Ein unglückliches Jahr

Rückblick. Ausblick.

2018 -> 2019

27-12-2018
 

Was sind eigentlich „glückliche“ Jahre?
1918? 1945? 1967? 1989? Schaut man in Kenntnis der Ereignisse zurück, so hat sich auch jenen Jahreszahlen ein Geschmäckle angewirtschaftet, die damals vielleicht frühlingshaft frisch oder wenigstens verheissungsvoll geschmeckt hatten. Im Rückblick wird uns 2018 wohl eher als ein „unglückliches“ Jahr erscheinen. Ein kleines, dürres Licht gibt’s erst am Ende des Tunnels.

Blicken wir nach vorn. (Public Domain Quelle: pxhere.com)

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Die Gesellschaft, das System: es geht bergab; seit Tagen belästigt mich so eine unschöne Portion Alterspessimismus. Immerhin bin ich damit nicht ganz allein: Gallup sieht den Pessismusmus global auf dem Vormarsch. Kann sein, dass der „World-Survey“ auch nur alternde Gesellschaften abbildet; aber auch unter jüngeren Leuten in meinem Umfeld halten sich Euphorie oder wenigsten Zuversicht mehr im Hintergrund. Das hat drei Aspekte: 

Die „No-Future“-Attitüde des frühen Punk erinnert ja kaum jemand, erstens, und als junger Mensch WILLST Du (eigentlich) erwartungsvoll und positiv in die Zukunft schauen. In der Altergruppe 26-34 erwarten aber 31% ein schlechteres Leben, als das ihrer Eltern, 39% sehen eher oder sehr pessimistisch in die Zukunft und 45% erwarten für ihre Kinder ein schlechteres Leben als das eigene. Auch wenn die Umfrage in ihren Details ein differenzierteres Bild zeichnet, sind diese Zahlen schon ein sehr schlechtes Zeichen (in der Altergruppe 35+ wird es noch düsterer) . 

Privat, zweitens, mag es ja ganz gut gehen, vielleicht sogar voran. Derlei gute Aussichten wollte ich niemandem bestreiten; aber ich meine etwas anderes. 

Es ist, drittens, der Blick auf das Ganze, bei dem ich auf Indolenz oder Dämmerlicht, gar Schwarzen Pessismus gestossen bin. Menschen, die mit dem Leben gerade beginnen, beklagen (oder verdrängen) den Gedanken: „Ach du Scheisse, wie soll das gut gehen?“

Übrigens sind gut zwei Drittel der nachwachsenden Deutschen (in ganz Europa 57%) nicht bereit, in einem Krieg für ihr Land zu kämpfen; und ich weiss nicht recht, ob man sich darüber freuen sollte.

I. Prima Klima
Das Spektrum der misslichen Entwicklungen war hierzulande von besonders gutem Wetter überschattet. Es war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen 1881. Ich selbst habe über’s Jahr sechs Mal den Rasen gemäht (der Durchschnitt schwankt: 15 bis 20 Mal p.a.), und der Bachlauf vor der Haustür hat bis heute noch nicht die 10-cm-Höhe erreicht, mit der er gemeinhin (nach Jahreszeit und Wetter verschieden, aber eben doch durchschnittlich) über das Staubrett am Wehr strömte. Ernteschäden summierten sich in Deutschland auf eine satte Milliarde. Die atlantische Hurricane-Saison dagegen zeigt für 2018 an Todesopfern 154 und über 33 Mrd $ Schäden (zum Vergleich: 2017 waren es 3361 Tote und 282 Mrd $ Schäden, 2016 waren es 748 Tote bei 16 Mrd. $ Verlusten usw.).

Mit den Wetterschäden in Folge des Klimawandels kommen wir weiter gut voran. Die Aussichten sind vielversprechend: bislang rangiert die Erderwärmung im 11-jährigen Mittel ja erst um die 0,50C. Es gehört zu den widerspenstigen Begleiterscheinungen dieser Entwicklung, dass sie nicht davon aufhört, dass sie eins ums andere Mal aufgeschrieben wird; im Gegenteil, möchte man sagen, und genau das wiederum ist eine Folge der ebenso misslichen Entwicklung der Mediendemokratie: Erschütterungen verbrauchen sich, und die wiederholten Berichte erzeugen einen regelrechten Widerstand: stör mich nicht beim Leben!

Für 2019 verheisst das nichts Gutes. 
Der Klimazirkus wird nächstes Jahr seine Vielfliegerkonten mit einem Gipfel in Chile fortschreiben; nach Kattowitz waren 30.000 gereist. Was wollte einem Schickeres einfallen, als zu Zigtausenden durch die Welt zu jetten und mit Abschlusserklärungen das Klima zu retten? Im SideKick fördert das auch die lokale Wirtschaft, bitte sehr, wenn man schon mal da ist, kann man auch ein paar Tage Sightseeing dranhängen, oder. In Deutschland werden wir weiteres „Wachstum“ ausweisen. Wo die Weltbevölkerung wächst, ist (ökonomisches) Wachstum kaum zu vermeiden; bei uns hingegen wächst der Wohlstand – anbei: die CO2-Emissionen (~900 Mio t). 

II. We’re only in it 4 the money
Nur eine Splittergruppe der Krisenlobby hat die Finanzen im Blick. Nicht gut. Denn um die steht es brenzlig. In der Krise 2008 ist es Staaten und Notenbanken gelungen, durch beherzte Masslosigkeit all die Löcher zuzuschütten, die geeignet erschienen, unserem ökonomischen System den garaus zu machen. Jetzt aber haben die Feuerwehren selbst den Keller voll notleidenden Papiers, so dass sie im Wiederholungsfall schlicht handlungsunfähig sein werden.

Ursächlich für den Schaden 2008 waren „derivative Spekulationsgeschäfte“ (auch dem Begriff will ich nicht näher auf den Grund gehen, nur soviel:); diese Art „Geschäfte“ hat inzwischen (wieder) einen (jetzt aber) nie dagewesenen Umfang erreicht. Damals, so hat Dirk Specht herausgefunden, hatten 200 Milliarden $ Real-Schaden einen „Finanz-Schaden“ von 11,9 Billionen $ (deutsche Billionen!) erwirtschaftet; den Ursachen dieser Quadratur des Geldvernichtens nachzugehen, würde hier zu weit führen, als Hinweis aber mag genügen, dass die Finanz“wirtschaft“ 11 mal mehr „Werte“ (das sind Nullen und Einsen auf Bildschirmen) bewegt als die Realwirtschaft (die bedauerlicherweise mit den gleichen Nullen und Einsen rechnet – und daher immer schon mit dem kompletten Hals in der gleichen Schlinge steckt). Der Dow Jones hat in diesem Herbst bereits 20%, knapp eine (deutsche) Billion Dollar, eingebüsst; ein Vorbeben, vermutlich, denn an Risiken herrscht kein Mangel (Hinweise: Trump, Brexit, Türkei, Italien …)! Und in den Finanzcasinos wird wieder gern auf Krise gewettet.

Für 2019 verheisst auch das nichts Gutes.
Immerhin: anders als beim Klimawandel, wissen die verantwortlichen Akteure der Finanzwirtschaft durchaus, dass sie gemeinsam mit Tellerminen jonglieren. Das aber hindert zynisch kalkulierende Staatshaushälter, hier: die italienische Regierung, nicht daran, die „Gemeinschaft“ mit Katastrophen-Postkarten zu erpressen. Offenbar hat man in Rom und Mailand die „Lektion Varoufakis“ gründlich durchgearbeitet.

III. Und 1. Und 0. Und 1. Und …

Moore’s Law, so legen uns Kommentatoren nahe, die etwas davon verstehen, hat sein physikalisches Ende erreicht. Ist das jetzt gut? Oder schlecht? Oder egal? Seit Jahren beobachte und kommentiere ich, dass wir mit dem Tempo der technischen Entwicklung und den ökonomischen Folgen als Gesellschaft nicht mithalten können. Doch eine Brotzeit ist nicht in Sicht, fürchte ich. 

Wesentlich dafür sind „nachlaufende“ Entwicklungen. Die Software hat lange nicht in dem gleichen Tempo mitgehalten; viele ihrer Schwächen haben wir als Prinzip Banane kennengelernt („Produkt reift beim Kunden“); in den Systemlandschaften erweisen sich die Anforderungen an die Rückwärtskompatibilität der aktiven Applikationen als gehöriger Bremsklotz. Und auch die „Durchdringung“ der Ökonomie ist lange noch nicht an ihrem Sättigungspunkt angekommen. Viel technische Infrastruktur zuckelt noch in ihren „Abschreibungszyklen“ der Entwicklung hinterher. Und schliesslich – jetzt als Analogie – hörte die Innovation auch im Automobilsektor nicht auf, als die Motoren endlich einigermassen solide funktionierten. Sensoren und Aktoren sorgen unter den Buzzwords „IoT“ und „Industrie 4.0“ weiter für Tempo bei der revolutionären Umgestaltung der Welt – und von der KI haben wir noch nicht gesprochen, und auch nicht von unseren Daten.

Für 2019 sind das mixed messages.
Wir sehen an den sehr übersichtlichen Neuerungen in der Consumer-Hardware, dass nicht alle Bäume in den Himmel wachsen. Über die zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte haben die Ingenieure weltweit die Welt umgestaltet, ohne Rücksicht und ohne Mandat. Es täte gut, über ein paar Jahre den Stand des Erreichten zu reflektieren und Zielvorstellungen zu diskutieren. Hélas, die „eigentlichen“ Änderungen der Digitalisierung stehen noch aus: Die Voll-Automation übernimmt die Voll-Beschäftigung, und die Entwicklung vor und nach der KI ist schlicht unvorhersehbar. 

IV. Das Wandern war des Müllers Lust
Die Prognosen der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt machen eines sehr deutlich: die grössten Verlierer sind die weniger entwickelten Länder; dazu zählen auch Indien und China. Je mehr diese Staaten in der Vergangenheit von der „Auswanderung der Industrien in die Niedriglohnländer“ profitiert hatten, desto mehr sind sie vom Trend „Zurück in die Heimat“ gefährdet. Das ist nur wenig erstaunlich, denn je weiter der Kostenfaktor Arbeit aus dem Produktionsprozess herausentwickelt werden kann, desto eher wird die verbleibende Maschinenarbeit in die entwickelten Lädern zurückgeholt. Das hat sogar „objektive“ Vorteile, beispielsweise, wenn dadurch Transportwege gespart werden und/oder die zur Produktion eingesetzten Energien in relativ höherem Masse aus erneuerbaren Technologien stammen. 

Im Wechselspiel mit den Folgen des Klimawandels werden diese Entwicklungen einen neuen, noch unabschätzbaren Migrationsdruck erzeugen. Dabei sind die Folgen eine Frage der Perspektive: Je nach dem Ausgangspunkt finden die weitaus meisten Migrationsbewegungen „in die Nachbarschaft“ statt; logisch, es müssen die Entfernungen ja überwunden werden. Und natürlich ist es zu allererst eine quantitative Frage, wie sich die Migration in einer Zielregion auswirkt. Fast überall, das lässt sich bereits aus einem oberflächlichen Blick auf die Ursprungs- und die Zielländer ableiten, entstehen zwischen Chaos, Elend und Gewalt changierende Verhältnisse. Dabei zeigt sich auch, dass diejenigen Gesellschaften duldsamer sind, die ohnehin nichts oder wenig zu verlieren haben; je mehr wir in die entwickelten Länder schauen, desto reaktionärer und entschiedener wird sich die Abwehr entwickeln. Wenigstens sollte uns das nicht erstaunen, denn, analog zu kommunizierenden Röhren, kann die nicht gesteuerte Migration in den entwickelten Ländern nur in eine Absenkung der Standards einmünden.   

Für 2019 ist die Entwicklung neblig.
Das liegt nicht wirklich an den genannten allgemeinen Trends und Aussagen, sondern an der Unberechenbarkeit der je aktuellen Anlässe. Aus Sicht der Ursprungsländer sind Flucht und Migration sehr unterschiedliche Phänomene, auf der Seite der Zielländer sind die Wirkungen aber kaum unterscheidbar. Es sind daher ökologische (Dürrekatastrophen oder Überschwemmungen), ökonomische, politische (Putsche) und militärische Entwicklungen (ein neuer Syrienkrieg, wo auch immer), die in den Ursprungsländern gleichermassen neue Migrationsbewegungen anstossen oder, umgekehrt, durch ihr Ausbleiben sozusagen „verschieben“.

V. Über die politische Freundschaft
Neben den insoweit skizzierten strategischen Szenarien sehen wir andere Entwicklungstreiber im nationalen oder internationalen Umfeld: den Herrn Trump, zum Beispiel. „Objektiv“ betrachtet stehen die USA in 2019 für eine sogar gefährliche Perspektive, denn im November 2020 finden die nächsten Wahlen statt. Der Vorwahlkampf wird, wenn nicht längst im Gange, spätestens gegen Ende 2019 beginnen, und es ist damit zu rechnen, dass Herr Trump versuchen wird, im nächsten Jahr seine auf dem Potomac dem Atlantik zu treibenden Fälle zu retten. Das ist nicht gut. Innenpolitisch kann er keinen Blumentopf gewinnen, das Land iat polarisiert, die Ablehnung seiner Politik liegt über 50%, seine Popularität ist mit unter 40% die schlechteste, die je gemessen wurde. Und wenn er nun seine Mauer bekäme: was für eine grandios-absurde Geldvernichtung! Er zerschleisst alles Personal und ich frage mich schon seit Jahren, welchen Charakter es eigentlich braucht, um für einen Herrn T. zu arbeiten. Aussenpolitisch ist nicht mehr viel Porzellan im Schrank, und wenn man es ohne (verständliches aber) falsches Wunschdenken betrachtet, bleibt ihm nur noch die eine Option für die Wiederwahl. Das will ich mir gar nicht weiter ausmalen. Fragen wir lieber unsere amerikanischen Freunde, was geschehen muss, und wie lange es eigentlich dauert, bis so ein Impeachmentverfahren auf den Weg und zum Erfolg gebracht wird.

In 2019 gibt es für Europa eine klare Aufgabe.
Dass Europa sein Verhältnis zu den USA auf eine neue Grundlage stellen muss, erscheint mir wie eine Feuerschrift auf der Wand: Wir können nicht länger davon ausgehen, dass unser Wohlergehen und unsere Existenz im US-amerikanischen Interesse liegen. Auch unter einer kommenden Präsidentin werden sich die USA zum Pazifik orientieren; damit fällt die geo-strategische Bedeutung Europas, aus Sicht der USA, weiter zurück. Europa kann sich auch nicht länger bei der NATO unterstellen. Obwohl Herr Trump ein herausragender Wahlkämpfer für jede Form des Anti-Amerikanismus ist, sollte Europa seine Haltung nicht von dessen absehbar endlicher Regentschaft bestimmen lassen. Es muss – gleichwohl – eine eigene, eine souveräne Haltung finden.

VI. La Douce France
In Frankreich scheitert gerade ein Hoffnungsträger Europas. Das ist daramtisch, sowohl aus der Perspektive Frankreichs, wie auch Europas. Von allem politischen Personal, das wir über die letzten … 30? … Jahre kennengelernt haben, hat Macron einzigartig das für Europa Notwendige in die dafür notwendigen Worte gebracht (mag man seine Vorschläge im Einzelnen diskutieren, am Impuls und am Vektor ändert das nichts). Und nichts von dem, was er für Europa gefordert hat, wird durch seinen Misserfolg in Frankreich beeinträchtigt. Ich will nicht sagen: im Gegenteil; aber ich bin nahe daran. 

Für jeden Politiker, der es ernst meint, ist Macrons implodierende Stellung in Frankreich ein Fanal; und das ist keine Frage der einzelnen Massnahmen (hier eine Liste): die Aufstände sind vielmehr das Veto „des Volkes“, das Refomen (wenn es welche sind, und keine Worthülsen) unter einen Generalvorbehalt stellt. Der eigentliche Anlass der Unruhen waren eine CO2- und eine Dieselsteuer (die Macron, wie zum Hohn, auch noch von François Hollande „geerbt hatte“) – wie eigentlich soll es erst werden, wenn „wirklich“ einmal jene Reformen angepackt werden, die aus Gründen der Klimaentwicklung notwendig sind? 

Vermutlich haben jene nicht Unrecht, die Macrons monarchisches Gehabe für seinen Misserfolg verantwortlich machen. Als einigermassen gesichert gilt folgende Platitüde: (Macht und) Erfolg in (relativ) jungen Jahren befördern Hybris. Der Präsident, der seine angekündigten Reformen nun mit einiger Verve vorantreibt, ist nicht der gleiche Macron, der sich um das Amt beworben hat und um Gefolgschaft warb. Dabei ist es kaum bestreitbar, dass politische Entscheidungen mitunter auch einen harten Durchsetzungswillen erfordern. Macron, heisst es, sei beratungsresistent; meine Zustimmung hält sich in Grenzen, denn gerade Berater neigen einerseits und vor allem andererseits zu Kompromissen, wollen sie doch ihr eigenes Schicksal nicht an den Erfolg ihrer Ratschläge gebunden sehen (Disclaimer: bin vom Fach!).

Die gleichen Kommentatoren stellen nun fest, dass der Präsident eingeknickt sei (und mehr – dass auch das nicht hinreiche): Wer fällt, der soll gestossen sein; die Rolle der Medien … . Was wir aber doch zur Kenntnis nehmen müssen ist, dass sich der Präsident in dem Moment, in dem es um seine politische Glaubwürdig-, wenn nicht sogar um seine Handlungsfähigkeit überhaupt ging, gegen den Einsatz von (Polizei und/oder) Militär zur Niederschlagung des Aufstandes entschieden hat. Nun könnte man sagen: „Das ist ja wohl auch das Mindeste.“ Ja. Doch. Aber. Schauen wir auf die Risiken, die ich oben unter I. - IV. aufgelistet habe (und Marc Elsberg hat in „BlackOut“ unseren betulich-träumerischen Vorstellungen auf die Sprünge geholfen): früher oder später kommt es zu einem Double Bind in Form der Frage, ob „wir“ als Gesellschaft überleben wollen, und welche Mittel wir dafür einzusetzen bereit sind. 

Für 2019 ist die französische Misere ein trauriges Präjudiz.
Das deutsche Rumgeeiere war einer der Faktoren, die Macrons Glaubwürdigkeit beschädigt haben. Den aussenpolitischen Glanz, den seine Sorbonne-Initiative verdient hätte, hat ihm die deutsche Regierungsfindung verweigert. Ich bin kein Kenner der französischen Innenpolitik, habe aber Zweifel, dass er sich innenploitisch davon erholen kann. Undenkbar, aber „eigentlich“ müsste Macron für die Präsidentschaft der EU kandidieren. Wenn er nun aber auch die deutsche Krankheit bekommt, und wenn überdies der farblose Herr Weber, sagen wir: „zufällig“, den Euro-Präsidenten geben soll, da wird mir ganz schwummerig. 

VII. ... über alles
Eher im Kleingedruckten lesen wir dann noch von den Verhältnissen unserer politischen Parteien, und fast noch kleiner gedruckt sind deren Prognosen. 

In 2019 verabschieden wir uns von der SPD und übergeben sie mit ihren Restbständen den Archiven. Bei allem Bemühen kann ich in ihrem Kader niemanden erkennen, der mit tragfähigen Einsichten an die Gestaltung eines Zukunftsprogrammes für die Partei herangehen könnte. Ich habe an anderer Stelle darüber gesprochen, dass ich im „sozialen“ Wertefundament der Partei keine taugliche Basis mehr erkenne, einerseits, weil es uns (als Gesellschaft insgesamt) zu gut geht, andererseits, weil andere fundamentale Probleme das Soziale überdecken – ohne dass es die Partei begreift. Harari hat die Bedeutungslosigkeit als die soziale Hölle (meine Worte) der Zukunft beschrieben: Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs Proletariat („die nur mit den Nachkommen, nicht mit dem Vermögen den Staat tragen“ – Wikipedia) macht deutlich, welches Risiko besteht: eine Mehrheit, die für die Wirtschaft nicht und für den Krieg schon gar nicht mehr gebraucht wird, für was eigentlich überhaupt? Der Staat braucht diese Mehrheit auch nicht, … 

Die CDU hätte der SPD die Karre aus dem Dreck ziehen, na, wenigstens anschieben können: wenn sie denn Friedrich Merz gewählt hätte. Dann, wenigstens, hätte die Partei noch eine Weile auf dem alten Gemäuer balancieren können, vielleicht bis ein neues Denken in den Laden einsickert. So aber wird sich AKK mit einem Kanzlerkandidaten abrackern müssen (ich hab das vor den passenden Meldungen geschrieben, bin aber nicht rechtzeitig fertig geworden), der mit seinem herrschaftlichen Grossgeist der einschlägig protegierten Allzweckpolitikerin aus dem Saarland das Leben schwer machen wird. Wird AKK die Kanzlerinnenschaft erobern? Nun, für 2019 steht das, wie es scheint und zu hoffen bleibt, nicht an: zu hoffen, weil ja nur eine herbe Koalitionskrise zu Neuwahlen führen könnte (an der aber niemand ein Interesse hat). So kriegen wir es mit einem Schicksalsjahr für Europa zu tun (Wahlen im Mai) bevor im September der Osten (Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen) die CDU und die Nation das Fürchten lehren wird.

In der Europa-Wahl haben die Grünen nicht viel zu gewinnen; ob sie 10 oder 20 oder gar mehr Prozent gewinnen, das besichert nur eine Reihe von Posten und Zeitverträgen. Für ihre historische Mission müssten im nächsten Jahr Bundestagswahlen sein: das wäre eine Chance, vielleicht sogar auf die Kanzlerschaft. Ehrlich gesagt: die traue ich denen nicht zu, und vermutlich wäre ich damit nicht allein, aber wenn sich CSPDU weiter zerlegen … na, macht ja keinen Sinn, so zu spekulieren. Die Grünen, das kann man ohne Wertung sagen, nähern sich ihrem Durchbruch. Sie haben zumindest das richtige Image, meine Zweifel zielen auf das Programm: die Partei ist das Gegenteil von dynamisch.

Auch Frau Wagenknecht hat keine Chance. Überhaupt sehe ich die Zukunft der Linken in der SPD oder umgekehrt, je nach Übernahmeangebot. Unter Kipping/Riexinger hat sich die Partei links an die SPD geklemmt und „das Soziale“ mit ein paar klassenkämpferischen Theaterparolen versteift; den realpolitischen Kammerton dagegen hat Frau Wagenknecht mit links-nationalen Verdachtsmomenten kontaminiert (die natürlich an ihr als Person vorbei schiessen). Ihr Aufbruch jedenfalls mündet in einen Abbruch.

Ach, jetzt hätt ich fast Herrn Lindner vergessen (Verdrängung, anders ist das nicht zu erklären). Ich hab mich in ihm geirrt. Er sah so frisch und aufgeklärt aus, und ich hab mich von der Fassade über den Inhalt täuschen lassen. Übrigens ein ganz anderes Thema war sein Amtsverzicht, der hatte mit politischem Machiavellismus (oder besser: dessen Mangel) zu tun – es war eine Dummheit. Neuwahlen ein halbes oder 3/4tel Jahr später, und Herr Lindner wäre am Ziel gewesen. Politisch hat die FDP jetzt auf weitere 10 Jahre verspielt: alles, was sie neu und modern und klug und sonstwas ins Feld führen könnte, hat sie bereits gezeigt. Ich wüsste nicht, was oder wer, ausser Merz (Leihstimmen, haha), ihnen zum Erfolg verhelfen könnte.

Für 2019 ist nichts zu erwarten.
Nicht von diesen Parteien, nicht von diesem Politikern.

***

Noch wer wach? 
Vielleicht hast Du ja quer gelesen. Komm, alles, was ich gesagt habe, kannst Du im Photoshop um eins, zwei Blenden aufhellen, an der Substanz ändert das nichts. Aber jetzt wollen wir doch noch ein paar weniger trübe Gedanken probieren. Sagen wir so: jetzt rede ich mir mal gut zu!

Denn was gibt es denn griffigeres, als ungenügende Verhältnisse, desorientierte Schwäche, Richtungslosigkeit? Von Helmuth Schmidt lernen! Was denn tun, wenn alles OK wäre? Also, die Dinge liegen im Argen, nicht gut; aber dann: Stunde Null, Tabula rasa. 

Ein Neues Jahr. Vergiss das: alles. Lass uns etwas Neues denken.  

Das Erste, 
worüber wir nachdenken sollten, ist die Frage des Realismus. Es gilt doch: Mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen stehen, bodenständig sein. "Wer die Realität nicht zum Freund hat, hat wenig Freunde." (Tatort!). Den Dingen ins Auge sehen, sie nehmen, wie sie kommen. Sich kein X für ein U vormachen lassen usw. Stimmt doch!? 
Ha! Falle. 

Oben sticht unten. Mit den Wölfen heulen. Das Fähnlein in den Wind hängen … und wenn sich alle beschweren, nur dann ist es ein guter Kompromiss. Und genau deswegen ist die Welt, wie sie ist, das Ergebnis. Die schleichenden Krisen und dräuenden Katastrophen fahren auf dem Ticket dieses Realismus’. Der hat uns dahin gebracht: dass Du nicht glaubst, dass sich etwas ändern lässt. Dass Du gar nicht erst anfängst, darüber nachzudenken. Dass Du allenfalls für Dich selbst sorgst: Tu nichts Gutes, dann geschieht Dir nichts Schlechtes. 

Frag ruhig, wie ich das meine: Utopismus? Wolkenkuckucksheime? Lass es mich so sagen: Die meisten Dinge, die wir heute für selbstverständlich halten, waren zuvor Utopien und Utopismen und als solche wolkig. Die innovativsten Firmen des Planeten feiern die Disruptionen, die sie der Welt verordnen: Mach Du es, bevor es jemand anderes tut. Beim neuen User Interface, neuen Services, einem neuen Geschäftsmodell oder dem Organisationsdesign: Kreativität heisst unsere Religion. „Geht nicht, gibt’s nicht.“ ist die Philosophie der besseren Handwerker. Nur wenn es wirklich um was geht, um unsere Art zu leben, um die Organisation der Gesellschaft, die Verhinderung all der Katastrophen, dann soll das alles nicht gelten? Wir kehren den Staub aus den Gängen von Ämtern und Konzernen, aber das begriffliche Gerümpel in den Vorstellungen von der Welt bleibt unantastbar? Ich erlaube mir mal folgende Deutlichkeit: Der Realität gehört einmal kräftg in den Arsch getreten!

Das Zweite, 
worüber wir nachdenken könnten, ist die Frage nach der Zeit. Unsere Vorstellungen von Zeit sind falsch, und es ist nur eine Frage der Haltung. Ich geb einmal ein Beispiel: Im April 2016 hat Emmanuel Macron die Partei, „La Republique en marche“ gegründet, im Juni 2017 gewann diese Partei die absolute Mehrheit; von Null auf Mehrheit in einem Jahr. Am 16. November 2016 hat Macron seine Präsidentschaftskandidatur erklärt. Am 7. Mai 2017 wurde er gewählt. Von Null auf Präsident in sechs Monaten. Was heisst hier Zeit?! Seine berufliche Karriere begann er 2005, als Finanzinspektor. Mit 40 war er Präsident. 

OK, Begabung, Glück und Zufälle werden ungleich verteilt, das stimmt. Und alles braucht SEINE Zeit. Aber wir geben uns damit zufrieden, 8 Wochen auf eine Unterschrift zu warten. Oder auf einen Rückruf, eine Antwort. Unsere Vorstellungen von der Zeit bestimmen auch unsere Vorstellungen davon, was möglich ist.  

Das Dritte, 
worüber wir nachdenken müssten, ist unser Verständnis von den Zielen. Wer mit 30 nicht die erste Million gemacht hat, wird es nie schaffen. Mein Haus, mein Schiff, mein Auto. Höher, schneller, weiter; mehr, mehr, mehr. Wir haben eine Wachstumskrankheit. Das kann man jetzt falsch verstehen: Leben soll schon sein, und von Luft und Liebe geht nur vorübergehend. Was aber Leben ist, was wir erwarten, erhoffen, als Ergebnis ansehen, darüber hat das Nachdenken in den letzten 20 Jahren nachgelassen. In einer fragmentierten, amerikanisierten, neoliberalen Gesellschaft gibt es nur das Ich, einen unreflektierten Narzissmus, einen rücksichtslosen Hedonismus. 

Gut, wirst Du vielleicht sagen, und Du? – Ich Pharisäer, predige Wasser und trinke Wein? Schon. Auch. Schuldig. Ich werde jetzt nicht mit des Schusters Schuhen um die Ecke kommen. Ich lebe, mir geht es .. sehr .. gut. Ich bin auch kein Vertreter calvinistischer Enthaltsamkeit. Allerdings glaube ich auch, dass es vielen so geht: der Geist ist willig. Ich glaube nicht daran, dass jeder „nur bei sich anfangen“ müsste (auch wenn ich daran NICHTS falsch finde). Deswegen denke ich darüber nach, was die Gesellschaft an Leitplanken vorgeben muss, was sie beschränken und beschneiden muss. Wir können uns auf den guten Willen nicht verlassen. Deswegen denke ich aber auch darüber nach, was wir anstreben: Leben ist Er-Leben, und das ist, wie jeder in seinen Träumen oft genug erlebt hat, nicht notwendig materiell. Ich denke darüber nach, wie wir den Fussabdruck aus der Welt kriegen, ohne mit Sünde, Beichte und gelegentlichen Geisselungen weiter im Mittelalter zu verharren. 

Ready Player One.  
Amen.