökonomie einen Zusammenbruch, wie auch unser aller Bequemlichkeit Zumutungen zu ersparen. Im Schatten dieser beachtlichen Management-Leistung sind – vielleicht – ein paar andere politische Zielsetzungen aufs Nebengleis geraten. In meinen Augen macht Herr Habeck einen guten Job, wenn auch nicht unbedingt einen grünen!
Was ist nun mit Annalena
Was dagegen diplomatische Leistungen betrifft: da fehlen Zahlen – die verflogenen Kilometer stehen ja bereits in der job description. Grobe und auch kleinere Klöpse hat sie sich nicht geleistet, immerhin. Was zu Beginn ihrer Amtszeit auf dem Zettel stand: Belarus, Afghanistan, Iran-Abkommen, Syrienkrieg, die Lage der EU, … wurde einen Wimpernschlag später vom russischen Überfall auf die Ukraine überschattet, ach was: verdampft. Knapp war noch Zeit für einen Antrittsbesuch, eine erste Bewährungsprobe: Paris, Brüssel, Warschau in einem Rutsch. Mit einer flexible response auf „leicht altväterlich-belehrende Bemerkungen“ des polnischen Amtskollegen. Die überzogenen Vorhaltungen ihres Amtskollegen hat sie gelassen hingenommen; im Gegenteil hat sie ihn ermuntert, er möge ihr auch weiterhin „sein Herz ausschütten“; eine gute Freundschaft halte das aus. „Angriffe nicht abwehren, sondern in Energie umwandeln – das ist das Judoprinzip der Außenministerin“, kommentierte das RND. Aber dann kam schon der Krieg.
Zu Zeiten des Kalten Krieges wäre Frau Baerbock als stramme Anti-Kommunistin ausgewiesen. Sie hatte sich frühzeitig gegen Nordstream II gestellt; was als eine originär ökologische Position gemeint war, wurde nach dem Überfall auf die Ukraine zu einer geradezu anti-imperialen Haltung. Putin überziehe die Ukraine mit brutalen Terror, ein Zivilisationsbruch, es fehl(t)en nur noch ein paar Buchstaben, bis sie ihn als Kriegsverbrecher brandmarkt. Das bringt ihr Aufmerksamkeit und Zustimmung, an einen Verhandlungstisch wird es sie nicht bringen. Sie bewegt sich, was Russland angeht, in Richtung eines aussenpolitischen Autismus, wie ihn Volker Stanzel et. al. beschreiben (– S. 56ff). Auf Basis der Berichterstattung – eigene Erkenntnisse liegen mir nicht vor – stimme ich ihr durchaus zu; doch wenn ich mir was wünschen dürfte, wäre mir eine Aussenministerin lieber, die Mittel und Wege kennt oder findet, Putin in die Zivilisation zurückzuzwingen. Naiv, ich weiss; vielleicht hilft Netflix?
Überhaupt muss ich weiter vorne anfangen, denn welche Politik in einer Legislaturperiode – dann – gemacht werden soll, muss vorab formuliert werden; später ist kaum noch Gelegenheit! Seit ihrem Amtseintritt spricht Frau Baerbock von einer Werte-geleiteten und von einer feministischen Aussenpolitik. Das Auswärtige Amt erklärt, was damit gemeint sei:
„Feministische Außenpolitik basiert auf der Überzeugung, dass Geschlechtergerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe Voraussetzung für nachhaltigen Frieden und Sicherheit in der Welt sind.“
Ich halte das für falsch. Seitdem der Claim in der Welt ist, wird er heftig diskutiert. Die einen verstehen ihn nicht, die anderen tun ihr Möglichstes, dass das so bleibt:
„Das schwedische Modell 3R + D [steht für Rechte, Repräsentanz, Ressourcen und Diversität] bildet eine Grundlage dafür, die feministische Außenpolitik für Deutschland aus intersektionaler und postkolonialer Sicht zu beschreiben. Das Konzept der Intersektionalität hilft dabei, das Ausmaß und verschiedene Formen der Gewalt zu erkennen. Intersektionalität beschreibt, wie Machtstrukturen wie Rassifizierung, soziale Herkunft, Sexualität, Behinderung, Alter, Gender, oder Nationalität sich auf unsere Gesellschaft und vor allem politische Entscheidungsprozesse auswirken – und auch, wie diese historisch durch Kolonialismus und Kapitalismus entstanden sind.“
Auch die Böll-Stiftung gibt sich Mühe.
Mir liegt die ganze Identitätspolitik sowieso quer – dazu später – aber, um nicht gleich alles mit dem Bade auszuschütten, könnte ich es hinnehmen, wenn so eine Position im Programm der Staatsministerin für Kultur gestanden hätte, bei Frau Roth. Für die Aussenpolitik erscheint mir der Ansatz fehl am Platz, ja, sogar kontraproduktiv; zurückhaltend formuliert.
Dabei ist das erste und dringlichste Argument dagegen nicht, dass damit etwa falsche Forderungen erhoben würden – darüber wäre gesondert und einzeln zu diskutieren –, sondern dass damit eine unangemessene Übergriffigkeit als Leitlinie der Aussenpolitik vorgegeben wird; zum Beispiel die Kreuzritter …, nein, der Vergleich ist polemisch. Ein näherliegendes Beispiel: Der Supreme Court der USA massregelt die körperliche Souveränität der US-amerikanischen Frauen; eine abgründige Mischung aus Paternalismus, Machismo, Repression und religiösem Dogmatismus, wie aus dem 19. Jahrhundert, schrecklich! Vermutlich wird Frau Baerbocks Haltung noch eine Idee deutlicher. Aber kann sie die zur „Werte-gebundenen“ Leitlinie der deutschen Aussenpolitik erklären?
Man muss es nur umkehren: Was würden denn wir denken, wenn unsere US-amerikanischen Freunde und Partner, sagen wir: unter einer evangelikalen oder GOP-Regierung, unser Abtreibungs- oder Waffenrecht kritisieren oder eine gottesfürchtige, kreationistische Bildungspolitik fordern – wenn sogar Exporte, Kooperationen oder Zollabkommen daran geknüpft wären?? Das Beispiel liesse sich ja durch die Welt durchbuchstabieren: Türkei, Iran, Ungarn, Mali, Indien, Russland usw., usf.. Haben wir denn aus der Kolonialismusdebatte gar nichts gelernt? Übergriffigkeit unterscheidet doch nicht, ob damit ein hehres oder niederes Ziel verfolgt wird: es geht um Souveränität, Autonomie, Eigengesetzlichkeit.
Was eigentlich ist Aussenpolitik?
Einem Europäer und Kosmopoliten wie mir fällt es nicht leicht, nationalstaatlichen Parametern das Wort zu reden – weil aber die Welt ist, wie sie ist, muss auch ich aus der Perspektive von Nationalstaaten denken, wenn es um die Aussenpolitik geht. Und die kann nur, muss sogar, mit der je eigenen Souveränität beginnen; wer nicht aus eigenem Recht, sozusagen „vollumfänglich“, seine Politik gestalten kann, ist als Staat nicht vertragsfähig – und hat de facto keine Aussenpolitik. Und wenn das gilt, gilt es notwendig auch für alle anderen Staaten/Völker/Nationen.
Leider ist „Souveränität“, so erklärte es uns HME schon vor über 50 Jahren, „längst zur völkerrechtlichen Fiktion geschrumpft“. Oder, wie es Jürgen Trittin bei Markus Lanz zusammenfasst: „Ein Land, das 70% seiner Energieträger importiert, ist nicht souverän.“ Was sich bei den russischen Energieimporten gezeigt hatte, wird jetzt mit Bezug auf die deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen diskutiert. Zu den USA, wo wir gerade dabei sind, sind unsere Beziehungen von vielem geprägt, nur nicht von einer souveränen Position. Da hilft schon der so bekannte wie vergessene Hinweis, dass auf deutschem Boden 35.000 US-Truppen mit ~20 Atombomben stationiert sind.
Staatliche Souveränität realisiert sich in drei Formaten:
- sie regelt und ermöglicht die Handlungsfähigkeit des Staates nach innen: Legislative, Judikative, Exekutive, das Gewaltmonopol;
- zweitens bezeichnet sie die Unabhängigkeit des Staates von anderen, sowie die territoriale Souveränität (mit Überschneidungen zum Gewaltmonopol);
- und sie betrifft, drittens, die Befähigung zur Selbstverteidigung, nämlich zum Schutz der inneren und äussere Integrität.
Daran gemessen sieht es ziemlich mau aus:
- Dass Deutschlands „innere Souveränität“ auf wackligen Füssen steht, hatte sich beim TTIP-Abkommen gezeigt; dass es auch ohne Abkommen geht, sehen wir an den Nordstream-Pipelines. Vom Ende her gedacht sind die beiden Röhren kaputt. Cui bono.
- Deutschlands Unabhängigkeit ist eine Illusion, davon handelt u.a. die Energiefrage. Dass die halbe Zeitenwende in die USA abfliesst (u.a. für F35-Flugzeuge und Chinook-Hubschrauber; vom Fracking-Gas nicht zu reden), ist dagegen … schon … eine souveräne Entscheidung des Kanzlers.
- Und dass wir nicht in der Lage, uns zu verteidigen, nicht zuletzt das hat uns der Überfall auf die Ukraine vor Augen geführt. Das war nach dem zweiten Weltkrieges nie anders, ist aber in den Jahren der sogenannten Friedensdividende aus der öffentlichen Wahrnehmung herausgefallen.
In Summe fehlt es einer deutschen Aussenpolitik an nahezu allen initialen Voraussetzung. Die Diagnose ist ernüchternd, aber auch kein Einzelschicksal: nur wenigen Nationalstaaten geht es anders. Hinzu kommen die kollateralen Aspekte der Globalisierung: Abhängigkeiten sind nicht immer vergleichbar, aber in einer globalisierten Ökonomie sind auch „Grossmächte“ nur so souverän, wie die Rohstoffströme, Informationen, Lieferketten, Handelsabkommen für ihre Wirtschaft „gesichert“ sind … Am Ende dieses Argumentes – wir glaubten das überwunden, auch das war naiv – wohnt die Machtfrage!
Ich fass das mal zusammen: Wenn es überhaupt einen Ansatz für irgendeine Form von deutscher Aussenpolitik gegeben hat, so war es die deutsche Wirtschaftskraft, ja Wirtschaftsmacht; und davon handelt der staatliche Handelsbilanzüberschuss über die letzten 20 Jahre. Man glaubt es kaum, den gibt es immer noch (er ist allerdings abgestürzt, von 175 Mrd € in 2021 auf 58,8 Mrd € bis Okt 2022. Wovon wir also jetzt reden sollten, sind die deutschen Interessen. Wenn Frau Baerbock von Reziprozität redet (und das tut sie!), damit deutschen Unternehmen in China die gleichen Rechte eingeräumt werden, wie chinesischen in Deutschland, so IST das im deutschen Interesse. Wenn sie dagegen die Meinungsfreiheit oder die Uiguren oder Taiwan gegen deutsche Lieferbeziehungen verrechnen wollte (sie tut das nicht!), so zielte das womöglich auf ein zeitgerechtes, aufgeklärtes, humanes, politisches Handeln Chinas, hat aber mit den deutschen Interessen nichts zu tun: Äpfel und Demokratie-PR – not convertible. In diesem Sinn erscheint mir der werte-gebundene Ansatz, und erst recht in seinen feministischen Aspekten, nicht nur praxisfern, sondern unsinnig. Das Argument nimmt noch eine weitere Kurve, Moment noch.
Zweifelsfrei
Wer Visionen hat, solle zum Arzt gehen, beschied einst Helmut Schmidt. Heuer gibt es Visionen nur noch bei den Fremdwörtern, im Duden – und der hat auch einen schweren Stand! Ähnlich aber geht es mit dem Zweifel: „Man könnte jetzt links, oder auch rechts, ich bin nicht sicher, also ich würde, vielleicht, naja, was denkst Du denn?“ Phhh. Wer erst noch mal nachdenken will, der soll lieber gleich zuhause bleiben.
Schon im Tagesgeschäft sind Zweifel unschicklich, geradezu ein Handicap, vor allem motivieren sie niemanden! In der Aussenpolitik dagegen sind Zweifler Witzfiguren oder gar staatsgefährdend. Jede Position im staatlichen Mit-, Neben- und Gegeneinander, die nicht wie kilometertief einbetoniert in ihrer jeweiligen Heimaterde steht, schürt das Misstrauen und gibt Anlass zu den wildesten Interpretationen. Deswegen werden etwaige Richtungswechsel tunlichst vermieden; kommt es dennoch dazu, so geschieht das entweder, selten, im Einvernehmen, gleichzeitig mit dem jeweiligen Gegenüber (Stichwort: ohne Gesichtsverlust), oder, öfter, einer unabwendbaren Not gehorchend, in Sekundenbruchteilen. Die neue Position übernimmt dann bruchlos das vor-gefertigte Fundament, ganz so, als wär nix gewesen: Wir waren immer schon der Meinung … . Eine Minister:Innende, die einen U-Turn vor Mikrofonen und Nachfragen glaubhaft vertreten muss, braucht einen flexiblen Meinungsapparat. Was im normalen Leben als Opportunismus gebrandmarkt wird, ist in der Aussenpolitik (und nicht nur hier) staatstragend. Die Netflix-Serie „Madam Secretary“ – darauf bezog sich mein Hinweis oben – gibt an einigen Stellen überzeugende Einblicke in die Dilemmata dieser Notwendigkeit.
In die hinein sich Frau Baerbock geschickt hat: Zweifel sind ihr fremd, es sei denn, sie wären wohlfeil. Ohne Bezug, sozusagen freischwebend, kann man ja alles Mögliche meinen, Hauptsache in der Hauptsache, also aktuell, gibt es kein Wackeln. Deswegen steht Frau Baerbock immer „fest an der Seite“ von … und mit aller Entschiedenheit „zu“…, was immer das Thema ist. Nach nur einem Jahr Amtszeit ist das noch nicht allzu schwierig, ihre Positionen sind, sozusagen, noch in der ersten Auflage. Weil das so ist, wird sie ernst genommen und erfährt öffentliche Zustimmung. Herr Lauterbach, um das am anderen Ende des Argumentes zu plausibilisieren, weiss um die Ambivalenz jeder, fast jeder Position, und wird allein dafür, dass er etwaige Unsicherheiten benennt, von allen, die nichts von der Sache verstehen, in Grund und Boden kommentiert. Übrigens hat auch Herr Habeck keinerlei Zweifel – versteht es aber, uns davon zu überzeugen, sie abgewogen zu haben.
Naja: Du kannst Dir alles Mögliche vornehmen (siehe Habeck) – und dann kommt die Realität. Obwohl wir davon ausgehen müssen, dass Baerbocks Kompass ständig am ideologischen Limit zittert, haben diplomatische Begegnungen eine Eigendynamik. Zu Herrn Lawrow, der sie schon mittags zum Wodka nötigen wollte, sagte sie: „Wenn mittags Wodkatrinken Härtetest ist ... Ich habe zwei Kinder geboren.“
Wuuusch, aber wie feministisch ist das denn?
Anyway. Wenn man die Reden liest, hört oder sieht, die sie den verschiedenen Flughäfen, Podien und PKn gehalten hat, fällt auf, dass ihre Sprache selten aus dem Basisvokabular herausfindet. Es klingt alles recht hölzern. Anfangs hat sie nur ihren Sprechzettel aufgesagt – schon um nix falsches zu sagen. Dafür hatte ich Verständnis; eine Aussenministerin, die am Montag Morgen vor den versammelten Krümelkackern die Fettnäpfchen vom Wochenende wegräumen muss, schafft ebenso wenig Vertrauen, wie, umgekehrt, eine Frau Melnyk.
Inzwischen hat sie sich mit einer verschleppten Sprechweise – die Älterrren … unterr uns errrinnern … Willy Brrrandt – gegen spontane Fehlformulierungen gewappnet. Diplomatie ist Kommunikation und so bringt die B-Note (wenn „der Plan“ die A-Note füttert) mindestens das gleiche Gewicht auf die Waage. Die diplomatische Herausforderung besteht nun aber nicht darin, sprachlich ausgefeilte Statements zu geben, sondern etwas zu sagen, ohne es auszusprechen; zumindest war das so. Herr Genscher hat sich stets im Allgemeinen aufgehalten, das Gemeinte pflückten Experten im Weiss zwischen den Zeilen.
So isses nicht mehr! Nowadays wird Klartext gesprochen, ohne – und sollten wir als Fortschritt erachten – schon beim Ausatmen aufeinander zu schiessen. Es hat auch eine gewisse Logik: Wenn man eine Werte-basierte Politik machen will, muss man die Monstranz in jede Pressekonferenz mitbringen.
Baerbocks Themen stehen mit einem Fuss im „heute“, und mit dem anderen – „gerade in unserer Zeit“ – „ebend“ (immer mit d!) in der historischen Perspektive. Während der indische Aussenminister in schönstem Genscherismus die verschiedenen bilateralen Themenwolken „angesprochen hat“, sind diese Themen bei Annalena Baerbock mit Adjektiven beschwert, wo nicht bewaffnet: dringend, schwerwiegend, brutal, brutal, fünf, sechs mal pro Statement ist der russische Terror brutal, ein Angriffskrieg, die grösste Sicherheitsbedrohung, usw., gerade, ebend, in diesen schwierigen Zeiten, usw., „stehen wir als Wertepartner zusammen… usw..“
Es ist ein Trick: mit einem Mal habe ich ein Aha-Erlebnis und es kommt sogar eine gewisse Bewunderung auf: Indem sie nämlich bei jeder passenden wie unpassenden Gelegenheit erstmal
„Frau, Leben, Freiheit“
und gleich danach „Menschenrechte, Ordnung, Demokratie, basierend auf dem Recht“ sagt, kann sie danach sagen, was ihr ohne die Präambel den Mund vernähen müsste. In Indien umarmt sie mit herzlichem „Du“ ihren Kollegen als Werte-Partner, der (also das Land) gerade mit Russland die schönsten Öl-Geschäfte macht („Der Import von russischem Rohöl hat sich seit Februar nach Schätzung von Analysten vervielfacht.“) – und sich in der UN bei der Russland-Resolution einer Meinung enthält. Von dem „hinduistischen Nationalismus“ des Narendra Modi und dem rege diskutierten Faschismus-Verdacht nicht zu reden! In der Türkei, anderes Beispiel, bekennt Baerbock sich ausdrücklich zu der Einstufung der PKK als Terrororganisation; das ist die gleiche PKK, mit der der Westen den IS bekämpft hat. Keine Relativierung, kein Hinweis auf den Umgang der Türkei mit den Kurden, mit der Meinungsfreiheit ... Die Grüne Partei-Jugend sieht das etwas anders.
Das ist schon die höhere Dialektik!
Es ist nicht leicht, als Aussenminister:in irgendwelche Meriten zu erwerben. Der Spagat zwischen der persönlichen Anschauung und der Staatsräson führt mitunter zu moralischen Muskelzerrungen. Auch das usual business ist undankbar: Verhandlungserfolge kassiert der Kanzler, nur für die Misserfolge, wie etwa bei der Klimakonferenz in Ägypten, hält sein Personal den Kopf hin. Sie hat also mein Mitgefühl; sie hat es aber gar nicht nötig! Denn die Reputation der Annalena Baerbock ist durchaus erstaunlich. Möglicherweise ist aber genau das der rote Elefant im Ministerium und das eigentliche Momentum einer feministischen Aussenpolitik: ihr wird gut geschrieben, was die Berufskommentatoren keinem männlichen Kollegen durchgehen liessen: nämlich mit plakativen Parolen durch das diplomatische Porzellan zu poltern. Nach einem Jahr Amtszeit steht meine Bewertung ihrer Arbeit beinahe diametral zu der von Habeck:
Sie macht keinen guten Job, aber das macht sie gut.